Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_965/2024
Urteil vom 30. September 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz,
Gerichtsschreiber Schurtenberger.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Orly Ben-Attia,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich.
Gegenstand
Anordnung von Haft (Ausführungsgefahr),
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 14. August 2024 (UB240121-O/U/HEI>HON).
Sachverhalt:
A.
A.________ wurde am 18. Juli 2024 verhaftet und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 20. Juli 2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich wegen Ausführungsgefahr in Haft versetzt.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, mit Beschluss vom 14. August 2024 ab.
C.
Mit Eingabe vom 11. September 2024 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und er unverzüglich aus der Präventivhaft zu entlassen. In prozessualer Hinsicht beantragt er die Edition sämtlicher Akten des Haftverfahrens (Verfahren 2024/1002889 und 2023/100449984) sowie den Beizug der Akten der Vorinstanz. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren.
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die Anordnung von Haft gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.
Das Bundesgericht hat die Akten des Obergerichts (Verfahren UB240121-O), des Zwangsmassnahmengerichts (Verfahren GH241244-L) sowie der Staatsanwaltschaft (Verfahren 2024/1002889) von Amte s wegen bei der Vorinstanz eingeholt. Insoweit erweist sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung der Haftakten als gegenstandslos. Soweit darüber hinausgehend, ist der Antrag abzuweisen, begründet der Beschwerdeführer ihn doch einzig damit, die Akten seien in der Lage, dem "Bundesgericht einen besseren Überblick über die Sachlage zu verschaffen". Das Bundesgericht ist in tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden und erstellt den Sachverhalt gerade nicht von Amtes wegen selbst mit voller Kognition (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG).
3.
Nach Art. 221 Abs. 2 StPO ist die Anordnung von Haft zulässig, wenn die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (sog. Ausführungsgefahr).
Die Vorinstanz bejaht das Vorliegen von Ausführungsgefahr, was vom Beschwerdeführer in mehrfacher Hinsicht beanstandet wird.
4.
Der Beschwerdeführer rügt, es liege keine Drohung vor.
4.1. Präventivhaft gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO setzt die Drohung voraus, ein schweres Verbrechen auszuführen. Hinsichtlich dieser Drohung ist indessen weder vorausgesetzt, dass sie als Straftat im Sinne von Art. 180 StGB zu qualifizieren ist (Urteile 7B_252/2024 vom 18. März 2024 E. 2.2; 7B_944/2023 vom 15. Dezember 2023 E. 4.3), noch dass sie ausdrücklich geäussert wurde. Vielmehr kann sie auch konkludent erfolgen (BGE 137 IV 339 E. 2.4).
4.2. Die Vorinstanz hält diesbezüglich fest, der Beschwerdeführer habe gegenüber seinem psychiatrischen Betreuer die Aussage getätigt, bei einem Einvernahmetermin bei der Staatsanwaltschaft (unerkannt) ein Messer mitgeführt zu haben. Zudem habe er zum Ausdruck gebracht, er hätte die Staatsanwältin am liebsten abgestochen und sie gehöre vergewaltigt. Er habe seinem Betreuer sodann gesagt, beim nächsten Aufeinandertreffen mit der Staatsanwältin werde es "räble". Die Vorinstanz erkennt in diesen Aussagen die Drohung, die fallführende Staatsanwältin beim nächsten Aufeinandertreffen ernsthaft und unter Einsatz eines Messers zu verletzen.
4.3. Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, dass "entgegen den Ausführungen der Vorinstanz gerade keine Drohung vorliegt". Soweit er die für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) nicht ohnehin bloss in unzulässiger Weise pauschal bestreitet, wendet er sich nicht gegen das Vorliegen einer Drohung an sich, sondern dagegen, dass deren Ausführung ernsthaft und unmittelbar drohe (dazu E. 5 hiernach). Somit bleibt es bei der Beurteilung der Vorinstanz, dass eine Drohung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StPO vorliegt.
5.
Der Beschwerdeführer rügt, es bestehe nicht die ernsthafte und unmittelbare Gefahr, dass er die festgestellte Drohung in die Tat umsetze.
5.1. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen nicht aus, um Haft wegen Ausführungsgefahr zu begründen. Bei der Annahme, dass eine Person ein schweres Verbrechen begehen könnte, ist Zurückhaltung geboten. Erforderlich ist eine sehr ungünstige Prognose. Nicht Voraussetzung ist hingegen, dass die verdächtige Person bereits konkrete Anstalten getroffen hat, um die befürchtete Tat zu vollenden. Vielmehr genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung aufgrund einer Gesamtbewertung der persönlichen Verhältnisse sowie der Umstände als sehr hoch erscheint. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand der verdächtigen Person bzw. ihrer Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen. Je schwerer die angedrohte Straftat ist, desto eher rechtfertigt sich eine Inhaftierung, wenn die vorhandenen Fakten keine genaue Risikoeinschätzung erlauben (BGE 140 IV 19 E. 2.1.1).
Insbesondere bei einer zu befürchtenden vorsätzlichen Tötung darf an die Annahme der Ausführungsgefahr kein allzu hoher Massstab angelegt werden. Anders zu entscheiden hiesse, das potenzielle Opfer einem nicht verantwortbaren Risiko auszusetzen (BGE 123 I 268 E. 2e). Es braucht in solchen Fällen keine maximal ausgeprägte ungünstige Prognose, sondern es genügt eine deutliche Ausführungsgefahr (zum Ganzen: Urteil 7B_259/2024 vom 21. März 2024 E. 3.1.2 mit Hinweisen).
5.2. Die Vorinstanz hält fest, bei zusammenhängender Betrachtung der Aussagen des Beschwerdeführers ergebe sich das Bild, wonach er die fallführende Staatsanwältin bereits bei der letzten Einvernahme am liebsten abgestochen hätte und beim nächsten Aufeinandertreffen die direkte Konfrontation suchen möchte. Für das Vorliegen einer ernsthaften und unmittelbaren Gefahr hinsichtlich der Ausführung der geäusserten Drohungen spreche insbesondere der Umstand, dass er offenbar bereits ein Messer in die Nähe der Staatsanwältin gebracht sowie Vorbereitungshandlungen in Form von gezieltem Suchen nach privaten Informationen im Internet über sie getätigt habe. Mit diesem Verhalten habe der Beschwerdeführer die Schwelle von einer impulsiven, unangemessenen Äusserung zu einer ernsthaften und unmittelbaren Drohung deutlich überschritten und es seien keine Anzeichen ersichtlich, dass er zwischenzeitlich von diesen Drohungen Abstand genommen oder diese lediglich dahingesagt haben könnte.
Hinsichtlich des bereits vorliegenden (in anderem Zusammenhang erstellten) Gutachtens zum Beschwerdeführer führt die Vorinstanz sodann insbesondere aus, bei dessen Erstellung hätten keine Vorbereitungshandlungen hinsichtlich der Wahrmachung von Drohungen beobachtet werden können. Sie geht deshalb davon aus, seit der Erstattung dieses Gutachtens im April 2024 sei aufgrund des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens eine neue Dynamik in Bezug auf die fallführende Staatsanwältin entstanden, die vom Gutachten in dieser Form nicht erfasst werde. Insofern das Gutachten über die aktuelle Situation überhaupt Auskunft geben könne, so würden die Ausführungen im Gutachten betreffend die Gefährdung von bekannten Personen näher am hier zu beurteilenden Sachverhalt liegen und damit ebenfalls für eine ungünstige Legalprognose sprechen. Diesbezüglich sei eine neue bzw. ergänzende Begutachtung des Beschwerdeführers unumgänglich. Bis dahin sei dem Beschwerdeführer aufgrund der dargelegten Aktenlage jedoch eine sehr ungünstige Legalprognose zu stellen, womit der Haftgrund der Ausführungsgefahr zu bejahen sei.
5.3. Der Beschwerdeführer bringt zwar zu Recht vor, entscheidend sei nicht, ob er gegenüber seinem Betreuer die Aussage getätigt habe, ein Messer bei sich geführt zu haben, sondern ob er auch tatsächlich ein Messer an die Einvernahme bei der fallführenden Staatsanwältin mitgenommen habe. Die Vorinstanz geht in ihrem Entscheid indessen davon aus, er habe an der Einvernahme tatsächlich ein Messer mit sich geführt. Soweit er dagegen vorbringt, dies sei "nicht der Fall gewesen", übersieht er, dass die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (Art. 105 Abs. 1 BGG). Jedenfalls sind seine entsprechenden Ausführungen nicht geeignet, diese Feststellungen als geradezu willkürlich erscheinen zu lassen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Selbiges gilt, soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Feststellung der Vorinstanz wendet, er habe gezielt nach privaten Informationen über die fallführende Staatsanwältin gesucht, und diesbezüglich den Sachverhalt frei selbst darstellt.
Unzutreffend ist sodann der Vorwurf des Beschwerdeführers, die Vorinstanz übergehe "ein aktuelles und einwandfreies Gutachten". Wohl wird im Gutachten vom 25. April 2024, welches auch im Zusammenhang mit der Äusserung von früheren, sehr ähnlich gelagerten (Todes-) Drohungen gegenüber anderen Personen erstellt wurde, ausdrücklich festgehalten, es werde bloss "ein geringes Risiko [...] hinsichtlich der Ausführung dieser Drohungen gesehen". Doch enthält dieses Gutachten insbesondere auch folgende Begründung für diese Risikoeinschätzung: "Die Handlungen [d.h. insbesondere die geäusserten Drohungen] sind dabei nicht einer dissozial-geplanten Dynamik zuzuordnen, sondern entspringen aktueller Frustration und Überforderung. [...] Weder die Angaben des Expl. noch die Ermittlungsergebnisse legen Vorbereitungshandlungen für [schwere] Straftaten nahe." Unter diesen Umständen ist es vertretbar, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, angesichts der neuen Dynamik im Hinblick auf die fallführende Staatsanwältin erweise sich das Gutachten vom 25. April 2024 als nurmehr bedingt tauglich, über die aktuelle Situation Auskunft zu geben. Der Beschwerdeführer scheint diesbezüglich zu übersehen, dass die streitige vorinstanzliche Würdigung des Gutachtens vom Bundesgericht nicht frei, sondern nur unter unter Willkürgesichtspunkten geprüft wird (statt vieler Urteil 7B_804/2024 vom 22. August 2024 E. 5.3).
6.
Der Beschwerdeführer sieht eine weitere Verletzung von Art. 221 Abs. 2 StPO darin, dass kein Kurzgutachten vor der Haftanordnung eingeholt wurde.
Diese Rüge ist unbegründet. Das Gesetz schreibt nicht vor, dass die Anordnung von Haft nur dann erfolgen darf, wenn (bereits) ein Gutachten vorliegt. Soweit wie hier eine solche (erneute) Begutachtung für die Beurteilung der Legalprognose als notwendig erscheint, hat diese mit Blick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen rasch zu erfolgen (Urteile 7B_49/2024 vom 2. Februar 2024 E. 3.3; 7B_1022/2023 vom 11. Januar 2024 E. 4.2.2; 1B_493/2020 vom 8. Oktober 2020 E. 3.5). Dies wird auch von der Vorinstanz ausdrücklich anerkannt, die festhält, "eine weitere Einschätzung durch psychiatrische Fachpersonen in Form eines Vorabgutachtens oder einer Vorabstellungnahme [müsse] unverzüglich in die Wege geleitet werden". Dem ist zuzustimmen, da mit Blick auf die Verhältnismässigkeit der Haft unabdingbar ist, dass schnellstmöglich ein (ergänzendes) Gutachten vorliegt. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass das bereits vorliegende, zumindest in zeitlicher Hinsicht aktuelle Gutachten dem Beschwerdeführer eine grundsätzlich positive Legalprognose ausstellt.
7.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist dagegen gutzuheissen, weil die Voraussetzungen nach Art. 64 Abs. 1 BGG erfüllt sind. Entsprechend sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ist aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später aufgrund einer Verbesserung seiner finanziellen Situation dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2. Rechtsanwältin Orly Ben-Attia wird als unentgeltliche Rechtsvertreterin ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und dem Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. September 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger