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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
K 92/05 
 
Urteil vom 3. November 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Kernen und Seiler; Gerichtsschreiber Lanz 
 
Parteien 
D.________, 1950, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Kathrin Hässig, Joweid Zentrum 1, 8630 Rüti, 
 
gegen 
 
Universa Krankenkasse, Verwaltung, Rue du Nord 5, 1920 Martigny, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 18. Mai 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
D.________, geboren 1950, ist bei der Universa Krankenkasse obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 11. September 2003 ersuchte sie über die behandelnde Augenärztin die Universa um die Übernahme der Kosten für einen operativen Eingriff beidseitig an den Ober- und Unterlidern. Für die Oberlider wurde dies mit der Diagnose einer Ptosis mit ausgeprägter Blepharochalasis begründet, die zu einer Gesichtsfeldeinschränkung im oberen Bereich geführt habe. Für die Unterlider wurde eine horizontale Dehnung und Atonie angegeben, welche zusammen mit der Dehnung des lateralen Lidbändchens zur Bildung eines Tränensees oberhalb des lateralen Anteils der Unterlider führe. Die Conjunctiva bulbi sei durch die Unterlidfehlstellung vermehrt exponiert und dadurch chronisch entzündet. Mit Verfügung vom 4. März 2004 und Einspracheentscheid vom 30. April 2004 lehnte die Universa die Kostenübernahme für die Operation der Oberlider ab; die Kosten für die Operation der Unterlider wurden übernommen. 
B. 
Die von D.________ gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. Mai 2005 ab, da in Bezug auf die Oberlider kein krankhafter Zustand vorliege. 
C. 
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Entscheides sei die Universa zu verpflichten, die Kosten für die Operation der Oberlider zu übernehmen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nach Ablauf der Beschwerdefrist liess D.________ einen neuen Arztbericht vom 29. Juni 2005 einreichen. 
Die Universa beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG). 
2. 
2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, die Annahme einer zu Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung berechtigenden Krankheit resp. eines krankheitswertigen Zustandes setze zum einen eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens mit einem gewissen Schweregrad voraus, zum andern den sich aus der Gesundheitsstörung ergebenden Behandlungsbedarf. Bei der Beschwerdeführerin liege in Bezug auf die Oberlider keine Behandlungsbedürftigkeit vor und stelle die Beeinträchtigung des Gesichtsfeldes nach oben auch nicht eine erhebliche oder gar schwerwiegende Störung des Wohlbefindens dar, weshalb das Vorliegen einer Krankheit zu verneinen sei. 
2.2 Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Vorinstanz wende einen falschen Krankheitsbegriff an. 
2.2.1 Nach Art. 24 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Krankheit ist gemäss Art. 3 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 1 KVG jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalls ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Dieser Gesetzeswortlaut stimmt bis auf die mit der 4. IV-Revision eingefügte ausdrückliche Erwähnung der psychischen Gesundheit (in Kraft seit 1. Januar 2004) mit Art. 2 Abs. 1 KVG (in Kraft gewesen bis 31. Dezember 2002) überein, sodass auf die dazu ergangene Rechtsprechung abgestellt werden kann (BGE 130 V 344 Erw. 2.2; Urteil B. vom 16. August 2005, K 1/05, Erw. 1.2; Kieser, ATSG-Kommentar, N 1 zu Art. 3). 
2.2.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, gemäss dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 ATSG gelte nicht nur eine schwere, sondern jede Beeinträchtigung der Gesundheit als Krankheit. Dazu steht die vorinstanzliche Aussage nicht im Widerspruch, wonach nur eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens von einem gewissen Schweregrad Krankheitswert haben könne; denn Gesundheit im Rechtssinne ist nicht dasselbe wie Wohlbefinden (Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 108). Beim Begriff Krankheit handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der sich nicht notwendigerweise mit dem medizinischen Krankheitsbegriff deckt (BGE 124 V 121 Erw. 3b mit Hinweisen; Urteil B. vom 16. August 2005, K 1/05, Erw. 1.2). Nicht jede Abweichung von einem idealen Körperzustand ist als Krankheit im Rechtssinne zu qualifizieren. Die Beeinträchtigung muss eine gewisse Schwere aufweisen; sie erfordert Beschwerden mit "Krankheitswert" (Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 28). Übliche und erträgliche Abweichungen von Ideal- oder Normvorstellungen stellen als solche keine Krankheit dar; die - medizinisch möglichen - Massnahmen zur Behebung solcher Erscheinungen müssen daher nicht von der sozialen Krankenversicherung getragen werden. Dazu gehören beispielsweise degenerative Erscheinungen, die mit dem natürlichen Alterungsprozess einhergehen, aber auch natürliche Schönheitsfehler, die nicht körperliche oder psychische Beschwerden verursachen (BGE 129 V 39 f. Erw. 4.2.3; RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 359 Erw. 3a; Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 83 ff.; Kieser, a.a.O., N 14 zu Art. 3). In Anwendung dieser Grundsätze hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im nicht publizierten Urteil H. vom 27. Januar 1992 (K 44/91) entschieden, dass eine Blepharochalasis-Operation nur eine Pflichtleistung darstellt, wenn sie ein pathologisches Ausmass annimmt, beispielsweise zu einer dauernden Entzündung der Augen führt (ähnlich auch Vaucher/Zollikofer [Hrsg.], Was zahlt die Krankenversicherung? Manual der Schweizer Vertrauensärzte, Basel 2004, S. 208 f.). 
2.2.3 Die Vorinstanz ist somit von einem zutreffenden Begriff der Gesundheit bzw. der Krankheit ausgegangen. 
2.3 Das kantonale Gericht hat weiter erwogen, anders als in Bezug auf die Unterlider bestehe bei den Oberlidern keine pathologische Einschränkung, sondern nur eine eher geringfügige Einschränkung des oberen Gesichtsfeldes. 
2.3.1 Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang, die Vorinstanz habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Dieser wird indessen relativiert durch die Mitwirkungspflichten der Parteien (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a, je mit Hinweisen). Die Versicherte hat denn auch im vorinstanzlichen Verfahren Unterlagen eingereicht, auf welche sich das kantonale Gericht gestützt hat. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, geht aus diesen Unterlagen der rechtserhebliche Sachverhalt hinreichend klar hervor, sodass die Vorinstanz von den zusätzlich beantragten Beweismassnahmen (Zeugenbefragung; Gutachten) absehen durfte (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis; SVR 2003 IV Nr. 1 S. 1 Erw. 2). 
2.3.2 Im Schreiben des Dr. med. S.________, Chefarzt der Augenklinik, an welcher der operative Eingriff vorgenommen werden soll, vom 5. Februar 2004 wird eine vermehrte Bildung von Tränenfluss und eine chronische Entzündung nur für den Bereich des Unterlides bestätigt; für das Oberlid wird, wie schon im Gesuch um Kostengutsprache vom 11. September 2003, einzig eine funktionelle Gesichtsfeldeinschränkung nach oben erwähnt. Auch im Schreiben des Dr. med. S.________ vom 24. Mai 2004, worin nun von einer Dermatochalasis anstatt einer Blepharochalasis die Rede ist, wird in erster Linie die funktionelle Einschränkung durch Einschränkung des Gesichtsfeldes erwähnt. Überdies wird ausgeführt, "man könnte zusätzlich anbringen", dass die Hautfalten zu oberflächlicher entzündlicher Schwellung führten, verbunden mit Rötung der Haut und subjektivem Wundgefühl. Selbst wenn - wie die Versicherte in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorbringt - diese im Konditional formulierte Aussage als feststehende Beobachtung interpretiert wird, ergibt sich daraus noch keine erhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens. 
In der nachträglich dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eingereichten Stellungnahme von Dr. S.________ vom 29. Juni 2005 wird in Bezug auf das Oberlid ebenfalls nur von einer Gesichtsfeldeinschränkung gesprochen, während Tränenfluss und chronische Entzündung nur in Bezug auf das Unterlid erwähnt werden. Weitere Beeinträchtigungen werden nicht genannt und ergeben sich auch nicht aus den Akten. Es steht damit, ohne dass Weiterungen zur prozessualen Zulässigkeit dieses Arztberichtes erforderlich wären (vgl. hiezu immerhin BGE 127 V 353 ff.; sodann Urteil T. vom 22. August 2005, I 102/05, Erw. 4.4), sachverhaltlich fest, dass in Bezug auf das Oberlid ausschliesslich eine funktionelle Beeinträchtigung durch Einschränkung des oberen Gesichtsfeldes vorliegt. Das Ausmass dieser Einschränkung ist ebenfalls aktenkundig: Sie betrifft einen Teil des oberen Drittels des Blickfeldes, also denjenigen Bereich, der bei üblichen Tätigkeiten selten intensiv benötigt wird. Eine derartige Beeinträchtigung stellt für sich allein keine Krankheit dar (Urteil B. vom 16. August 2005, K 1/05, Erw. 3; ebenso Vaucher/Zollikofer, a.a.O., 208 f.), zumal auch in den wiederholten Stellungnahmen von Dr. med. S.________ nicht gesagt wird, die Beschwerdeführerin werde dadurch in ihrer beruflichen oder sonstigen Tätigkeit eingeschränkt (vgl. analog AHI 2000 S. 296 f. Erw. 4b). 
2.3.3 Die Vorinstanz hat demnach zu Recht das Vorliegen eines krankheitswertigen Zustands bzw. einer Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne von Art. 3 ATSG in Verbindung mit Art. 1 KVG verneint. 
2.4 Unter diesen Umständen ergibt sich eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin auch nicht daraus, dass die Operation nach den Angaben des Dr. med. S.________ medizinisch indiziert ist. Denn die Annahme einer anspruchsbegründenden Krankheit setzt kumulativ das Bestehen einer Behandlungsbedürftigkeit und einer Gesundheitsbeeinträchtigung in der umschriebenen Art (Erw. 2.2.2) voraus. Auch die gesetzliche Vermutung, wonach die ärztliche Behandlung den gesetzlichen Prinzipien der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit entspricht (BGE 129 V 174 Erw. 4), kommt nur zum Tragen, wenn überhaupt eine Krankheit im Rechtssinne vorliegt, was nach dem Gesagten nicht zutrifft. Die Beschwerde ist somit abzuweisen. 
3. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
 
Luzern, 3. November 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: