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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_158/2018  
 
 
Urteil vom 11. Juli 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Fürsorgebehörde Ingenbohl, Parkstrasse 1, Postfach 535, 6440 Brunnen, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alois Kessler, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Keller, 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Archivgasse 1, Postfach 1201, 6431 Schwyz. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Parteistellung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des 
Kantonsgerichts Schwyz, Beschwerdekammer, 
vom 19. Februar 2018 (BEK 2017 124). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 9. Juni 2015 erstattete die Fürsorgebehörde Ingenbohl gegen A.________ Strafanzeige wegen Sozialhilfebetrugs. Sie verdächtigt ihn, Einkommen verheimlicht zu haben, welches zur Festlegung der wirtschaftlichen Hilfe erheblich wäre. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz ersuchte die Fürsorgebehörde Ingenbohl um weitere Angaben und Dokumente und eine allenfalls nötige Entbindung vom Amtsgeheimnis; diesem Ersuchen kam die Anzeigeerstatterin nach. A.________ machte geltend, der Fürsorgebehörde komme keine Parteistellung zu und zufolge Amtsgeheimnisverletzung seien die eingereichten Akten unverwertbar. 
Mit Verfügung vom 25. Juli 2017 entschied die Staatsanwaltschaft, die Akten seien verwertbar und würden nicht aus dem Dossier entfernt (Dispositiv-Ziffer 1); die Fürsorgebehörde Ingenbohl werde als Strafklägerin und somit als Partei anerkannt (Dispositiv-Ziffer 2). 
Diese Verfügung focht A.________ mit Beschwerde beim Kantonsgericht Schwyz an. Mit Beschluss vom 19. Februar 2018 hiess dieses die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintrat. Es hob Dispositiv-Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung auf und stellte fest, die Fürsorgebehörde Ingenbohl werde nicht als Privatklägerin zugelassen (Dispositiv-Ziffer 1). 
 
B.  
Mit Eingabe vom 23. März 2018 führt die Fürsorgebehörde Ingenbohl Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, in Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses sei die Parteistellung der Beschwerdeführerin im Strafverfahren gegen A.________ wegen Sozialhilfebetrugs zu bejahen. 
Die Vorinstanz und die Oberstaatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassungen. A.________ beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei diese abzuweisen. Die Beschwerdeführerin hält an ihrem Standpunkt fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. 
Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen. Sie rügt, ihr sei fälschlicherweise keine Geschädigtenstellung zuerkannt und sie sei zu Unrecht nicht als Privatklägerin (Strafklägerin) zum Verfahren zugelassen worden. Damit hat sie nach der Rechtsprechung ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids und ist sie gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt (BGE 141 IV 1 E. 1.2 S. 5). Mit der Verneinung der Stellung als Privatklägerin wird die Beschwerdeführerin vom Strafverfahren ausgeschlossen. Der angefochtene Entscheid stellt für sie deshalb einen gemäss Art. 90 BGG anfechtbaren Endentscheid dar (BGE 139 IV 310 E. 1 S. 312; vgl. zum Ganzen auch Urteil 1B_320/ 2015 vom 3. Januar 2017 E. 1, nicht publ. in: BGE 143 IV 77). 
Nicht Verfahrensgegenstand bildet die Frage der Verwertbarkeit der Akten; diesen Entscheid hat der Beschwerdegegner nicht angefochten. 
 
2.  
 
2.1. Partei ist unter anderem die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Strafkläger ist, wer die Verfolgung und Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person verlangt (Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO), Zivilkläger, wer adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend macht, die aus der Straftat abgeleitet werden (Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO). Öffentlich-rechtliche Ansprüche zählen nicht zu den Zivilansprüchen.  
 
2.2. Die Vorinstanz hat erwogen, der kommunalen Fürsorgebehörde obliege unter anderem die Gewährung der wirtschaftlichen Hilfe und die Geltendmachung von Rückerstattungsansprüchen (§ 8 lit. c und d und § 26 des kantonalen Gesetzes über die Sozialhilfe vom 18. Mai 1983 [SHG/SZ; SRSZ 380.110]). Wer wirtschaftliche Hilfe in Anspruch nehme, sei zur Rückerstattung verpflichtet, wenn er durch unwahre Angaben Leistungen erwirkt habe (§ 25 Abs. 1 SHG/SZ). Ansprüche auf solche Rückerstattungen seien öffentlich-rechtlicher Natur und könnten daher nicht adhäsionsweise im Strafverfahren geltend gemacht werden. Folglich könne die Beschwerdeführerin nicht Zivilklägerin sein.  
Diese Ausführungen sind zutreffend und werden von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten. Diese verlangt einzig die Zulassung als Strafklägerin im Sinne von Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO
 
2.3. Der geschädigten Person steht es frei, sich am Strafverfahren lediglich als Strafklägerin (Privatklägerin im Strafpunkt) zu beteiligen (BGE 139 IV 78 E. 3.3.3 S. 81 f.). Als solche kann sie nach der Rechtsprechung auf kantonaler Ebene Rechtsmittel ergreifen. Die Rechtsmittellegitimation im kantonalen Verfahren (nach Art. 382 Abs. 1 StPO) hängt - anders als die Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen in der Sache an das Bundesgericht (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen) - nicht davon ab, ob die geschädigte Person Zivilforderungen hat. Diese ist als Strafklägerin zur Berufung gegen einen Freispruch namentlich auch befugt, wenn sie im Strafverfahren keine Zivilforderung angemeldet hat oder wenn sie von vornherein keine Zivilforderung hat, sondern nur öffentlich-rechtliche Ansprüche, die nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden können. Zivilforderungen sind mit anderen Worten keine notwendige Voraussetzung für die Rechtsmittellegitimation im kantonalen Verfahren bzw. für die Bejahung der strafrechtlichen Geschädigtenstellung nach Art. 115 Abs. 1 StPO und die Beteiligung am Strafverfahren als Strafklägerin (vgl. zum Ganzen BGE 143 IV 380 E. 2.3.1 S. 383 f.).  
 
2.4. Privatklägerschaft setzt (auch bei Beteiligung lediglich als Strafklägerin) Geschädigteneigenschaft gemäss Art. 115 Abs. 1 StPO voraus (vgl. Art. 118 Abs. 1 StPO; Mazzuchelli/Postizzi, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 118 StPO). Geschädigte Person ist, wer durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Nach der Rechtsprechung geht die Umschreibung der unmittelbaren Verletzung in eigenen Rechten vom Begriff des Rechtsguts aus. Unmittelbar verletzt und damit Geschädigter im Sinne von Art. 115 StPO ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist (BGE 143 IV 77 E. 2.1 S. 78 mit Hinweisen). Bei Straftaten gegen kollektive Interessen reicht es für die Annahme der Geschädigtenstellung im Allgemeinen aus, dass das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den Straftatbestand auch nur nachrangig oder als Nebenzweck geschützt wird (Mazzucchelli/ Postizzi, a.a.O., N. 21 zu Art. 115 StPO). Werden durch Delikte, die (nur) öffentliche Interessen verletzen, private Interessen auch, aber bloss mittelbar beeinträchtigt, so ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO (BGE 141 IV 454 E. 2.3.1 S. 457 mit Hinweisen).  
 
2.5. Die Geschädigtenstellung des  Staates verlangt nach der Lehre, dass dieser durch die Straftat nicht nur in den öffentlichen Interessen beeinträchtigt, sondern in seinen persönlichen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Viktor Lieber, in: Zürcher Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 2a zu Art. 115 StPO), respektive dass er durch die Straftat in seinen Rechten wie ein Privater verletzt worden ist (Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 39 zu Art. 115 StPO). Nicht als geschädigt im Sinne von Art. 115 StPO gelten in der Regel die Verwaltungsträger des Gemeinwesens, wenn sich die Straftat gegen Rechtsgüter richtet, für welche sie zuständig sind, wie dies etwa auf das kantonale Sozialamt bei Sozialhilfebetrug zutrifft (Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 40 zu Art. 115 StPO). In solchen Fällen handelt der Staat hoheitlich, d.h. er nimmt bei der Verrichtung der öffentlichen Aufgabe ausschliesslich öffentliche und keine eigenen individuellen Interessen wahr, womit er von der Straftat auch nicht in seinen persönlichen Rechten unmittelbar betroffen und verletzt ist. Der Verwaltungsträger kann, soweit er hoheitlich wirkt, nicht gleichzeitig Träger des Rechtsguts sein, für dessen Schutz, Kontrolle und Verwaltung gerade er, kraft seiner ihm auferlegten öffentlichen Aufgaben, einstehen muss und entsprechend selber dafür verantwortlich ist (eingehend zum Ganzen: Simone Brandenberger, Der Staat als Verletzter im Strafprozess - eine Rollenverteilung, in: forumpoenale 4/2016, S. 226 f.; vgl. auch für das deutsche Recht: Kirsten Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 5, 26. Aufl. 2008, N. 60 zu § 172 StPO/D).  
Diese Ausführungen in der Lehre überzeugen. Die Vorinstanz hat die Geschädigtenstellung der Beschwerdeführerin im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner wegen Sozialhilfebetrugs damit zu Recht verneint. 
 
2.6. Die öffentlichen Interessen an der strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung der beschuldigten Person werden im Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft wahrgenommen. Weitere Verwaltungseinheiten wie die Beschwerdeführerin sind nur ausnahmsweise bei entsprechender gesetzlicher Grundlage zuzulassen. So können gemäss Art. 104 Abs. 2 StPO Bund und Kantone zusätzlich zur Staatsanwaltschaft weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen. Dies erfordert eine klare gesetzliche Grundlage und hat mit der Frage der Geschädigteneigenschaft nichts zu tun. Die Behörde tritt als Partei sui generis, nicht aber als Privatklägerin im Strafprozess auf (vgl. Mazzuchelli/Postizzi, a.a.O., N. 41 zu Art. 115 StPO).  
Vorliegend ist unbestritten, dass weder Bund noch Kanton der Beschwerdeführerin eine spezielle Parteistellung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO einräumen. 
 
2.7. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, sie sei auch deshalb als Privatklägerin (Strafklägerin) zum Verfahren zuzulassen, um sich gegen den Vorwurf der Verletzung des Amtsgeheimnisses verteidigen zu können.  
Dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig. Verfahrensgegenstand bildet die Frage der Zulassung der Beschwerdeführerin als Privatklägerin im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner wegen Sozialhilfebetrugs. Ein Strafverfahren gegen Mitglieder der Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses (oder eines anderen Verdachts) wird nicht geführt; in einem solchen Verfahren wären diese beschuldigte Personen und nicht Privatklägerschaft. 
 
3.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz und dem Kantonsgericht Schwyz, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Juli 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner