Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_295/2010 
 
Urteil vom 30. Juli 2010 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Fritz J. Becker, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Starkl, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Vollstreckung (Eheschutzmassnahme), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Obergerichtskommission des Kantons Obwalden vom 18. März 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens verfügte der Kantonsgerichtspräsident I des Kantons Obwalden am 26. November 2009 u.a. folgende Massnahme: 
"Der Gesuchsteller hat die bisherige eheliche Wohnung am V.________weg in W.________ zu übernehmen. Ab 1. April 2010 wird dem Gesuchsteller noch ein Wohnkostenanteil von Fr. 1'500.-- angerechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die eheliche Wohnung spätestens per 31. Januar 2010 mitsamt den Schlüsseln dem Gesuchsteller zu übergeben." 
Dagegen wurde kein Rechtsmittel ergriffen. 
 
B. 
Nachdem die Ehefrau die Wohnung Ende Januar 2010 nicht wie vom Kantonsgericht angeordnet übergeben hatte, verlangte der Ehemann am 2. Februar 2010 die Vollstreckung. 
 
Mit Verfügung vom 10. Februar 2010 wies der Kantonsgerichtspräsident I die Ehefrau unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB an, die Wohnung bis spätestens am 1. März 2010 zu verlassen und dem Ehemann die Schlüssel zu übergeben, und erklärte die Polizeiorgane als beauftragt, andernfalls die Wohnung zu räumen und die Herausgabe der Schlüssel zu vollziehen. 
 
Den hiergegen erhobenen Rekurs der Ehefrau wies die Obergerichtskommission des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 18. März 2010 ab, wobei es den Räumungstermin auf den 30. April 2010 setzte. 
 
C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat die Ehefrau am 16. April 2010 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung sowie um Verpflichtung des Ehemannes, ihr die Wohnung bis zu einem rechtskräftigen Entscheid im parallel eingeleiteten Abänderungsverfahren unentgeltlich zu überlassen. Sodann verlangte sie mit Gesuch vom 7. Mai 2010 die unentgeltliche Rechtspflege. Mit Präsidialverfügung vom 14. Mai 2010 wurde der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung erteilt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Vorab ist zu prüfen, ob auf die Beschwerde in Zivilsachen überhaupt eingetreten werden kann. 
 
1.1 Die Obergerichtskommission hat erwogen, in der Verfügung vom 26. November 2009 sei im Sinn von Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB die Benutzung der ehelichen Wohnung geregelt worden und mangels Anfechtung sei diese formell rechtskräftig. Somit stehe das Befehlsverfahren gemäss Art. 243 lit. a ZPO/OW offen und in diesem Rahmen könnten gestützt auf Art. 245 lit. a ZPO/OW insbesondere Befehle bzw. Verbote gegen bestimmte Personen unter Androhung von Rechtsnachteilen im Sinn von Art. 299 bis 302 ZPO/OW ausgesprochen werden. Art. 299 Abs. 1 ZPO/OW sehe namentlich die Androhung der Ungehorsamsstrafe von Art. 292 StGB vor und gemäss Art. 300 Abs. 1 ZPO/OW könne der Vollstreckungsrichter für den Weigerungsfall Dritte damit beauftragen oder den Kläger zur Auftragserteilung ermächtigen sowie die Anwendung von Zwang gegen den Pflichtigen oder die in seinen Händen befindlichen Sachen anordnen. Gemäss Lehre und Rechtsprechung sei ein rechtskräftiger Entscheid selbst dann vollstreckbar, wenn ein neues Verfahren zu dessen Abänderung eingeleitet worden sei; erst wenn ein Abänderungsurteil diesen aufhebe und seinerseits in formelle Rechtskraft erwachse, falle die Vollstreckbarkeit dahin. Im Vollstreckungsverfahren seien die Einwendungen beschränkt; sie könnten sich nicht gegen die Begründetheit des zu vollziehenden Entscheides, sondern nur gegen dessen Vollstreckung richten. Solche Einwendungen erhebe die Beschwerdeführerin nicht. In materieller Hinsicht mache sie jedoch zumindest sinngemäss geltend, dass sie den anlässlich der Gerichtsverhandlung vom 20. November 2009 geschlossenen Vergleich, welcher schliesslich zu der mit Entscheid vom 26. November 2009 erfolgten Zuteilung der Wohnung an den Beschwerdegegner geführt habe, infolge von Willensmängeln (Irrtum mit Bezug auf Vorbringen der Gegenseite) für unverbindlich halte. Aus dem Verhandlungsprotokoll gehe jedoch hervor, dass ausschlaggebend für die Zuteilung der Wohnung an den Beschwerdegegner ihre eigene Aussage gewesen sei, dass sie aus der Wohnung ausziehen und "auf keinen Fall" am V.________weg bleiben wolle. 
 
1.2 Auch mit Bezug auf Vollstreckungsanordnungen muss der Mindeststreitwert von Fr. 30'000.-- gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG gegeben sein, wenn - wie vorliegend - eine vermögensrechtliche Streitigkeit vorliegt (Urteile 5D_38/2007 vom 17. Juli 2007 E 1.2; 4A_31/2008 vom 6. März 2008 E. 1). 
 
Entgegen der Vorschrift von Art. 112 Abs. 1 lit. d BGG enthält der angefochtene Entscheid keine Angabe des Streitwertes. Diesfalls ist, soweit er sich nicht ohne weiteres aus den Akten entnehmen lässt, die betreffende Beschwerdevoraussetzung gestützt auf die Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG in der Beschwerde darzulegen, ansonsten darauf nicht einzutreten ist (BGE 136 III 60 E. 1.1 S. 62 f.). 
 
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Beschwerde sei unabhängig vom Streitwert gegeben, da der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz angefochten sei. Sie irrt: Die Letztinstanzlichkeit ist eine weitere Beschwerdevoraussetzung, die zu derjenigen des genügenden Streitwertes hinzutritt. Mangels Begründung ist deshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten. 
 
Etwas anderes ergäbe sich auch bei einer gestützt auf Art. 51 Abs. 2 BGG erfolgenden Festsetzung des Streitwertes nach freiem Ermessen nicht: Das vorliegende Verfahren weist eine Nähe zur Exmission nach abgelaufenem Mietverhältnis auf. Diesbezüglich hat das Bundesgericht auf den durch die Verzögerung mutmasslich entstehenden Schaden (4A_107/2007 vom 22. Juni 2007 E. 2.3) bzw. auf den in der betreffenden Zeit hypothetisch anfallenden Mietwert (4A_72/2007 vom 22. August 2007 E. 2.2) abgestellt. In der Verfügung vom 26. November 2009 ist von einem Wohnkostenanteil von Fr. 1'500.-- die Rede. Mangels anderer Anhaltspunkte müsste davon ausgegangen werden, dass dieser dem Mietwert entspricht. Somit wäre der erforderliche Streitwert erst erreicht, wenn die betreffende Verfügung während mehr als 20 Monaten nicht vollzogen werden könnte. Vorliegend sind jedoch erst wenige Monate abgelaufen. 
 
1.3 Eine weitere Beschwerdevoraussetzung ist eine hinreichende Beschwerdebegründung. 
 
Soll die für das Bundesgericht grundsätzlich verbindliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder die Anwendung des kantonalen (Zivilprozess)rechts gerügt werden, kann einzig die Verletzung des Willkürverbotes oder anderer verfassungsmässiger Rechte angerufen werden. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt. Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es sodann nicht aus, die Rechtslage aus Sicht des Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). 
 
Die vorliegende Vollstreckungsanordnung basiert auf dem Befehlsverfahren gemäss kantonalem Recht und die Obergerichtskommission hat ausgeführt, inwiefern die Voraussetzungen für das Befehlsverfahren gegeben und dass keine im Befehlsverfahren zulässigen Vorbringen erhoben worden sind. Die Beschwerdeführerin müsste mithin aufzeigen, welche Bestimmung der kantonalen Zivilprozessordnung die Obergerichtskommission willkürlich angewandt oder welche anderen verfassungsmässigen Rechte sie in diesem Zusammenhang verletzt haben soll. Dies tut sie nicht ansatzweise: Zunächst anerkennt die Beschwerdeführerin selbst, dass sie gegen die erstinstanzliche Eheschutzmassnahme kein Rechtsmittel ergriffen hat und diese demzufolge in formelle Rechtskraft erwachsen ist; sie führt auch aus, dass sie gar nicht in der Wohnung bleiben wolle, sondern einfach Mühe habe, auf dem Wohnungsmarkt fündig zu werden. Zur Begründung verweist sie sodann auf eine mögliche Operation ihrer Tochter und bringt auf 40 Seiten eine breite Palette allgemeiner Vorwürfe gegen den Beschwerdegegner vor (verbale Ausfälligkeiten, Tätlichkeiten, Drohungen, Verheimlichen von Einkommens- und Vermögensbestandteilen, gefährliches Autofahren, aufwändiger Lebensstil, insb. bei Hotelübernachtungen und Verköstigung). Diese Vorbringen werden - abgesehen davon, dass sie in keinem Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren stehen - allesamt in appellatorischer Weise vorgetragen, wird doch die Verletzung eines verfassungsmässigen Rechtes nicht einmal behauptet. 
 
2. 
Kann aus den vorgenannten Gründen auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht eingetreten werden, stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Eingabe allenfalls konvertiert und als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen werden kann (Art. 113 BGG). Dies ist nicht der Fall, weil mit diesem Rechtsmittel nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden kann (Art. 116 BGG) und die Beschwerdeführerin kein einziges solches Recht als verletzt rügt, sondern sich auf - nach dem Gesagten ohnehin an der Sache vorbeigehende - appellatorische Ausführungen beschränkt. 
 
3. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass mangels geeigneter Rügen auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Wie die vorangehenden Erwägungen zeigen, muss sie als von Anfang an aussichtslos betrachtet werden, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das betreffende Gesuch abzuweisen ist. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner ist nur im Zusammenhang mit der Vernehmlassung zur aufschiebenden Wirkung Aufwand entstanden und diesbezüglich wurde entgegen seinem Antrag entschieden, weshalb er die betreffenden Kosten selbst zu tragen hat (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
Der vorliegenden Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung erteilt. Weil jedoch der Räumungsbefehl im Befehlsverfahren ergangen ist bzw. er sich auf die kantonale Zivilprozessordnung stützt, kann das Bundesgericht keinen neuen Termin ansetzen und einen eigenständigen Räumungsbefehl aussprechen. Vielmehr verhält es sich so, dass unmittelbar durch den bundesgerichtlichen Entscheid die aufschiebende Wirkung dahinfällt und der kantonale Entscheid ohne Aufschub vollzogen werden kann. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und der Obergerichtskommission des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 30. Juli 2010 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Möckli