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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.139/2006 /bnm 
 
Urteil vom 29. September 2006 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Brunner, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________ (Ehemann), 
Beklagter und Berufungskläger, 
vertreten durch Rechtsanwältin Edith Heimgartner, 
 
gegen 
 
Y.________ (Ehefrau), 
Klägerin und Berufungsbeklagte, 
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Estermann, 
 
Gegenstand 
Ehescheidung, 
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer als Appellationsinstanz nach ZPO, vom 18. April 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ (Beklagter) und Y.________ (Klägerin) heirateten am 20. November 1987. Sie sind Eltern eines Sohnes, V.________, geb. am 8. Dezember 1987, und einer Tochter, W.________, geb. am 22. Dezember 1990. 
B. 
B.a Mit Urteil des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 31. Mai 2005 wurde die Ehe der Parteien geschieden. Das Gericht stellte die Kinder unter die elterliche Sorge der Klägerin und regelte das Besuchs- und Ferienrecht des Beklagten sowie die übrigen Nebenfolgen. 
B.b Mit fristgerechter Appellation vom 6. Juli 2005 gelangte der Beklagte an das Obergericht des Kantons Luzern und beantragte wie vor Amtsgericht, es sei die Tochter W.________ unter seine elterliche Sorge zu stellen unter neuer Regelung der entsprechenden Nebenfolgen. Sodann verlangte er, von einer Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB sei abzusehen. Mit Urteil vom 18. April 2006 stellte das Obergericht fest, dass der Hauptpunkt (Ehescheidung) in Rechtskraft erwachsen ist. In teilweiser Gutheissung der Appellation entschied es, dass der Beklagte und W.________ das Besuchsrecht untereinander regeln; sodann wurde die Ausgleichskasse des Kantons Luzern angewiesen, die IV-Kinderrente für W.________ zu 80% der Klägerin und zu 20% dem Beklagten auszuzahlen. Im Übrigen wies es die Appellation ab. 
C. 
Der Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil beim Bundesgericht sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung eingereicht. Mit Berufung beantragt er, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Tochter seiner elterlichen Sorge zu unterstellen und der Klägerin keine Entschädigung gemäss Art. 124 Abs. 1 ZGB zuzusprechen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Das Obergericht hat keine Gegenbemerkungen eingereicht. Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden. 
D. 
Mit Urteil vom heutigen Tag hat die erkennende Abteilung die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht prüft die Rechtsmittelvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition, ohne an die Auffassungen der Parteien gebunden zu sein (BGE 131 I 57 E. 1 S. 59). Die vorliegende Berufung richtet sich vor allem gegen die Zuteilung der elterlichen Sorge für die Tochter W.________ an die Klägerin. Auf die - eine nicht vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit betreffende - Berufung kann nach Art. 44 OG eingetreten werden. Was die beantragte Aufhebung einer angemessenen Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB an die Klägerin im Betrag von Fr. 28'339.-- betrifft, ist der Streitwert gemäss Art. 46 OG erreicht (Art. 36 Abs. 1 OG). Auf die rechtzeitig gegen ein letztinstanzliches Urteil einer oberen kantonalen Instanz eingelegte Berufung kann mit Blick auf die Art. 54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG eingetreten werden. 
2. 
Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, wenn sie nicht offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen (Art. 63 Abs. 2 OG) oder zu ergänzen sind (Art. 64 OG). Ausgeschlossen ist daher insbesondere eine Überprüfung der vorinstanzlichen Beweiswürdigung (BGE 111 II 378 E. 3b; 116 II 92 E. 2 mit Hinweisen; 119 II 84 E. 3; 117 II 256 E. 2a; 120 II 97 E. 2b S. 99). 
3. 
3.1 Bei der Zuteilung der Sorge nach Art. 133 ZGB hat das Wohl des Kindes nach der Rechtsprechung Vorrang vor allen anderen Überlegungen, insbesondere vor den Wünschen der Eltern. Vorab muss deren Erziehungsfähigkeit geklärt werden. Ist sie bei beiden Elternteilen gegeben, sind die Kinder demjenigen Elternteil zuzuteilen, der die Möglichkeit hat und dazu bereit ist, sie persönlich zu betreuen. Erfüllen beide Elternteile diese Voraussetzung ungefähr in gleicher Weise, kann die Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse ausschlaggebend sein. Schliesslich ist - je nach Alter der Kinder - ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen. Diesen Kriterien lassen sich die weiteren Gesichtspunkte zuordnen, so die Bereitschaft eines Elternteils, mit dem andern in Kinderbelangen zusammenzuarbeiten, der Grundsatz, Geschwister nach Möglichkeit nicht zu trennen, oder die Forderung, dass eine Zuteilung der Sorge von einer persönlichen Bindung und echter Zuneigung getragen sein sollte (BGE 117 II 353 E. 3 S. 354 f.; 115 II 206 E. 4a S. 209 und 317 E. 2 und 3 S. 319 ff.). 
 
Bei dieser Beurteilung verfügt das Sachgericht über einen grossen Spielraum des Ermessens (BGE 117 II 353 E. 3 S. 355). Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, sofern die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (vgl. BGE 123 III 274 E. 1a/cc S. 279 f.; 126 III 223 E. 4a S. 227 f.; 127 III 310 E. 3 S. 313 f.). 
 
Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid den vorgenannten Grundsätzen Rechnung getragen; sein auf Ermessen beruhender Entscheid ist nicht zu beanstanden. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil kann verwiesen werden. 
3.2 Was der Beklagte dagegen vorträgt, ist nicht geeignet, eine Bundesrechtsverletzung offen zu legen. Der Beklagte wirft der Vorinstanz vor, bei der Zuweisung der Sorge für die Tochter an die Klägerin gestützt auf Art. 133 ZGB die Art. 145 sowie Art. 144 Abs. 2 ZGB unrichtig angewendet zu haben. 
3.2.1 Soweit sich der Beklagte zum Inhalt des Protokolls der Befragung der Tochter äussert, handelt es sich um Darstellungen aus der Sicht der Anwältin. Massgebend ist indes, was das Obergericht festgestellt hat (Art. 63 Abs. 2 OG) und nicht die Tatsachenwürdigung der Anwältin des Beklagten. Auf die Darstellung aus deren Sicht ist nicht einzutreten. 
3.2.2 Der Beklagte macht geltend, das Obergericht nehme an, die Tochter habe sich bei der Äusserung ihres Zuweisungswunsches von finanziellen Überlegungen des Kindsvaters leiten lassen. Damit habe das Obergericht aus eigener Sicht etwas in die Aussage der Tochter hineininterpretiert, das der Aussage bei neutraler Betrachtungsweise nicht gerecht werde. Dadurch werde Art. 144 Abs. 2 ZGB verletzt. 
 
Dass sich die Tochter bei der Äusserung des Zuteilungswunsches von finanziellen Überlegungen des Kindsvaters hat leiten lassen, hat das Obergericht für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (Art. 63 Abs. 2 OG). Auf die unzulässige Kritik an den tatsächlichen Feststellungen ist nicht einzutreten. Abgesehen davon ist die Behauptung auch nicht substanziiert, zumal der Beklagte die entsprechende Stelle des Urteils, wo sich die fragliche Behauptung findet, nicht genannt hat. Darauf ist nicht einzutreten. 
3.2.3 Eine Verletzung von Art. 145 ZGB erblickt der Beklagte darin, dass das Obergericht trotz vorhandener Zweifel nicht aufgrund der Offizialmaxime abgeklärt habe, ob er bei der Zuweisung des Sorgerechts über die Tochter an ihn die IV-Kinderrente beziehe und ferner eine Anpassung der Ergänzungsleistungen vorgenommen werde. 
 
Die Feststellung des Obergerichts, es sei ungewiss, ob der Beklagte bei Zuweisung der Tochter die IV-Kinderrente direkt ausbezahlt erhalte und Anpassungen der Ergänzungsleistungen vorgenommen würden, ist für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Soweit der Beklagte eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes beanstandet, ist er auf seine Mitwirkungspflicht hinzuweisen, welche auch in den von der Untersuchungsmaxime beherrschten Verfahren gilt (BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 413). Dass er dieser Mitwirkungspflicht nachgekommen ist, wird vom Beklagten nicht aufgezeigt. Auf die nicht rechtsgenügend substanziierte Rüge ist nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). 
3.2.4 Der Beklagte macht geltend, das Obergericht nehme in hypothetischer Weise an, die Sorgerechtszuweisung an ihn gefährde die Tochter. Das Obergericht stütze sich dabei auf sein "krankhaftes Verhalten den Behörden gegenüber, das zu einer IV-Berentung aus psychischen Gründen geführt habe". Trotz der Untersuchungsmaxime habe das Obergericht nicht abgeklärt, wie es sich mit dem Gesundheitszustand verhalte. 
 
Der Beklagte legt nicht dar, dass er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist; eine Verletzung des Untersuchungsrundsatzes ist daher nicht rechtsgenügend substanziiert (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts betreffend Gefährdung der Tochter durch den Beklagten, die Erziehungsfähigkeit usw. sind für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Auf die anderslautenden Behauptungen des Beklagten ist nicht einzutreten. 
4. 
Hinsichtlich der Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB richtet sich der Beklagte gegen die obergerichtliche Feststellung, die wirtschaftliche Situation der Klägerin sei nicht besser als jene des Beklagten. Insoweit ist das obergerichtliche Urteil allerdings verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Soweit sich der Beklagte überhaupt auf die Untersuchungsmaxime beruft, ist die Rüge nicht rechtsgenügend substanziiert (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). 
5. 
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beklagte kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat jedoch die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren nicht zu entschädigen, da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist. 
6. 
Die über weite Strecken nicht substanziierte Berufung gegen das gut begründete Urteil hat sich von vornherein als aussichtslos erwiesen. Dem Gesuch des Beklagten um unentgeltliche Rechtspflege kann daher nicht entsprochen werden (Art. 152 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch des Beklagten um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beklagten auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer als Appellationsinstanz nach ZPO, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 29. September 2006 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: