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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_72/2024  
 
 
Urteil vom 29. April 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG in Liquidation, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Schilling, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, 
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2008 und 2009, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2023 
(A-6002/2022). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die A.________ AG in Liquidation war vom 1. Februar 1999 bis am 30. September 2010 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingetragen. Sie war Eigentümerin eines in der Schweiz immatrikulierten Flugzeugs des Typs xxx mit der Kennzeichnung yyy, das sie vom 1. Januar 2006 bis zum Verkauf am 28. Januar 2010 durch inländische Luftfahrtunternehmen, die im Verzeichnis der ESTV aufgelistet waren, betreiben liess. Vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Mai 2006 war dies die B.________ SA, vom 1. Juni 2006 bis zum 28. Februar 2009 die C.________ SA und vom 1. März 2009 bis zum 28. Januar 2010 die D.________ AG.  
 
1.2. Nach einer Kontrolle zwischen Mai und November 2011 nahm die ESTV mit Einschätzungsmitteilung / Verfügung vom 12. Dezember 2011 eine Nachbelastung von insgesamt Fr. 1'037'611.- (zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008) vor, die sie nach diverser Korrespondenz mit Verfügung vom 7. Dezember 2016 sinngemäss bestätigte. Mit Einspracheentscheid vom 14. Mai 2021 stellte die ESTV fest, dass die Verfügung vom 7. Dezember 2016 im Umfang von Fr. 1'783.- (betreffend Privatanteil Autokosten) zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008 in Rechtskraft erwachsen sei. Im Übrigen hiess sie die Einsprache teilweise gut und setzte die zusätzlich geschuldete Mehrwertsteuer nunmehr auf Fr. 674'952.- zuzüglich Verzugszins ab 31. August 2008 fest. Eine Beschwerde hiergegen hiess das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Februar 2022 gut. Zusammengefasst hielt das Bundesverwaltungsgericht dafür, dass das Flugzeug ganz überwiegend für geschäftliche Zwecke verwendet worden sei und der A.________ AG in Liquidation auf der Basis der bundesgerichtlichen Rechtsprechung keine Steuerumgehung vorgeworfen werden könne. Die A.________ AG in Liquidation habe zu Recht Vorsteuern abgezogen. Mit Urteil 2C_217/2022 vom 15. Dezember 2022 (teilweise publiziert in BGE 149 II 53) hiess das Bundesgericht eine Beschwerde der ESTV gut. Es hob das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Steuerperioden 2007, 2008 und 2009 auf und wies die Sache in diesem Umfang zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Bundesverwaltungsgericht zurück. Das Bundesgericht erwog namentlich, dass die Tätigkeit von Flugzeug-Eigentümergesellschaften nicht als gewerblich bezeichnet werden kann und keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug verschafft, soweit die Gesellschaft zur Befriedigung der privaten Bedürfnisse des wirtschaftlich Berechtigten oder ihm nahe stehender Personen eingesetzt wird. Es setzte eine Schwelle von 20 % an der Gesamtnutzung fest, bis zu welcher die Nutzung des Flugzeugs für die Beförderung des wirtschaftlich Berechtigten oder ihm nahe stehender Personen zu privaten Zwecken unschädlich bleiben sollte ("safe harbour"; BGE 149 II 53 E. 6.2). Weil nicht festgestellt war, ob diese Schwelle in den noch nicht verjährten Steuerperioden 2007, 2008 und 2009 überschritten war, wies das Bundesgericht die Sache zur Sachverhaltsergänzung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Dabei wies es die Vorinstanz speziell an, die Flüge des wirtschaftlich Berechtigten der A.________ AG in Liquidation, die eine touristische Destination als Lande- oder Abflugort hatten und auf denen er von Familienmitgliedern begleitet worden war, erneut zu prüfen, nachdem die Vorinstanz zum Schluss gekommen war, dass diese Flüge einem gewerblichen Zweck gedient hatten (BGE 149 II 53 E. 6.5 und 6.6; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2789/2021 vom 3. Februar 2022 E. 3.1.2.3).  
 
1.3. Mit Urteil vom 21. Dezember 2023 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde infolge Verjährung gut, soweit die Steuerperioden 2006 und 2007 betroffen waren. Betreffend die noch nicht verjährten Steuerperioden 2008 und 2009 wies es die Beschwerde ab. Es hielt dafür, dass die Schwelle von 20 % in beiden Perioden überschritten gewesen sei, namentlich weil nicht festgestellt werden könne, ob die Flüge, auf denen der wirtschaftlich Berechtigte von Familienmitgliedern begleitet worden sei, einem gewerblichen Zweck gedient hätten und die A.________ AG in Liquidation die Beweislast für diese steuermindernde Tatsache trage.  
 
1.4. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30. Januar 2024 beantragt die A.________ AG in Liquidation, die Steuerforderungen der ESTV der Jahre 2008 und 2009 seien "abzuweisen".  
Die ESTV beantragt die Gutheissung der Beschwerde infolge Verjährung, soweit die Steuerperiode 2008 betroffen ist. Im Übrigen sei die Beschwerde unter Kostenfolge zulasten der A.________ AG in Liquidation abzuweisen und von einer Parteientschädigung abzusehen. 
 
2.  
Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), dürfen sich Beschwerdeführer grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Urteils zu beantragen; sie müssen einen Antrag in der Sache stellen (BGE 147 I 89 E. 1.2.5; 137 II 313 E. 1.3; 136 V 131 E. 1.2; 134 III 379 E. 1.3; 133 III 489 E. 3.1; vgl. allerdings auch BGE 133 II 409 E. 1.4.1). Die Anträge der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin lauten auf "Abweisung der Steuerforderung." Aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils anstrebt, womit rechtskräftig entschieden wäre, dass die ESTV keine Nachbelastung wegen privater Nutzung des Flugzeugs in den Jahren 2008 und 2009 vornehmen darf. In diesem Sinne ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
3.  
In Bezug auf die Steuerperiode 2008 ist am Ende des Jahres 2023 die absolute Verjährung eingetreten (Art. 112 Abs. 1 MWSTG [SR 641.20] i.V.m. Art. 49 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer [aMWSTG; AS 2000 1300]). In diesem Umfang ist die Beschwerde offensichtlich begründet. 
 
4.  
In Bezug auf die Steuerperiode 2009 sind die Rügen der Beschwerdeführerin dagegen offensichtlich unbegründet. 
 
4.1. Die Beschwerdeführerin stellt nicht infrage, dass sie in Bezug auf die Frage des gewerblichen Zwecks der Flüge von oder nach touristischen Destinationen, auf denen der wirtschaftlich Berechtigte von Familienmitgliedern begleitet worden war, die Beweislast und damit die Konsequenzen trägt, falls der gewerbliche Zweck nicht festgestellt werden kann. Sie macht aber geltend, dass die Vorinstanz diesbezüglich das falsche Beweismass angewendet habe. Einschlägig sei das Beweismass der hohen bzw. überwiegenden Wahrscheinlichkeit und nicht das Regelbeweismass der vollen Überzeugung. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass das Bundesgericht die Vorinstanz im Urteil 2C_217/2022 vom 15. Dezember 2022 ausdrücklich angewiesen hat, diese Frage erneut zu überprüfen (BGE 149 II 53 E. 6.6). Das konnte es nur tun, wenn es die betreffende seinerzeitige Beweiswürdigung für offensichtlich unrichtig hielt (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Es spricht viel dafür, dass der Beurteilung des Bundesgerichts das Regelbeweismass der vollen Überzeugung zugrunde lag und deshalb von vornherein kein anderes Beweismass mehr in Betracht kommt (vgl. zur Bindungswirkung eines Rückweisungsentscheids des Bundesgerichts Urteil 4A_121/2023 vom 29. November 2023 E. 3, zur Publikation vorgesehen; BGE 143 IV 214 E. 5.3.3; 135 III 334 E. 2.1). Aber selbst wenn das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einschlägig wäre, wie die Beschwerdeführerin meint, hätte die Vorinstanz nach dem Rückweisungsentscheid auf jeden Fall nicht erneut darauf schliessen können, der Beweis des gewerblichen Zwecks der Flüge sei erbracht, da sich die Beweislage nicht verändert hatte (vgl. angefochtenes Urteil E. 3.3.2 und 3.3.3).  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin rügt weiter, dass das Bundesgericht mit der Einführung der 20 %-Quote das Ermessen der rechtsanwendenden Behörde und der urteilenden Gerichte unzulässig einschränke. Deren Einzelfallermessen müsse entgegen BGE 149 II 53 stets vorbehalten bleiben. Die Vorinstanz habe sich deshalb zu Unrecht an BGE 149 II 53 gebunden betrachtet. Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist aus mehreren Gründen offensichtlich unbegründet. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass dieses Urteil nicht ein in einem Drittverfahren ergangenes Präjudiz darstellt, sondern gerade im vorliegenden Verfahren ergangen ist und auch die noch nicht verjährte Steuerforderung für die Steuerperiode 2009 betrifft. Die Vorinstanz und auch das Bundesgericht selbst wären auch dann an diesen Rückweisungsentscheid gebunden, wenn stichhaltige Gründe für eine Praxisänderung vorliegen würden. Derartige Gründe bringt die Beschwerdeführerin aber gar nicht vor und sind auch nicht ersichtlich. Die Schwelle von 20 % ist also auf die Steuerperiode 2009 anwendbar. Die Vorinstanz ist zu Recht davon ausgegangen, dass diese Schwelle in der Steuerperiode 2009 überschritten war und der Vorsteuerabzug korrigiert werden musste. Es kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefochtenes Urteil E. 3.3.3; Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich in Bezug auf die Steuerperiode 2008 als offensichtlich begründet, weil für diese Steuerperiode die Verjährung eingetreten ist. Sie ist in diesem Umfang gutzuheissen, im Übrigen aber wegen offensichtlicher Unbegründetheit abzuweisen. Das Urteil kann demnach im vereinfachten Verfahren ergehen (Art. 109 Abs. 2 lit. a und b BGG). In Anbetracht der übereinstimmenden Anträge der Parteien in Bezug auf die Steuerperiode 2008 sind insoweit keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG; Urteile 5A_830/2023 vom 8. Februar 2024 E. 4; 5A_190/2023 vom 3. August 2023 E. 7, nicht publ. in: BGE 149 III 410, aber in: BlSchK 2023 S. 262; 5A_538/2021 vom 27. Januar 2022; 9C_151/2018 vom 19. Juli 2018 E. 7). Der Beschwerdeführerin ist in Bezug auf diese Steuerperiode eine reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen. Eine Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens ist nicht angezeigt, da die Verjährung erst nach dem angefochtenen Urteil eingetreten ist (Urteile 2C_263/2020 vom 10. Dezember 2021 E. 7, nicht publ. in: BGE 148 II 233; 2C_562/2020 vom 21. Mai 2021 E. 14.2). Demgemäss sind der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren reduzierte Kosten aufzuerlegen, weil sie in Bezug auf die Steuerperiode 2009 unterliegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende ESTV hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2023 wird betreffend die Steuerperiode 2008 aufgehoben und wird für diese die Verjährung festgestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.- werden im Umfang von Fr. 3'000.- der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die ESTV hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit einem Betrag von Fr. 1'500.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. April 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler