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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 598/06 
 
Urteil vom 31. Januar 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Parteien 
K.________, 1948, 
Beschwerdeführer, vertreten durch 
Fürsprecher Ismet Bardakci, Aarbergergasse 30, 
3011 Bern, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 6. November 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 29. März 2006 und Einspracheentscheid vom 13. Juli 2006 sprach die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) K.________, geboren 1948, eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 10 % wegen Schwerhörigkeit zufolge Lärmbelastung am Arbeitsplatz zu. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 6. November 2006 ab. 
C. 
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache zur Aktenergänzung, zur Durchführung einer Begutachtung durch einen unabhängigen Experten und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventualiter sei ihm gestützt auf ein gerichtliches Gutachten eine Integritätsentschädigung zuzusprechen. Des Weiteren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Während die SUVA - unter Berufung auf eine (weitere) Stellungnahme des Dr. med. G.________, Facharzt FMH für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten, SUVA Abteilung X.________ - auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Akten der SUVA seien unvollständig, da frühere bei ihm durchgeführte Hörtests nicht beiliegen würden. Dieser Vorwurf ist unzutreffend, sind doch die Unterlagen betreffend die Berufsanamnese und Lärmexposition sowie die angefertigten Audiogramme seit 1970 bzw. 1983 aktenkundig. 
3. 
Geltend gemacht wird des Weiteren, dass zu Unrecht nicht die berufsbedingte Schädigung des Gehörs seit 1970, sondern nur der Zustand seit 1. Januar 1984 berücksichtigt worden sei. Dieser Einwand ist ebenfalls unbegründet: Hat evolutives Geschehen über das Inkrafttreten des UVG am 1. Januar 1984 hinaus angedauert, kann unter dem Titel Integritätsentschädigung nur die nach diesem Zeitpunkt entstandene Verschlimmerung entschädigt werden, da das alte Recht das Institut der Integritätsentschädigung nicht kannte (Urteil J. vom 18. März 1997, U 154/96). 
4. 
Schliesslich wird beanstandet, die SUVA habe die erhebliche Frage, wodurch die nicht entschädigte Tieftonschwerhörigkeit verursacht worden sei, nicht abgeklärt. 
4.1 Gemäss Art. 24 Abs. 1 UVG hat der Versicherte Anspruch auf eine angemessene Integritätsentschädigung, wenn er durch Unfall eine dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität erleidet. Dem Berufsunfall gleichgestellt ist nach Art. 9 Abs. 3 UVG die Berufskrankheit. Als solche gelten nach Art. 9 Abs. 1 UVG Krankheiten, die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. Leidet ein Versicherter an einer Krankheit, die in Ziff. 2 des Anhanges 1 zur UVV aufgeführt ist und hat er - kumulativ - alle oder dort besonders umschriebene Tätigkeiten verrichtet, liegt in der Regel eine Berufskrankheit vor, sofern die Arbeit die Krankheit zumindest zu 50 % verursacht hat (sogenannte Listenkrankheiten). Dazu gehören unter anderem erhebliche Schädigungen des Gehörs bei Arbeiten im Lärm. Die Zusammenhangsfrage ist in diesem Bereich der arbeitsbedingten Erkrankungen - auf Grund arbeitsmedizinischer Erkenntnisse - weitgehend durch den Verordnungsgeber vorentschieden. Von dieser Regel, welche auch als dem (schlüssigen) Gegenbeweis weichende natürliche Vermutung bezeichnet werden kann, ist abzugehen, wenn konkrete Umstände des Einzelfalles klar gegen eine berufliche Verursachung sprechen (BGE 126 V 183 E. 4a S. 188). 
 
 
 
Die Bemessung der Integritätsentschädigung richtet sich laut Art. 25 Abs. 1 UVG nach der Schwere des Integritätsschadens. Gestützt auf Art. 25 Abs. 2 UVG hat der Bundesrat in Anhang 3 zur UVV Richtlinien für die Bemessung der Integritätsschäden aufgestellt und in einer als gesetzmässig erkannten, nicht abschliessenden Skala (BGE 124 V 29 E. 1b S. 32) häufig vorkommende und typische Schäden prozentual gewichtet. Gemäss Tabelle 12 (Integritätsschaden bei Schädigung des Gehörs, genehmigt durch die Kommission für Audiologie und Expertenwesen, ORL-Gesellschaft CH) wird der Hörverlust primär gestützt auf ein Reintonaudiogramm ermittelt. 
4.2 Im vorliegenden Fall ist aufgrund der durch die SUVA und die behandelnde Ärztin durchgeführten Audiogramme belegt, dass der Beschwerdeführer sowohl an Hochton- wie auch an Tieftonschwerhörigkeit leidet. Die Hochtonschwerhörigkeit konnte erst beim Reintonaudiogramm vom 6. Dezember 1999 - in Form eines leichten Abfalles - nachgewiesen werden; in der Folge nahm diese Schwerhörigkeit in den höheren Frequenzen bis zum weiteren Reintonaudiogramm vom 10. Mai 2004 deutlich zu, während die tiefen Frequenzen damals noch kaum betroffen waren, wie der SUVA-Arzt in seiner letztinstanzlich eingereichten Beurteilung vom 26. März 2007 nochmals ausführlich darlegt. 
4.3 Wie bereits die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, geht aus den Stellungnahmen des Dr. med. G.________ vom 6. Juli 2006 und 18. August 2006 sowie aus der Beurteilung vom 26. März 2007 schlüssig und nachvollziehbar hervor, dass eine Tieftonschwerhörigkeit nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde nicht durch Berufslärm verursacht wird, sondern dadurch erst die Frequenzen um 4000 Hz in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Tieftonabfall steht nach Angaben des SUVA-Arztes vorwiegend in Zusammenhang mit endodegenerativen Innenohrprozessen, die häufig im Rahmen einer Kreislaufkrankheit beobachtet würden. Dr. med. G.________ führt weiter aus, die Tatsache, dass sich ein ausgeprägter Tieftonabfall beim Beschwerdeführer seit dem 10. Mai 2004 bis zum nächsten Audiogramm vom 14. Februar 2006 relativ rasch eingestellt habe - eine nach seiner langjährigen Erfahrung aussergewöhnliche Verschlechterung - und der Versicherte unter anderem wegen einem Herzleiden voll arbeitsunfähig sei, spreche dagegen, dass die Schädigung des Gehörs, welche das Reintonaudiogramm vom 14. Februar 2006 widerspiegle, vorwiegend durch die berufliche Lärmarbeit verursacht worden sei. 
4.4 Auf diese Beurteilung kann mit dem kantonalen Gericht abgestellt werden. Insbesondere spricht es nicht gegen die Beweiskraft der Stellungnahme, dass ein anstaltsinterner Arzt sie verfasst hat (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f., AHI 2001 S. 112 [I 128/98] E. 3b/ee mit Hinweisen). Im Übrigen hat sich Frau Dr. med. N.________ in ihrem Bericht vom 11. April 2006 nur zur Notwendigkeit eines Hörgeräts, nicht aber zur Kausalität der Schwerhörigkeit geäussert. Diesbezügliche weitere Abklärungen sind nicht erforderlich. 
 
Damit ist gestützt auf die Einschätzung des Dr. med. G.________ davon auszugehen, dass die Schwerhörigkeit nur insoweit berufsbedingt ist, als sie auf einem Hochtonabfall beruht, nicht jedoch insofern, als es sich um eine Tieftonschwerhörigkeit handelt. 
4.5 Der Hörschaden beträgt insgesamt rechts 48,7 %, links 49,1 %; gemäss Einschätzung des Dr. med. G.________ entspricht die berufslärmbedingte Hochtoninnenohrschwerhörigkeit einem monauralen Hörverlust von je (rechts und links) 40 %. Bei binauralem Hörverlust ist die Integritätsentschädigung damit gemäss SUVA-Tabelle 12 auf 10 % festzusetzen. Der angefochtene Entscheid ist somit zu bestätigen. 
5. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG; E. 1). Die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 Abs. 2 OG) kann gewährt werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war (BGE 125 V 371 E. 5b S. 372 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer wird indessen darauf aufmerksam gemacht, dass er gemäss Art. 152 Abs. 3 OG der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn er später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
4. 
Fürsprecher Ismet Bardakci wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- ausgerichtet. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 31. Januar 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Widmer Durizzo