Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4P.75/2006 /sza
Urteil vom 30. Juni 2006
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Mathys,
Gerichtsschreiber Mazan.
Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Rudolf Forrer,
gegen
Bank D.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Binkert,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12 A, 8500 Frauenfeld.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 29. November 2005.
Sachverhalt:
A.
Am 30. Juli 1993 schlossen die A.________ AG und die Y.________ AG einen schriftlichen Immobilien-Leasingvertrag über eine Stockwerkeigentumseinheit in einem Gewerbehaus in Frauenfeld ab. Darin wurde der Y.________ AG das Recht zur Nutzung der erwähnten Stockwerkeigentumseinheit gegen Bezahlung eines Leasingzinses von Fr. 18'570.-- pro Quartal eingeräumt. Gemäss Ziff. 3.2. des Leasingvertrages wurde der Vertrag auf den 1. August 1993 in Kraft gesetzt und auf eine feste Dauer von 40 Quartalen abgeschlossen. Unter dem Titel "Vertragsbeendigung" trafen die Parteien in Ziff. 12 des Leasingvertrages folgende Vereinbarung:
"1. -:-
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"11. -:-
"12. -:-
12.1 Der Leasingvertrag endet mit Ablauf der vereinbarten festen Vertragsdauer.
12.2 Macht der Leasingnehmer von den nachstehend genannten Optionsmöglichkeiten keinen Gebrauch, so hat er das Leasingobjekt auf den Zeitpunkt des Vertragsablaufes hin zu räumen und fachgemäss instandgestellt, einwandfrei gereinigt und mit allen Schlüsseln versehen der Leasinggesellschaft zu übergeben. Das Leasingobjekt wird daraufhin von der Leasinggesellschaft verwertet (verkauft oder verleast). Als Basis gilt ein Restwert des Leasingobjektes von Fr. 720'000.--.
12.3 Ist der Nettoerlös aus der Verwertung (Bruttoerlös abzüglich aller mit der Verwertung verbundenen Steuern, Gebühren und Auslagen inklusive einer allfälligen Grundstück- oder Vermögensgewinnsteuer) des Leasingobjektes höher als der festgesetzte Restwert, so partizipiert der Leasingnehmer an diesem Mehrwert mit 75 %, sofern er seinen Verpflichtungen aus dem Leasingvertrag ordnungsgemäss nachgekommen ist. Ist der Nettoerlös aber geringer als der Restwert gemäss Art. 12.2, so hat der Leasingnehmer die Differenz gemäss Abrechnung der Leasinggesellschaft zu bezahlen.
12.4 Hat der Leasingnehmer den Leasingvertrag in allen Teilen erfüllt, so kann er bis spätestens sechs Monate vor dem ordentlichen Ablauf des Leasingvertrages bei der Leasinggesellschaft folgende Optionen schriftlich geltend machen:
- Abschluss eines Anschluss-Leasingvertrages auf der Basis des Restwertes, dessen Dauer und Zinsbedingungen dannzumal festzulegen sind
oder
- Erwerb des Leasingobjektes zum Restwert gemäss Art. 12.2. unter Übernahme sämtlicher damit verbundenen Gebühren, Steuern, Kosten inklusive einer allfälligen Grundstückgewinn- oder Vermögensgewinnsteuer. Auf Wunsch des Leasingnehmers wird dieses Recht auf seine Kosten im Grundbuch vorgemerkt.
Für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den vorliegenden Immobilien-Leasingvertrag stellen die Parteien heute schon fest, dass sie trotz allfälliger Nichtigkeiterkärung des Kaufrechts am eigentlichen Immobilien-Leasingvertrag (ohne Kaufrecht) festhalten werden (Art. 20 Abs. II OR)."
B.
Während der Dauer des Leasingvertrages änderten auf beiden Seiten die beteiligten Vertragsparteien mehrmals. Auf der Seite der Leasinggesellschaft fusionierte die A.________ AG am 30. Juni 1994 mit der B.________ AG. Per 17. Juli 1997 wurde die Firma B.________ AG in C.________ AG geändert. Per 1. Januar 1999 fusionierte die Bank D.________ mit der C.________ AG, wobei letztere ihr gesamtes Vermögen mit allen Aktiven und Passiven auf die Bank D.________ (heutige Beschwerdegegnerin) übertrug.
Auf der Gegenseite firmiert die ursprüngliche Leasingnehmerin Y.________ AG seit dem 19. Juli 2004 als X.________ AG (heutige Beschwerdeführerin).
C.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2003 teilte die Bank D.________ der Y.________ AG mit, der Immobilien-Leasingvertrag laufe per 31. Juli 2003 aus; der Leasingnehmerin stünden die Optionen Kauf, Rückgabe oder Verlängerung des Leasingvertrages zu neuen Konditionen mit einer Frist zur Ausübung des Wahlrechts bis 28. Februar 2003 offen. Am 21. März 2003 teilte die Y.________ AG mit, sie habe sich für die Rückgabe des Leasingobjektes entschieden. In der Folge verlängerten die Parteien den Leasingvertrag bis Ende September 2003 und legten den Restwert des Leasingobjektes auf Fr. 716'130.-- fest. Am 20. Oktober 2003 veräusserte die Bank D.________ das Objekt rückwirkend per 1. Oktober 2003 zu einem Preis von Fr. 575'000.--.
D.
Am 18. Februar 2004 belangte die Beschwerdegegnerin die Y.________ AG - als Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin - beim Bezirksgericht Weinfelden auf Bezahlung von Fr. 145'496.85 nebst 5 % Zins seit 6. November 2003. Bei diesem Betrag handelt es sich um die Differenz zwischen dem Restwert von Fr. 716'130.-- und dem Nettoverkaufserlös von Fr. 570'633.15 (Verkaufspreis von Fr. 575'000.-- abzüglich Grundbuchgebühren und Handänderungssteuern von Fr. 4'366.85). Mit Urteil vom 18. März 2005 (versandt am 23. März 2005) schützte das Bezirksgericht Weinfelden die Klage im Betrag von Fr. 145'496.85 nebst 5 % Zins seit 21. November 2003.
Gegen dieses Urteil gelangte die Beschwerdeführerin mit Berufung ans Obergericht des Kantons Thurgau und beantragte im Wesentlichen, die Klage sei abzuweisen. Mit Urteil vom 29. November 2005 (versandt am 15. Februar 2006) schützte das Obergericht des Kantons Thurgau die Klage und verpflichtete die Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegnerin Fr. 145'496.85 zuzüglich 5 % Zins seit 21. November 2005 zu bezahlen.
E.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 20. März 2006 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 29. November 2005 aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten sei. Das Obergericht des Kantons Thurgau schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
F.
In der gleichen Sache gelangt die Beschwerdeführerin auch mit Berufung ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Werden in der gleichen Streitsache staatsrechtliche Beschwerde und Berufung erhoben, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren.
2.
Nach den Feststellungen des Obergerichtes wurde der zwischen den Parteien abgeschlossene Immobilien-Leasingvertrag per 30. September 2003 beendet. Der Restverkaufswert wurde von den Parteien übereinstimmend auf Fr. 716'130.-- festgelegt. Am 20. Oktober 2003 veräusserte die Beschwerdegegnerin das Objekt rückwirkend per 1. Oktober 2003 zu einem Preis von Fr. 575'000.-- (abzüglich Grundbuchgebühren und Handänderungssteuern von Fr. 4'366.85). Der Differenzbetrag von insgesamt Fr. 145'496.85 zuzüglich Zins bildet Gegenstand der vom Obergericht zu beurteilenden Klage.
2.1 Umstritten ist einerseits die Frage, ob die vertragliche Grundlage, auf welche die Beschwerdegegnerin ihren Anspruch abstützt, formgültig ist; diese Frage ist im Berufungsverfahren zu beurteilen. Andrerseits ist umstritten, ob der Beschwerdegegnerin eine Verletzung der Treuepflichten vorzuwerfen ist, weil der Verkehrswert der in Frage stehenden Liegenschaft wesentlich höher als der von der Beschwerdegegnerin erzielte Verkaufserlös von Fr. 575'000.-- liege. Zur Begründung dieser Behauptung hat die Beschwerdeführerin auf zwei Gutachten verwiesen, welche den Verkehrswert der Liegenschaft auf Fr. 855'000.-- bzw. Fr. 1'177'000.-- bezifferten. Weiter hat die Beschwerdeführerin als Beweis für ihren Standpunkt das Einholen einer gerichtlichen Expertise zum Verkaufwert der Liegenschaft im massgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2003 und das Einholen einer Amtsauskunft des Grundbuchamtes Frauenfeld über einen allfälligen Weiterverkauf der Liegenschaft durch den Käufer und den von ihm erzielten Kaufpreis beantragt.
2.2 Zu diesen Beweisanträgen hat das Obergericht ausgeführt, es gebe keinerlei Indizien für einen treuwidrigen Verkauf der Liegenschaft durch die Beschwerdegegnerin und die Beschwerdeführerin habe nicht rechtsgenüglich substantiiert, dass für das Leasingobjekt im fraglichen Zeitpunkt bei angemessenen Bemühungen ein höherer als der realisierte Preis hätte erzielt werden können. Entsprechend sei kein Beweisverfahren durchzuführen. Wenn es an der erforderlichen Substantiierung der Parteibehauptungen fehle, erübrige sich ein Beweisverfahren, weil dieses nicht dazu da sei, ungenügende Sachdarstellungen zu vervollständigen.
2.3 Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, in willkürlicher Weise die Durchführung eines Beweisverfahrens abgelehnt und dadurch gegen Art. 9 BV verstossen zu haben. Diesbezüglich scheint die Beschwerdeführerin zu übersehen, dass nur dann ein Beweisverfahren durchzuführen ist, wenn die betreffende Prozesspartei die Sachdarstellungen im kantonalen Verfahren substantiiert vorgebracht hat. Die im vorliegenden Fall effektiv umstrittene Frage, ob die Behauptungen der Beschwedeführerin den Anforderungen an die Substantiierung genügen, kann nicht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde überprüft werden. Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob die geltend gemachten Tatsachen genügend substantiiert worden sind, damit sie unter die massgeblichen Bestimmungen des materiellen Rechts subsumiert werden können, nach Bundesrecht (BGE 127 III 365 E. 2b S. 368, 123 III 183 E. 3e S. 188, 108 II 337 E. 2 und 3). Gegenstand des Verfahrens ist somit nicht eine willkürliche - antizipierte - Beweiswürdigung, wie die Beschwerdeführerin mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend macht, sondern die Frage, ob sie ihrer Substantiierungspflicht nachgekommen ist, damit überhaupt ein Beweisverfahren über die von ihr aufgestellten Behauptungen durchgeführt werden kann. Da diese Frage jedoch wie erwähnt nach Bundesrecht zu beurteilen ist, hätte sie im Berufungsverfahren geltend gemacht werden müssen (Art. 43 Abs. 1 OG). Die staatsrechtliche Beschwerde steht nicht zur Verfügung (Art. 84 Abs. 2 OG). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten.
2.4 Auch unter der Annahme, dass die Behauptungen der Beschwerdeführerin ausreichend substantiiert worden wären und somit die Durchführung eines Beweisverfahrens überhaupt erst möglich gewesen wäre, hätte das Obergericht ohne Willkür in antizipierter Beweiswürdigung auf das Erheben von Beweisen - insbesondere die Einholung eines Gutachtens zur Ermittlung des Verkehrswertes der fraglichen Liegenschaft - verzichten dürfen. Massgebend für die Berechnung eines allfälligen Ersatzanspruches der Beschwerdegegnerin ist nicht der "Verkehrswert", welchen die Beschwerdeführerin mittels gerichtlichem Gutachten ermittelt haben will, sondern der "Nettoerlös" im Sinn von Ziff. 12.3 des Immobilien-Leasingvertrages. In Bezug auf den hier einzig relevanten "Nettoerlös" hat das Obergericht unangefochten festgehalten, dass die Beschwerdegegnerin die Liegenschaft dem von der Beschwerdeführerin zugeführten Käufer veräussert habe. Die Beschwerdeführerin habe keinen Käufer beibringen können, der einen höheren Preis bezahlt hätte. Ferner habe die Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin auch in Bezug auf den ihr mitgeteilten Kaufpreis von Fr. 575'000.-- ausdrücklich "keinen Einspruch" erhoben. Wenn aber fest steht, dass die Beschwerdeführerin den Käufer selbst zugeführt und sich mit dem mitgeteilten "Erlös" ausdrücklich einverstanden erklärt hat, erübrigen sich gerichtliche Abklärungen zum Verkehrswert. Falls die Beschwerdeführerin ihrer Obliegenheit, ihren Standpunkt genügend zu substantiieren, überhaupt nachgekommen wäre, wäre der Verzicht auf Beweiserhebungen somit keineswegs unzulässig - und erst recht nicht willkürlich - gewesen.
3.
Aus diesen Gründen kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Juni 2006
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: