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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 491/02 
 
Urteil vom 10. Februar 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
M.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern, 
 
gegen 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Hirschengraben 19, 6003 Luzern 
 
(Entscheid vom 10. Juli 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügungen vom 11. Juli und 12. September 2001 sprach die IV-Stelle Luzern dem 1964 geborenen M.________ für die Zeit vom 1. November 1998 bis 31. August 1999 eine halbe Rente, vom 1. Januar bis 29. Februar 2000 eine Viertelsrente, vom 1. bis 31. März 2000 eine halbe und vom 1. April 2000 bis 31. Mai 2001 eine ganze Rente zu. 
B. 
Der Versicherte erhob gegen beide Verfügungen Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern vereinigte die Verfahren und wies das in beiden Beschwerdeschriften gestellte Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ab (Ziffer 2 der Verfügung der Einzelrichterin vom 2. November 2001). Mit Urteil vom 22. April 2002 hob das Eidgenössische Versicherungsgericht diesen Entscheid auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit sie neu über die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung befinde. Das Verwaltungsgericht lehnte das Gesuch erneut ab (Verfügung der Einzelrichterin vom 10. Juli 2002). 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und ihm die unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Verfahren zu gewähren. Zudem ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren. 
 
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 10. Juli 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
2. 
2.1 Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht angefochten werden (Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. h VwVG sowie Art. 97 Abs. 1 und 128 OG; RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 154 f. Erw. 1a mit Hinweisen). 
2.2 Im Beschwerdeverfahren über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege durch das kantonale Versicherungsgericht sind keine Versicherungsleistungen streitig, weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 100 V 62 Erw. 2). 
2.3 Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend einge- schränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 
3. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen Rechtsmittelverfahren (Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG; BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen) und in diesem Rahmen die Frage, ob die Voraussetzung der Bedürftigkeit (BGE 108 V 269 Erw. 4; RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 155 Erw. 2 mit Hinweisen) erfüllt ist. 
3.1 Die Vorinstanz ermittelte das Einkommen und den Notbedarf des von seiner Ehefrau getrennt lebenden Beschwerdeführers im Rahmen einer nur ihn erfassenden Einzelrechnung. Daraus ergab sich kein Überschuss, der die Tragung der Anwaltskosten erlaubt hätte. Das kantonale Gericht erwog weiter, gestützt auf die eheliche Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) habe der Beschwerdeführer Anspruch darauf, dass ihm die Ehefrau die Anwaltskosten bevorschusse. Da der Ehefrau die Leistung des Vorschusses zumutbar sei und dieser der unentgeltlichen Verbeiständung vorgehe, sei das Gesuch abzulehnen. 
3.2 
3.2.1 Das kantonale Gericht hat zutreffend erwogen, dass die familienrechtliche Verpflichtung des Ehegatten zur Bevorschussung von Prozesskosten der unentgeltlichen Rechtspflege vorgeht (BGE 119 Ia 12 Erw. 3a; Alfred Bühler, Betreibungs- und prozessrechtliches Existenzminimum, AJP 2002 S. 644 ff., 658; derselbe, Die Prozessarmut, in: Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S. 143 f., mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 I 205 Erw. 3b mit Hinweisen). Ob sich der entsprechende Anspruch gegenüber dem Ehegatten aus der ehelichen Beistandspflicht gemäss Art. 159 ZGB oder aus der Unterhaltspflicht gemäss Art. 163 ZGB ableitet, ist umstritten (vgl. dazu Sylvia Frei, Prozesskostenvorschuss: eheliche Beistands- oder Unterhaltspflicht?, in: Rechtsschutz. Festschrift zum 70. Geburtstag von Guido von Castelberg, Zürich 1997, S. 51 ff.). Unabhängig davon handelt es sich jedoch um einen eherechtlichen Anspruch, dessen Beurteilung nicht in die sachliche Zuständigkeit eines Sozialversicherungsgerichts fällt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Vorinstanz im Rahmen der Beurteilung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege zulässigerweise Bestand und Umfang der Verpflichtung der Ehefrau zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses prüfen konnte und, bejahendenfalls, ob sie gestützt darauf die prozessuale Bedürftigkeit zu Recht verneint hat. 
3.2.2 Grundsätzlich sind Verwaltungsbehörden und Gerichte zur selbstständigen Entscheidung von Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten berechtigt, sofern das Gesetz nichts anderes sagt und die zuständige Behörde über die Vorfrage noch nicht entschieden hat (BGE 120 V 382 Erw. 3a, SZS 2002 S. 262 Erw. 2b, je mit Hinweisen). Die Befugnis des Sozialversicherungsgerichts (als Instanz in einem nicht eherechtlichen Verfahren) zur selbstständigen Prüfung des Anspruchs einer verheirateten Person gegenüber dem Ehegatten auf Bevorschussung von Prozesskosten ist allerdings nach einer Lehrmeinung generell zu verneinen (Hausheer / Reusser / Geiser, Berner Kommentar, 1999, N 15a zu Art. 163). Eine andere Auffassung (Bühler, AJP 2002 S. 659; derselbe, Prozessarmut, a.a.O., S. 144 f.) befürwortet bei einer Weigerung des Ehegatten, den Vorschuss zeitgerecht zu leisten, eine bedingte Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter dem Vorbehalt des rückwirkenden Widerrufs. Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage hat das Sozialversicherungsgericht in jedem Fall einen bereits gefällten Entscheid der zuständigen eherechtlichen Instanz zu berücksichtigen. 
3.2.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Beschwerdeführer einen im Eheschutzverfahren ergangenen Entscheid des Amtsgerichts Luzern-Land vom 27. Mai 2002 einreichen. Es stellt sich zunächst die Frage, ob dieses Dokument im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden kann (vgl. Erw. 2.3 hievor). 
 
Das kantonale Gericht stellte in seinem Entscheid vom 10. Juli 2002 fest, es sei aktenkundig, dass der Beschwerdeführer bisher aus fremdenpolizeilichen Gründen kein Trennungsverfahren eingeleitet habe. Auf Grund des Untersuchungsgrundsatzes war die Vorinstanz gehalten, die Entwicklung des Sachverhalts bis zu ihrem Entscheid (BGE 108 V 269 Erw. 4; RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 155 Erw. 2) abzuklären und durch eine Rückfrage beim Beschwerdeführer oder auf andere Weise in Erfahrung zu bringen, ob ein Eheschutzverfahren im Gange sei. Die Unterlassung entsprechender Abklärungen ist mit dem Untersuchungsgrundsatz nicht vereinbar. Daran ändert die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers nichts, musste dieser doch auf Grund des Rückweisungsurteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 22. April 2002, insbesondere dessen Erw. 3d, nicht damit rechnen, dass das kantonale Gericht ohne weitere Abklärungen erneut über sein Gesuch entscheiden würde, sodass nachvollziehbar ist, dass er die Vorinstanz nicht über das damals noch nicht rechtskräftig beendete Eheschutzverfahren orientierte. Der letztinstanzlich aufgelegte Entscheid vom 27. Mai 2002 ist deshalb auch im Rahmen der eingeschränkten Kognition zu berücksichtigen. 
3.2.4 Im Eheschutzverfahren wurde die Ehefrau verpflichtet, dem Beschwerdeführer monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 300.- ab 20. November 2001 bzw. Fr. 600.- ab Rechtskraft des Entscheids zu bezahlen. Dies ergibt gemäss den Berechnungen des Amtsgerichts während der Zeit vom 20. November 2001 bis zur Rechtskraft des Entscheides (im Juli 2002) für beide Parteien einen Überschuss von je ca. Fr. 150.-, welcher zur Deckung der im Eheschutzverfahren entstandenen Anwaltskosten benötigt wird. Mit dem Unterhaltsbeitrag von Fr. 600.- (ab Juli 2002) resultiert für beide Parteien kein Überschuss mehr. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Einzelrechnung als bedürftig zu betrachten ist, und dass es der Ehefrau, welche zusätzlich noch persönliche Schulden zu begleichen hat, die in der Bedarfsrechnung nicht berücksichtigt wurden, auch unter dem Gesichtspunkt der ehelichen Beistandspflicht nicht zugemutet werden kann, ihm einen Prozesskostenvorschuss zu bezahlen. Die Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit ist damit gegeben. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung prüfe und darüber neu entscheide. 
4. 
Praxisgemäss werden in Verfahren, welche die Frage der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das kantonale Gerichtsverfahren zum Gegenstand haben, keine Gerichtskosten erhoben (RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 157 Erw. 4 mit Hinweis). 
 
Dem obsiegenden Beschwerdeführer steht für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Diese geht zu Lasten des Kantons Luzern, da der Gegenpartei des Hauptprozesses im Verfahren um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege keine Parteistellung zukommt (SVR 1996 UV Nr. 40 S. 124 Erw. 4 mit Hinweisen). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren wird damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Ziffer 1 der Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 10. Juli 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese über den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung neu befinde. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Luzern, dem Bundesamt für Sozialversicherung und der Ausgleichskasse Luzern zugestellt. 
 
Luzern, 10. Februar 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: