Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_66/2011 
 
Urteil vom 29. August 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A. ________, 
handelnd durch X.________, 
und diese vertreten durch 
Rechtsanwalt Peter Wiederkehr, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, 
Brunngasse 6, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Insolvenzentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 30. November 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1952 geborene A. ________ trat am 1. August 2006 bei der Firma Y.________ AG eine Stelle als Projektverantwortlicher zu einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 12'400.- an. Am 27. November 2007 wurde über die Arbeitgeberin der Konkurs eröffnet. Dieser wurde auf Rekurs hin - welchem am 19. Dezember 2007 noch die aufschiebende Wirkung erteilt worden war - vom Obergericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Januar 2008 bestätigt, womit der Konkurs ab diesem Datum als neu eröffnet gilt. A. ________ machte mit Antrag vom 18. April 2008 Insolvenzentschädigung in der Höhe von Fr. 104'468.- für in der Zeit vom Juli 2007 bis Ende Januar 2008 nicht bezahlten Lohn inklusive 13. Monatslohn sowie Ferienansprüche geltend. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich lehnte mit Verfügung vom 3. Juli 2008 ihre Leistungspflicht mit der Begründung ab, der Versicherte sei seiner Schadenminderungspflicht nicht in genügendem Masse nachgekommen. Auch auf Einsprache hin hielt sie daran fest (Entscheid vom 4. März 2009). 
 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. November 2010 ab. 
 
C. 
A. ________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm die beantragte Insolvenzentschädigung unter Berücksichtigung eines maximalen Anspruchs auszubezahlen. 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG). 
 
1.2 Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene kantonale Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht, Völkerrecht oder kantonale verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 95 lit. a bis c BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht zu unterbleiben (ausser wenn sich die Beschwerde gegen einen - im hier zu beurteilenden Fall indessen nicht anfechtungsgegenständlichen - Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung richtet; Art. 97 Abs. 2 BGG). Ebenso entfällt eine Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle (BGE 126 V 75 E. 6 S. 81 zu Art. 132 lit. a OG [in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung]). 
 
2. 
2.1 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG), den Umfang des Anspruchs (Art. 52 Abs. 1 AVIG) sowie über die Pflichten des Arbeitnehmers im Konkurs- oder Pfändungsverfahren (Art. 55 Abs. 1 AVIG; BGE 114 V 56 E. 3d S. 59; ARV 2002 Nr. 8 S. 62 ff. und Nr. 30 S. 190 ff., 1999 Nr. 24 S. 140 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2.2 Die Bestimmung von Art. 55 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bezieht sich dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Sie bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche auch dann Platz greift, wenn das Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung aufgelöst wird (BGE 114 V 56 E. 4 S. 60; ARV 1999 Nr. 24 S. 140 ff.). Die Vorinstanz hat dabei richtig festgehalten, auch eine ursprüngliche Leistungsverweigerung infolge Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne der zu Art. 55 Abs. 1 AVIG ergangenen Rechtsprechung setze voraus, dass dem Versicherten ein schweres Verschulden, also vorsätzliches oder grobfahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorgeworfen werden kann (vgl. URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 166). Das Ausmass der vorausgesetzten Schadenminderungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Zu ergänzen ist, dass die versicherte Person dann zu weitergehenden Schritten gehalten ist, wenn es sich um erhebliche Lohnausstände handelt und sie konkret mit einem Lohnverlust rechnen muss. Denn es geht auch für die Zeit vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht an, dass die versicherte Person ohne hinreichenden Grund während längerer Zeit keine rechtlichen Schritte zur Realisierung erheblicher Lohnausstände unternimmt, obschon sie konkret mit dem Verlust der geschuldeten Gehälter rechnen muss (Urteile C 231/06 vom 5. Dezember 2006 und C 163/06 vom 19. Oktober 2006). 
 
3. 
Vorliegend ist umstritten, ob der Beschwerdeführer vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses und vor der definitiven Konkurseröffnung seiner Schadenminderungspflicht nachgekommen ist. 
 
3.1 Die Vorinstanz hat erwogen, eine versicherte Person habe im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht alles zu unternehmen, um ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, und insbesondere aus beweisrechtlichen Gründen könne erwartet werden, dass Mahnungen wenigstens schriftlich abgefasst würden. Das Schreiben des Beschwerdeführers und zweier mitunterzeichnender Arbeitskolleginnen vom 16. November 2007, in welchem gegenüber der Arbeitgeberin ein gleichentags geführtes Gespräch über die ausstehenden Löhne und deren begründetes Versprechen bestätigt wurde, diese spätestens bis Ende Jahr zu begleichen, wertete das kantonale Gericht nicht als Mahnung oder als unmissverständliche Geltendmachung der Lohnforderung. Vielmehr sei daraus im Hinblick auf ein zu erwartendes rettendes Immobiliengeschäft das Einverständnis zu einem weiteren Zuwarten auf die ausstehenden Löhne zu entnehmen. Weiter wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, spätestens als am 27. November 2007 über die Y.________ AG der Konkurs eröffnet worden sei, hätten weitergehende Schritte - wie eine schriftliche Mahnung - gegenüber der Arbeitgeberin erfolgen müssen, was nicht geschah und was eine Verletzung der Schadenminderungspflicht darstelle. Insbesondere angesichts der hohen ausstehenden Lohnsumme stellten die angeblichen mündlichen Mahnungen eine Verletzung der Schadenminderungspflicht gegenüber der Arbeitslosenversicherung dar. 
 
3.2 Der Beschwerdeführer lässt geltend machen, er habe seine Lohnforderung gegenüber der Arbeitgeberin klar und unmissverständlich gemahnt. Das sei durch Schreiben des ehemaligen Verwaltungsrates der Arbeitgeberin, M.________, vom 12. Juni 2009 bestätigt worden. Das kantonale Gericht habe dieses Schriftstück zu Unrecht in seinem Entscheid nicht berücksichtigt. Ebenso habe es die von ihm beantragte Zeugenbefragung des M.________ nicht durchgeführt, womit sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. 
 
4. 
4.1 Aufgrund der Akten, insbesondere des Antrags auf Insolvenzentschädigung des Beschwerdeführers steht fest, dass dieser ab Juli 2007 und damit während der letzten sieben Monate des Arbeitsverhältnisses keine Lohnzahlungen mehr erhalten hat. Diese wurden bis zum Schreiben des 16. November 2007 lediglich mündlich geltend gemacht. 
 
4.2 Nach konstanter Rechtsprechung - auf welche auch im angefochtenen Entscheid verwiesen wird - genügt es für die Erfüllung der Schadenminderungspflicht in der Regel nicht, wenn Lohnausstände lediglich mündlich gemahnt werden. Dies gilt beispielsweise, wenn es um eine langandauernde, das heisst über zwei bis drei Monate hinaus andauernde Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung des Arbeitgebers geht; wenn überhaupt keine, also auch keine Akonto- oder Teilzahlung erfolgt; wenn aus der Sicht des Versicherten nicht mit guten Gründen damit gerechnet werden kann, dass sich bald eine Besserung der Situation ergibt und wenn nicht andere, im Einzelfall verständliche Gründe vorliegen, die ein Zuwarten mit zielgerichteten Schritten aus objektiver Sicht verständlich erscheinen lassen (Urteil 8C_682/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 4, veröffentlicht in ARV 2010 S. 46). 
 
4.3 Auch nach eigenen Angaben hat der Beschwerdeführer nichts weiter unternommen, um seinen Lohn erhältlich zu machen, als diesen dem Verwaltungsrat M.________ gegenüber vehement zu fordern. Im vorinstanzlichen Verfahren begründete er dieses Verhalten mit seiner Zuversicht, dass ein bestimmtes Immobiliengeschäft, an dem er selbst arbeitete, erfolgreich hätte abgewickelt werden können. Dieses Argument lässt ein Zuwarten von insgesamt sieben Monaten - bis zur Konkurseröffnung am 27. November 2007 verstrichen auch schon knapp vier Monate - nicht als objektiv verständlich erscheinen. Angesichts des sehr hohen Ausstandes und der ihm bekannten Tatsache, dass zumindest noch seine Arbeitskolleginnen K.________ und L.________ auf ihre Lohnzahlungen warteten, hätte auch ein Gewinn im Umfang von Fr. 290'000.- aus dem genannten Geschäft noch keine sichere Begleichung der Lohnforderung bedeutet. Aufgrund der ausserordentlich hohen Ausstände über mehrere Monate und dem Umstand, dass nicht einmal Teilzahlungen erfolgten, wäre der Beschwerdeführer bereits während der Dauer der Anstellung gehalten gewesen, nach einer allenfalls erfolglosen schriftlichen Mahnung, Sicherheiten aus dem zu erwartenden Geschäft geltend zu machen, eine Lohnklage zu erheben oder direkt die Betreibung einzuleiten. Der Beschwerdeführer lässt zwar zu Recht darauf hinweisen, dass eine Verpflichtung zu einem schriftlichen Vorgehen bei laufendem Arbeitsverhältnis nicht vom Gesetz statuiert wird. Eine solche Handlung wäre aber in Nachachtung der Schadenminderungspflicht bei der vorliegenden Entwicklung praxisgemäss notwendig gewesen, weil die Wahrscheinlichkeit eines Lohnverlustes mit dem Zeitablauf stetig zunahm (vgl. Urteile C 231/06 vom 5. Dezember 2006 und C 264/04 vom 20. Juli 2005). Auf mündliche Zusicherungen hätte sich der Versicherte jedenfalls nicht während der langen Dauer des Lohnausstandes verlassen dürfen. Als hochbezahltem Projektverantwortlichem durfte von ihm ein zielgerichtetes Verhalten erwartet werden. In diesem Sinne kann nicht beanstandet werden, dass die blosse mündliche Geltendmachung nach einem Ausstand von mehr als drei bis vier Monaten als grobe Missachtung des objektiv zu Erwartenden gewertet wurde. Verwaltung und Vorinstanz haben den Anspruch auf Insolvenzentschädigung im Ergebnis somit zu Recht verneint. 
 
5. 
Die Kosten des Verfahrens sind vom unterliegenden Beschwerdeführer zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 29. August 2011 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer