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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 918/05 
 
Urteil vom 23. März 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön; Gerichtsschreiberin Hofer 
 
Parteien 
B.________, 1966, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 12. Dezember 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1966 geborene B.________ meldete sich am 4. November 2004 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Luzern zog verschiedene Unterlagen zur Abklärung des medizinischen und erwerblichen Sachverhalts bei. Am 5. September 2005 teilte sie der Versicherten mit, es sei eine medizinische Untersuchung durch Dr. med. U.________ notwendig. Mit Schreiben vom 6. September 2005 liess B.________ einwenden, sie lehne den Gutachter ab, da für die Beurteilung der Folgen eines Distorsionstraumas der Halswirbelsäule eine neurologische und nicht eine psychiatrische Expertise erforderlich sei. Zudem unterbreitete sie Gegenvorschläge von möglichen Gutachterstellen. Am 9. September 2005 gelangte der Rechtsvertreter der Versicherten erneut an die IV-Stelle und gab ihr bekannt, dass er die Untersuchung bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Begutachtung habe sistieren lassen. Im Übrigen verfüge Dr. med. U.________ nicht über einen FMH-Facharzttitel in Psychiatrie, was einen weiteren Ablehnungsgrund darstelle. Mit Verfügung vom 20. September 2005 hielt die IV-Stelle an der Abklärung durch Dr. med. U.________ am 3. Oktober 2005 fest, da keine triftigen Gründe vorlägen, die diese nicht als zumutbar erscheinen liessen. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Zwischenverfügung vom 26. September 2005 nicht ein, soweit die aufschiebende Wirkung und die Verschiebung des Untersuchungsdatums beantragt wurden. Das Eidgenössische Versicherungsgericht schrieb mit Urteil vom 20. Oktober 2005 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der B.________ als gegenstandslos geworden vom Geschäftsverzeichnis ab, soweit es darauf eintrat. 
B. 
Mit Entscheid vom 12. Dezember 2005 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern auf die Beschwerde gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 20. September 2005 nicht ein, mit der nebst den bereits beurteilten Rügen beantragt worden war, die Verfügung sei aufzuheben und die IV-Stelle sei anzuweisen, die Begutachtung, soweit eine solche überhaupt notwendig sei, durch einen Arzt mit entsprechenden fachlichen Qualifikationen durchführen zu lassen. 
C. 
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei das kantonale Gericht anzuweisen, auf die Beschwerde vom 22. September 2005 einzutreten. Zudem ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat daher zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. 
 
Der angefochtene Entscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
2.1 Über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, hat der Versicherungsträger schriftlich Verfügungen zu erlassen (Art. 49 Abs. 1 ATSG). Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind prozess- und verfahrensleitende Verfügungen (Art. 52 Abs. 1 ATSG). Gegen Verfügungen, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, kann Beschwerde erhoben werden (Art. 56 Abs. 1 ATSG). 
2.2 Nach Art. 43 Abs. 1 ATSG prüft der Versicherungsträger die Begehren der versicherten Person, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein, wobei mündlich erteilte Auskünfte schriftlich festzuhalten sind. Soweit ärztliche oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sind, hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen (Art. 43 Abs. 2 ATSG). Kommen die versicherte Person oder andere Personen, die Leistungen beanspruchen, den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer Weise nicht nach, so kann der Versicherungsträger aufgrund der Akten verfügen oder die Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen. Er muss diese Personen vorher schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen; ihnen ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen (Art. 43 Abs. 3 ATSG). Auch unter der Herrschaft des ATSG fällt es der IV-Stelle zu, nach Eingang der Anmeldung zum Leistungsbezug die Verhältnisse abzuklären (Art. 57 IVG in Verbindung mit Art. 69 ff. IVV). In Ergänzung und Präzisierung zu Art. 43 Abs. 1 ATSG hält Art. 69 Abs. 2 IVV (in der seit 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Fassung in Verbindung mit Art. 1 und Art. 57 Abs. 2 IVG) fest, dass die IV-Stelle, wenn die versicherungsmässigen Voraussetzungen erfüllt sind, die erforderlichen Unterlagen, insbesondere über den Gesundheitszustand, die Tätigkeit, die Arbeits- und Eingliederungsfähigkeit der versicherten Person sowie die Zweckmässigkeit bestimmter Eingliederungsmassnahmen beschafft und zu diesem Zwecke Berichte und Auskünfte verlangen, Gutachten einholen, Abklärungen an Ort und Stelle vornehmen sowie Spezialisten der öffentlichen oder privaten Invalidenhilfe beiziehen kann. Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung (und im Beschwerdefall das Gericht) auf Unterlagen angewiesen, die ärztliche und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung zu stellen haben. Aufgabe des Arztes oder der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Im Weiteren sind die ärztlichen Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen der Person noch zugemutet werden können (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1). 
3. 
3.1 Im zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil B. vom 8. Februar 2006 (I 745/03) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, auch unter der Herrschaft des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, dessen Bestimmungen gemäss Art. 1 Abs. 1 IVG (in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung) auf die Invalidenversicherung (Art. 1a-26bis und 28-70) anwendbar sind, komme der Anordnung einer medizinischen Begutachtung durch die IV-Stelle kein Verfügungscharakter zu (vgl. zur bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Rechtsordnung BGE 125 V 401). 
3.2 Laut Art. 36 Abs. 1 ATSG treten Personen in den Ausstand, die Entscheidungen über Rechte und Pflichten zu treffen oder vorzubereiten haben, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse haben oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnten. Macht die zu begutachtende Person eigentliche Ausstandsgründe im Sinne dieser Bestimmung gegen den vorgesehenen Gutachter geltend, so ist darüber eine Verfügung zu erlassen, die nach Art. 56 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG und Art. 45 Abs. 2 lit. b VwVG selbständig anfechtbar ist. Andere Einwendungen der zu begutachtenden Person gegen die Begutachtung als solche oder gegen die Person des Gutachters, welche jedoch nicht dessen Unabhängigkeit beschlagen, sind nicht in Verfügungsform zu erledigen. Indem Art. 44 ATSG vorsieht, dass die versicherte Person den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen kann, geht diese Bestimmung über die gesetzlichen Ausstandsgründe gemäss Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG hinaus (Urteil B. vom 8. Februar 2006, I 745/03). 
3.3 Geltend gemachte Ausstandsgründe im Sinne von Art. 36 Abs. 1 ATSG und Art. 10 VwVG sind als Einwendungen formeller Natur zu betrachten, weil sie geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erwecken. Einwendungen materieller Natur können sich zwar ebenfalls gegen die Person des Gutachters richten. Sie beschlagen jedoch nicht dessen Unabhängigkeit. Oft sind sie von der Sorge getragen, das Gutachten könne mangelhaft ausfallen oder jedenfalls nicht im Sinne der zu begutachtenden Person. Solche Einwendungen sind in der Regel mit dem Entscheid in der Sache im Rahmen der Beweiswürdigung zu behandeln. So hat beispielsweise die Frage, aus welcher medizinischen Fachrichtung ein Gutachten einzuholen ist, nichts mit Ausstandsgründen, sondern mit der Beweiswürdigung zu tun. Dasselbe gilt mit Bezug auf den Einwand, der Sachverhalt sei bereits hinreichend abgeklärt oder das Leiden aufgrund der selbst ins Recht gelegten Gutachten erstellt. Es besteht kein Recht der versicherten Person auf einen Sachverständigen ihrer Wahl. Fehlende Sachkunde eines Gutachters bildet ebenfalls keinen Umstand, der Misstrauen in die Unabhängigkeit eines Gutachters wecken würde. Vielmehr ist bei der Würdigung des Gutachtens in Betracht zu ziehen, dass ein Gutachter wegen der Fachrichtung, der er angehört, oder aus anderen Gründen für die Begutachtung ungenügend sachkundig war. Es besteht kein sachlicher Grund, unter der Herrschaft des ATSG von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Insbesondere besteht kein Anlass, die Beurteilung von Rügen, welche über die gesetzlichen Ausstandsgründe hinausgehen und Fragen beschlagen, die zur Beweiswürdigung gehören, vorzuverlegen. Es gilt insbesondere zu vermeiden, dass das Verwaltungsverfahren um ein kontradiktorisches Element erweitert und das medizinische Abklärungsverfahren judikalisiert wird, was vor allem in Fällen mit komplexem Sachverhalt zu einer Verlängerung des Verfahrens führen würde, welche in ein Spannungsverhältnis zum einfachen und raschen Verfahren tritt (Urteil B. vom 8. Februar 2006, I 745/03). 
4. 
4.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die von der Vorinstanz vertretene Auffassung beanstandet, bei Verfügungen über die Ablehnung von Gutachtern sei keine Anfechtbarkeit gegeben, wenn andere als die in Art. 36 Abs. 1 ATSG festgelegten Ausstandsgründe vorgebracht würden. In den Rügen der Versicherten hat das kantonale Gericht keine gesetzlichen Ausstandsgründe zu erkennen vermocht. 
4.2 Die Beschwerdeführerin begründet ihre Einwendungen damit, Dr. med. U.________ verfüge nicht über die notwendigen Fachkenntnisse für die Beurteilung der Folgen eines Schleudertraumas der Halswirbelsäule. Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sei damit ein Neurologe zu beauftragen. Abgesehen davon sei Dr. med. U.________ auch deshalb als Gutachter ungeeignet, weil er nicht im Besitze eines FMH-Fachtitels für Psychiatrie sei und ihm die für die Erstellung von Gutachten notwendige Erfahrung fehle. 
4.3 Aus welcher medizinischen Fachrichtung ein Gutachten eingeholt werden soll und ob der Gutachter über die notwendige fachliche Qualifikation verfügt, zielt nicht auf gesetzliche Ausstands- oder Ablehnungsgründe im Sinne von Art. 36 ATSG ab. Der Sozialversicherer hat darüber im Rahmen der Sachverhaltsabklärung zu entscheiden und über allfällige Einwendungen im Beweisverfahren zu befinden. Eines Entscheids in Verfügungsform bedarf es diesbezüglich nicht. Die Vorinstanz hat demzufolge nicht Bundesrecht verletzt, indem sie auf die Beschwerde nicht eingetreten ist. 
5. 
Weil das Verfahren nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 134 OG betrifft, ist es kostenpflichtig (Erw. 1 hievor). Die Gerichtskosten wären grundsätzlich von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Ihr kann indessen die beantragte unentgeltliche Prozessführung im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und die unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen, zumal das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung zum Vorgehen bei der Anordnung von medizinischen Gutachten im Abklärungsverfahren der Sozialversicherer erst kürzlich im Urteil B. vom 8. Februar 2006 (I 745/03) präzisiert hat und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Alex Beeler, Luzern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 23. März 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: