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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_402/2022  
 
 
Urteil vom 31. Juli 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Hartmann, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Zollinger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
handelnd durch A.________, 
3. C.________, 
handelnd durch A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Grosser Rat des Kantons Thurgau, 
Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld, 
Regierungsrat des Kantons Thurgau, 
Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Beschluss des Grossen Rats des Kantons Thurgau vom 12. Januar 2022 betreffend die Änderung des Gesetzes über die Volksschule des Kantons Thurgau, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Grossen Rats des Kantons Thurgau vom 12. Januar 2022. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der Grosse Rat des Kantons Thurgau stimmte an der Sitzung vom 12. Januar 2022 der Änderung des Gesetzes des Kantons Thurgau vom 29. August 2007 über die Volksschule (VG/TG; RB 411.11) mit 103 zu 13 Stimmen zu (ABl. Nr. 3/2022, S. 134 f.). Dabei wurde eine vorschulische Sprachförderung für Kinder eingeführt, welche das dritte Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres vollenden und einen sprachlichen Förderbedarf aufweisen. 
 
B.  
Zur Durchführung der vorschulischen Sprachförderung klärt die Schulgemeinde den sprachlichen Förderbedarf gemäss den Vorgaben des Kantons ab und entscheidet, ob ein Angebot der vorschulischen Sprachförderung besucht werden muss. Der neu eingefügte § 41c VG/TG bestimmt die Pflichten der Erziehungsberechtigten bei der vorschulischen Sprachförderung wie folgt: 
 
" 1 Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, bei der Abklärung des Förderbedarfs und bei der Umsetzung der vorschulischen Sprachförderung mitzuwirken. 
 
2 Die Erziehungsberechtigten sind im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht für den 
Weg zu einem Angebot der vorschulischen Sprachförderung verantwortlich. 
 
3 Die Schulgemeinde kann von den Erziehungsberechtigten einkommensabhängige Beiträge von maximal Fr. 800 pro Jahr verlangen. Von bedürftigen Erziehungsberechtigten werden keine Beiträge verlangt. 
 
4 Erziehungsberechtigte, die Pflichten verletzen, welche sich aus den Vorschriften zur vorschulischen Sprachförderung ergeben, werden auf Antrag der Schulbehörde mit Busse bestraft." 
 
Die Referendumsfrist für die Änderung vom 12. Januar 2022 lief am 21. April 2022 unbenutzt ab (ABl. Nr. 17/2022, S. 1203). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 20. Mai 2022 gelangen A.________, B.________ und C.________ an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung von § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG in der Fassung vom 12. Januar 2022. Sie machen unter anderem geltend, die kantonale Bestimmung sei nicht mit dem in Art. 19 BV verankerten Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht vereinbar. 
 
C.a. Mit Verfügung vom 25. Mai 2022 sistierte die Präsidentin der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung das bundesgerichtliche Verfahren, da der Beschluss über das definitive Zustandekommen (Erwahrungsbeschluss) der Änderung vom 12. Januar 2022 noch nicht veröffentlicht worden war. Nachdem die Staatskanzlei des Kantons Thurgau bestätigte, dass die angefochtene Änderung vom 12. Januar 2022 durch den unbenutzten Ablauf der Referendumsfrist gültig zustande gekommen sei und der Kanton Thurgau weder die Promulgation noch die Erwahrung kenne, ordnete die Abteilungspräsidentin mit Verfügung vom 4. August 2022 die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Das Gesuch der Beschwerdeführer um Erteilung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Präsidialverfügung vom 5. Oktober 2022 unter anderem mit dem Hinweis abgewiesen, die Änderung vom 12. Januar 2022 werde voraussichtlich erst auf den 1. Januar 2024 in Kraft treten.  
 
C.b. Der Grosse Rat des Kantons Thurgau und der Regierungsrat des Kantons Thurgau (nachfolgend auch: Beschwerdegegner) nehmen mit Beschwerdeantwort vom 25. Oktober 2022 Stellung und beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Sie stellen sich namentlich auf den Standpunkt, die vorschulische Sprachförderung und die neue Regelung in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG liege ausserhalb des Grundschulunterrichts und werde von Art. 19 BV nicht erfasst. Die Beschwerdeführer replizieren mit Eingabe vom 1. Dezember 2022, woraufhin die Beschwerdegegner mit Eingabe vom 7. Februar 2023 duplizieren. Die Verfahrensbeteiligten halten jeweils an ihren Anträgen fest.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1). 
 
1.1. Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen kantonale Erlasse (Art. 82 lit. b BGG; sogenannte hauptfrageweise oder abstrakte Normenkontrolle; vgl. BGE 143 I 1 E. 1.1). Vorliegend richtet sich die Beschwerde gegen zwei Absätze des neu in das Gesetz des Kantons Thurgau vom 29. August 2007 über die Volksschule eingefügten § 41c. Dies ist zulässig, da es sich um eine Bestimmung eines kantonalen Erlasses im Sinne von Art. 82 lit. b BGG handelt (vgl. auch Urteile 2C_106/2022 vom 2. November 2022 E. 1.2; 2C_206/2016 vom 7. Dezember 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 144 I 1).  
Die Kantone sind weder durch die Bundesverfassung noch durch ein Bundesgesetz verpflichtet, kantonale Instanzen zur hauptfrageweisen (abstrakten) Überprüfung der Verfassungsmässigkeit ihrer Erlasse einzusetzen. Verzichtet ein Kanton, wie der Kanton Thurgau, auf die Möglichkeit der innerkantonalen abstrakten Normenkontrolle, entfällt dadurch die Pflicht, den innerkantonalen Instanzenzug zu durchlaufen. Vorliegend ist der kantonale Erlass vor Bundesgericht unmittelbar Anfechtungsobjekt (Art. 87 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 143 I 1 E. 1.2; 142 V 395 E. 1.1; § 54 Abs. 1bis Ziff. 1 und Ziff. 4 des Gesetzes des Kantons Thurgau vom 23. Februar 1981 über die Verwaltungsrechtspflege [VRG/TG; RB 170.1]; vgl. auch § 55a VRG/TG) der frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichten Eingabe. 
 
1.2. Gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. b und lit. c BGG ist zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein. Virtuelles Berührtsein setzt voraus, dass die beschwerdeführende Person von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen ist (vgl. BGE 142 V 395 E. 2 und E. 4; Urteil 2C_604/2020 vom 9. November 2020 E. 1.3).  
Die Beschwerdegegner bestreiten, dass der Beschwerdeführer 1 als Sekundarschullehrer und Lehrbeauftragter an einer pädagogischen Hochschule von der Gesetzesänderung virtuell berührt sei. Er könne seinen eigenen Kindern Deutschkenntnisse vermitteln, sodass diese die vorschulische Sprachförderung nicht besuchen müssten. Den Beschwerdegegnern ist nicht zu folgen: Wie im Folgenden ersichtlich ist (vgl. E. 3.4.2 f. hiernach), betrifft die Vorlage der vorschulischen Sprachförderung sämtliche Eltern von Kindern, die bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres das dritte Altersjahr vollenden, da die Eltern bei der Abklärung des sprachlichen Förderbedarfs mitwirken müssen. Davon ist auch der Beschwerdeführer 1 betroffen, wenn er Kinder in diesem Alter hat oder hätte. Überdies ist ein direkter Zusammenhang zwischen dem Beruf, der Ausbildung oder der Muttersprache der Eltern und der Notwendigkeit, dass deren Kinder ein Angebot der vorschulischen Sprachförderung zu absolvieren haben, nicht zwangsläufig gegeben (vgl. auch Urteil 2C_206/2016 vom 7. Dezember 2017 E. 1.2.3, nicht publ. in: BGE 144 I 1). Daher ist nicht auszuschliessen, dass alle Beschwerdeführer - auch der Beschwerdeführer 1 - von § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG betroffen sein können. Die Beschwerdeführer sind somit zur Beschwerdeerhebung legitimiert. 
 
1.3. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten.  
 
2.  
Mit der Beschwerde kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), wobei es - unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen prüft, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. BGE 142 I 135 E. 1.5; 133 II 249 E. 1.4.1). Der Verletzung von Grundrechten geht das Bundesgericht nur nach, falls eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 II 44 E. 1.2; 143 II 283 E. 1.2.2). Diese qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit nach Art. 106 Abs. 2 BGG verlangt, dass in der Beschwerde klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids dargelegt wird, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (vgl. BGE 143 I 1 E. 1.4; 133 II 249 E. 1.4.2). 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normkontrolle massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der mit den angerufenen Verfassungs- oder EMRK-Garantien vereinbar ist. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt (vgl. BGE 148 I 160 E. 2; 140 I 2 E. 4). 
 
3.  
Unter den Verfahrensbeteiligten ist im Wesentlichen umstritten, ob die (Kostenbeteiligungs-) Regelung in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG mit dem Anspruch auf Unentgeltlichkeit nach Art. 19 BV und Art. 62 Abs. 2 BV vereinbar ist. 
 
3.1. Die Beschwerdeführer rügen insbesondere eine Verletzung von Art. 19 BV. Sie bringen vor, das Bundesgericht habe bereits mit dem amtlich publizierten Urteil 2C_206/2016 vom 7. Dezember 2017 (BGE 144 I 1) eine Regelung aufgehoben, mit dem der Kanton Thurgau den Eltern der Schüler und Schülerinnen, die zum Besuch von zusätzlichen Sprachkursen verpflichtet worden wären, eine Kostenbeteiligung habe auferlegen wollen. Sie machen geltend, mit der Einführung der neuen Regelung in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG unternehme der Kanton Thurgau erneut den Versuch, die Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts aufzuweichen. Der Kanton Thurgau führe ein flächendeckendes Obligatorium ein. In diesem Rahmen kläre die Schulgemeinde den sprachlichen Förderbedarf der Kinder, die das dritte Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres vollenden würden, ab und verpflichte die Kinder mit sprachlichem Förderbedarf zum Besuch eines Angebots der vorschulischen Sprachförderung. Die Beschwerdegegner gingen selbst davon aus, dass von der Besuchspflicht rund 20-30 % der Kinder einer Alterskohorte betroffen seien. Damit verlege der Kanton Thurgau den obligatorischen Grundschulunterricht in Form von verpflichtenden Sprachförderungskursen mit Bussenandrohung vor. Entsprechend sei eine Kostenbeteiligung der Erziehungsberechtigten ausgeschlossen und die Regelung in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG nicht mit Art. 19 BV vereinbar.  
 
3.2. Die Beschwerdegegner bringen vor, die vorschulische Sprachförderung betreffe nur einen kleinen Teil einer Alterskohorte und finde nicht im Rahmen des Grundschulunterrichts statt. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass damit lediglich eine selektive Verpflichtung zum Besuch der vorschulischen Sprachförderung zur Diskussion stehe. Das bloss selektive Obligatorium für den Besuch von Sprachkursen könne indes nicht zur obligatorischen Schulzeit gezählt werden, da die vorschulische Sprachförderung nicht zum notwendigen Grundschulunterricht gehöre. Dies ergebe sich, so die Beschwerdegegner weiter, namentlich aus dem Umstand, dass keine Lernziele gemäss Lehrplan erreicht und nur wenige Stunden pro Woche besucht werden müssten. Mit der Vorlage über die vorschulische Sprachförderung werde der Grundschulunterricht nicht "nach unten" ausgeweitet. Die vorschulische Sprachförderung falle folglich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 19 BV. Nur beim allgemein obligatorisch erklärten Schulunterricht bestehe aber ein Anspruch auf Unentgeltlichkeit nach Art. 19 BV. Entsprechend könne in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG unter anderem eine Kostenbeteiligung der Erziehungsberechtigten eingeführt werden.  
 
3.3. Gemäss Art. 19 BV ist der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewährleistet.  
 
3.3.1. Art. 19 BV begründet den rechtlich durchsetzbaren verfassungsmässigen Individualanspruch auf eine positive staatliche Leistung im Bildungsbereich. Die Norm umschreibt damit ein soziales Grundrecht. Die Schulhoheit liegt indes bei den Kantonen (vgl. Art. 62 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 3 BV). Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht, der allen Kindern offensteht. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht. An öffentlichen Schulen ist er unentgeltlich (vgl. Art. 62 Abs. 2 BV). Aus der Sicht der Schulpflichtigen verbriefen die Art. 19 BV und Art. 62 BV ein "Pflichtrecht" (vgl. auch BGE 146 I 20 E. 5.2.2) : Dem individuellen Rechtsanspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht steht die individuelle Rechtspflicht zum Besuch des Unterrichts gegenüber, was ein besonderes Rechtsverhältnis zwischen Schulträger und Schulpflichtigen begründet (vgl. BGE 144 I 1 E. 2.1; 140 I 153 E. 2.3.1 f.).  
 
3.3.2. Der Anspruch auf ausreichenden Unterricht umfasst einen Unterricht, der für die Einzelne und den Einzelnen angemessen und geeignet sein muss und der genügt, um die Schülerinnen und Schüler angemessen auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten (vgl. BGE 144 I 1 E. 2.2; 138 I 162 E. 3.1). Allerdings besteht mit Rücksicht auf das begrenzte staatliche Leistungsvermögen kein Anspruch auf den idealen oder optimalen Unterricht (vgl. BGE 138 I 162 E. 4.6.2; vgl. auch BGE 141 I 9 E. 3.3). Der Anspruch wird verletzt, wenn die Ausbildung des Kindes in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist, oder wenn es Lehrinhalte nicht vermittelt erhält, die in der hiesigen Wertordnung als unverzichtbar gelten (vgl. BGE 130 I 352 E. 3.2). Der Anspruch auf Unentgeltlichkeit schliesst die Erhebung von Schulgeld aus, wobei sich dies primär auf öffentliche Schulen und die Dauer der obligatorischen Schulzeit bezieht (vgl. BGE 144 I 1 E. 2.2).  
 
3.3.3. Auch der individuell nötige Zusatzunterricht (z.B. Stützkurse, Unterricht für Fremdsprachige, Begabtenförderkurse) ist - jeweils im Rahmen des tatsächlichen Angebots und unter Berücksichtigung des begrenzten staatlichen Leistungsvermögens - vom Anspruch auf Unentgeltlichkeit erfasst. Erachtet eine Schule einen Sprachkurs als notwendig, damit das betroffene Kind ein ausreichendes Bildungsangebot erhält, darf sie aufgrund von Art. 19 BV und Art. 62 Abs. 2 BV keine finanzielle Beteiligung von den Eltern verlangen. Andernfalls kann die gebotene Chancengleichheit nicht gewahrt werden (vgl. BGE 144 I 1 E. 3.2.3; 141 I 9 E. 4.1; vgl. auch Kägi-Diener/Bernet, in: Ehrenzeller/Egli/Hettich/Hongler/Schindler/Schmid/Schweizer [Hrsg.], St. Galler Kommentar, Die schweizerische Bundesverfassung, 4. Aufl. 2023, N. 59 zu Art. 19 BV; MATTHEY, in: Martenet/Dubey [Hrsg.], Commentaire romand, Constitution fédérale, 2021, N. 19-32 zu Art. 19 BV).  
 
3.4. Um die Verfassungsmässigkeit von § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG zu beurteilen, ist im Folgenden die Ausgestaltung des Obligatoriums, das der Kanton Thurgau mit der Gesetzesvorlage der vorschulischen Sprachförderung einführt, im Detail zu betrachten.  
 
3.4.1. Gemäss der Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 8. Juni 2021 zur Änderung des Gesetzes des Kantons Thurgau über die Volksschule (nachfolgend: Botschaft RR/TG) stellt das Obligatorium eine Massnahme dar, um die Sprachkompetenz und die Deutschkenntnisse von Vorschulkindern zu fördern. Mit dem selektiven Obligatorium würden gezielt diejenigen Kinder zur vorschulischen Sprachförderung verpflichtet, bei denen entsprechende Defizite bestünden, und es könne - anders als mit den bestehenden freiwilligen Angeboten - die Erreichbarkeit aller Kinder gewährleistet werden. Die gezielte Förderung der Sprachkompetenz erhöhe später die schulische Chancengerechtigkeit (vgl. Botschaft RR/TG, Ziff. 1.1). Gemäss dem in den Akten befindlichen Dokument "Informationen für Schulgemeinden" geht das Amt für Volksschule des Kantons Thurgau davon aus, dass rund 25 % der Kinder einen Förderbedarf aufwiesen (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
3.4.2. Nach dem soeben Dargelegten ist ersichtlich, dass die Umsetzung der vorschulischen Sprachförderung mit einer obligatorischen, flächendeckenden Erfassung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder einhergeht, die das dritte Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres vollenden. Die Eltern aller Kinder einer Alterskohorte sind unter Bussenandrohung verpflichtet, bei der Erfassung der Fähigkeiten und der Abklärung des Förderbedarfs mitzuwirken (vgl. § 41c Abs. 1 VG/TG i.V.m. § 41c Abs. 4 VG/TG). Somit sind zunächst sämtliche, im Kanton Thurgau wohnhaften Kinder vom Obligatorium zum Besuch eines Angebots der vorschulischen Sprachförderung potenziell betroffen.  
Alsdann entscheidet die Schulgemeinde mittels anfechtbarem Entscheid, ob ein Angebot der vorschulischen Sprachförderung besucht werden muss (vgl. § 41b Abs. 2 VG/TG; Botschaft RR/TG, S. 5 i.f.). Wird der Besuch eines Angebots der vorschulischen Sprachförderung verfügt, sind die Eltern wiederum unter Bussenandrohung verpflichtet, ihre Kinder (mit Förderbedarf) ein Angebot der vorschulischen Sprachförderung besuchen zu lassen (vgl. § 41c Abs. 1 VG/TG i.V.m. § 41c Abs. 4 VG/TG). Faktisch führt die Gesetzesvorlage folglich ein allgemeines Obligatorium ein, von dem gewisse Kinder - nämlich jene ohne Förderbedarf - in einem zweiten Schritt wieder befreit werden. 
 
3.4.3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mehr von einem "selektiven" Obligatorium sprechen. Die vorschulische Sprachförderung zielt zunächst auf sämtliche Kinder einer bestimmten Alterskohorte (Vollendung des dritten Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres). Auch wenn dabei nur der Förderbedarf abgeklärt wird, handelt es sich um ein allgemeines Obligatorium. Daran ändert nichts, dass in der Folge nur jene Kinder zum Besuch eines Angebots der vorschulischen Sprachförderung verpflichtet werden, die auch einen Förderbedarf aufweisen. Grundsätzlich wird damit die Schulpflicht für sämtliche Kinder um ein Jahr vorverlegt (vgl. § 37 Abs. 1 VG/TG, wonach bei Vollendung des vierten Altersjahres bis zum 31. Juli ab dem neuen Schuljahr der Kindergarten zu besuchen ist). Lediglich die Kinder, die keinen Förderbedarf aufweisen, werden von der Pflicht, ein Angebot der vorschulischen Sprachförderung zu besuchen, wieder befreit.  
 
3.4.4. An der Ausweitung der Schulpflicht auf die Kinder, die das dritte Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres vollenden, ändert entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner auch nichts, dass im Rahmen der vorschulischen Sprachförderung keine Lernziele gemäss Lehrplan erreicht und nur wenige Stunden pro Woche besucht werden müssen. Die Verpflichtung zum Besuch eines Angebots der vorschulischen Sprachförderung zielt, wie der Regierungsrat in seiner Botschaft darlegt, auf die Erhöhung der schulischen "Chancengerechtigkeit" (Botschaft RR/TG, Ziff. 1.1). Damit geben die Beschwerdegegner indes selbst zu erkennen, dass sie die Sprachförderung und das entsprechende Angebot als notwendig erachten, um alle Kinder angemessen auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten, andernfalls die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist (vgl. auch E. 3.3.2 hiervor).  
 
3.4.5. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Kanton Thurgau mit der Gesetzesvorlage der vorschulischen Sprachförderung ein Schulobligatorium einführt und die Schulpflicht auf alle Kinder ausdehnt, die das dritte Altersjahr bis zum 31. Juli des jeweiligen Jahres vollenden.  
 
3.5. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der verfassungsrechtliche Anspruch auf Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts "als notwendiges Gegenstück zum Schulobligatorium" zu verstehen (Urteil 2C_433/2011 vom 1. Juni 2012 E. 3.3; vgl. auch BGE 145 I 142 E. 5.4).  
 
3.5.1. In diesem Sinne gilt rechtsprechungsgemäss, dass der Kindergarten vom Anwendungsbereich von Art. 19 BV und dem Anspruch auf Unentgeltlichkeit erfasst wird, soweit er obligatorisch ist (vgl. BGE 146 I 20 E. 4.2; 145 I 142 E. 5.4; 140 I 153 E. 2.3.1; Urteile 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019 E. 5.2.1; 2C_433/2011 vom 1. Juni 2012 E. 3.3). Gleich muss es sich mit der vorliegend zu beurteilenden obligatorischen, vorschulischen Sprachförderung verhalten. Der Kanton Thurgau hat sich dazu entschieden, diese Förderungsmassnahme verpflichtend auszugestalten. Die Gesetzesvorlage unterscheidet sich damit von Angeboten, die freiwillig in Anspruch genommen werden können - wie beispielsweise die anderweitige Frühförderung, der freiwillige Kindergarten oder die fakultative Spielgruppe. Soweit die Beschwerdegegner im Übrigen auf die "sprachliche Förderung in Deutsch vor der Einschulung" im Kanton Basel-Stadt Bezug nehmen, ist darauf hinzuweisen, dass die dortige Verpflichtung zur frühen Deutschförderung unentgeltlich ausgestaltet ist (vgl. § 4 i.V.m. § 11 Abs. 1 der Verordnung des Kantons Basel-Stadt vom 26. April 2016 über die sprachliche Förderung in Deutsch vor der Einschulung [SG 412.400]). Die Beschwerdeführer machen somit zu Recht geltend, dass die obligatorische Ausgestaltung der vorschulischen Sprachförderung die Unentgeltlichkeit des zwingend zu besuchenden Angebots nach sich ziehen muss.  
 
3.5.2. Hinzu kommt, dass die Einführung der vorschulischen Sprachförderung in ihrer Wirkung dazu führen soll, dass die betroffenen Kinder im Rahmen des darauffolgenden (obligatorischen) Kindergartens sowie der Primar- und Sekundarschule von einer verbesserten "Chancengerechtigkeit" profitieren. Mit der Einführung der vorschulischen Sprachförderung sollen gewissermassen die nachfolgenden Schulstufen von später notwendig werdenden Massnahmen, wie zusätzlichen Sprachkursen, entlastet werden, die zur Gewährleistung der Chancengleichheit erforderlich wären. Das Bundesgericht hat allerdings bereits festgehalten, dass es mit Art. 19 BV, der auch die Wahrung der Chancengleichheit bezweckt, nicht vereinbar ist, für den zusätzlichen Sprachunterricht Kosten zu erheben (vgl. BGE 144 I 1 E. 3.2.3). Dieser Grundsatz gilt auch für den notwendigen Sprachunterricht, der vorgängig erfolgt, damit dieser später nicht zusätzlich und parallel zum übrigen Grundschulunterricht stattfinden muss. Dementsprechend erweist sich die in § 41c Abs. 3 VG/TG vorgesehene Kostenbeteiligung der Erziehungsberechtigten für das obligatorisch von ihren Kindern zu besuchende Angebot der vorschulischen Sprachförderung als verfassungswidrig.  
 
3.5.3. Aus der in Art. 19 BV garantierten Unentgeltlichkeit ergibt sich überdies auch ein Anspruch auf Übernahme der Transportkosten, wenn der Schulweg wegen übermässiger Länge oder Gefährlichkeit dem Kind nicht zugemutet werden kann (vgl. BGE 140 I 153 E. 2.3.3; 133 I 156 E. 3.1; Urteile 2C_714/2021 vom 8. Juni 2022 E. 5.1; 2C_1022/2021 vom 6. April 2023 E. 5.3 i.f.; 2C_1063/2015 vom 16. März 2017 E. 4.2; 2C_433/2011 vom 1. Juni 2012 E. 3.2). § 41c Abs. 2 VG/TG, wonach die Erziehungsberechtigten für den Weg zu einem Angebot der vorschulischen Sprachförderung verantwortlich sind, ist in seiner absoluten Formulierung ebenfalls nicht mit Art. 19 BV vereinbar, zumal sich das Angebot der vorschulischen Sprachförderung im Wesentlichen an 4-jährige Kinder richtet. Aufgrund der verpflichtenden Ausgestaltung der vorschulischen Sprachförderung ist der Beschwerdegegner gehalten, die ortsnahe und angemessene Erreichbarkeit der obligatorischen Angebote in der jeweiligen Schulgemeinde sicherzustellen oder aber für die Transportkosten aufzukommen.  
 
3.6. Nach dem Dargelegten verstösst die kantonale Regelung in § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG gegen den Anspruch auf Unentgeltlichkeit und ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 19 BV einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich. § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG sind dementsprechend aufzuheben.  
Ob daneben, wie von den Beschwerdeführern gerügt, auch weitere verfassungsmässige Rechte - namentlich Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 BV, Art. 9 BV, Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 13 Abs. 1 BV oder Art. 18 BV - verletzt sind, kann damit offenbleiben. 
 
4.  
Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde als begründet, weshalb sie gutzuheissen ist. § 41c Abs. 2 und Abs. 3 VG/TG in der Fassung vom 12. Januar 2022 sind aufzuheben. 
Diesem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet, da die Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten sind (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. § 41c Abs. 2 und Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Thurgau vom 29. August 2007 über die Volksschule in der Fassung vom 12. Januar 2022 werden aufgehoben. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. Juli 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Zollinger