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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_351/2021  
 
 
Urteil vom 29. September 2021  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Caroline Mutschler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
Beschwerdegegnerin, 
 
C.________ und D.________. 
 
Gegenstand 
Aufschiebende Wirkung (Eheschutzmassnahmen), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 26. April 2021 (ZSU.2021.56/SH). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die Ehegatten A.________ (geb. 1982, Beschwerdeführer) und B.________ (geb. 1982, Beschwerdegegnerin) sind die Eltern von C.________ (geb. 2011) und D.________ (geb. 2014).  
 
A.b. Die Parteien trennten sich im Herbst 2019. Am 11. Oktober 2019 reichte die Beschwerdegegnerin ein Eheschutzgesuch ein und mit Entscheid vom 12. August 2020 regelte das Familiengericht Lenzburg die Folgen des Getrenntlebens. Dabei stellte es, soweit hier interessierend, die Kinder unter die Obhut der Beschwerdegegnerin. Der Kindsvater wurde berechtigt, die Kinder jedes zweite Wochenende von Samstag, 10 Uhr, bis Sonntag, 18 Uhr, zu sich auf Besuch zu nehmen und ab Januar 2021 jährlich fünfmal eine Woche Ferien mit ihnen zu verbringen (Ziff. 3.1 des Urteils), wobei von neutraler Stelle begleitete Übergaben vorgesehen wurden (Ziff. 3.2). Sodann wurde eine Beistandschaft errichtet (Ziff. 5) und den Eltern wurden Weisungen erteilt (Ziff. 6.1). Die Kindsmutter wurde unter Strafandrohung von Art. 292 StGB verpflichtet, das Besuchsrecht gemäss Ziff. 3 zu gewährleisten (Ziff. 6.2 und 6.3 des Urteils).  
 
B.  
 
B.a. Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdegegnerin Berufung beim Obergericht des Kantons Aargau. Sie beantragte, soweit nachfolgend relevant, die Aufhebung des Entscheids in Bezug auf das Besuchsrecht und die damit verbundene gegen sie ausgesprochene Strafandrohung. Dem Kindsvater sei ein begleitetes Besuchsrecht im Rahmen des Vereins für Besuche X.________ einzuräumen. Weiter sei ihrer Beschwerde diesbezüglich aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die Vollstreckbarkeit der angeordneten vorsorglichen Massnahmen sei aufzuschieben.  
 
B.b. Auch der Beschwerdeführer reichte am 29. März 2021 Berufung ein und beantragte unter anderem eine Ausdehnung des von der Vorinstanz verfügten Besuchsrechts.  
 
B.c. Mit Verfügung vom 26. April 2021 hiess das Obergericht das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung teilweise, d.h. in Bezug auf das Besuchsrecht und die zugehörige Strafandrohung, gut (Dispositiv-Ziff. 1.1). Der Beschwerdeführer wurde in derselben Verfügung superprovisorisch ermächtigt, die beiden Kinder jedes zweite Wochenende im Monat im Rahmen des Vereins für Besuche X.________ zu besuchen (Dispositiv-Ziff. 2.1).  
as Obergericht wies in seiner Beurteilung insbesondere darauf hin, dass der Beschwerdeführer vom 16. August 2020 bis 2. Februar 2021 infolge einer tätlichen Auseinandersetzung am 16. August 2020 zwischen ihm und dem Vermieter und gleichzeitig Freund der Familie, E.________, inhaftiert gewesen sei. Die Beiständin der Kinder habe das Gericht bereits davor informiert, die Kinder seien aufgrund des Konflikts verunsichert und bedürften Sicherheit in Form einer Besuchsbegleitung. Am 4. März 2021 habe die Beiständin dann förmlich beantragt, die Besuche vorderhand an einem neutralen Ort und durch Begleitung von der Familienbegleitung Y.________ oder dem Verein für Besuche X.________ durchzuführen. Am 15. März 2021 habe das Gerichtspräsidium Lenzburg in seiner Funktion als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde das im Entscheid vom 12. August 2020 vorgesehene unbegleitete Besuchsrecht sistiert und dem Beschwerdeführer ein begleitetes Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende im Monat im Rahmen des Vereins für Besuche X.________ erteilt. Da infolge der Inhaftierung des Beschwerdeführers der persönliche Verkehr von Mitte August 2020 bis Anfang Februar 2021 ausgesetzt gewesen sei, sowie aufgrund der massiven Auseinandersetzungen, in welche dieser involviert gewesen sei, und der von der Beiständin geschilderten und nachvollziehbaren Verunsicherung und Ängste der Kinder in Bezug auf den Kontakt mit dem Vater, sei der Berufung der Beschwerdegegnerin, soweit sie sich gegen das Besuchsrecht richte, die aufschiebende Wirkung zu erteilen, dem Beschwerdeführer aber superprovisorisch das Besuchsrecht im Verein für Besuche X.________ einzuräumen. 
 
B.d. Der Beschwerdeführer gelangt mit Beschwerde vom 6. Mai 2021 gegen die Verfügung des Obergerichts vom 26. April 2021 ans Bundesgericht. Er beantragt unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin, eventualiter zulasten des Staates, es sei Ziff. 1.1 des Dispositivs der Verfügung vom 26. April 2021 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung ans Obergericht zurückzuweisen. Ihm sei unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und seine Rechtsanwältin sei als unentgeltliche Rechtsvertreterin einzusetzen.  
 
B.e. Das Bundesgericht hat die Akten des kantonalen Verfahrens, indes keine Vernehmlassungen in der Sache eingeholt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 II 168 E. 1). 
 
2.  
 
2.1. Angefochten ist der Entscheid des Obergerichts vom 26. April 2021 über den Aufschub der Vollstreckbarkeit der mit erstinstanzlichem Eheschutzentscheid festgesetzten Anordnungen zum Besuchsrecht.  
 
2.2. Gemäss Art. 315 Abs. 4 lit. b ZPO hat die Berufung gegen einen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen, worunter auch Eheschutzentscheide fallen (BGE 137 III 475 E. 4.1 mit Hinweisen), keine aufschiebende Wirkung. Gemäss Abs. 5 derselben Bestimmung kann die Vollstreckung vorsorglicher Massnahmen aber ausnahmsweise aufgeschoben werden, wenn der betroffenen Partei ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Dabei kommt dem kantonalen Gericht beim Entscheid über die aufschiebende Wirkung ein grosses Ermessen zu (BGE 137 III 475 E. 4.1 mit Hinweisen). Bei besonderer Dringlichkeit kann das Gericht eine vorsorgliche Massnahme, worunter wiederum auch der Aufschub der Vollstreckbarkeit gehört, gemäss Art. 265 Abs. 1 ZPO sofort und ohne Anhörung der Gegenpartei anordnen (sog. superprovisorische Massnahme; vgl. auch Art. 445 Abs. 2 ZGB).  
 
2.3. Das Bundesgericht tritt auf Rechtsmittel gegen Entscheide über superprovisorische Massnahmen grundsätzlich nicht ein, weil es in solchen Fällen an der Beschwerdevoraussetzung der Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs mangelt (BGE 137 III 417 E. 1.2 mit diversen Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung). Kantonal letztinstanzlich ist ein Entscheid nämlich nur, wenn für die gegen diesen erhobenen Rügen kein kantonales Rechtsmittel mehr offen steht (Art. 75 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 417 E. 1.2; 134 III 524 E. 1.3 S. 527). Der Begriff des Rechtsmittels in diesem Sinne ist nach langjähriger Praxis weit zu verstehen und umfasst jeden Rechtsbehelf, der dem Beschwerdeführer einen Anspruch auf einen Entscheid der angerufenen Behörde gibt und geeignet ist, den behaupteten rechtlichen Nachteil zu beseitigen (BGE 137 III 417 E. 1.2; 120 Ia 61 E. 1a S. 62; BGE 110 Ia 136 E. 2a S. 137; BGE 81 I 61 f.; 78 I 248 S. 250 f.; je mit Hinweisen). Deshalb wird vom Beschwerdeführer vor der Ergreifung eines Rechtsmittels an das Bundesgericht verlangt, dass er das kontradiktorische Verfahren vor dem Massnahmerichter (seit Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung gemäss Art. 261 ff. ZPO) durchläuft, in dem er den angestrebten vorläufigen Rechtsschutz erwirken kann. Diese Rechtsprechung wurde auch auf einen Fall angewendet, in dem die kantonale Behörde die Anordnung einer superprovisorischen Massnahme abgelehnt hatte bzw. auf das entsprechende Gesuch nicht eingetreten war (Urteil 5A_473/2010 vom 23. Juli 2010 E. 1.1). Zu beachten ist ferner, dass der Rechtsuchende bei Weiterverfolgung des Massnahmeverfahrens nach Art. 261 ff. ZPO in aller Regel rascher zum Ziel kommt als mit einem anderen Rechtsmittel, dessen Ergreifung zudem zu Doppelspurigkeiten führen würde. Es entspricht dem System des Massnahmeverfahrens, auf das die Vorschriften über das summarische Verfahren Anwendung finden (Art. 248 lit. d ZPO), dass dieses rasch vorangetrieben und abgeschlossen wird. Die Regel des Art. 265 Abs. 2 ZPO, wonach das Gericht bei erfolgter superprovisorischer Anordnung einer Massnahme die Gegenpartei unverzüglich anzuhören und danach ebenso unverzüglich zu entscheiden hat, ist grundsätzlich auch zu berücksichtigen, wenn das beantragte Superprovisorium verweigert wird (zum Ganzen BGE 137 III 417 E. 1.2; für dringliche vorsorgliche Massnahmen im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes nach Art. 445 Abs. 2 ZGB: BGE 140 III 289 E. 1; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Vorliegend ist die angefochtene Entscheidung hybrider Natur, indem die Vorinstanz nicht nur über das Gesuch um aufschiebende Wirkung entschieden (Ziff. 1.1 und 1.2 des Dispositivs), sondern auch superprovisorische Massnahmen angeordnet hat (Ziff. 2.1 und 2.2 des Dispositivs). Zwar enthält die Entscheidung eine Rechtsmittelbelehrung. Gleichzeitig erging die Verfügung aber unbestrittenermassen ohne vorgängige Anhörung des Beschwerdeführers, was die Charakteristik superprovisorischer Massnahmen ausmacht (Urteil 5A_1023/2018 vom 8. Juli 2019 E. 6.2.3.1). Es geht denn auch aus dem angefochtenen Entscheid hervor, dass keine Anhörung des Beschwerdeführers (und Berufungsbeklagten) stattgefunden hatte, sondern dieser Gelegenheit haben werde, im Rahmen seiner Berufungsantwort zum von der Beschwerdegegnerin (und Berufungsklägerin) beantragten und vorliegend verfügten Vollstreckungsaufschub sowie zum superprovisorisch angeordneten begleiteten Besuchsrecht Stellung zu nehmen.  
 
2.5. Der Beschwerdeführer lässt hierzu ausführen, die Berufung der Beschwerdegegnerin sei ihm mit Verfügung vom 7. April 2021 (Posteingang 14. April 2021) zugestellt worden mit Fristansetzung zur Erstattung der Berufungsantwort innert zehn Tagen; mit Verfügung vom 21. April 2021 (Posteingang 26. April 2021) sei ihm eine Eingabe der Beschwerdegegnerin zugestellt worden, in welcher sie die in der Berufungsschrift versäumte Begründung zum Antrag um aufschiebende Wirkung nachzuholen versucht habe. Am 26. April 2021 habe er fristgerecht seine Berufungsantwort eingereicht. Mit Verfügung von eben diesem Tag, dem 26. April 2021, habe die Instruktionsrichterin des Obergerichts den strittigen Aufschub verfügt (Posteingang erst am 28. April 2021). Sie habe offensichtlich verkannt, dass die zehntägige gesetzliche Frist für die Erstattung der Berufungsantwort am 26. April 2021 abgelaufen sei und damit am Tag des Erlasses der Verfügung. Er habe also nicht im Rahmen der Berufungsantwort dazu Stellung beziehen können. Daher habe er um ordnungsgemässe Ansetzung einer Frist ersucht, um zu den superprovisorisch angeordneten Massnahmen gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO Stellung beziehen zu können. Mit Verfügung vom 29. April 2021 (Posteingang 3. Mai 2021) habe ihm das Obergericht dann eine Frist von fünf Tagen gesetzt, um zur Instruktionsverfügung vom 26. April 2021 Stellung zu nehmen.  
 
2.6. Zusammengefasst ist die angefochtene Verfügung mangels Anhörung des Beschwerdeführers auch in Bezug auf die aufschiebende Wirkung als superprovisorisch zu qualifizieren. Demnach kann der Beschwerdeführer diesen Entscheid vor Bundesgericht nicht anfechten. Erst gegen den nach Anhörung der Parteien zu fällenden vorsorglichen Entscheid (vgl. Art. 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO) könnte Beschwerde geführt werden. An dieser Qualifikation ändert auch die falsche Rechtsmittelbelehrung der Vorinstanz nichts.  
 
2.7. Auf die Beschwerde ist demnach nicht einzutreten.  
 
3.  
Bei diesem Ausgang wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kosten- (Art. 66 Abs. 1 BGG), nicht hingegen entschädigungspflichtig (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG), da keine Vernehmlassungen eingeholt wurden. Mit Blick auf die Besonderheiten des Falls, namentlich die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung seitens der Vorinstanz, verzichtet das Bundesgericht auf das Erheben von Gerichtskosten. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, war die Beschwerde von Beginn weg aussichtslos (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, C.________ und D.________ und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. September 2021 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann