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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4P.135/2006 /ruo 
 
Urteil vom 12. Juli 2006 
I. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Corboz, Präsident, 
Bundesrichterin Klett, 
Bundesrichter Mathys, 
Gerichtsschreiber Gelzer. 
 
Parteien 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Iten, 
 
gegen 
 
B.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Advokat Marco Albrecht, 
Kantonsgerichtspräsidium Zug, Der Einzelrichter im ordentlichen Verfahren, Postfach 760, 6301 Zug. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Zivilprozess; Arbeitsvertrag/Agenturvertrag), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichtspräsidium Zug, Der Einzelrichter im ordentlichen Verfahren, vom 21. April 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 18./19. April 2004 unterzeichneten die A.________ AG (nachstehend: Klägerin) als Auftraggeberin und B.________ (nachstehend: Beklagte) als Agentin einen als "Agenturvertrag" bezeichneten Vertrag. 
 
Mit Datum vom 28. Dezember 2004 schlossen die Parteien eine schriftliche Ausbildungsvereinbarung ab, gemäss welcher die Beklagte am 10. Januar 2005 eine Ausbildung zur diplomierten Finanzberaterin/IAF begann. Die Klägerin hatte sich mit 50% an den Ausbildungskosten zu beteiligen. Für den Fall, dass die Klägerin das "Tätigkeitsverhältnis" vor der voraussichtlichen Prüfung vom 19. - 21. Oktober 2005 aufkündigte, waren ihr die anteilsmässigen Kosten von der Beklagten zu erstatten. 
 
Am 7. Januar 2005 unterzeichneten die Parteien einen neuen, vom 29. Dezember 2004 datierten Agenturvertrag, der wörtlich mit demjenigen vom 18./19. April 2004 übereinstimmte. Ebenfalls am 7. Januar 2005 schlossen die Parteien zu diesem Agenturvertrag eine Zusatzvereinbarung, welche verschiedene Rechte und Pflichten der Beklagten regelte. Unter anderem wird in Ziffer 3 festgehalten, die Agentin erhalte ab dem 1. Januar 2005 für die Dauer von 12 Monaten ein Provisionsfixum in Höhe von Fr. 4'800.-- brutto; zusätzlich würden ihr monatlich Fr. 1'700.-- als Spesenpauschale erstattet. 
Gemäss den Angaben der Klägerin bezahlte sie am 11. Januar 2005 dem Institut für Finanzplanung Fr. 2'575.-- als Beitrag an die Kosten der Ausbildung der Beklagten. 
Mit Schreiben vom 18. Januar 2005 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie kündige die "Provisionsfixum-Vereinbarung" fristgerecht auf den 23. Januar 2005. Als Begründung gab die Klägerin an, sie müsse davon ausgehen, die Beklagte werde das Umsatzsoll in diesem Monat nicht annähernd erreichen, da bis zum 17. Januar 2005 kein bzw. kein nennenswerter Umsatz erzielt worden sei. Gleichzeitig wird im erwähnten Schreiben darauf hingewiesen, dass diese "Fixums-Kündigung" als gegenstandslos zu betrachten sei, wenn die Beklagte den erforderlichen Umsatz in diesem Monat bis zum 31. realisiere. 
 
Am 11. Februar 2005 kündigte die Klägerin den Agenturvertrag vom 29. Dezember 2004 auf den 31. März 2005. Im entsprechenden Schreiben wird die Beklagte darauf aufmerksam gemacht, dass sie auf Grund dieser Kündigung den von der Klägerin übernommenen Kostenanteil von Fr. 2'575.-- für die Ausbildung an die Klägerin zu erstatten habe. 
B. 
Am 28. September 2005 erhob die Klägerin beim Kantonsgerichtspräsidium Zug gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von Fr. 2'575.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 16. März 2005 sowie Fr. 70.-- Betreibungs- und Fr. 100.-- Friedensrichterkosten. 
 
Das Kantonsgerichtspräsidium wies die Klage mit Urteil vom 21. April 2006 ab. 
C. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt die Klägerin, das Urteil des Kantonsgerichtspräsidiums vom 21. April 2006 sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung an das Kantonsgerichtspräsidium zurückzuweisen. 
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgerichtspräsidium verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das Kantonsgerichtspräsidium qualifizierte die rechtliche Beziehung zwischen den Parteien als Arbeitsvertrag. Es stützte sich dabei insbesondere auf die am 7. Januar 2005 geschlossene Zusatzvereinbarung. Daraus gehe zunächst hervor, dass der Vertrag für unbestimmte Zeit geschlossen und eine Probezeit sowie eine Kündigungsfrist vereinbart wurden. Das seien Elemente, die auf einen Arbeitsvertrag hinweisen würden. Die Beklagte sei auch hauptberuflich für die Klägerin tätig gewesen, und Nebentätigkeiten seien ihr nicht gestattet gewesen. Zudem habe sie täglich einen Bericht über ihre Aktivitäten abgeben müssen. Demnach sei die Beklagte in ihrer beruflichen Tätigkeit eingeschränkt und arbeitsorganisatorisch an die Klägerin gebunden gewesen, was ebenfalls eher auf einen Arbeitsvertrag als auf einen Agenturvertrag hindeuten würde. Der Beklagten hätten ein monatliches Provisionsfixum in der Höhe von Fr. 4'800.-- brutto sowie eine Spesenpauschale von Fr. 1'700.-- zugestanden. Mit einem solchen Betrag habe sie ihren Lebensbedarf decken können und habe damit das für den Agenten typische Risiko des Geschäftsbetriebes nicht getragen. Dass die Beklagte in der zeitlichen und örtlichen Ausübung ihrer Tätigkeit gewisse Freiheiten gehabt habe, genüge für die Annahme eines Agenturvertrages nicht. Schliesslich habe die Beklagte in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht als Unselbständigerwerbende gegolten. Das Kantonsgerichtspräsidium nahm bei dieser Sachlage einen Arbeitsvertrag an. Es hielt dafür, dass Rückzahlungsklauseln nicht gelten würden, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne begründeten Anlass seitens des Arbeitnehmers auflöse. Da im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin nicht ausreichend dargetan habe, dass die Beschwerdegegnerin für die Kündigung begründeten Anlass gegeben hatte, könne die Beschwerdeführerin das Geld nicht zurückfordern. 
1.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe in der Klageschrift vom 30. September 2005 ausgeführt, sie habe das "Provisionsfixum" am 18. Januar 2005 schriftlich gekündigt. Als Beleg dafür habe die Klägerin das entsprechende Schreiben beigelegt. Das Kantonsgerichtspräsidium gehe jedoch weder in der Sachverhaltsschilderung noch in der Urteilsbegründung auf diese Kündigung ein. Damit habe das Kantonsgerichtspräsidium sich mit einem erheblichen Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt, was eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV darstelle. 
1.3 Nach Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Anspruch verlangt, dass die Behörde die Vorbringen der Parteien tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Die Begründung muss die Überlegungen nennen, von denen sich die Behörde hat leiten lassen, damit der Betroffene den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Nicht erforderlich ist dagegen, dass sich die Urteilsbegründung ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzt (BGE 126 I 97 E. 2b; 129 I 232 E. 3.2). 
1.4 Es trifft zu, dass das Kantonsgerichtspräsidium im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich auf das Kündigungsschreiben der Beschwerdeführerin vom 18. Januar 2005 eingeht. Daraus, dass das Kantonsgerichtspräsidium insbesondere auf die Zusatzvereinbarung abstellte, ohne die Kündigung vom 18. Januar 2005 zu erwähnen, ergibt sich jedoch, dass es diese als unerheblich qualifizierte. Damit waren für die Beschwerdeführerin die Entscheidgründe erkennbar, was ihr eine sachgerechte Anfechtung erlaubte. Demnach ist eine Verletzung der Begründungspflicht bzw. des rechtlichen Gehörs zu verneinen. 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, das Kantonsgerichtspräsidium habe gegen das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV verstossen. 
2.2 Art. 9 BV gewährt den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der Rechtsprechung ist ein Entscheid nicht schon dann willkürlich, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist. Dies trifft insbesondere zu, wenn er eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt (BGE 129 I 49 E. 4 S. 58; 129 I 8 E. 2.1; 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen). 
2.3 Im Einzelnen bringt die Beschwerdeführerin vor, das Kantonsgerichtspräsidium habe fälschlicherweise das zum Zeitpunkt der Kündigung vorliegende Rechtsverhältnis zwischen den Parteien als Arbeitsvertrag qualifiziert. Hätte das Kantonsgerichtspräsidium berücksichtigt, dass die Zusatzvereinbarung, aufgrund derer es ein arbeitsrechtliches Verhältnis angenommen habe, am 18. Januar 2005 wieder per 23. Januar 2005 gekündigt worden war, hätte es das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien als Agenturvertrag qualifizieren und demzufolge die Klage gutheissen müssen. 
2.4 Inwiefern das Kantonsgerichtspräsidium in Willkür verfallen sein soll, als es unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien getroffenen Zusatzvereinbarung vom 7. Januar 2005 annahm, zwischen den Partein sei ein arbeitsrechtliches Verhältnis entstanden, ist nicht ersichtlich. Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin ist die nachträglich erfolgte Kündigung der Zusatzvereinbarung im vorliegenden Fall nicht erheblich. Das Kantonsgerichtspräsidium Zug stellte richtigerweise auf den Sachverhalt im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ab. Die übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserungen (Art. 1 OR) beziehen sich grundsätzlich auf alle wesentlichen Merkmale eines bestimmten Vertragstyps. Dessen rechtliche Einordnung entscheidet sich somit aufgrund der Umstände, wie sie beim Zustandekommen der vertraglichen Bindung vorliegen. Es kommt nicht darauf an, ob das Rechtsverhältnis in der Folge gekündigt wird oder nicht. Für die Würdigung der Rechtsbeziehung zwischen den Parteien sind daher sowohl der als "Agenturvertrag" bezeichnete Vertrag als auch die Zusatzvereinbarung heranzuziehen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass ausdrücklich von einer "Zusatzvereinbarung zum Agenturvertrag vom 29.12.2004" gesprochen wird, aber auch aus dem Umstand, dass beide Vereinbarungen am gleichen Tag, nämlich am 7. Januar 2005 unterzeichnet wurden. Wenn gemäss Ausbildungsvereinbarung vom 28. Dezember 2004 die anteilsmässigen Kosten zu erstatten sind, falls die Beschwerdeführerin vor der Prüfung "das Tätigkeitsverhältnis aufkündigt", kann es nicht darauf ankommen, ob die entsprechende Kündigung in einem oder in zwei Schritten erfolgt. Die vom Kantonsgerichtspräsidium unter Berufung auf die Lehre vertretene Auffassung, bei der Kündigung eines Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber könnte er die von ihm bezahlten Ausbildungskosten nur bei begründetem Anlass für die Kündigung durch den Arbeitnehmer zurückgefordern, wird von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet. Die Frage ist daher mangels einer Rüge nicht zu prüfen (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG, BGE 122 I 70 E. 1c S. 73). Der dem Rückforderungsverbot zugrunde liegende Schutz des Arbeitnehmers hat sich im vorliegenden Fall bei beiden Kündigungen auszuwirken, andernfalls er ohne weiteres umgangen und wirkungslos werden könnte. Im Übrigen ist fraglich, ob die am 18. Januar 2005 ausgesprochene Kündigung nur das Provisionsfixum oder die ganze Zusatzvereinbarung betraf. Hätte die Kündigung nur einen Teil dieser Vereinbarung betroffen, so hätte eine einseitige Vertragsänderung vorgelegen, welche mangels Zustimmung der Beschwerdegegnerin unwirksam gewesen wäre. Schliesslich wurde die Kündigung vom 18. Januar 2005 unter der Bedingung ausgesprochen, dass die Beschwerdegegnerin das Umsatzziel bis Ende Januar nicht erreicht. Die Kündigung wäre deshalb - unabhängig von ihrem Umfang - auch deshalb unwirksam gewesen, weil Kündigungen als Gestaltungsgeschäfte grundsätzlich bedingungsfeindlich sind (BGE 128 III 129 E. 2 S. 135). Aus den genannten Gründen ist das Kantonsgerichtspräsidium nicht in Willkür verfallen, wenn es das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien unter Berücksichtigung der Zusatzvereinbarung als Arbeitsvertrag qualifizierte und es annahm, die Teilkündigung vom 18. Januar 2005 vermöge nichts daran zu ändern, dass bezüglich der vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung bei Kündigung die arbeitsvertraglichen Grundsätzen zu Anwendung kämen. 
 
3. 
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.-- dürfen nach Art. 343 Abs. 3 OG den Parteien keine Kosten auferlegt werden. Dies gilt auch für das bundesgerichtliche Verfahren (BGE 124 II 409 E. 12 S. 436 mit Hinweisen). Somit ist die unterliegende Beschwerdeführerin nicht kostenpflichtig. Sie hat jedoch die Beschwerdegegnerin für deren Umtriebe zu entschädigen, da die in der Sache obsiegende Partei auch in kostenlosen arbeitsrechtlichen Verfahren grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Parteikosten hat (BGE 124 II 409 E. 12 S. 436 mit Hinweisen; Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgerichtspräsidium Zug, Der Einzelrichter im ordentlichen Verfahren, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 12. Juli 2006 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: