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[AZA 7] 
C 366/00 Vr 
 
IV. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin 
Leuzinger; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Urteil vom 28. August 2001 
 
in Sachen 
B.________, 1966, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau, Rain 53, 5000 Aarau, Beschwerdegegner, 
 
und 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
A.- Mit Verfügung vom 2. Juni 2000 stellte das Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau (heute: 
Amt für Wirtschaft und Arbeit; nachfolgend: AWA) B.________ (geboren 1966) für die Dauer von 10 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein. 
 
B.- Nachdem B.________ eine mit Verfügung vom 16. Juni 2000 angesetzte Frist zur Verbesserung ihrer hiegegen erhobenen Beschwerde ungenutzt hatte verstreichen lassen, trat das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. Oktober 2000 auf die Beschwerde infolge ungebührlicher Aussagen und fehlendem konkretem Antrag nicht ein. Gleichzeitig verfügte es eine Ordnungsbusse von Fr. 100.-. 
 
C.- B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Ordnungsbusse aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf ihre Beschwerde einzutreten. 
Während das AWA auf eine Stellungnahme verzichtet, lässt sich das Staatssekretariat für Wirtschaft nicht vernehmen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Die Versicherte führt in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus, dass sie sich mit der Einstellung in der Anspruchsberechtigung nicht einverstanden erklären könne, und verlangt eine entsprechende Auszahlung. Weiter führt sie aus, dass sie die Verfügung vom 16. Juni 2000 gar nicht auf der Post abholen konnte, weil sie sich infolge eines Nervenzusammenbruchs ab 19. Juni 2000 stationär in der Psychiatrischen Klinik X.________ aufgehalten habe; deshalb habe sie auch auf dieses Schreiben nicht reagieren können und nehme selbstverständlich die gemachten Äusserungen zurück. Es sei somit auf ihre Beschwerde im kantonalen Verfahren einzutreten. 
 
2.- a)Vorliegend versandte die Vorinstanz am Freitag, 
16. Juni 2000 die Verfügung mit fristgebundener Aufforderung zur Verbesserung der Beschwerde. Die Versicherte erlangte jedoch infolge ihres Nervenzusammenbruchs und dem damit verbundenen stationären Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik X.________ ab Montag, 19. Juni 2000 keine Kenntnis von dieser Verfügung. Erst mit Zustellung des vorinstanzlichen Entscheides erfuhr sie davon. Es stellt sich somit die Frage, ob die Beschwerdeführerin zu Recht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhob oder aber gehalten gewesen wäre, beim kantonalen Gericht ein Gesuch um Fristwiederherstellung einzureichen. 
 
b) Beim Eidgenössischen Versicherungsgericht kann Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG, welche sich auf Sozialversicherungsrecht des Bundes stützen (Art. 128 OG). Für die Annahme einer bundesrechtlichen Verfügungsgrundlage genügt es, wenn der dem kantonalen Verfahren zu Grunde liegende materiellrechtliche Streitgegenstand dem Bundessozialversicherungsrecht angehört (BGE 126 V 143). Zwischen- und Endentscheide kantonaler Gerichte in Bundessozialversicherungsstreitigkeiten, welche sich auf kantonales Verfahrensrecht stützen, können demnach mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht angefochten werden, unabhängig davon, ob in der Sache selbst Beschwerde erhoben wird. 
Unzulässig ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde jedoch, wenn eine andere vorgängige Beschwerde oder Einsprache möglich ist (Art. 129 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 102 lit. d OG). Unter diesem Begriff sind lediglich ordentliche Rechtsmittel zu verstehen; liegt demnach ein letztinstanzlicher, noch nicht rechtskräftiger, grundsätzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbarer kantonaler Entscheid vor, so sind die kantonalen ausserordentlichen Rechtsmittel, wie etwa ein Revisionsbegehren, subsidiär (BGE 98 V 119; nicht publizierte Erw. 3b von BGE 111 V 51). 
 
c) Der vorinstanzliche Entscheid stützt sich ausschliesslich auf kantonales Verfahrensrecht, nachdem die in diesem Zusammenhang massgebliche bundesrechtliche Verfahrensvorschrift (Art. 103 AVIG) keine entsprechenden Regelungen enthält. Da es jedoch in der Sache selbst um einen Anspruch gestützt auf die Arbeitslosenversicherung des Bundes geht, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht grundsätzlich gegeben. 
Nach dem Gesagten war die Beschwerdeführerin nicht verpflichtet, den Rechtsbehelf eines Gesuches zur Fristwiederherstellung an die Vorinstanz zu erheben, sondern kann dies vorliegend direkt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend machen. 
 
3.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat daher zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. Dagegen kann auf den in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten materiellen Antrag nicht eingetreten werden (BGE 125 V 505 Erw. 1 mit Hinweis). 
 
4.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
Mit dem kantonalen Recht hat sich das Eidgenössische Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen. Es hat nur zu prüfen, ob die Anwendung der einschlägigen kantonalen Bestimmungen oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG), insbesondere des Willkürverbots oder des Verbots des überspitzten Formalismus, geführt hat (BGE 120 V 416 Erw. 4a, 114 V 205 Erw. 1a mit Hinweisen). 
 
5.- a) Art. 103 AVIG enthält keine Bestimmungen zur Fristwiederherstellung; diese entspricht jedoch einem allgemein gültigen Grundsatz des Bundesrechts (Art. 35 OG, Art. 24 VwVG), wonach bei unverschuldeter Versäumnis und entsprechendem Gesuch innert der gesetzlich vorgesehenen Frist eine verpasste gesetzliche oder behördlich angeordnete Frist wiederhergestellt werden kann, welcher im kantonalen Beschwerdeverfahren analog anwendbar ist (ARV 1991 Nr. 17 S. 122; BGE 108 V 109). Es bleibt dem kantonalen Gesetzgeber jedoch unbenommen, eine Regelung zu treffen, die über die bundesrechtlichen Vorschriften hinausgeht und die Fristwiederherstellung in einem weitergehenden Masse zulässt (vgl. Art. 103 Abs. 6 AVIG). Der Kanton Aargau kennt insofern eine grosszügigere Regelung der Fristwiederherstellung, als nicht verlangt wird, dass die versäumte Handlung ebenfalls innert der zehntägigen Frist für die Wiederherstellung nachzuholen ist (§ 30 der Verordnung über die Rechtspflege in Sozialversicherungssachen vom 22. Dezember 1964 [VRS; SAR 271. 131] in Verbindung mit § 98 der Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984 [ZPO; SAR 221. 100]; vgl. auch Eichenberger, Zivilrechtspflege des Kantons Aargau, Aarau/Frankfurt a.M. 1987, N 6 zu § 98). 
 
b) Die Beschwerdeführerin hat die Verfügung, mit welcher sie zur Verbesserung ihrer Beschwerde aufgefordert wurde, infolge ihres stationären Aufenthalts in der Psychiatrischen Klinik X.________ nicht entgegennehmen können. 
Dementsprechend hatte sie keine Kenntnis der laufenden Frist, welche denn auch ungenutzt verstrich. Es liegt demnach eine nicht verschuldete Versäumnis vor, und der Wiederherstellungsgrund ist gegeben. Nachdem das kantonale Recht eine grosszügigere Regelung vorsieht als das Bundesrecht, kann offen bleiben, ob die Versicherte gleichzeitig mit der Geltendmachung des Wiederherstellungsgrundes auch die versäumte Handlung nachgeholt hat (Erw. 5a). Die Sache ist demnach an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie der Beschwerdeführerin erneut eine Frist zur Verbesserung der Beschwerde ansetze. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht in einem analogen Fall entschieden hat, dass es gemäss aargauischem Recht an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, infolge ungebührlicher Äusserungen auf eine Beschwerde nicht einzutreten (RKUV 2001 Nr. U 416 S. 94). 
 
c) Die Versicherte beantragt zudem die Aufhebung der vom kantonalen Gericht verfügten Ordnungsbusse. 
Die Vorinstanz stützt die Ausfällung der Busse auf § 30 VRS in Verbindung mit § 73 ZPO, gemäss welchen der Richter eine Person, die im schriftlichen oder mündlichen Geschäftsverkehr durch ungebührliche Äusserungen diesen, die Gegenpartei oder andere am Verfahren Beteiligte verletzt, mit einem Verweis oder einer Ordnungsbusse bis Fr. 500.- bestrafen kann. 
Es ist unbestritten, dass die Beschwerde der Versicherten an die Vorinstanz ungebührliche Äusserungen enthält. 
Auch besteht eine hinreichende gesetzliche Grundlage für das Aussprechen der gefällten Busse. Ob angesichts des Umstandes, dass die Versicherte am 9. Juni 2000 bei Verfassen der Beschwerdeschrift bereits nervlich angeschlagen war und sich vom 19. Juni bis 11. August 2000 in der Psychiatrischen Klinik X.________ stationär behandeln lassen musste, die Vorinstanz es allenfalls bei einem Verweis hätte belassen oder ganz von einer Bestrafung Abstand nehmen können, ist vorliegend nicht zu prüfen. Denn mit der Ordnungsbusse von Fr. 100.- liegt auf jeden Fall weder eine Ermessensüberschreitung noch ein Missbrauch des Ermessensspielraums vor. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a OG), als sie die entsprechende Busse verfügte. 
 
6.- a) Da es vorliegend nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sondern um rein prozessuale Fragen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). 
 
b) Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind in der Regel die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). 
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. 
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. 
Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 125 II 275 Erw. 4b, 124 I 306 Erw. 2c mit Hinweis). 
Nachdem die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinsichtlich des materiellen Antrags sowie der Ordnungsbusse als aussichtslos bezeichnet werden muss, ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege diesbezüglich abzuweisen. Im Übrigen erweist es sich infolge Obsiegens als gegenstandslos. 
 
c) Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten zu einem Fünftel zu Lasten der Versicherten und zu vier Fünfteln zu Lasten des AWA (Art. 156 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
wird der Entscheid des Versicherungsgerichts 
des Kantons Aargau vom 17. Oktober 2000 insofern aufgehoben, 
als er auf Nichteintreten lautet, und es wird 
die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie 
der Versicherten erneut eine Frist zur Verbesserung 
der Beschwerde ansetze und hernach über diese neu entscheide. 
Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
II.Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
III. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden zu einem 
 
Fünftel (Fr. 100.-) der Beschwerdeführerin und zu vier 
Fünfteln (Fr. 400.-) dem Amt für Wirtschaft und Arbeit 
des Kantons Aargau auferlegt. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Arbeitslosenkasse SYNA und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
 
 
Luzern, 28. August 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: