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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.784/2005 /gij 
 
Urteil vom 28. Dezember 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Ablehnung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 31. Oktober 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Im gegen X.________ laufenden, zurzeit vor dem Kassationshof des Obergerichts des Kantons Bern hängigen Strafverfahren verlangte dieser am 8. September 2005 den Ausstand der Oberrichter Maurer, Steiner, Bührer, Kunz und Hermann. 
 
Mit Eingabe vom 23. September 2005, welche am 3. Oktober 2005 beim Präsidenten des Obergerichts einging, nahm der Präsident des Kassationshofs, Oberrichter Maurer, zum Ablehnungsbegehren Stellung und beantragte, dieses unter Kostenfolge abzuweisen. Die Oberrichter Steiner, Bührer, Kunz und Hermann erklärten sich mit dieser Eingabe einverstanden und verzichteten auf eine eigene Stellungnahme. Der Staatsanwalt verzichtete auf Vernehmlassung zum Ablehnungsbegehren. 
 
Das Obergericht wies das Ablehnungsbegehren am 31. Oktober 2005 ab und auferlegte die Verfahrenskosten dem Kanton Bern. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 29. November 2005 beantragt X.________, diesen Entscheid aufzuheben. Er ersucht, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und ihm unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Er verlangt eine Parteientschädigung von Fr. 1'520.-- und lehnt die Bundesrichter Nay, Aeschlimann, Favre, Schneider, Wiprächtiger, Karlen, Aemisegger und Fonjallaz ab. 
 
Das Obergericht beantragt, das Gesuch um aufschiebende Wirkung abzulehnen und verzichtet im Übrigen auf Vernehmlassung in der Sache. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts über die Abweisung des Ablehnungsbegehrens schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, sondern lässt im Gegenteil dessen Fortführung zu. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 88 OG befugt, sich gegen die Abweisung seines Ablehnungsbegehrens zur Wehr zu setzen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten ist. 
2. 
Der Beschwerdeführer beantragt die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters. 
 
Der angefochtene Entscheid wurde dem (für das kantonale Verfahren bestellten) amtlichen Rechtsbeistand des Beschwerdeführers am 1. November 2005 zugestellt, weshalb die dreissigtägige Frist für die staatsrechtliche Beschwerde am 2. November 2005 zu laufen begann. Der Beschwerdeführer hat am 29. November 2005, d. h. am drittletzten Tag der Frist, Beschwerde erhoben und den erwähnten Antrag um unentgeltliche Verbeiständung gestellt. Es ist dem Bundesgericht schlechterdings nicht möglich, rechtzeitig vor Fristablauf einen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu ernennen und diesem ausreichend Zeit zu lassen für eine substanziierte Beschwerdeergänzung; eine Erstreckung der Beschwerdefrist von Art. 89 Abs. 1 OG ist ausgeschlossen (Art. 33 Abs. 1 OG). Der Antrag, zu diesem Zeitpunkt gestellt, verlangt Unmögliches und ist daher abzuweisen. 
 
Im Übrigen ist, wie schon der Ausgang des Verfahrens zeigt, eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung des Beschwerdeführers auch unnötig, da er offensichtlich durchaus in der Lage ist, selber eine den gesetzlichen Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügende Rechtsschrift zu verfassen. 
3. 
Der Beschwerdeführer verlangt den Ausstand verschiedener Bundesrichter, die mit früheren Verfahren des Beschwerdeführers befasst waren. Der Umstand, dass diese Urteile nicht den Erwartungen des Beschwerdeführers entsprachen und seiner Auffassung nach krass falsch sind, ändert nichts daran, dass sie formell wie materiell rechtskräftig sind und in diesem Verfahren nicht überprüft werden können. Bundesgerichtliche Urteile können allein mit den in den Art. 136 ff. OG dafür vorgesehenen Rechtsmitteln angefochten werden. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Urteilsschelte ist damit offensichtlich nicht geeignet, die angesprochenen Urteile in Frage zu stellen und die daran beteiligten Richter als befangen erscheinen zu lassen. Ein taugliches Ablehnungsbegehren liegt damit nicht vor. 
 
4. 
In formeller Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren sei verletzt, weil er zur Vernehmlassung der von ihm abgelehnten Oberrichter und der Staatsanwaltschaft nicht habe replizieren können. 
4.1 Nach der bereits unter der Herrschaft von Art. 4 aBV entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich, unter Vorbehalt von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen zum Schutz von überwiegenden Geheimhaltungsinteressen, aus Art. 29 Abs. 2 BV der Anspruch der Verfahrenspartei, in alle für den Entscheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu äussern (BGE 129 I 85 E. 4.1; 121 I 225 E. 2a; 119 Ib 12 E. 6b; vgl. auch BGE 125 II 473 E. 4c/cc). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK verleiht der Anspruch auf ein faires Verfahren den Parteien das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereichten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen Stellung zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese neue erhebliche Gesichtspunkte enthalten. Es obliege den Parteien, zu entscheiden, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen oder nicht (Urteil des EGMR i.S. N.-H. gegen Schweiz vom 18. Februar 1997, Ziff. 24, 29, in: Recueil CourEDH 1997-I S. 101; VPB 61/1997 Nr. 108 S. 961; Urteil des EGMR i.S. R. gegen Schweiz vom 28. Juni 2001, in: VPB 65/2001, S. 1347 Nr. 129; Urteil des EGMR i.S. Z. gegen Schweiz vom 21. Februar 2002, Ziff. 33 und 38, in: VPB 66/2002 S. 1307 Nr. 113). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich der Praxis des Gerichtshofs ebenso angeschlossen (Urteil H 213/1998 vom 1. Februar 1999, E. 1a, auszugsweise in: SZIER 1999 S. 553) wie das Bundesgericht (unveröffentlichter Entscheid 5P.446/2003 vom 2. März 2004). 
4.2 In seiner dem Obergericht am 3. Oktober 2005 eingereichten Vernehmlassung legt Oberrichter Maurer substanziell seine Auffassung dar, weshalb er das Ablehnungsbegehren des Beschwerdeführers für unbegründet hält. Eine solche Eingabe, die ohne weiteres geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen, hätte das Obergericht bereits nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 2 BV, erst recht aber nach der dargestellten, vom Bundesgericht übernommenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Anspruch auf ein faires Verfahren, dem Beschwerdeführer zur Kenntisnahme und Stellungnahme vorlegen müssen. Indem es entschied, ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern, hat es Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, die Rüge ist offensichtlich begründet. 
5. 
Damit ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen zu prüfen wären. Kosten sind bei diesem Ausgang des Verfahrens keine zu erheben (Art. 156 OG), womit der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos wird. Praxisgemäss hat der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer keinen Anspruch auf ein Parteientschädigung; sein Antrag, ihm unter diesen Titel Fr. 1'520.--zuzusprechen, ist abzuweisen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Berner Obergerichts vom 31. Oktober 2005 aufzuheben. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 28. Dezember 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: