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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
U 97/06 
 
Urteil vom 24. November 2006 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
Erben der J.________, 1953, gestorben am 4. Januar 2004, bestehend aus:, 
1. E.________, 
2. M.________, 
3. S.________, 
4. C.________, 
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann, Untermüli 6, 6300 Zug, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 27. Dezember 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1953 geborene J.________ war seit 1. Januar 1997 bei der Q.________ AG angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfall versichert. Am 9. Juni 1997 war sie als Beifahrerin von einem Verkehrsunfall betroffen, als der von ihrem Ehemann gelenkte Personenwagen durch ein anderes Auto am Heck gerammt wurde. Dabei zog sich die Versicherte gemäss Arztzeugnis UVG des Spitals X.________, Departement Chirurgie, Chir. Poliklinik, wo sie am Unfalltag behandelt worden war, eine Kontusion BWK 5-8 zu. Die nachbehandelnde Ärztin Dr. med. R.________, Physikalische Medizin FMH, diagnostizierte in Zwischenberichten vom 5. Januar, 23. März und 7. Juli 1998 ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS). Die SUVA richtete ab dem 12. Juni 1997 Taggelder aus. 
Bereits im April 1997 war bei der Versicherten ein Ovarialkarzinom diagnostiziert worden. Dieses wurde in der Folge mittels Chemotherapie behandelt. Die Patientin war aus diesem Grund bis Ende 1997 zu 100 % arbeitsunfähig. Nachdem sich der Gesundheitszustand stabilisiert hatte und seitens der Ärzte ab Anfang 1998 eine Arbeitsfähigkeit von 50 % attestiert worden war, musste im März 1999 nach der Entdeckung von therapieresistenden Tumorrezidiven erneut Chemotherapie eingeleitet werden. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach J.________ mit Verfügungen vom 18. August 2000 für die Zeit ab 1. April 1998 eine halbe und ab 1. Juni 1999 eine ganze Rente (Invaliditätsgrad 100 %) zu. 
Die SUVA, welche weiterhin Taggelder ausrichtete, liess die Versicherte am 1. Oktober 1998 durch den Kreisarzt Dr. med. A.________ untersuchen und zog regelmässig Berichte von Dr. med. H.________, Neurologie FMH, bei. Schliesslich gab sie bei Dr. med. D.________, Neurologie FMH, ein Gutachten in Auftrag, welches am 30. Oktober 2001 (richtig: 2002) erstattet wurde. Anschliessend lehnte es die Anstalt - nach Beizug einer Stellungnahme des Kreisarztes Dr. med. A.________ vom 13. November 2002 - mit Verfügung vom 3. Dezember 2002 ab, der Versicherten eine Rente zuzusprechen. Daran wurde mit Einspracheentscheid vom 3. Juni 2003 festgehalten. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 27. Dezember 2005). J.________ war am 4. Januar 2004 verstorben. Ihre Erben hatten den Prozess fortgesetzt. 
C. 
Die Erben der J.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der Versicherten für die Zeit vom 3. Dezember 2002 bis 4. Januar 2004 eine Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung zuzusprechen. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente für die Zeit vom 3. Dezember 2002 bis 4. Januar 2004 (die Voraussetzungen für den ausnahmsweisen Einbezug tatsächlicher Verhältnisse nach dem Erlass des Einspracheentscheids [BGE 130 V 140 f. Erw. 2.1] sind erfüllt). In dieser Konstellation sind der Beurteilung für die Zeit bis Ende 2002 die bis dahin gültig gewesenen und ab 1. Januar 2003 die seit diesem Datum geltenden Bestimmungen zugrunde zu legen (BGE 130 V 445 ff.). Das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003 hat jedoch zu keiner vorliegend relevanten Änderung der Rechtslage geführt (vgl. BGE 130 V 343 ff. Erw. 2 und 3). Deshalb kann mit dem kantonalen Gericht auf die neuen Normen abgestellt werden. 
2. 
2.1 Ist der Versicherte infolge des Unfalles voll oder teilweise arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG), so hat er Anspruch auf ein Taggeld (Art. 16 Abs. 1 UVG). Ist der Versicherte infolge des Unfalles zu mindestens 10 Prozent invalid (Art. 8 ATSG), so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung). Der Rentenanspruch entsteht, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten mehr erwartet werden kann und allfällige Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (IV) abgeschlossen sind. Mit dem Rentenbeginn fallen die Heilbehandlung und die Taggeldleistungen dahin (Art. 19 Abs. 1 UVG). 
2.2 Ist ein Versicherter bereits aus unfallfremden Gründen vollständig invalid, so besteht kein Raum mehr für eine (zusätzliche) unfallbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsunfähigkeit. Selbst wenn auch aus dem Unfall eine Invalidität erwachsen wäre, kommt in diesen Fällen keine Rente der Unfallversicherung zur Ausrichtung. Massgebend ist nicht die zeitliche Reihenfolge der Schadenereignisse (Unfallereignis/ Krankheit), sondern es ist auf den Eintritt des Schadens abzustellen (RKUV 2006 Nr. U 570 S. 81 Erw. 2.4 mit Hinweisen [= Urteil I. vom 22. September 2005, U 357/04]). 
3. 
3.1 SUVA und Vorinstanz verneinen einen Rentenanspruch mit der Begründung, die Versicherte habe auf Grund eines im April 1997 diagnostizierten und am 10. März 1999 erneut aufgetretenen, in der Folge nur noch palliativ behandelten Krebsleidens ab 1. Juni 1999 eine ganze Rente der Invalidenversicherung (bei einem Invaliditätsgrad von 100 %) bezogen. Die für den Rentenanspruch nach UVG massgebende Invalidität sei dagegen erst wesentlich später eingetreten. Bei dieser zeitlichen Abfolge bestehe gemäss den zitierten Grundsätzen kein Anspruch auf eine Rente der Beschwerdegegnerin. 
3.2 Die Beschwerdeführer lassen demgegenüber geltend machen, der Unfall vom 9. Juni 1997 habe bis Januar 1998 eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % und anschliessend eine solche von 50 % verursacht. Demgegenüber sei die Versicherte ab 1. Januar 1998 seitens der Krebserkrankung wieder arbeitsfähig gewesen und erst ab 10. März 1999 erneut vollständig arbeitsunfähig geschrieben worden. Die Rente der Invalidenversicherung habe sie nicht für das Krebsleiden allein, sondern für dieses und die Unfallfolgen zugesprochen erhalten. Zudem hätte der Unfall bereits im Jahr 1998 mit der Zusprechung einer Rente abgeschlossen werden sollen; unter diesen Umständen könne nicht auf den erst wesentlich später erfolgten administrativen Fallabschluss abgestellt werden. 
4. 
4.1 Dem Feststellungsblatt der IV-Stelle vom 27. Dezember 1999, der nach dem Vorbescheid eingeholten ergänzenden Stellungnahme des medizinischen Dienstes vom 1. März 2000 sowie der "Mitteilung des Beschlusses" vom 9. März 2000 ist zu entnehmen, dass invalidenversicherungsrechtlich für die Zeit vom 4. April 1997 bis 31. Dezember 1997 von einer vollen Arbeitsunfähigkeit zufolge Krankheit, anschliessend von einer solchen im Umfang zwischen 40 und 60 % als Folge des Unfalls und schliesslich ab 10. März 1999 wieder von einer krankheitsbedingten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit von 100 % ausgegangen wurde, letzteres gestützt auf die ärztlichen Aussagen, wonach ab diesem Zeitpunkt eine palliative Chemotherapie wegen des wieder aufgetretenen Krebstumors durchgeführt wurde. Die Zusprechung einer halben Rente ab April 1998 beruhte somit sowohl (bezüglich der Eröffnung der Wartezeit) auf den krankheits- als auch (bezüglich der Erwerbsunfähigkeit bei Rentenbeginn) auf den unfallbedingten Beeinträchtigungen, diejenige einer ganzen Rente ab Juni 1999 dagegen ausschliesslich auf den Folgen der Krankheit. Diese letzte Einschätzung lässt sich angesichts der medizinischen Akten nicht beanstanden. Mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass die Versicherte nur dann Anspruch auf eine Invalidenrente nach UVG für die Folgen des Unfalls vom 9. Juni 1997 hatte, wenn der entsprechende Anspruch früher entstanden ist als derjenige auf die ganze Rente der Invalidenversicherung, also vor dem 1. Juni 1999. 
4.2 Weil Taggelder nach UVG bei stabilen erwerblichen Verhältnissen im Wesentlichen dieselbe Höhe erreichen wie eine Invalidenrente (vgl. Art. 17 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 3 UVV und Art. 20 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 4 UVV), ist die versicherte Person häufig nicht zum Antrag legitimiert, es sei ihr an Stelle der Taggelder eine Rente auszurichten. Im vorliegenden Fall war diese Konstellation zweifellos gegeben, bestehen doch - wie das kantonale Gericht in seinem Beschluss vom 30. Mai 2005 festgehalten hat - Anhaltspunkte dafür, dass die Invalidenrente niedriger ausgefallen wäre als die ausgerichteten Taggelder. Deshalb muss den Erben der Versicherten im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit offen stehen, geltend zu machen, es hätte zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Ablösung der Taggelder durch die Rente stattfinden müssen (vgl. RKUV 2006 Nr. U 575 S. 108 Erw. 4 [= Urteil M. vom 24. Oktober 2005, U 257/04]). Der Umstand, dass der Verstorbenen weit über Juni 1999 hinaus Taggelder der obligatorischen Unfallversicherung ausgerichtet wurden, schliesst daher nicht aus, zu prüfen, ob bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Rentenanspruch entstanden wäre. 
4.3 Die SUVA richtete der Versicherten Taggelder auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % vom 12. Juni 1997 bis 4. Januar 1998, zwischen 40 und 60 % während des Jahres 1998 sowie 50 % ab 1999 aus. Sie stützte sich dabei jeweils auf die Eintragungen (Dr. med. R.________, Dr. med. H.________) im Unfallschein. Die für die Entstehung des Rentenanspruchs entscheidende Frage, ob im Juni 1999 von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch eine namhafte Besserung der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen erwartet werden konnte (Art. 19 Abs. 1 UVG), ist entsprechend einem im Leistungsrecht der Sozialversicherung allgemein geltenden Grundsatz prognostisch, aus damaliger Sicht, zu beurteilen (vgl. BGE 124 V 111 Erw. 3b, 112 V 398 Erw. 1a; RKUV 2004 Nr. KV 307 S. 468 Erw. 5.1 [= Urteil G. vom 2. September 2004, K 112/03]). Dr. med. R.________ ging Anfang Januar 1998 davon aus, die Behandlung innerhalb eines Monats abschliessen zu können. Im März 1998 erklärte sie, der Behandlungsabschluss lasse sich noch nicht voraussagen, und anschliessend sprach sie von einer "bis auf weiteres" bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Dr. med. H.________ bestätigte am 27. November 1998 unter Einbezug zwischenzeitlich hinzugetretener Kniebeschwerden eine Arbeitsunfähigkeit von 50 %, wobei eine Neubestimmung in Aussicht genommen wurde. Am 9. Juni 1999 erklärte der Arzt, es bestünden nach wie vor belastungsabhängige Beschwerden der HWS mit eingeschränkter Beweglichkeit, Druckdolenz, Kribbelparästhesien sowie Tinnitus. Die Patientin sei als Sekretärin zu 50 % arbeitsunfähig; eine andere Tätigkeit komme zur Zeit nicht in Betracht. Am 1. Dezember 1999 berichtete Dr. med. H.________ über vermehrte Nackenschmerzen mit Cervicobrachialgie links. Es finde eine medikamentöse Behandlung statt. Aus ärztlicher Sicht war somit - auch mit Blick auf die von der Vorinstanz mit Recht berücksichtigte Erfahrungstatsache, dass derartige Verletzungen vergleichsweise häufig einen stark protrahierten Verlauf zeigen - während des hier interessierenden Zeitraums (noch) nicht davon auszugehen, von einer Fortsetzung der Behandlung lasse sich keine namhafte Besserung der Beeinträchtigungen im Bereich der HWS mehr erwarten. Der unfallversicherungsrechtliche Rentenanspruch war daher im Juni 1999 noch nicht entstanden. Zu einem späteren Zeitpunkt konnte er wegen der bereits vorliegenden krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit von 100 % nicht mehr entstehen (Erw. 2.2). 
5. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 Satz 1 OG). Anspruch auf eine Parteientschädigung haben weder die Beschwerdeführer als unterliegende Partei noch die SUVA als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 24. November 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: