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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_365/2018  
 
 
Urteil vom 12. September 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin N. Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Ergänzungsleistungen, 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Münger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV 
(Berechnung des Leistungsanspruchs), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 12. April 2018 (200 16 1047 EL). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Verfügung vom 19. August 2016 wies die Ausgleichskasse des Kantons Bern einen Anspruch von A.________ auf Ergänzungsleistungen für den Zeitraum ab März 2016 ab. Sie ermittelte ein anrechenbares Vermögen von Fr. 154'797.- bzw. ein daraus resultierendes anrechenbares Einkommen von Fr. 15'479.-, das zu einem Einnahmenüberschuss von Fr. 8'190.- führe. Daran wurde im Einspracheentscheid vom 29. September 2016 mit der Begründung festgehalten, das von der Gemeinde als Sozialhilfe gewährte und grundpfandgesicherte Darlehen von Fr. 150'000.- könne bei der EL-Berechnung nicht vom Vermögen abgezogen werden. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gut und wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück, damit sie über den EL-Anspruch unter Berücksichtigung der Darlehensschuld von Fr. 150'000.- neu verfüge (Entscheid vom 12. April 2018). 
 
C.   
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom 29. September 2016 sei zu bestätigen. Ferner sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Rückweisungsentscheid (vgl. Art. 93 BGG) enthält Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum der Beschwerdeführerin wesentlich einschränken. Sie wird damit gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Die Zulässigkeitsvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist damit erfüllt und es ist auf die Beschwerde einzutreten (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 f.; Urteil 9C_265/2015 vom 12. Oktober 2015 E. 1.1). 
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Für die Verletzung von Grundrechten gilt demgegenüber eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Die Beschwerde führende Person muss klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darlegen, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den kantonalen Entscheid verletzt worden sind. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 II 404 E. 10.1 S. 445; je mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Strittig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Beschwerdeführerin anwies, bei der Ermittlung des EL-Anspruchs vom Vermögen des Beschwerdegegners dessen Schuld gegenüber den Sozialen Diensten von Fr. 150'000.- in Abzug zu bringen.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen bei Bezug einer Altersrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (Art. 4 Abs. 1 lit. a ELG) sowie zur Berechnung und Höhe der Leistungen (Art. 9 Abs. 1 ELG) korrekt dargelegt. Darauf wird verwiesen. Ebenso zutreffend sind die vorinstanzlichen Ausführungen zur Anrechenbarkeit von Vermögenswerten. Hervorzuheben ist diesbezüglich insbesondere, dass bei der Bestimmung des Reinvermögens nach Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG die Schulden des EL-Ansprechers oder -Bezügers vom rohen Vermögen abzuziehen sind. Dazu zählen u.a. Hypothekarschulden, Kleinkredite bei Banken und Darlehen zwischen Privaten sowie Steuerschulden. Die Schuld muss tatsächlich entstanden sein, ihre Fälligkeit ist nicht vorausgesetzt. Ungewisse Schulden oder Schulden, deren Höhe noch nicht feststeht, können hingegen nicht abgezogen werden. Die Schuld muss einwandfrei belegt sein. Weiter können lediglich Schulden berücksichtigt werden, welche die wirtschaftliche Substanz des Vermögens belasten (BGE 142 V 311 E. 3.1 und 3.3 S. 313 f.; 140 V 201 E. 4.2 S. 205; je mit Hinweisen).  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, dem Grundpfandvertrag vom 25. Juni 2015 zur Erhöhung der Grundpfandverschreibung auf Fr. 150'000.- hätten die Schuldanerkennungen und Rückerstattungsverpflichtungen des Versicherten gegenüber den Sozialen Diensten vom 8. April 2010, 21. Februar 2012, 22. Mai 2014 und 5. Mai 2015 zugrunde gelegen. Es sei vereinbart worden, dass der Sozialdienst die Beträge im Erbfall oder bei Veräusserung der Liegenschaft zurückfordern werde. Der Sozialdienst sei damit Gläubiger des Versicherten und werde unbesehen aller anderen Umstände als grundpfandgesicherter Gläubiger das Darlehen von Fr. 150'000.- vom Versicherten bzw. aus dessen Erbmasse zurückfordern. Der Aufschub bis zum Erbfall ändere daran nichts, könne der Darlehensgläubiger sich doch selbst in diesem Fall im Rahmen der Liegenschaftsverwertung schadlos halten. Damit stelle das grundbuchlich gesicherte Darlehen eine den Wert des Grundstücks mit Sicherheit vermindernde Schuld dar. Die Rückzahlung sei nicht mit Ungewissheiten belastet, sondern vielmehr erstellt. Die Schuld sei deshalb beim Vermögen in Abzug zu bringen.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen in erster Linie vor, die Sozialhilfebeiträge von Fr. 150'000.- seien gewährt worden, damit der Beschwerdegegner seine Liegenschaft nicht verkaufen müsse. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Sozialen Dienste den Versicherten zu Lebzeiten dazu auffordern werden, sein Grundeigentum zu verwerten. Die Schuld werde überwiegend wahrscheinlich erst erbrechtlich geltend gemacht. Dieser Umstand rechtfertige es, dass die Sozialhilfebeiträge von Fr. 150'000.- nicht als Schuld bei der EL-Berechnung berücksichtigt würden.  
 
4.3. Der Beschwerdegegner macht demgegenüber geltend, die wirtschaftliche Substanz seines Vermögens sei durch die Grundpfandverschreibung - nicht anders als durch eine Hypothek - belastet. Die Fälligkeit (zu Lebzeiten) sei rechtsprechungsgemäss nicht Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Schuld.  
 
5.  
 
5.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Berücksichtigung der grundpfandrechtlich gesicherten Sozialhilfeschuld führe zu einer Ungleichbehandlung zwischen EL-Ansprechern mit und ohne Grundeigentum. Weder dem von der Vorinstanz Erwogenen noch aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin geht hervor, dass Sozialhilfeschulden lediglich bei Personen mit Grundeigentum abgezogen werden können. Auch fehlen in der Beschwerde Ausführungen, inwiefern die geltend gemachte Ungleichbehandlung unsachlich oder nicht sachgerecht ist. Die Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) wird somit nicht qualifiziert gerügt (vgl. E. 2.2 hiervor), weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.  
 
5.2. Die Vorinstanz stellte für das Bundesgericht verbindlich fest, der Beschwerdegegner habe Fr. 150'000.- Sozialhilfe bezogen, welchen Betrag er dem Sozialdienst schulde und deshalb zur Rückerstattung verpflichtet sei (vgl. auch Art. 40 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2001 über die öffentliche Sozialhilfe [Sozialhilfegesetz, SHG]; BSG 860.1). Anders als im von der Beschwerdeführerin angeführten Urteil 9C_884/2013 vom 9. April 2014 E. 5 (nicht publ. in: BGE 140 V 201, aber in: SVR 2014 EL Nr. 9 S. 23) ist hier die Schuld des Versicherten gegenüber der Sozialhilfebehörde für bezogene Sozialhilfeleistungen weder ungewiss noch betraglich unklar. Die Beschwerdeführerin kann somit aus diesem Entscheid nichts zu ihren Gunsten ableiten.  
 
5.3. Das kantonale Gericht legte weiter - zu Recht - dar, das Grundpfand über die im Eigentum des Beschwerdegegners stehende Liegenschaft biete hinreichend Sicherheit für die Schuld über Fr. 150'000.-. Die Sozialen Dienste haben somit sämtliche Vorkehren getroffen, um dereinst die Rückerstattung zu gewährleisten. Der Versicherte muss daher damit rechnen, dass sein Vermögen zur Bezahlung dieser Schuld herangezogen wird.  
 
5.4. Einzig ungewiss ist die Fälligkeit der Schuld (entweder im Erbfall oder bei Veräusserung der Liegenschaft). Damit eine Schuld aber zum Abzug zugelassen ist, muss diese nicht fällig sein (E. 3.2 hiervor). Das Argument der Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegner müsse die Schuld gegenüber der Sozialhilfebehörde überwiegend wahrscheinlich nicht zu Lebzeiten zurückbezahlen, sondern diese werde erst erbrechtlich geltend gemacht, dringt somit nicht durch. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdegegner vor dem Antrag auf Sozialhilfeleistungen versuchte, zur Bestreitung seines Lebensunterhalts die Hypothek - die zweifelsohne zum Abzug zuzulassen wäre - auf seiner Liegenschaft zu erhöhen (Ablehnung durch die Bank B.________ am 18. Dezember 2009).  
 
5.5. Die Anrechnung der Sozialhilfeschuld erscheint insbesondere vor dem Grundsatz, dass die Unterstützung der öffentlichen Sozialhilfe stets - auch im Verhältnis zu den Ergänzungsleistungen - subsidiär ist (Art. 11 Abs. 3 lit. b ELG; Art. 9 Sozialhilfegesetz des Kantons Bern), geboten. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Sozialhilfeschuld vorbestehend ist oder sich "aktuell" äufnet. Massgebend ist mit Blick auf das Rechtsmissbrauchsverbot, dass die Gelder rechtmässig bezogen wurden, was hier ausser Diskussion steht. Ebenso wenig kommt es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin darauf an, ob der Nachlass des Versicherten dereinst vermutlich nicht überschuldet sein wird. Abgesehen davon, dass d ie in Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG statuierten Freibeträge unverrückbare Vorgabe des Bundesgesetzgebers sind (vgl. Art. 190 BV), entsprechen die jährlichen Ergänzungsleistungen dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG), und richten sich nicht nach dem hypothetischen Erbe.  
 
5.6. Schliesslich kritisiert die Beschwerdeführerin die grundpfandrechtliche Sicherung der ausbezahlten Sozialhilfeleistungen. Ob diese zu Recht erfolgte, muss aber nicht weiter geprüft werden. Die in Bestand und Höhe ausgewiesene Schuld des Beschwerdegegners gegenüber der Sozialhilfebehörde ist unabhängig davon, ob sie grundpfandgesichert ist oder nicht, zu berücksichtigen.  
 
5.7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Schuld des Beschwerdegegners gegenüber den Sozialen Diensten tatsächlich und rechtmässig entstanden sowie in seiner Höhe (Fr. 150'000.-) einwandfrei belegt ist und damit die wirtschaftliche Substanz des Vermögens des Versicherten belastet. Die Beschwerdeführerin darf weder zu Lasten der Unterstützung der öffentlichen Sozialhilfe noch in Verletzung der gesetzlich festgesetzten Freibeträge ihre Leistungspflicht verweigern. Sämtliche Umstände sprechen für die Berücksichtigung der Sozialhilfeschuld bei der Ermittlung des Ergänzungsleistungsanspruchs, mithin der vorinstanzliche Entscheid nicht gegen Bundesrecht verstösst. Die Beschwerde ist unbegründet.  
Mit dem Urteil in der Hauptsache wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos. 
 
6.   
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ferner hat sie den anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. September 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli