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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_221/2024  
 
 
Urteil vom 28. November 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Bögli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________ AG, 
2. B.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lukas Beeler und/oder Rechtsanwältin Christina Rinne, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG), Direktionsbereich Grundlagen, Sektion Recht, Taubenstrasse 16, 3003 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einfuhrabgaben, Steuerperiode 2020, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2024 (A-4565/2021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 4. Juli 2018 besprachen Vertreter der "C.________", einer Kunstsammlung im Eigentum von B.________, mit Zollexperten des Zolls Nordost die rechtlichen Voraussetzungen für eine zollfreie Einfuhr von Kunstgegenständen für öffentlich zugängliche Museen im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Bst. g des Zollgesetzes vom 18. März 2005 (ZG, SR 631.0) sowie den entsprechenden Antrag mittels Formular 11.32. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2018 informierte die D.________ AG, die damalige Rechtsvertreterin der B.________, nach mehrfachem Telefon- und E-Mailverkehr die Eidgenössische Zollverwaltung ([EZV], heute: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit [BAZG]) über die geplante Umfirmierung einer bestehenden Aktiengesellschaft zur A.________ AG, welche als Betriebsgesellschaft das Museum "C.________" ohne kommerzielle Zwecke betreiben und unmittelbar für das Museum Kunstwerke einführen werde. Die Zollkreisdirektion Schaffhausen bestätigte ihr Einverständnis mit diesen Ausführungen am 29. Oktober 2018. Am 14. Mai 2020 ersuchte die D.________ AG um eine Bestätigung des Museumsstatus (Erfüllung der Voraussetzungen für eine zollfreie Einfuhr von Kunstwerken) der "C.________", welche von der Zollkreisdirektion Schaffhausen mit Gegenzeichnung vom 3. Juni 2020 gewährt wurde.  
 
A.b. Mit Schreiben vom 2. Juli, 8. Juli und (ebenfalls) 8. Juli 2020 meldete die von der "C.________" mit der Zollanmeldung und Lagerung beauftragte E.________ AG die Einfuhr mehrerer Kunstwerke mittels Formular 11.32. Die Formulare waren jeweils im Namen der "C.________" unterzeichnet.  
 
A.c. Am 3. August 2020 führte der Zoll Nordost eine unangemeldete Kontrolle beim Standort der "C.________" durch und verfügte gestützt darauf am 10. August 2020, dass die "C.________" und die A.________ AG sich nicht als privilegierte Empfänger im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der Zollverordnung vom 1. November 2006 (SR 631.01; ZV) qualifizierten, die Anträge für zollfreie Einfuhr abgelehnt würden und zu den bereits vorgenommenen Einfuhren ein Nachforderungsverfahren eingeleitet werde. Ebenfalls am 10. August 2020 widerrief der Zoll Nordost die Gegenzeichnung ("Ruling") des Schreibens vom 14. Mai 2020.  
 
A.d. Die Oberzolldirektion (OZD) wies die gegen die Verfügung des Zolls Nordost erhobene Beschwerde mit Beschwerdeentscheid vom 13. September 2021 ab.  
 
B.  
Mit Urteil vom 26. Februar 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Beschwerdeentscheid der OZD erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Die A.________ AG und B.________ lassen dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen. Es sei festzustellen, dass die A.________ AG bzw. die von ihr an der Strasse xxx und Strasse yyy in U.________ betriebene Einrichtung als Museum bzw. als privilegierte Empfängerin im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. g ZG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 ZV qualifiziert und dass die Einfuhr von Kunst- und Ausstellungsgegenständen, welche von der A.________ AG selbst oder unmittelbar für diese eingeführt und nicht weitergegeben werden, zollfrei seien. Eventualiter sei festzustellen, dass die A.________ AG als eine einem Museum gleichgestellte Einrichtung und privilegierte Empfängerin im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. g ZG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 lit. c ZV qualifiziert und dass die Einfuhr von Kunst- und Ausstellungsgegenständen, welche von der A.________ AG selbst oder unmittelbar für diese für die "C.________" an der Strasse xxx und Strasse yyy in U.________ eingeführt und nicht weitergegeben werden, zollfrei seien. 
Das BAZG schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführer nehmen zu dieser Eingabe Stellung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. wegen Verletzung von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich; BGE 142 II 433 E. 4.4) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; zur Rüge- und Begründungspflicht der Parteien: Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 326 E. 1 mit Hinweisen). 
 
2.  
 
2.1. Formelle Rügen können ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen, weshalb sie vorab zu behandeln sind (Urteil 9C_606/2022 vom 6. Juni 2023 E. 3). Die Beschwerdeführer rügen eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz, indem diese zunächst den Streitgegenstand falsch festgestellt, in Bezug auf die Registrierungsversuche durch die OZD ihre umfangreichen Ausführungen ignoriert und zudem ihren Eventualantrag auf Erteilung des Museumsstatus unter Auflagen nicht geprüft habe.  
 
2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 149 I 91 E. 3.2; 137 I 195 E. 2.2 mit Hinweis). Er verlangt, dass die Justizbehörde die Vorbringen der Parteien auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt; daraus folgt insbesondere die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid ausreichend und nachvollziehbar zu begründen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 148 III 30 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführer haben sich im vorinstanzlichen Verfahren ausführlich zu den Themen "Vorliegen einer Feststellungsverfügung", "Möglichkeit der Online-Registrierung für Führungen", "Anfragen zu Führung per E-Mail" sowie "Erteilung des Museumsstatus unter Auflagen" geäussert. Das Bundesverwaltungsgericht behandelte die Frage des Vorliegens einer Feststellungsverfügung über den Museumsstatus sehr knapp, ohne dabei auf die Argumentation in der Beschwerde oder der Replik einzugehen. Die vergeblichen Registrierungsversuche zur Teilnahme an öffentlichen Führungen durch die OZD wurden im angefochtenen Urteil zwar über rund eine Seite hinweg abgehandelt und das Urteil im Wesentlichen darauf abgestützt, jedoch ausschliesslich anhand der Darstellung des Beschwerdegegners, ohne die detaillierten Ausführungen der Beschwerdeführer zu erwähnen. Dass Einzelpersonen eine Führung auch per E-Mail buchen können, wurde vorinstanzlich ohne Erwähnung der beschwerdeführerischen Angaben vermutungsweise verneint. Ob eine Gewährung des Museumsstatus unter Auflagen möglich und/oder angebracht gewesen wäre, wurde im angefochtenen Urteil nicht thematisiert.  
 
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im vorinstanzlichen Verfahren eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das BAZG bejaht, diese aber als geheilt erklärt, da sich die Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hätten äussern und Einsicht in die Akten nehmen können. Dem angefochtenen Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, ob sich das Gericht mit den beschwerdeführerischen Rügen nicht auseinandergesetzt, oder diese zwar geprüft, sie jedoch als nicht stichhaltig erachtet hat. Während sich die Justizbehörde zwar, wie dargelegt (E. 2.2 hiervor), nicht mit allen Vorbringen einlässlich auseinandersetzen muss, so muss doch erkennbar sei, dass sie die Argumente der Parteien tatsächlich geprüft hat, was vorliegend nicht der Fall ist. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer verletzt.  
 
3.3.  
 
3.3.1. Den Beschwerdeführern wird zudem vorgeworfen, keine Beweise dafür eingereicht zu haben, dass die Registrierung zur Teilnahme an einer Führung allen Interessierten - ohne vorgängige Selektion nach gewissen Kriterien - offen stehen würde. Eine solche vorgängige Selektion wurde zuvor - soweit ersichtlich - nie angesprochen, sondern stets lediglich die geringe Anzahl der möglichen Teilnehmer und damit einhergehend die schnell ausgebuchten Führungen thematisiert.  
 
3.3.2. Das Bundesgericht hat in einem zur Publikation vorgesehenen Entscheid kürzlich die Rechtsprechung zum aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleiteten Überraschungsverbot zusammengefasst. Es hielt fest, dass in Bezug auf die Rechtsanwendung ein Anspruch auf vorgängige Stellungnahme besteht, wenn eine Behörde ihren Entscheid auf eine Argumentation stützen will, die im bisherigen Verfahren nicht Thema war und mit der vernünftigerweise nicht gerechnet werden musste. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung unbestimmter Rechtsnormen oder eines besonders grossen Ermessensspielraums. In einem solchen Fall hat die Behörde die Betroffenen über ihre Rechtsauffassung zu orientieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten (Urteil 2C_179/2023 vom 4. Juni 2024 E. 4.1, zur Publikation vorgesehen). Da den Beschwerdeführern im über mehrere Jahre andauernden Verfahren im Zusammenhang mit dem Kriterium der "öffentlichen Zugänglichkeit" nie vorgeworfen wurde, eine (unzulässige) Selektion der an einer Führung interessierten Besucher zu betreiben, hätte die Vorinstanz sie darüber informieren müssen, dass sie plante, die Sache auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen und entsprechende Beweise einfordern. Da sie dies nicht getan hat, hat sie auch damit das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer verletzt.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, der Sachverhalt sei liquide, weshalb eine Rückweisung unnötig sei und das Bundesgericht direkt entscheiden könne. Allerdings wurde die Frage der öffentlichen Zugänglichkeit der "C.________" bisher trotz mehreren Rechtsmittelentscheiden noch nie unter Berücksichtigung der Argumente der Beschwerdeführer geprüft. Die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung des Museumsstatus wurden im angefochtenen Urteil bewusst offengelassen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, gleichsam eines erstinstanzlichen Gerichts den Sachverhalt festzustellen, oder die notwendigen Abklärungen vorzunehmen und erstmals über die sich stellenden Rechtsfragen zu entscheiden (vgl. Urteil 5A_178/2024 vom 20. August 2024 E. 6.1).  
 
4.2. Nach Gesagtem ist die Beschwerde gutzuheissen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Unter diesen Umständen ist auf eine Prüfung der materiellen Rügen zu verzichten.  
 
5.  
 
5.1. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1; 137 V 210 E. 7.1).  
 
5.2. Bei dieser Sachlage sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen. Dieser hat den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführern zudem eine Parteientschädigung auszurichten.  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2024 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 9'000.- werden dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit auferlegt. 
 
3.  
Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 5'000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. November 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bögli