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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_755/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. Juli 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, Vereinigte Staaten, 
vertreten durch Rechtsanwalt Claude Béboux, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Ausgleichskasse SAK, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Bundesverwaltungsgerichts 
vom 23. August 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Verfügung vom 7. Juli 2011 eröffnete die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) der in den USA wohnhaften A.________, dass ihr weiterhin die im Vergleich zur einfachen Altersrente mit Zuschlag für verwitwete Personen höhere Witwenrente im Betrag von Fr. 1'856.- im Monat ausbezahlt werde, woran sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 29. November 2012 festhielt. 
 
B.   
A.________ reichte beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde (Eingangsstempel: 21. Januar 2013) ein mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des Einspracheentscheides sei ihr die höchstmögliche Altersrente zuzusprechen. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, die Beschwerdefrist von 30 Tagen sei unter Berücksichtigung des Fristenstillstands vom 18. Dezember bis und mit 2. Januar am 18. Januar 2013 abgelaufen. Die am 17. Januar 2013 erfolgte Aufgabe der Beschwerde beim privaten US-amerikanischen Kurierunternehmen FedEx sei zulässig, gelte aber nicht als fristwahrend. Dementsprechend trat es zufolge Fristversäumnis auf die Beschwerde nicht ein (Entscheid vom 23. August 2013). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sowie der Einspracheentscheid seien aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Die SAK schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gemäss Art. 60 ATSG ist die Beschwerde innerhalb von 30 Tagen seit der Eröffnung des Einspracheentscheides einzureichen. Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist dem Versicherungsträger resp. der Behörde eingereicht oder zu dessen resp. deren Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 60 Abs. 2 in Verbindung Art. 39 Abs. 1 ATSG). Gleich lautet Art. 21 Abs. 1 VwVG (SR 172.021). Nach der Rechtsprechung zu Art. 21 Abs. 1 VwVG muss von einer Verwaltungsbehörde, die eine Verfügung erlässt, verlangt werden, dass sie eine versicherte Person mit Wohnsitz im Ausland genau und vollständig informiert, wenn in formeller Hinsicht spezielle Bestimmungen bezüglich der Anfechtbarkeit ihrer Verfügung bestehen. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der "Fairness" und der Waffengleichheit. Um sich gegenüber einer im Ausland wohnhaften versicherten Person auf die in Art. 21 Abs. 1 VwVG enthaltene Regel berufen zu können, muss die Verwaltung diese Bestimmung in der Rechtsmittelbelehrung wörtlich wiedergeben (BGE 125 V 65 E. 4 S. 67 f.; Urteil H 60/03 vom 22. August 2003 E. 2.1). Es besteht keine Veranlassung dazu, die zitierte Rechtsprechung nicht auch auf die entsprechende Bestimmung des ATSG anzuwenden. Hinzuweisen ist des Weiteren auf Art. 35 VwVG, anwendbar auf das Verfahren der SAK gemäss Art. 55 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und 2 lit. a VwVG. Danach sind schriftliche Verfügungen, auch wenn die Behörde sie in Briefform eröffnet, als solche zu bezeichnen, zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (Abs. 1). Die Rechtsmittelbelehrung muss das zulässige ordentliche Rechtsmittel, die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist nennen (Abs. 2). 
Das vorliegend anwendbare Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit vom 18. Juli 1979, in Kraft getreten am 1. November 1980 (SR 0.831.109.336.1), bestimmt in Art. 19, dass ein schriftliches Rechtsmittel gegen den Entscheid eines Trägers des einen Vertragsstaates anerkannt wird, wenn es bei einem Träger des anderen Vertragsstaates eingereicht wurde (Abs. 1). Rechtsmittel, die innerhalb einer bestimmten Frist bei einem Träger des einen Vertragsstaates einzureichen sind, gelten als fristgerecht eingereicht, wenn sie innert der gleichen Frist bei einem entsprechenden Träger des anderen Vertragsstaates eingereicht werden (Abs. 2 Satz 1). 
 
2.   
Art. 19 des schweizerisch-amerikanischen Abkommens gilt entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Bereich der freiwilligen AHV/IV. Ziff. 2 des Schlussprotokolls bestimmt lediglich, dass Art. 4 des Abkommens nicht für die schweizerischen Rechtsvorschriften über die freiwillige AHV/IV der im Ausland niedergelassenen Schweizer Bürger gilt. Art. 19 hingegen ist in Ziff. 2 des Schlussprotokolls nicht aufgeführt und auch in der freiwilligen Versicherung anwendbar, wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht. Dies bedeutet, dass diese die Beschwerde gestützt auf Art. 19 des Abkommens beim amerikanischen Versicherungsträger hätte einreichen können. Über diese Möglichkeit wurde sie indessen nicht orientiert. Die Rechtsmittelbelehrung des Einspracheentscheides der SAK vom 29. November 2012 enthielt wohl den Hinweis, dass die Beschwerde einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden könne; die Möglichkeit, das Rechtsmittel dem US-amerikanischen Versicherungsträger einzureichen, war hingegen nicht erwähnt. Um eine vollständige Information der versicherten Person zu erreichen, wäre die SAK jedoch verpflichtet gewesen, auf diese Möglichkeit hinzuweisen, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 124 V 47 E. 4 S. 51 auf dem Gebiet der Unfallversicherung mit Bezug auf das Abkommen zwischen der Schweiz und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 1. Mai 1969 dargelegt hat. In BGE 125 V 65 E. 3b S. 67 sodann wurde diese Rechtsprechung gestützt auf das schweizerisch-griechische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 1. Juni 1973 hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung von Verwaltungsverfügungen und erstinstanzlichen Gerichtsentscheiden auf dem Gebiet der Invalidenversicherung, die an im Ausland wohnhafte Versicherte gerichtet sind, bestätigt. Dass die Verfügung der SAK entgegen dieser Rechtsprechung keine vollständige Rechtsmittelbelehrung enthielt, hatte zur Folge, dass die Beschwerdeführerin von der Möglichkeit, die an die Vorinstanz gerichtete Beschwerde beim amerikanischen Versicherungsträger einzureichen, keine Kenntnis hatte. Dieser Fehler der Verwaltung darf jedoch nicht nach dem Grundsatz, dass Rechtsunkenntnis schadet, der Beschwerdeführerin angelastet werden (vgl. BGE 125 V 65 E. 4 S. 67 f.). Da die Fristversäumnis unter den gegebenen Umständen auf die unvollständige Rechtsmittelbelehrung der SAK zurückzuführen ist, was wiederum der Grund für die fehlende Kenntnis sämtlicher Möglichkeiten zur Wahrung der Beschwerdefrist bildet, ist der angefochtene Nichteintretensentscheid, welcher die vorstehend dargelegte Rechtsprechung unberücksichtigt gelassen und damit Bundesrecht verletzt hat, aufzuheben. Das Bundesverwaltungsgericht, an welches die Sache zurückzuweisen ist, wird über die Beschwerde der Versicherten materiell zu entscheiden haben. 
 
3.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
In Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene Entscheid vom 23. August 2013 aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, damit es über die Beschwerde der Versicherten gegen den Einspracheentscheid der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 29. November 2012 materiell entscheide. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. Juli 2014 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer