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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_378/2024  
 
 
Urteil vom 30. Oktober 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Métral, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Dominique Flach, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
GENERALI Allgemeine Versicherungen AG, Avenue Perdtemps 23, 1260 Nyon, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Berufskrankheit, Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 25. März 2024 (VBE.2023.431). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1979, war als Medizinische Praxisassistentin in der gynäkologischen Gruppenpraxis von Dres. med. C.________ und D.________ angestellt und dadurch bei der Generali Allgemeine Versicherungen AG (nachfolgend: Generali) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Am 7. Februar 2023 meldeten die Arbeitgeberinnen, dass sich A.________ am 10. März 2021 am Arbeitsplatz mit dem Covid-19-Virus angesteckt habe. A.________ klagte in der Folge insbesondere über eine Fatigue-Symptomatik sowie neuropsychologische Defizite, die sie unter anderem im Spital E.________ abklären liess. Die Generali tätigte weitere Abklärungen mittels eines Fragebogens und holte die ärztlichen Berichte ein. Mit Verfügung vom 8. Mai 2023 und Einspracheentscheid vom 4. September 2023 lehnte sie eine Leistungspflicht für die geltend gemachte Berufskrankheit ab. 
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 25. März 2024 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils seien ihr die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. 
Nach Beizug der vorinstanzlichen Akten verzichtet das Bundesgericht auf einen Schriftenwechsel. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die geltend gemachte Long-Covid-Erkrankung als Berufskrankheit verneinte. 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht des Unfallversicherers bei Berufskrankheiten (Art. 9 UVG; BGE 114 V 109 E. 3; vgl. ferner BGE 133 V 421 E. 4.1; 117 V 354 E. 2a; RKUV 1988 Nr. U 61 S. 447 E. 1; Urteil 8C_420/2007 vom 29. Januar 2008 E. 4.2) und insbesondere bei arbeitsbedingten Infektionskrankheiten mit Ansteckung in einem Spital oder Laboratorium oder in einer Versuchsanstalt gemäss der Doppelliste von Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Gleiches gilt hinsichtlich der Empfehlung Nr. 1/2003 der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG vom 22. Mai 2003 in der revidierten Fassung vom 23. Dezember 2020, wonach es für die Haftung bei einer Covid-19-Erkrankung einer berufsbedingten Exposition, das heisst einer Arbeit mit infizierten Patienten oder mit einer stark infizierten/infizierenden oder kontaminierten Umgebung bedarf. Es ist daran zu erinnern, dass die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG für das Bundesgericht nicht verbindlich sind (BGE 114 V 315 E. 5c; 146 V 74 E. 5.3.11; Urteil 8C_207/2010 vom 31. Mai 2010 E. 3.3.3). 
 
4.  
 
4.1. Gemäss Vorinstanz war die Beschwerdeführerin in einer Arztpraxis für Gynäkologie und Geburtshilfe beschäftigt. Unter Anlehnung an die Empfehlung der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG erkannte das kantonale Gericht, dass es an einem typischen Berufsrisiko gefehlt habe, denn die Gefahr, sich an diesem Arbeitsplatz mit dem Covid-19-Virus anzustecken, sei nicht wesentlich höher gewesen als in anderen Berufen mit Kundenkontakt. Auch eine Leistungspflicht aus Art. 9 Abs. 2 UVG schloss die Vorinstanz aus, zumal gemäss Angaben der Arbeitgeberinnen das jeweils geltende Schutzkonzept stets eingehalten worden sei, was die Beschwerdeführerin nicht bestritten habe. Auch wenn der Mindestabstand zu allenfalls erkrankten Patientinnen nicht habe eingehalten werden können, sei nicht mit der erforderlichen mindestens 75%igen Wahrscheinlichkeit ausgewiesen, dass sich die Beschwerdeführerin in der gynäkologischen Praxis und nicht im privaten Umfeld wie namentlich in der Familie oder beim Einkaufen angesteckt habe.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, mit der Empfehlung der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG werde der gesetzliche Schutz vor einer Berufskrankheit vereitelt. Sie habe in der Praxis den Mindestabstand zu den Patientinnen nicht einhalten und sich damit nicht hinreichend schützen können. Es sei dabei zu berücksichtigen, dass auch erkrankte Patientinnen in der gynäkologischen Praxis hätten versorgt werden müssen, wobei zudem davon auszugehen sei, dass viele ihre Erkrankung nicht gemeldet hätten. Die Beschwerdeführerin beruft sich des Weiteren darauf, dass in Berufen der Human- und Zahnmedizin das höchste berufsspezifische Ansteckungsrisiko bestehe. Demgegenüber sei dieses in ihrem privaten Umfeld "praktisch null" gewesen, zumal sie mit dem Auto zur Arbeit gefahren sei, ihre Freizeit zu Hause verbracht, beim Einkaufen eine Hygienemaske getragen und den Mindestabstand gewahrt habe. Ihr Ehemann und ihre ältere Tochter hätten die Erkrankung bereits im Dezember 2020 durchgemacht, ihre jüngere Tochter sei zwar zum selben Zeitpunkt wie sie positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden, aber es habe sich um einen anderen Virenstamm gehandelt.  
 
5.  
 
5.1. Gemäss dem jüngst ergangenen bundesgerichtlichen Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 fällt eine Leistungspflicht des Unfallversicherers im Fall einer in einer Klinik tätigen Psychologin ausser Betracht, wenn sie keine akut am Covid-19-Virus erkrankten Patienten betreute. Das Bundesgericht erwog, dass die Zusammenhangsfrage - entsprechend dem Wortlaut der Doppelliste von Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV - vom Verordnungsgeber aufgrund arbeitsmedizinischer Erkenntnisse vorentschieden ist. Es besteht in beweisrechtlicher Hinsicht praxisgemäss (unter Vorbehalt des schlüssigen Gegenbeweises) die natürliche Vermutung, dass eine Berufskrankheit vorliege, wenn eine der dort aufgelisteten Krankheiten aufgetreten ist und der Versicherte die entsprechende im UVV-Anhang umschriebene Tätigkeit verrichtet. Die Vermutung, dass eine Infektionskrankheit durch die Arbeit im Spital verursacht worden sei, rechtfertigt sich indessen nur dann, wenn es sich dabei um eine Tätigkeit mit dem spezifischen Risiko des vom Verordnungsgeber als gesundheitsgefährdend definierten Arbeitsplatzes handelt. Nicht jegliche Tätigkeit in einem Spital oder Laboratorium oder in einer Versuchsanstalt kann somit als gesundheitsgefährdend gelten (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4, insb. E. 4.6 mit Hinweisen, zur Publikation vorgesehen).  
 
5.2. Unbestrittenerweise war die Beschwerdeführerin als Medizinische Praxisassistentin in einer frauenärztlichen Praxis nicht mit der Pflege von akut am Covid-19-Virus erkrankten Patienten beschäftigt. Somit war sie durch ihre Tätigkeit nicht dem spezifischen Ansteckungsrisiko eines gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzes in einem Spital ausgesetzt. Eine Haftung der Beschwerdegegnerin aus Berufskrankheit gestützt auf die Vermutung nach Art. 9 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV fällt daher ausser Betracht.  
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der deutschen Bundesagentur für Arbeit (Bauer/Grienberger/Matthes/Jucknewitz/Schramm, Berufe und Covid-19-Pandemie: Wie hoch ist das berufsspezifische Ansteckungsrisiko? Abrufbar unter: https://www.iab-forum.de/berufe-und-covid-19-pandemie-wie-hoch-ist-das-berufsspezifische-ansteckungsrisiko; besucht am 18. Oktober 2024). Daraus ergeben sich indessen keine neuen Erkenntnisse, die eine Praxisänderung rechtfertigten (BGE 149 II 381 E. 7.3.1 a.E.). 
 
5.3. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich sinngemäss geltend, eine Ansteckung in der gynäkologischen Praxis sei jedenfalls wahrscheinlicher gewesen als in ihrem privaten Umfeld. Weitere Abklärungen dazu erübrigen sich indessen, nachdem eine Haftung des Unfallversicherers mangels Tätigkeit an einem gesundheitsgefährdenden und damit schützenswerten Arbeitsplatz entfällt (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4.8). Des Weiteren besteht auch keine Leistungspflicht gestützt auf Art. 9 Abs. 2 UVG (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4.9).  
 
5.4. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.  
 
6.  
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. Oktober 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo