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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 59/05 
 
Urteil vom 30. Mai 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons 
Solothurn, Untere Sternengasse 2, 4500 Solothurn, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
T.________, 1970, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
(Entscheid vom 7. Januar 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 5. August 2003 wurde T.________, geboren 1970, auf Ende November 2003 die Arbeitsstelle gekündigt; gleichentags unterschrieb er eine "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung". Nachdem T.________ festgestellt hatte, dass die vertragliche Kündigungsfrist sechs (statt wie in der "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" angenommen nur drei) Monate beträgt, und die Arbeitgeberin einer entsprechenden Anpassung des Kündigungstermins nicht zugestimmt hatte, reichte er beim zuständigen Zivilgericht Klage ein. Am 17. Februar 2004 einigten sich T.________ und die Arbeitgeberin auf einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis per 15. Januar 2004 ende und entsprechende Lohnzahlungen geschuldet seien. In der Folge wurde das zivilrechtliche Verfahren am 23. Februar 2004 als erledigt abgeschrieben. 
T.________ hatte sich am 28. November 2003 bei der Arbeitslosenversicherung zum Taggeldbezug ab dem 1. Dezember 2003 angemeldet. Mit Verfügung vom 8. April 2004 stellte ihn die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn mit Wirkung ab dem 16. Januar 2004 wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für sechzehn Tage in der Anspruchsberechtigung ein, da er durch Abschluss des Vergleiches auf einen Teil seiner Lohn- und Entschädigungsansprüche für die Monate Januar und Februar 2004 verzichtet habe. Mit Einspracheentscheid vom 1. Juni 2004 bestätigte die Arbeitslosenkasse ihre Verfügung von April 2004. 
B. 
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 7. Januar 2005 den Einspracheentscheid auf. 
C. 
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Solothurn führt für die Arbeitslosenkasse Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben. 
T.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Korrekt sind die Erwägungen der Vorinstanz über die massgebenden Grundsätze und Bestimmungen zur Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen Arbeitslosigkeit aus eigenem Verschulden (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG, Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV, Art. 20 Abs. 1 lit. b und c des Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 [SR 0.822.726.8]) sowie wegen Verzichts auf Lohn- und Entschädigungsansprüche gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber zu Lasten der Versicherung (Art. 30 Abs. 1 lit. b AVIG). Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig ist die Berechtigung der Einstellung in der Anspruchsberechtigung. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist dagegen die Frage der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen. 
2.1 Das kantonale Gericht geht davon aus, dass infolge Abschlusses des gerichtlichen Vergleiches allenfalls eine Einstellung nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AVIG (Verzicht auf Lohnansprüche zu Lasten der Versicherung) zur Anwendung gelangen könne und deshalb eine Einstellung nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG (selbstverschuldete Arbeitslosigkeit) ausser Betracht falle. Da ein erhebliches Prozessrisiko bestanden habe, hätten aber hinreichende Gründe für den Abschluss des Vergleiches vorgelegen, sodass eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung nicht gerechtfertigt sei. 
Das Beschwerde führende AWA bringt demgegenüber vor, es sei dem Versicherten zumutbar gewesen, am 5. August 2003 mit der Unterzeichnung der "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" zuzuwarten und vorher den Arbeitsvertrag zu konsultieren; er hätte dann festgestellt, dass die Kündigungsfrist sechs Monate und nicht nur deren drei - wie in der Vereinbarung angenommen - betrug. Durch Abschluss des Vergleichs habe der Beschwerdegegner einer vorzeitigen Kündigung zugestimmt; er habe in der Folge das Prozessrisiko eines vollständigen Unterliegens vor dem Zivilgericht zu tragen, insbesondere da er durch Unterschreiben der "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" ein vermeidbares Verhalten an den Tag gelegt habe. 
2.2 Liegt, wie im vorliegenden Fall, eine verfügte Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder im Streit, prüft die kantonale Beschwerdeinstanz frei, insbesondere ohne Bindung an die rechtliche Qualifikation des dem Versicherten in der angefochtenen Verfügung vorgeworfenen Verhaltens, ob und gegebenenfalls welcher der in Art. 30 Abs. 1 AVIG und Art. 44 AVIV normierten Einstellungstatbestände erfüllt ist. Dabei hat sie bei ihrem Entscheid die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten Verfahrensrechte der Parteien zu beachten, was je nach konkreter Verfahrenslage oder materiellrechtlichen Auswirkungen gebieten kann, die Parteien noch besonders anzuhören (BGE 122 V 37 Erw. 2c mit Hinweisen). Zusätzliche Schranken sind zu beachten, wenn der Richter, sei es von sich aus aufgrund von Anhaltspunkten in den Akten, sei es wegen eines von der Verwaltung nachträglich (zum Beispiel in der Vernehmlassung) erwähnten Grundes (sog. "Nachschieben" von Einstellungsgründen), im Vergleich zur verfügten Einstellung von einem anderen Sachverhalt ausgehen will, der unter einen anderen Einstellungsgrund zu subsumieren ist oder im Rahmen des gleichen Einstellungstatbestandes einen sachverhaltlich neuen Verschuldensvorwurf begründet. Dies ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Ausdehnung des Verfahrens über den Anfechtungsgegenstand gegeben sind und das rechtliche Gehör gewahrt wird (BGE 122 V 37 Erw. 2c mit Hinweisen). 
Wie der Begründung des - an die Stelle der vorgängig erlassenen Verfügung tretenden (BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen) - Einspracheentscheides vom 1. Juni 2004 zu entnehmen ist, wollte die Arbeitslosenkasse das Verhalten des Beschwerdegegners nur insoweit sanktionieren, als es sich um den Abschluss des Vergleiches mit der ehemaligen Arbeitgeberin im Rahmen des Zivilgerichtsverfahrens gehandelt hat; so hat denn auch die Vorinstanz festgehalten, es sei nur der Abschluss dieses Vergleiches zu beurteilen. Streitgegenstand ist in der Folge nur das Verhalten des Versicherten anlässlich des Vergleichsabschlusses vom 17. Februar 2004. Soweit das AWA den Sachverhalt betreffend Unterzeichnung der "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" am 5. August beurteilt haben will resp. sich auf ein angebliches Fehlverhalten des Versicherten in diesem Zusammenhang beruft, kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mangels Streitgegenstandes nicht eingetreten werden. 
2.3 Indem der Versicherte am 5. August 2003 anlässlich der Eröffnung der Kündigung die "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" unterschrieben und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Ende November 2003 akzeptiert hat, hat er einer Abänderung der vertraglichen Kündigungsfrist von sechs Monaten auf drei Monate zugestimmt. Allerdings unterlag er dabei gemäss seinen Angaben einem Motivirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 OR), da er am 5. August 2003 von einer vertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten ausgegangen ist, was ihm von der Personalverantwortlichen bestätigt worden sei, nachdem sie (in einem anderen Raum) in den Arbeitsvertrag Einblick genommen habe. In der Folge hat der Beschwerdeführer einen Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR geltend gemacht, was letztlich zum Zivilgerichtsverfahren geführt hat. Mit der Unterzeichnung des Vergleiches am 17. Februar 2004 haben der Beschwerdegegner und die ehemalige Arbeitgeberin die im August 2003 abgeschlossene "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" abgeändert, was im Endeffekt zu einer Kündigungsfrist von viereinhalb Monaten führte. 
Der Versicherte hätte den von ihm angestrengten Zivilprozess nur gewinnen können, wenn er den Grundlagenirrtum bewiesen hätte (vgl. Art. 8 ZGB). Dies wäre wohl nur dann möglich gewesen, wenn die Personalverantwortliche der ehemaligen Arbeitgeberin einen Fehler eingestanden und somit zu seinen Gunsten ausgesagt hätte, was nicht leichthin anzunehmen ist. Weiter ist in Betracht zu ziehen, dass an die Annahme eines Grundlagenirrtums generell hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. zum Grundlagenirrtum etwa Eugen Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Zürich 1988, S. 206, oder BGE 118 II 62 Erw. 3). Damit war der Abschluss des gerichtlichen Vergleiches mit diesem Inhalt (von dem bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vermutet wird, er entspreche einer ausgewogenen Erledigung des Streitfalles; nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 7. Juli 1988, C 63/87) sicher vernünftig und ein aus Sicht der Arbeitslosenversicherung mit einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung zu sanktionierendes Verhalten lag nicht vor; entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde war es gerade nicht nötig, ein Urteil zu erwirken. Nachdem die Arbeitslosenkasse - als an der Verhandlung nicht teilnehmende Nebenintervenientin im Zivilprozess - vom abgeschlossenen Vergleich innert der Rechtsmittelfrist Kenntnis erhalten und darauf in keiner Weise reagiert hat, ist daraus zu schliessen, dass auch sie den Abschluss des Vergleiches als vernünftig angesehen hat. Wenn das AWA in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nun geltend macht, der Versicherte habe das Prozessrisiko vollumfänglich zu tragen, weil er durch die Zustimmung zur "Freistellungsvereinbarung und Saldoerklärung" ein "vermeidbares Verhalten zu Tage gelegt" habe, beruft es sich auf einen hier nicht zu beurteilenden Sachverhalt (vgl. Erw. 2.2 hievor). 
2.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalles der hier allein zu beurteilende Abschluss des gerichtlichen Vergleiches vom 17. Februar 2004 nicht unter Art. 30 Abs. 1 lit. b AVIG (Verzicht auf Lohn- und Entschädigungsansprüche gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber) fällt und somit keine Einstellung in der Anspruchsberechtigung zur Folge hat. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 30. Mai 2005 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: