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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 617/01 
 
Urteil vom 28. August 2002 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
J.________, 1987, Beschwerdegegner, 
handelnd durch R.________ und M.________ , und diese vertreten durch Dr. med. W.________, Hauptplatz 8, 8640 Rapperswil SG 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz 
 
(Entscheid vom 29. August 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1987 geborene J.________ leidet an einem Geburtsgebrechen und bezog verschiedene Leistungen der Invalidenversicherung (medizinische Massnahmen, Hilfsmittel, Pflegebeitrag, Sonderschulung). Seit 1997 besucht er die Heilpädagogische Schule X.________. Am 10. Januar 2001 stellte diese Institution bei der Invalidenversicherung ein Gesuch um Übernahme der Kosten einer Psychotherapie zur Unterstützung der sonderschulischen Massnahmen. Die IV-Stelle Schwyz lehnte den Antrag ab (Brief vom 11. Januar 2001). Mit Schreiben vom 2. März 2001 ersuchte Frau Dr. med. W.________, Spezialärztin FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, namens des Versicherten erneut um Kostengutsprache für eine Psychotherapie. Die IV-Stelle Schwyz lehnte - nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom 17. April 2001 das Leistungsbegehren ab. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz im Sinne der Erwägungen gut und verpflichtete die IV-Stelle, die Kosten der Psychotherapie für die Dauer eines Jahres zu übernehmen (Entscheid vom 29. August 2001). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle die Aufhebung des kantonalen Entscheids und die Wiederherstellung der Verfügung vom 17. April 2001. 
 
Der Versicherte und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf deren Gutheissung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach Art. 13 IVG haben Versicherte bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen. Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden; er kann die Leistung ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Abs. 2). 
Als Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG gelten Gebrechen, die bei vollendeter Geburt bestehen. Die blosse Veranlagung zu einem Leiden gilt nicht als Geburtsgebrechen. Der Zeitpunkt, in dem ein Geburtsgebrechen als solches erkannt wird, ist unerheblich (Art. 1 Abs. 1 GgV). Die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang zur GgV aufgeführt; das Eidgenössische Departement des Innern kann eindeutige Geburtsgebrechen, die nicht in dieser Liste enthalten sind, als solche im Sinne von Art. 13 IVG bezeichnen (Art. 1 Abs. 2 GgV). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV). 
1.2 Ziff. 403 GgV Anhang nennt das Geburtsgebrechen "Kongenitale Oligophrenie (nur Behandlung erethischen oder apathischen Verhaltens)". Oligophrenie stellt eine "allgemeine Bezeichnung für (einen) ätiologisch uneinheitlichen, angeborenen oder frühzeitig erworbenen Intelligenzdefekt" dar, wobei die Einteilung in Schweregrade anhand des Hamburg-Wechsler-Intelligenztests erfolgt; die Bezeichnung Debilität steht für einen Intelligenzquotienten (IQ) von 60-79, die Bezeichnung Imbezillität für einen solchen von 40-59 und die Bezeichnung Idiotie für einen Wert kleiner als 40 (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin und New York, 256. Aufl. 1990, S. 1205; in der aktuellen, 259. Auflage 2002 dieses Werks, S. 1208, wird der Terminus "Oligophrenie" demgegenüber nur noch als "veraltete Bezeichnung für geistige Behinderung" aufgeführt). 
2. 
Es ist aktenmässig erstellt und unbestritten, dass beim Beschwerdegegner eine kongenitale Oligophrenie gegeben ist, während die Voraussetzungen anderer im vorliegenden Zusammenhang relevanter Geburtsgebrechen nicht erfüllt sind. Streitig und zu prüfen ist, ob die Invalidenversicherung die Kosten einer Psychotherapie zu übernehmen hat. 
2.1 Die Vorinstanz gelangte zum Ergebnis, der Beschwerdeführer zeige zwar nicht dauernd, aber doch regelmässig erethisches und apathisches Verhalten. Auf Grund der ärztlichen Stellungnahmen sei davon auszugehen, dass die vorgesehene Psychotherapie geeignet sei, dieses Verhalten zu beeinflussen, und insoweit eine einfache und zweckmässige Massnahme darstelle, wobei die Dauer der Massnahme aus Gründen der Verhältnismässigkeit auf ein Jahr zu beschränken sei. 
2.2 Die IV-Stelle anerkennt das Vorliegen des Geburtsgebrechens kongenitale Oligophrenie sowie des darauf zurückzuführenden apathisch-erethischen Verhaltens. Sie macht jedoch geltend, die Psychotherapie stelle keine einfache und zweckmässige Massnahme zur Behandlung dieses Verhaltens dar, da der Beschwerdegegner einen IQ von deutlich unter 75 aufweise und deshalb für eine derartige Therapie nicht empfänglich oder ansprechbar sei. Das BSV führt aus, zur Behandlung erethischen und apathischen Verhaltens bei kongenitaler Oligophrenie komme in erster Linie Pharmakotherapie in Frage. Dagegen sei Psychotherapie in der Regel nicht als einfache und zweckmässige Behandlung anzusehen, insbesondere wenn es sich um eine schwere Form der geistigen Behinderung handle, wie sie beim Beschwerdegegner vorliege. Zudem gehe aus der Stellungnahme von Frau Dr. med. W.________ hervor, dass die vorgesehene Psychotherapie nur am Rande gegen apathisches und erethisches Verhalten gerichtet sei. Bei praktisch allen Versicherten mit einer geistigen Behinderung könnten mehr oder weniger ausgeprägte apathische oder erethische Verhaltenszüge ausgemacht werden. Die Einschränkung in der Klammer bei Ziffer 403 Anhang GgV (auf die Behandlung erethischen oder apathischen Verhaltens) wäre als obsolet zu betrachten, falls primär die Übernahme von Psychotherapie bezweckt würde. 
3. 
3.1 Nach der Rechtsprechung stellt die Psychotherapie eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung erethischen und/oder apathischen Verhaltens bei kongenitaler Oligophrenie dar. Im Einzelfall entscheidet sich im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, ob die Psychotherapie indiziert ist und erlaubt, den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anzustreben (nicht veröffentlichtes Urteil L. vom 26. Februar 1990, I 228/88). Gemäss der von der Verwaltung im damaligen Verfahren eingeholten Expertenmeinung ist die Durchführung einer Psychotherapie bei geistig Behinderten in der Regel nicht indiziert, vor allem wenn eine schwere Form von Oligophrenie vorliegt (Imbezillität oder Idiotie), wobei aber Ausnahmen von dieser Regel vorkommen. Randziffer 403.4 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME; zum Stellenwert von Verwaltungsweisungen vgl. BGE 125 V 379 Erw. 1c mit Hinweisen) sieht vor, die IV übernehme im Zusammenhang mit der Behandlung einer kongenitalen Oligophrenie ausschliesslich anerkannte, einfache und zweckmässige medizinische Behandlungen, die sich gegen das apathische oder erethische Verhalten richten. Psychotherapie stelle in der Regel keine einfache und zweckmässige Therapie dar, weil der Aufwand in keinem angemessenen Verhältnis zum Ertrag stehe. 
 
Ein Anspruch auf medizinische Massnahmen in Form einer Psychotherapie ist demnach bei kongenitaler Oligophrenie nicht von vornherein ausgeschlossen. Massgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Dabei kommt den ärztlichen Stellungnahmen für die Beurteilung der Eignung, Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit dieser Behandlung hinsichtlich des apathischen und erethischen Verhaltens entscheidende Bedeutung zu. 
3.2 
3.2.1 Frau Dr. med. W.________ führt in ihrem Schreiben an die IV-Stelle vom 2. März 2001 aus, unter den gegebenen Umständen könne der Versicherte das vorhandene kognitive und handwerklich-praktische Potenzial nicht nützen. Es komme vor, dass er tagelang nicht aufstehe, nicht zur Schule gehe, Essen und Duschen verweigere, ohne Schuhe davonlaufe, sowie dass er plötzlich "ausraste", Schreiattacken habe, sich auf den Boden werfe und mit seinen Ausbrüchen sich und andere in Gefahr bringe. Er sei in der Persönlichkeitsentwicklung sehr weit zurück und suche die Auseinandersetzung, Kämpfe und Reibungen mit den ihn begleitenden Personen. Es sei - auch angesichts der Grösse und Körperkraft des Versicherten - dringend notwendig, diese Lust am Kämpfen von der Beziehungs- und Sozialebene auf eine geeignete Sachebene zu lenken und zu verlagern. Diese sehr anspruchsvolle pädagogische Arbeit könne nur geleistet werden, wenn genaue Kenntnisse und Informationen über den seelischen Entwicklungsstand vorlägen. Der Beschwerdegegner benötige dringend eine Psychotherapie unter Einbezug der gestützten Kommunikation. Die in der Therapiearbeit gewonnenen Einsichten und Fortschritte müssten den betreuenden Personen zur Kenntnis gebracht werden, damit sie auch im Alltag genutzt werden könnten. Ziel und Aufgabe der Psychotherapie sei die Verbesserung der Kommunikation, der Abbau der Blockaden und das Ermöglichen einer adäquaten Förderung und Forderung, um an die vorhandenen Ressourcen im Hinblick auf eine optimale Eingliederung heranzukommen. Auf Nachfrage der IV-Stelle erklärte die Ärztin am 13. März 2001, die kognitiven Fähigkeiten des Versicherten lägen im Bereich der praktischen Bildungsfähigkeit, das heisst bei einem IQ unter 80. 
3.2.2 Aus der erwähnten Stellungnahme von Frau Dr. med. W.________ geht hervor, dass der Beschwerdegegner zwar nicht dauernd, aber doch regelmässig apathisches (nicht Aufstehen, Essen und Duschen verweigern, usw.) sowie ere thisches (Ausbrüche) Verhalten zeigt. Die Ärztin bejaht die Erforderlichkeit einer Psychotherapie. Sie äussert sich jedoch nicht klar zur spezifischen Eignung dieser Behandlung in Bezug auf das apathische und erethische Verhalten des Beschwerdegegners, zur Wirksamkeit anderer Methoden (beispielsweise einer Pharmakotherapie, welche nach Ansicht des BSV regelmässig im Vordergrund steht) sowie zum voraussichtlich erforderlichen Aufwand. Unter diesen Umständen kann nicht beurteilt werden, ob und inwieweit die Psychotherapie zur Behandlung des für den Leistungsanspruch einzig relevanten apathischen und erethischen Verhaltens geeignet ist, ob sie insoweit erforderlich ist, weil keine gleichermassen oder ähnlich wirksamen, weniger aufwändigen Behandlungsmöglichkeiten bestehen, und ob der Aufwand voraussichtlich in einem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis stehen wird. Die Einholung einer zusätzlichen ärztlichen Stellungnahme, welche die medizinischen Grundlagen zur Beantwortung dieser Fragen liefert, ist daher unumgänglich. Die Sache ist zu diesem Zweck an die IV-Stelle zurückzuweisen. 
4. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Parteientschädigungen sind nicht zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 29. August 2001 und die Verwaltungsverfügung vom 17. April 2001 aufgehoben werden, und es wird die Sache an die IV-Stelle Schwyz zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch neu entscheide. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 28. August 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: