Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
5A_462/2024
Urteil vom 30. Juli 2024
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
Bundesrichter von Werdt, Hartmann,
Gerichtsschreiber Zingg.
Verfahrensbeteiligte
A.________ GmbH in Liquidation,
Beschwerdeführerin,
gegen
Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden,
Landsgemeindeplatz 2, Postfach, 9043 Trogen.
Gegenstand
Überschuldungsanzeige,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, vom 6. Juni 2024 (ERZ 24 18).
Erwägungen:
1.
1.1. Mit Schreiben vom 30. Januar 2024 deponierte die Beschwerdeführerin ihre Bilanz beim Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden und beantragte die Eröffnung des Konkurses (Überschuldungsanzeige nach Art. 820 i.V.m. Art. 725b OR).
Mit Verfügung vom 16. Februar 2024 forderte das Kantonsgericht die Beschwerdeführerin auf, eine aktuelle Zwischenbilanz zu Veräusserungswerten und einen Bericht eines zugelassenen Revisors über die Prüfung der Zwischenbilanz einzureichen.
Mit Eingabe vom 21. Februar 2024 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie keine Revisionsstelle habe und ihr für die Mandatierung eines ausserordentlichen Revisors die Liquidität fehle. Sie erläuterte, weshalb es aus ihrer Sicht keine Zwischenbilanz und keine Prüfung brauche.
Mit Urteil vom 5. März 2024 wies das Kantonsgericht das Gesuch um Konkurseröffnung ab.
1.2. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 9. April 2024 Beschwerde.
Mit Urteil vom 6. Juni 2024 wies das Obergericht Appenzell Ausserrhoden die Beschwerde ab (Dispositiv-Ziff. 1). Es auferlegte der Beschwerdeführerin die Entscheidgebühr von Fr. 300.-- (Dispositiv-Ziff. 2).
1.3. Dagegen hat die Beschwerdeführerin am 15. Juli 2024 (Postaufgabe) Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass über sie bereits mit Entscheid des Kantonsgerichts vom 17. April 2024 der Konkurs eröffnet worden sei. Von der Erhebung einer Entscheidgebühr zugunsten des Obergerichts sei abzusehen. Zudem ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
2.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich zulässig (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. d, Art. 75, Art. 76, Art. 90 BGG ). Der Antrag auf Feststellung, dass über die Beschwerdeführerin der Konkurs bereits eröffnet worden sei, ist allerdings neu und folglich unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die beschwerdeführende Partei hat in gezielter Auseinandersetzung mit den für das Ergebnis des angefochtenen Entscheides massgeblichen Erwägungen aufzuzeigen, welche Rechte bzw. Rechtsnormen die Vorinstanz verletzt haben soll (BGE 140 III 86 E. 2; 140 III 115 E. 2).
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei seit dem 17. April 2024 in Konkurs. Dennoch habe das Obergericht das angefochtene Urteil erlassen. Es frage sich, weshalb das Obergericht die SHAB-Eintragung über die Konkurseröffnung nicht zur Kenntnis genommen habe. Es verfestige sich der Eindruck, dass das Obergericht keinen gesicherten Überblick über die Akten habe. Das obergerichtliche Verfahren hätte nach Art. 207 SchKG eingestellt werden müssen. Deshalb hätten auch keine Gerichtsgebühren zum Nachteil der Beschwerdeführerin erhoben werden dürfen.
4.
Gemäss Internet-Handelsregisterauszug und der Publikation im SHAB vom 25. April 2024 trifft zu, dass das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden am 17. April 2024 und damit während des obergerichtlichen Beschwerdeverfahrens den Konkurs über die Beschwerdeführerin eröffnet hat. Das Obergericht muss davon zumindest insofern Kenntnis genommen haben, als es die Beschwerdeführerin im Rubrum des angefochtenen Urteils als "A.________ GmbH in Liquidation" bezeichnet hat. Gemäss dem genannten Handelsregisterauszug ist der Zusatz "in Liquidation" der Firma der Beschwerdeführerin nämlich erst mit der Konkurseröffnung angefügt worden. Zudem hat das Obergericht - anders als im Parallelfall ERZ 24 40 (dazu Verfahren 5A_463/2024) - sein Urteil dem Konkursamt Appenzell Ausserrhoden mitgeteilt.
Es trifft jedoch nicht zu, dass das obergerichtliche Verfahren aufgrund der Konkurseröffnung gestützt auf Art. 207 SchKG hätte eingestellt (und später gemäss dieser Bestimmung allenfalls wieder hätte aufgenommen) werden müssen. Art. 207 Abs. 1 SchKG bezieht sich auf Streitigkeiten über Ansprüche des materiellen Zivilrechts (Urteil 5A_502/2022 vom 23. September 2022 E. 3.2 mit Hinweisen). Das obergerichtliche Verfahren zielte nicht auf solche Ansprüche, sondern auf die Anordnung der aus der allfälligen Überschuldung zu ziehenden Konsequenzen, d.h. grundsätzlich der Konkurseröffnung über die Beschwerdeführerin (Art. 725b Abs. 3 OR i.V.m. Art. 192 SchKG). Die Konkurseröffnung hatte die Beschwerdeführerin denn auch vor Obergericht beantragt. Dieses Ziel wurde mit der Konkurseröffnung vom 17. April 2024 erreicht. Es spielt keine Rolle, dass dieses Ergebnis nicht aufgrund einer Überschuldungsanzeige, sondern - gemäss dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Konkursurteil des Kantonsgerichts - aufgrund des Gesuchs einer Gläubigerin zustande kam. Am obergerichtlichen Verfahren bestand demnach kein Interesse mehr, womit es als gegenstandslos dahinfiel (Art. 242 ZPO; WOHLFART/MEYER HONEGGER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N. 11 zu Art. 206 SchKG). Das Verfahren wäre dementsprechend abzuschreiben gewesen. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass ein Interesse am obergerichtlichen Verfahren noch bestehen könnte, sondern sie geht selber davon aus, dass der Konkurs vom 17. April 2024 rechtskräftig und vom Konkursamt Appenzell Ausserrhoden durchzuführen ist, wie ihrem Feststellungsantrag und ihren Ausführungen zu entnehmen ist. An einer entsprechenden Umformulierung von Dispositiv-Ziff. 1 des angefochtenen Urteils (Abschreibung infolge Gegenstandslosigkeit statt Abweisung der Beschwerde) hat die Beschwerdeführerin jedoch kein erkennbares Interesse. Sie hat dies auch nicht beantragt. Von einer Aufhebung der genannten Dispositiv-Ziffer und ihrer Neufassung ist deshalb abzusehen.
Hinsichtlich der Kostenauflage (Dispositiv-Ziff. 2) geht die Beschwerdeführerin von der falschen Annahme aus, dass das Verfahren nach Art. 207 SchKG hätte eingestellt werden müssen. In der Folge legt sie nicht dar, dass ihr bei Gegenstandslosigkeit des obergerichtlichen Verfahrens keine Kosten hätten auferlegt werden dürfen. Solches ist denn auch nicht ersichtlich. Die Kosten des auf die Überschuldungsanzeige folgenden Gerichtsverfahrens sind nämlich grundsätzlich der Gesellschaft aufzuerlegen (BRUNNER/BOLLER/FRITSCHI, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N. 25 zu Art. 192 SchKG; PHILIP TALBOT, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 2017, N. 31 zu Art. 192 SchKG). Selbst wenn man die für die Kostenverteilung bei Gegenstandslosigkeit (Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO) massgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigen möchte (vgl. zur Kostenverteilung im Einparteienverfahren BGE 142 III 110 E. 3), führte dies nicht zwingend zu einer davon abweichenden Kostenverteilung. Bei Gegenstandslosigkeit ist nämlich insbesondere zu berücksichtigen, wer Anlass zur Klage gegeben hat, ob die Klägerin überstürzt vorgegangen ist, welche Partei unnötigerweise Kosten verursacht hat, welches der mutmassliche Prozessausgang gewesen wäre und bei welcher Partei die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit geführt haben (Urteil 4A_540/2021 vom 17. Januar 2022 E. 2.1 mit Hinweisen). Vorliegend hat die Beschwerdeführerin Anlass zum Verfahren gegeben, bei ihr sind die Gründe für die Gegenstandslosigkeit eingetreten und sie legt auch nicht dar, dass der mutmassliche Prozessausgang vom tatsächlichen Prozessausgang abgewichen wäre, wenn das Verfahren abgeschrieben worden wäre. Es wäre demnach nicht zu beanstanden gewesen, wenn ihr das Obergericht bei Abschreibung des Verfahrens infolge Gegenstandslosigkeit Kosten auferlegt hätte. Zur Höhe der Gerichtskosten, die das Obergericht in Anwendung von Art. 52 lit. a i.V.m. Art. 61 Abs. 1 der Gebührenverordnung vom 23. September 1996 zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (GebV SchKG; SR 281.35) festgelegt hat, äussert sich die Beschwerdeführerin nicht.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, war die Beschwerde von vornherein aussichtslos. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat die Beschwerdeführerin als juristische Person grundsätzlich ohnehin keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (BGE 143 I 328 E. 3.1 mit Hinweisen).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Konkursamt Appenzell Ausserrhoden und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden mitgeteilt.
Lausanne, 30. Juli 2024
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Herrmann
Der Gerichtsschreiber: Zingg