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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_42/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 30. August 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Fricker, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür, Anklageprinzip, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 22. November 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ fuhr am 20. Oktober 2015 um 9.17 Uhr mit einem Personenwagen auf der Niederwilerstrasse in Tägerig (AG) in Richtung Niederwil (AG). Er wurde bei einer Geschwindigkeitskontrolle mit 59 km/h gemessen. Damit überschritt er innerorts die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h (nach Abzug der technisch bedingten Sicherheitsmarge von 5 km/h) um 24 km/h. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten sprach X.________ mit Strafbefehl vom 5. November 2015 der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 160.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie einer Busse von Fr. 1'200.--. 
Auf Einsprache hin bestätigte das Bezirksgericht Bremgarten am 24. Mai 2016 den Schuldspruch wegen grober Verkehrsregelverletzung, die bedingte Geldstrafe sowie die Busse. 
Die Berufung von X.________ hiess das Obergericht des Kantons Aargau am 22. November 2016 teilweise gut. Es sprach ihn der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 700.--. 
 
C.  
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer macht eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV) sowie die Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" (Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK) geltend (Beschwerde S. 5 ff.). 
 
 
1.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253 mit Hinweis; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 141 III 564 E. 4.1 S. 566; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen).  
Inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Diese aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Maxime wurde wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen). 
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368; 142 II 206 E. 2.5 S. 210; 142 I 135 E. 1.5 S. 144; je mit Hinweisen). 
 
1.2. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 24 km/h (nach Abzug) innerhalb einer Tempo-30-Zone ist unbestritten. Der Beschwerdeführer bog von der Hägglingerstrasse rechts in die Niederwilerstrasse in Richtung Niederwil ab.  
Die Vorinstanz stellt fest, dass das Signal "Tempo-30-Zone" und die einige Meter entfernt auf der Fahrbahn angebrachte Markierung "Zone 30" gut erkennbar waren. Der Beschwerdeführer nahm die Signalisation wahr und entschloss sich dennoch, die Strasse mit der gemessenen Geschwindigkeit zu befahren. Dessen Aussagen, die Signalisation nicht gesehen zu haben, qualifiziert die Vorinstanz wie bereits die erste Instanz als Schutzbehauptung (Entscheid S. 8 ff.). 
 
1.3. Was der Beschwerdeführer vorbringt, vermag weder Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung noch eine Verletzung der Unschuldsvermutung zu begründen. Er argumentiert, die Zonensignalisation übersehen zu haben. Die Verkehrssituation sei für Ortsunkundige äusserst unübersichtlich. Er habe beim Rechtsabbiegen dem Verkehr auf der Niederwilerstrasse und zudem einem Fussgängerstreifen Beachtung schenken müssen. Damit wiederholt der Beschwerdeführer seinen Standpunkt im kantonalen Verfahren, den die Vorinstanz und die erste Instanz geprüft und verworfen haben. Macht er geltend, er habe glaubhaft dargelegt, die Signalisation übersehen zu haben, verkennt er, dass das Bundesgericht keine Appellationsinstanz ist, die eine freie Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Es reicht für die Rüge einer willkürlichen Beweiswürdigung nicht aus, wenn der Beschwerdeführer zum Beweisergebnis wie in einem appellatorischen Verfahren frei plädiert und darlegt, wie seiner Auffassung nach die vorhandenen Beweise richtigerweise zu würdigen gewesen wären. Dass die Zonensignalisation mittels Tafel und Bodenmarkierung laut Vorinstanz gut ersichtlich war und vom Beschwerdeführer wahrgenommen wurde, kann zweifelsohne nicht als unhaltbar bezeichnet werden. Der Beschwerdeführer bog von der Hägglingerstrasse rechts in die Niederwilerstrasse ab, musste den vortrittsbelasteten Verkehr von links beachten und fuhr wenige Meter vorher an einem Fussgängerstreifen vorbei. Er hatte ohne Zweifel kein komplexes Fahrmanöver zu bewältigen und von einer "äusserst unübersichtlichen" Verkehrssituation kann keine Rede sein. Die erste Instanz hält im Übrigen überzeugend fest, dass das Signal "Tempo-30-Zone" ca. 40 cm in die Strasse hinausragte und der Beschwerdeführer einen leichten Bogen nach links (entlang der die Fahrbahn verengenden Führungslinie) fahren musste, um nicht mit dem Sockel des Schilds zu kollidieren. Hat der Beschwerdeführer den Sockel mangels Kollision offensichtlich gesehen, ist es nicht unhaltbar, dass er auch die darauf angebrachte Tafel erblickt hat.  
Insgesamt zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass und inwiefern das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht mehr vertretbar sein sollte, und eine Verletzung der Unschuldsvermutung ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG zu genügen vermag. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer sieht das Anklageprinzip verletzt. Art. 90 Abs. 1 SVG stelle sowohl ein vorsätzliches als auch ein fahrlässiges Verhalten unter Strafe. In der Anklageschrift werde lediglich aufgeführt, er habe vorsätzlich, das heisst mit Wissen und Willen die Höchstgeschwindigkeit missachtet. Aus welchen inneren und äusseren Umständen sich dies ergeben soll, lege die Anklageschrift nicht dar. Er habe deshalb seine Verteidigungsrechte nicht angemessen ausüben können (Beschwerde S. 8 f.). Zur mit der schriftlichen Berufungsbegründung erhobenen Rüge hat sich die Vorinstanz aus nicht erkennbaren Gründen nicht geäussert.  
 
2.2. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (vgl. Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe im objektiven und subjektiven Bereich genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 143 IV 63 E. 2.2 S. 65 mit Hinweisen).  
Der Beschuldigte muss aus der Anklage ersehen können, wessen er angeklagt ist. Das bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass der Betroffene genau weiss, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt und wie sein Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit er sich in seiner Verteidigung richtig vorbereiten kann. Er darf nicht Gefahr laufen, erst an der Gerichtsverhandlung mit neuen Anschuldigungen konfrontiert zu werden (BGE 143 IV 63 E. 2.2 S. 65 mit Hinweisen). 
 
2.3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklageprinzips ohne Grund. Ihm wird im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten vom 5. November 2015, welcher als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO), vorgeworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit Wissen und Willen missachtet und dadurch eine erhöhte abstrakte Gefahr geschaffen zu haben. Damit sind die subjektiven Tatbestandsmerkmale hinreichend umschrieben. Bei Vorsatzdelikten genügt die Behauptung, dass der Beschuldigte vorsätzlich oder mit Wissen und Willen handelte (Urteil 6B_1030/2015 vom 13. Januar 2017 E. 1.3 mit Hinweis; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1267 Fn. 160; LANDSHUT/BOSSHARD, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 325 StPO; HEIMGARTNER/NIGGLI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, N. 33 zu Art. 325 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 9 zu Art. 325 StPO). Mithin verlässt die Vorinstanz nicht den angeklagten Sachverhalt. Es war für den Beschwerdeführer hinreichend klar, was ihm vorgeworfen wird. Er hat denn auch stets geltend gemacht, die Signalisation übersehen zu haben, womit er den Vorwurf der vorsätzlichen Tatbegehung bestritt. Dass und inwiefern ihm eine wirksame Verteidigung nicht möglich gewesen sein sollte, ist unter dem Gesichtspunkt des Anklagegrundsatzes weder aufgezeigt noch ersichtlich.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Anwendung von Art. 90 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 100 Ziff. 1 SVG. Er sei durch die unübersichtliche Situation abgelenkt gewesen und habe nicht realisiert, dass er in eine Tempo-30-Zone hineingefahren sei. Auch das Bundesgericht gehe bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nur zurückhaltend von einer (eventual-) vorsätzlichen Tatbegehung aus. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Vorinstanz eine vorsätzliche Verkehrsregelverletzung annehme. Vielmehr liege lediglich eine nicht angeklagte fahrlässige Tatbegehung vor (Beschwerde S. 10 f.).  
 
3.2. Mit Art. 90 Abs. 1 SVG wird die Verletzung von Verkehrsregeln unter Strafe gestellt. Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das eine Handlung wegen ihrer typischen Gefährlichkeit allgemein mit Strafe bedroht, unabhängig davon, ob im konkreten Fall ein Rechtsgut in Gefahr gerät (BGE 138 IV 258 E. 3.1.2 S. 265). Eine fahrlässige Tatbegehung genügt (Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG).  
 
3.3. Laut Vorinstanz sah der Beschwerdeführer die fragliche Signalisation und wusste er deshalb, dass er eine Tempo-30-Zone befuhr. Zudem entschied sich der Beschwerdeführer zur gefahrenen Geschwindigkeit, was eine Geschwindigkeitsüberschreitung aus Unachtsamkeit ausschliesst. Der Beschwerdeführer will die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht realisiert haben, womit er sich in unzulässiger Weise vom verbindlichen Sachverhalt der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) entfernt, ohne eine willkürliche Beweiswürdigung aufzuzeigen. Inwiefern die Vorinstanz, indem sie seine Fahrweise als vorsätzliche einfache Verkehrsregelverletzung qualifiziert, Bundesrecht verletzt, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Er setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen nicht auseinander, und seine Beschwerde genügt nicht den Anforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG. Selbst wenn darauf eingetreten werden könnte, ist eine Verletzung von Bundesrecht nicht ersichtlich. Es kann auf das vorinstanzliche Urteil verwiesen werden (Entscheid S. 9 f.).  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 30. August 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga