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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_292/2019  
 
 
Urteil vom 8. April 2019  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Businger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Dr. Martin Kaiser, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern, 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern. 
 
Gegenstand 
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 15. Februar 2019 (100.2018.68U). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geboren 1972) ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. August 1978 in die Schweiz ein und erhielt zuerst eine Aufenthalts- und später die Niederlassungsbewilligung. Aus seiner ersten Ehe mit B.________ entstammen drei Töchter (geboren 1997, 1999 und 2004). B.________ verstarb 2006; die Töchter leben seit 2009 bei ihren Grosseltern in der Türkei. In der Folge heiratete A.________ die türkische Staatsangehörige C.________. Die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder (geboren 2008 und 2012). Die Familie war zuletzt in U.________ wohnhaft. Nachdem der Sohn den Kindergarten nicht besuchte und die Familie wiederholt nicht kontaktiert werden konnte, meldete die Einwohnergemeinde U.________ die Familie am 16. September 2014 mit Wegzug nach unbekannt ab. Am 26. Oktober 2016 meldete sich A.________ bei der Gemeinde und gab an, dass seine Ehefrau und die Kinder in der Türkei lebten, während er selber nicht weggezogen sei.  
 
1.2. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2017 stellte das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung von A.________ fest und wies ihn aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern am 6. Februar 2018 und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 15. Februar 2019 ab.  
 
1.3. Mit Beschwerde vom 21. März 2019 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und von der Feststellung des Erlöschens der Niederlassungsbewilligung bzw. der Wegweisung sei abzusehen. Ihm sei die Niederlassungsbewilligung bzw. eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Zudem ersuchte er um aufschiebende Wirkung. Das Bundesgericht hat weder die vorinstanzlichen Akten beigezogen noch andere Instruktionsmassnahmen verfügt. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.  
 
2.  
Gegen einen Entscheid betreffend Erlöschen der Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, da die Bewilligung einen grundsätzlichen Aufenthaltsanspruch gibt. Nachdem der Beschwerdeführer in vertretbarer Weise ein Aufenthaltsrecht aus dem Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK) geltend macht, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auch in Bezug auf den Antrag, eine (neue) Bewilligung zu erteilen, zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Sie ist aber offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid abzuweisen ist. 
 
3.  
Die Vorinstanz hat erwogen, dass die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers von Gesetzes wegen erloschen sei, nachdem er sich zwischen November 2013 und Oktober 2016 fast durchwegs in der Türkei aufgehalten habe, ohne ein Gesuch um Aufrechterhaltung seiner Bewilligung zu stellen (vgl. E. 3 des angefochtenen Urteils). Die vorzeitige Wiedererteilung der Niederlassungsbewilligung sei nicht möglich (vgl. E. 4). Mit diesen Erwägungen setzt sich der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise auseinander. Seine pauschale Rüge, er sei entgegen der Darstellung der Vorinstanz nicht in die Türkei zurückgekehrt (S. 11 f. der Beschwerde), genügt nicht, um die für das Bundesgericht verbindliche vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 1 BGG) infrage zu stellen. In Bezug auf das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde unbegründet. 
 
4.  
Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung aus Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK ableiten kann, weil er sich vor seiner Ausreise 35 Jahre lang in der Schweiz aufgehalten hat. 
 
4.1. Gemäss neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist nach einer rechtmässigen Aufenthaltsdauer von rund zehn Jahren von so engen sozialen Beziehungen in der Schweiz auszugehen, dass es für eine Aufenthaltsbeendigung besonderer Gründe bedarf. Im Einzelfall kann es sich aber auch anders verhalten und die Integration trotz der Anwesenheit während mehr als zehn Jahren für die Aufrechterhaltung der Bewilligung (noch) nicht genügen. Umgekehrt ist es möglich, dass sich der Anspruch auf Achtung des Privatlebens durch die Verweigerung des (weiteren) Aufenthalts schon zu einem früheren Zeitpunkt als betroffen bzw. verletzt erweist. Liegt nach einer längeren bewilligten Aufenthaltsdauer, die zwar zehn Jahre noch nicht erreicht hat, bereits eine besonders ausgeprägte Integration vor (nebst engen sozialen Beziehungen namentlich in sprachlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht), kann es den Anspruch auf Schutz des Privatlebens verletzen, wenn eine Bewilligung nicht erneuert wird (BGE 144 I 266 E. 3.9 mit Hinweisen).  
 
4.2. Die Vorinstanz hat ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Alter von fünf Jahren in die Schweiz gelangt sei. Er habe 35 Jahre lang in der Schweiz gelebt, bevor er 2013 in die Türkei zurückgekehrt sei. Trotz der langen Aufenthaltsdauer habe er sich mangelhaft integriert. Seine sprachlichen Fähigkeiten seien schlechter, als bei einer derart langen Anwesenheit erwartet werden dürfe. Auch wirtschaftlich sei die Integration nicht gelungen - nach Abschluss der Schule habe er weder eine Lehre noch ein Studium gemacht. Er arbeite nach eigenen Angaben als Schuhmacher oder Chauffeur. Seine erste Familie habe im Kanton Basel-Landschaft von 1997 bis 2002 mit Sozialhilfe in Höhe von Fr. 60'648.-- unterstützt werden müssen. Auch nach dem Wegzug in den Kanton Zürich habe die Familie Sozialhilfe bezogen. Gegen den Beschwerdeführer hätten Betreibungen bzw. Verlustscheine an seinen Wohnorten in den Kantonen Basel-Landschaft (Fr. 2'980.05 bzw. Fr. 11'858.35), Zürich (Fr. 15'878.85 bzw. Fr. 77'107.75) und Bern (Fr. 65'687.90 bzw. Fr. 3'443.80) bestanden. Seit 1. Dezember 2017 arbeite der Beschwerdeführer als Schuhmacher bei seinem Bruder und verdiene brutto Fr. 2'800.-- pro Monat. Weiter sei er im Umgang mit Behörden nicht kooperativ gewesen, was von einer Gleichgültigkeit gegenüber den hiesigen Gepflogenheiten zeuge (vgl. E. 5.2.4 und E. 5.2.5 des angefochtenen Urteils). Der Beschwerdeführer sei wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten und insgesamt fünfmal verurteilt worden, zuletzt am 24. September 2009 wegen Betrugs, Urkundenfälschung, Vergehens gegen das Waffengesetz etc. (Freiheitsstrafe von 12 Monaten) und am 29. August 2013 wegen mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Geldstrafe von 45 Tagessätzen à Fr. 30.--). Alleine bis Ende November 2007 sei ihm achtmal der Führerausweis entzogen worden. Zudem sei er mehrfach während laufender Probezeit erneut straffällig geworden. Nach der vierten Verurteilung sei er sodann am 6. Mai 2010 ausländerrechtlich verwarnt worden (vgl. E. 5.2.6 des angefochtenen Urteils). Seine drei Töchter aus erster Ehe lebten bereits seit neun Jahren in seinem Herkunftsstaat. Auch seine zweite Ehefrau und die gemeinsamen Kinder lebten mittlerweile dort. Seine Bindungen zum Herkunftsstaat, in dem er sich während der letzten fünf Jahre mehrheitlich aufgehalten habe, seien deutlich enger als die Bindungen zur Schweiz. Sein Interesse am Verbleib in der Schweiz liege lediglich in der Beziehung zu seinen Geschwistern und in seiner beruflichen Tätigkeit, wobei fraglich sei, ob er dauerhaft existenzsichernd auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt Fuss fassen könne. Angesichts dieser Umstände könne der Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht aus dem Anspruch aus Privatleben ableiten (vgl. E. 5.2.7 f. des angefochtenen Urteils).  
 
4.3. Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzlichen Erwägungen vorbringt, überzeugt nicht:  
 
4.3.1. Soweit der Beschwerdeführer rügt, er erfülle mit seinem Verhalten keinen Widerrufsgrund, übersieht er, dass es im vorliegenden Fall nicht um einen Widerruf geht, sondern um die Frage, ob er genügend fest in die hiesigen Verhältnisse integriert ist, damit er nach mehrjähriger Abwesenheit (vorne E. 3) einen Anspruch auf Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung aus dem Anspruch auf Achtung des Privatlebens ableiten kann. Erst wenn der Aufenthaltsanspruch bejaht werden sollte, wäre das Vorliegen von Widerrufsgründen zu prüfen (Urteil 2C_1035/2017 vom 20. Juli 2018 E. 5.3). Somit spielt es keine Rolle, ob der frühere Sozialhilfebezug, die Schuldenwirtschaft und die Straffälligkeit des Beschwerdeführers für sich alleine ausreichen würden, um einen Widerruf zu rechtfertigen. Ebenso kann der Beschwerdeführer nichts aus dem Umstand ableiten, dass er im Jahr 2010 wegen seiner Straffälligkeit "nur" verwarnt worden ist.  
 
4.3.2. Der Beschwerdeführer verweist auf zwei Urteile des Bundesgerichts, die mit dem vorliegenden Fall vergleichbar seien. Entgegen seiner Auffassung kann er aus diesen Urteilen nichts zu seinen Gunsten ableiten. Im Fall BGE 131 II 339 hat das Bundesgericht offengelassen, ob die Betroffene ein Aufenthaltsrecht aus Art. 8 EMRK ableiten könne (E. 5). Im Gegensatz zum vorliegenden Fall lebte die Kernfamilie der Betroffenen in der Schweiz, sie hatte keinerlei Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat und das strafbare Verhalten lag fast 13 Jahre zurück. Was das Urteil 2C_804/2016 vom 21. März 2017 betrifft, so ist der Betroffene dort nur einmal - wenn auch erheblich - straffällig geworden, wobei er zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war. Zwischen der Tatbegehung und dem Widerruf der Bewilligung lagen mehr als zehn Jahre und der Betroffene war wirtschaftlich und beruflich gut integriert. Zudem ging es bei diesem Fall um den Widerruf der Niederlassungsbewilligung und nicht um eine Neuerteilung. Demgegenüber ist das von der Vorinstanz zitierte Urteil 2C_1035/2017 vom 20. Juli 2018 mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. In jenem Fall war die Niederlassungsbewilligung des Betroffenen ebenfalls erloschen und er verlangte eine Neuerteilung. Obwohl er sich fast 30 Jahre lang in der Schweiz aufgehalten hatte und Deutsch sprach, wurden die Bindungen zum Heimatland als enger eingestuft, weil dort zwei seiner Gattinnen und vier seiner Kinder lebten, er regelmässig zu Besuch war, seiner Unterhaltsverpflichtung in der Schweiz in erheblichem Umfang nicht nachgekommen war und er zudem Schulden angehäuft hatte.  
 
4.3.3. Der Beschwerdeführer beruft sich hauptsächlich auf seine lange Aufenthaltsdauer, die aber für sich alleine betrachtet lediglich ein Indiz für eine enge Bindung zur Schweiz darstellt (vgl. vorne E. 4.1). Der Beschwerdeführer ist wiederholt straffällig geworden und hat mehrfach in der Probezeit delinquiert, wobei es nicht ins Gewicht fällt, dass er keine schwerwiegenden Delikte begangen haben will. Ebenso spielt es keine Rolle, dass er seit 2010 in der Schweiz nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, nachdem er sich ab Ende 2013 hauptsächlich im Ausland aufgehalten hat. Von einer gelungenen beruflichen und wirtschaftlichen Integration kann keine Rede sein, nachdem der Beschwerdeführer jahrelang von der Sozialhilfe unterstützt werden musste, an jedem Wohnort Schulden angehäuft hat und auch aktuell ein nur knapp existenzsicherndes Einkommen erzielt. Enge soziale Bindungen in der Schweiz, die über die Beziehung zu seinen hier lebenden Geschwistern hinausgehen, werden vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Dagegen leben im Herkunftsstaat seine Ehefrau und fünf Kinder. Die behaupteten Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers fallen nicht wesentlich ins Gewicht, weil sie nach einem langen Aufenthalt erwartet werden dürfen. Was schliesslich die Wiedereingliederung im Herkunftsstaat betrifft, wirken die entsprechenden Vorbehalte in der Beschwerde unglaubwürdig, nachdem der Beschwerdeführer die Schweiz freiwillig verlassen und sich mindestens drei Jahre lang im Herkunftsstaat aufgehalten hat. Unter diesem Umständen ist die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, dass die Bindungen zum Herkunftsstaat enger sind als zur Schweiz.  
 
4.4. Zusammenfassend kann der Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht aus dem Anspruch aus Privatleben (Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK) ableiten. Die Beschwerde ist abzuweisen.  
 
5.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. April 2019 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Businger