Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_729/2021
Urteil vom 29. März 2022
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. September 2021 (IV.2016.00053).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach dem 1955 geborenen, zuletzt im Bankenwesen tätigen A.________ gestützt auf einen gutachterlichen Bericht des Dr. med. B.________, Facharzt für Psy chiatrie und Psychotherapie, vom 3. Januar 2006 wegen eines depressiven Leidens ab 1. Juni 2005 eine ganze Rente zu (Verfügung vom 12. Juni 2006).
A.b. Im März 2007 leitete die Verwaltung ein Revisionsverfahren in die Wege, in dessen Rahmen sie ein Gutachten bei Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 25. Juli 2007 und einen Untersuchungsbericht des PD Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), vom 25. Januar 2008 einholte. Anschliessend bestätigte die IV-Stelle den bisherigen Rentenanspruch (Mitteilung vom 25. Januar 2008).
A.c. Gleichzeitig wies sie A.________ auf die ihm obliegende Schadenminderungspflicht durch Aufnahme einer geeigneten stationären Behandlung hin. Am 6. Mai 2008 erstattete die IV-Stelle gegen den Versicherten aufgrund einer anonym zugestellten Pressemitteilung über dessen Engagement für die Handelskammer E.________ Anzeige wegen Verdachts auf Betrug. Am 24. Juni 2008 teilte die Klinik F.________ zudem mit, sie betrachte eine stationäre Behandlung für nicht indiziert. In der Folge wurde der Versicherte am 14. Oktober 2008 durch den RAD-Arzt Dr. med. G.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, untersucht und am 3. Februar 2009 fand ein Abklärungsgespräch betreffend die berufliche Situation des Versicherten statt. In der Folge verfügte die IV-Stelle am 20. Au gust 2009 die Herabsetzung des Anspruchs auf eine halbe Rente. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich teilweise gut und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die Ver waltung zurück (Urteil vom 31. Mai 2010). Zwischenzeitlich hatte die IV-Stelle am 10. Mai 2010 aufgrund des Einblickes in die Strafuntersuchungsakten die sofortige Sistierung der laufenden Rente verfügt, was das kantonale Gericht als rechtens erachtete (Urteil vom 10. Mai 2011).
In der Folge veranlasste die IV-Stelle eine Begutachtung durch Dr. med. H.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Gestützt auf sein am 19. Dezember 2012 erstattetes Gutachten sowie nach Einblick in die weiteren strafrechtlichen Abklärungen verfügte die IV-Stelle, wie im Vorbescheid vom 18. Dezember 2013 in Aussicht gestellt, die Wiedererwägung der Verfügung vom 12. Juni 2006 und die Rückerstattung von zu Unrecht ausgerichteten Renten im Umfang von Fr. 107'658.- (Verfügung vom 3. Dezember 2015). Darauf kam die Verwaltung mit Verfügung vom 13. Januar 2016 insoweit zurück, als sie den Rückforderungsbetrag auf Fr. 75'418.- reduzierte.
B.
Dagegen erhob A.________ Beschwerde. Dieses Verfahren sistierte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Verfügung vom 11. November 2016 bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens. Nachdem das den Versicherten freisprechende rechtskräftige strafrechtliche Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. April 2019 vorlag, in dessen Rahmen ein Gutachten des Prof. Dr. med. I.________ und der Dr. med. K.________, Klinik F.________, vom 30. Mai 2018 berücksichtigt worden war, führte die Vorinstanz einen zweiten Schriftenwechsel durch. Anschliessend hiess sie die Be schwerde mit Urteil vom 29. September 2021 teilweise gut und änderte die angefochtene Verfügung insoweit ab, als sie feststellte, der Versicherte habe unrechtmässig bezogene Rentenleistungen im Betrag von Fr. 37'848.- zurückzuerstatten. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.
C.
A.________ lässt Bes chwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenhei ten führen und beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben. Die Verfügung der IV-Stelle vom 12. Juni 2006 sei zu bestätigen. Ihm seien die gesetzlichen Leistungen, insbesondere weiterhin eine Rente ab Datum der Einstellung auszurichten. Von der Rückforderung im Betrag von Fr. 37'848.- sei abzusehen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Abklärungen zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst unter Verweis auf das angefochtene Urteil auf Abweisung der Beschwerde, derweil das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ) prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. BGE 145 V 304 E. 1.1; 145 II 153 E. 2.1). Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz können von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG ; vgl. BGE 145 V 215 E. 1.2).
2.
2.1. Strittig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Beschwerdegegnerin am 13. Januar 2016 wiedererwägungsweise verfügte Rentenaufhebung bestätigte und eine Rückforderung in der Höhe von Fr. 37'848.- festsetzte.
2.2.
2.2.1. Im angefochtenen Entscheid werden die rechtlichen Grundlagen für eine Rentenaufhebung (Art. 17 Abs. 1 sowie Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG ) grundsätzlich zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2.2. Zu ergänzen ist, dass eine Revisionsverfügung an Stelle der zu revidierenden Verfügung tritt, wenn eine Rente revisionsweise (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG) herauf- oder herabgesetzt wird. Dasselbe gilt auch dann, wenn in einem Revisionsverfahren die bisherige Rente nach materieller Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines Einkommensvergleichs bestätigt wird (BGE 147 V 167 E. 6; 140 V 514 E. 5.2 mit Hinweis auf BGE 133 V 108). Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine formelle Verfügung oder eine Mitteilung im Sinne von Art. 74
ter lit. f IVV (SR 831.201) handelt (Urteil 8C_288/2016 vom 14. November 2016 E. 4.1). In der Folge bleibt, selbst dann, wenn nachträglich auf den Wegen der Wiedererwägung oder der Revision auf diese Revisionsverfügung zurückgekommen wird, die ursprüngliche Verfügung von der Revisionsverfügung konsumiert und lebt nicht wieder auf, sondern teilt deren Schicksal. Vorbehalten bleiben dabei lediglich jene seltenen Fälle, in denen die Revisionsverfügung nichtig ist. Somit ist bei einem wiedererwägungsweisen Zurückkommen auf eine zweifellos unrichtige Revisionsverfügung der Rentenanspruch ex nunc und pro futuro ohne Bindung an die ursprüngliche Verfügung in allen seinen Teilen neu zu beurteilen, ohne dass zunächst geprüft werden müsste, ob auch bezüglich der ursprünglichen Verfügung ein Rückkommenstitel gegeben wäre (BGE 147 V 167 E. 6; 140 V 514 E. 5.2 mit Hinweisen).
3.
3.1. Die Vorinstanz erachtete die mit Verfügung vom 12. Juni 2006 zugesprochene Rente angesichts der damaligen unklaren diagnostischen Situation und der gutachterlichen Empfehlung des Dr. med. B.________ einer antidepressiven Behandlung parallel zu beruflichen Eingliederungsmassnahmen vor einer Rentenzusprache als zweifellos unrichtig. Die zwischenzeitliche Rentenbestätigung - hier mit Mitteilung vom 25. Januar 2008 - sei wiedererwägungsrechtlich unerheblich.
3.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen insbesondere vor, das Gutachten des Dr. med. B.________ sei nicht qualifiziert unrichtig, weshalb die Verfügung vom 12. Juni 2006 zu bestätigen sei. Ferner rügt er eine Bundesrechtsverletzung, da die Vorinstanz ohne Prüfung davon ausgegangen sei, dass auch die den Rentenanspruch bestätigende Mitteilung vom 25. Januar 2008 zweifellos unrichtig sei.
4.
4.1. Unbestritten gebliebenen ist die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, dass weder das Gutachten des Dr. med. F.________ vom 19. Dezember 2012 noch jenes des Prof. Dr. med. I.________ und der Dr. med. K.________ vom 30. Mai 2018 eine Sachverhaltsverände rung im Vergleich zum Abklärungsergebnis im Zeitpunkt der Verfügung vom 12. Juni 2006 und der Mitteilung vom 28. Januar 2008 zeigen. Ein Zurückkommen auf die zugesprochene Rente unter Art. 17 ATSG fällt somit nicht in Betracht.
Das kantonale Gericht lehnte zudem mit Blick auf das Gutachten des Dr. med. H.________ vom 19. Dezember 2012 eine prozessuale Revision ab, da mit der Verfügung vom 13. Januar 2016 die Frist von 90 Tagen bereits verstrichen sei. Diese Erwägung verletzt kein Bundesrecht, auch wenn hinsichtlich des Beginns der relativen 90-tägigen Revisionsfrist die Stellungnahme des RAD vom 14. Januar 2013 sowie die telefonische Rücksprache mit dem Gutachter am 18. April 2013 berücksichtigt werden (vgl. Urteil 8C_18/2013 vom 23. April 2013 E. 3.2), und selbst wenn der Vorbescheid vom 18. Dezember 2013 als fristwahrend anzusehen wäre (vgl. Urteil 9C_212/2021 vom 22. Oktober 2021 E. 4.3.3).
4.2. Die Vorinstanz erachtete die Mitteilung vom 25. Januar 2008 ohne weitere Begründung als wiedererwägungsrechtlich unerheblich. Dem ist entgegenzuhalten, dass die einen Rentenanspruch bestätigende Mitteilung, die auf einer materiellen Rentenüberprüfung basiert, grundsätzlich an die Stelle der bisherigen Verfügung tritt und diese konsumiert (E. 2.2.2 hiervor).
Wie im angefochtenen Urteil im Zusammenhang mit der Prüfung der Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG aufgezeigt wurde, hatte die Beschwerdegegnerin nach der Verfügung vom 12. Juni 2006 im Rahmen des im März 2007 eingeleiteten Revisionsverfahrens (insbesondere) ein Gutachten des Dr. med. C.________ vom 25. Juli 2007 und einen Untersuchungsbericht des PD Dr. med. D.________ vom RAD vom 25. Januar 2008 eingeholt. Die Mitteilung vom 25. Januar 2008 beruhte somit auf umfassenden Abklärungen, mithin einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs. Diese Mitteilung trat daher an die Stelle der Verfügung vom 12. Juni 2006. Die wiedererwägungsweise Aufhebung des Rentenanspruchs setzt entsprechend voraus, dass diese rentenbestätigende Mitteilung als zweifellos unrichtig einzustufen ist. Die Vorinstanz verletzte somit Bundesrecht, indem sie bei der Prüfung der Wiederer wägung der zugesprochenen Rente die Mittei lung vom 25. Januar 2008 ausser Acht liess und auf die Verfügung vom 12. Juni 2006 abstellte. Denn eine Rentenbestätigung setzt eine (qualifizierte) Unrechtmässigkeit einer zugesprochenen Rente nicht zwingend fort (vgl. Urteil 8C_288/2016 vom 14. November 2016 E. 4.2). Mangels Auseinandersetzung mit den medizinischen Berich ten, wie sie der Mitteilung vom 25. Januar 2008 zugrunde lagen, und entsprechend auch diesbezüglich fehlender vorinstanzliche r Sach verhaltsfeststellungen, rechtfertigt es sich, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Es wird zu prüfen haben, ob die Bestätigung des Anspruchs auf eine ganze Rente mit Mitteilung vom 25. Januar 2008 zweifellos unrichtig war.
5.
Hinsichtlich der Prozesskosten gilt die Rückweisung der Sache zu neuem Entscheid praxisgemäss als volles Obsiegen (vgl. statt vieler: Urteil 9C_279/2019 vom 1. Juli 2019 E. 3 mit Hinweisen). Dementsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. September 2021 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 29. März 2022
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Möckli