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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
7B.145/2005 /bnm 
 
Urteil vom 11. Oktober 2005 
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Gysel. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Thurgau als (oberer) kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Existenzminimum, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 13. Juni 2005. 
 
Die Kammer zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Am 23. Februar 2005 vollzog das Betreibungsamt A.________ gegenüber X.________ eine Einkommenspfändung zu Gunsten der zur Gruppe Nr. 1 zusammengefassten Betreibungen. Es ging von einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 4'860.-- zuzüglich Schichtzulagen aus und legte das Existenzminimum auf Fr. 4'250.-- fest (Grundnotbedarf: Fr. 1'100.--; Alimente [Unterhaltsverpflichtung gegenüber der geschiedenen Ehefrau und dem im Juli 1990 geborenen Sohn Y.________]: Fr. 1'370.--; Mietzins einschliesslich Nebenkosten: Fr. 1'250.--; Auswärtige Verpflegung: Fr. 130.--; Fahrten zum Arbeitsort: Fr. 400.--). 
1.2 Mit Eingabe vom 8. März 2005 ersuchte X.________ das Betreibungsamt um Überweisung von Fr. 639.25. Er verwies unter anderem auf verschiedene Arztrechnungen und auf Auslagen für Medikamente und beanspruchte ausserdem Fr. 80.-- unter dem Titel "Selbstkostenanteil Rechnung ... (Krankenkasse)" und Fr. 150.-- (im Monat) unter dem Titel "Betreuungsgeld Sohn". 
 
In seiner am 18. März 2005 erlassenen Verfügung stellte das Betreibungsamt fest, dass X.________ auf Grund nachgewiesener Zahlungen ein Rückforderungsanspruch von Fr. 499.20 bzw. ein Guthaben aus den eingegangenen gepfändeten Lohnquoten von Fr. 474.85 zustehe. Ferner erklärte es, dass ein Rückbehalt für eine Jahresfranchise und/oder Selbstbeteiligung (Krankenkasse) wie auch ein solcher für künftige Arztrechnungen abgelehnt und dem Gesuch um Erhöhung des Existenzminimums unter dem Titel Betreuung des Sohnes nicht entsprochen werde. 
1.3 Die von X.________ gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wiesen der Präsident des Bezirksgerichts B.________ als untere und das Obergericht des Kantons Thurgau als obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen mit Verfügung vom 6. Mai 2005 bzw. mit Beschluss vom 13. Juni 2005 ab. 
 
Den Entscheid des Obergerichts nahm X.________ am 16. Juli 2005 in Empfang. 
1.4 Mit einer vom 26. Juli 2005 datierten und noch am gleichen Tag zur Post gebrachten Eingabe führt X.________ (rechtzeitig) Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Dem Sinne nach verlangt er im Wesentlichen, es seien bei der Berechnung seines Notbedarfs einerseits die Jahresfranchise für die obligatorische Krankenpflegeversicherung und andererseits die Kosten zu berücksichtigen, die anfielen, wenn sein Sohn sich auf Grund der vom Scheidungsrichter genehmigten Besuchsregelung bei ihm aufhalte. 
 
Obergericht und Betreibungsamt schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
2. 
2.1 In BGE 129 III 242 (E. 4.3 S. 245) hat die erkennende Kammer ausgeführt, die in Form der Jahresfranchise erbrachte Beteiligung an den Gesundheitskosten sei dem Betreibungsschuldner in voller Höhe zu Lasten des Notbedarfs zuzugestehen. Da solche Auslagen naturgemäss nur im Falle der Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung entstünden, seien sie in der Regel im Sinne einer entsprechenden Anpassung der Einkommenspfändung nach Art. 93 Abs. 3 SchKG zu berücksichtigen. Der Betreibungsbeamte könne allerdings auch einem Begehren, gleich bei der Ermittlung des Notbedarfs die auf einen Monat umgerechnete Franchise einzusetzen, stattgeben, falls der Betreibungsschuldner an einer chronischen Krankheit leide oder aus einem andern Grund eine notwendige ärztliche Behandlung oder andere medizinische Leistungen bevorstünden, die zum Schluss führten, er werde während der Pfändungsperiode in der vollen Höhe der Jahresfranchise an die Kosten beitragen müssen. 
2.2 Das Obergericht erklärt, der Beschwerdeführer habe keine Umstände geltend gemacht, die die Berücksichtigung von Zahnbehandlungs- bzw. weiterer Arztkosten oder im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der Jahresfranchise zu rechtfertigen vermöchten. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur und für die erkennende Kammer daher verbindlich, zumal der Beschwerdeführer nicht dartut, dass sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen wäre, und nichts auf ein offensichtliches Versehen hindeutet (vgl. Art. 63 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81 OG). Sein Vorbringen, er leide an einer angeborenen Sehschwäche, die eine periodische Anpassung der Sehhilfen notwendig mache, ist unbehelflich, macht er doch nicht etwa geltend, er habe hierfür Beweise angeboten, die von der Vorinstanz in Verletzung von Art. 8 ZGB nicht abgenommen worden wären. Hinsichtlich des Begehrens, es seien bei der Berechnung des Notbedarfs zusätzliche Arzt- bzw. Zahnarztkosten und die Jahresfranchise für die Krankenpflegeversicherung (anteilsmässig) zu berücksichtigen, ist die Beschwerde demnach unbegründet. 
3. 
3.1 In der vom Scheidungsrichter (Einzelrichter am Bezirksgericht C.________) durch Urteil vom 29. Januar 2003 genehmigten Vereinbarung vom 29. November 2002 über die Nebenfolgen wurde festgelegt, dass der Beschwerdeführer den im Juli 1990 geborenen Sohn Y.________, der bei der Mutter leben werde, während eines Wochenendes im Monat, vom Donnerstagabend bis zum Sonntagabend, und nach Möglichkeit während zwei Wochen in den Frühlings- oder Herbstferien betreuen werde. Das Obergericht geht in tatsächlicher Hinsicht - stillschweigend - davon aus, dass der Beschwerdeführer das monatliche Besuchsrecht regelmässig ausübe. Hingegen habe dieser nicht geltend gemacht, dass eine Ferienbetreuung unmittelbar bevorstehe. 
 
Ihren weiteren Erwägungen zu dem vom Beschwerdeführer für die Betreuung des Sohnes zu Lasten seines Notbedarfs beanspruchten Betrag legt die Vorinstanz die von der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (in der Fassung vom 24. November 2000 veröffentlicht in: BlSchK 2001 S. 14 ff.; vgl. auch Adrian Staehelin, Kommentar zum SchKG, Ergänzungsband, Basel 2005, ad N. 23 zu Art. 93) zu Grunde. Werde von dem für den Unterhalt eines über 12 Jahre alten Kindes vorgesehenen monatlichen Grundbetrag von Fr. 500.-- ausgegangen, ergäben sich für das einmal im Monat stattfindende Besuchswochenende (drei Tage) Fr. 50.--. Dieser Betrag müsse, da es nur um ein einziges Kind gehe, als in dem dem Beschwerdeführer persönlich zustehenden Grundbetrag enthalten betrachtet werden, zumal er auch die anteilsmässigen Auslagen für Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung sowie für Körper- und Gesundheitspflege erfasse, für die nicht der Beschwerdeführer, sondern dessen geschiedene Ehefrau aufzukommen habe. Soweit die Aufwendungen des Beschwerdeführers während der zweiwöchigen Ferienbesuche ansteigen würden, werde diesem Umstand, wenn überhaupt, durch eine angemessene Reduktion des der geschiedenen Ehefrau für den Sohn zu zahlenden Unterhaltsbeitrags Rechnung zu tragen sein; allerdings sei im Normalfall davon auszugehen, dass die mit dem Ferienbesuchsrecht zusammenhängenden Kosten bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrags berücksichtigt worden seien. 
3.2 Auf Grund der gerichtlich genehmigten Vereinbarung vom 29. November 2002 steht die elterliche Sorge über Y.________ (im Sinne von Art. 133 Abs. 3 ZGB) beiden Eltern gemeinsam zu (Dispositiv-Ziffer 2 des Scheidungsurteils vom 29. Januar 2003). Bezüglich der Kosten für den Unterhalt des Sohnes sind die beiden in grundsätzlicher Hinsicht übereingekommen, dass unter den gegebenen Verhältnissen die Mutter ihre Unterhaltsleistung erbringe, indem sie Y.________ überwiegend betreue, kleide und ernähre, während der Vater neben der persönlichen Betreuung und der Ernährung gemäss den Abmachungen über die Betreuungszeiten der Mutter Unterhaltsbeiträge für den Sohn bezahle (Ziff. 2.1 der Vereinbarung). Im Einzelnen wurde ferner festgelegt, dass die ordentlichen Kosten, zu denen neben den Auslagen etwa für Kleider, Schuhe und Schulsachen auch die Kosten für die Ferienwochen ausserhalb der dem Beschwerdeführer zufallenden Betreuungszeiten gehörten, von der Mutter getragen würden (Ziff. 2.2 der Vereinbarung). 
3.3 In Anbetracht der dargelegten Gegebenheiten ist davon auszugehen, dass bei der Bemessung der für den Unterhalt von Y.________ geschuldeten Beiträge den Kosten Rechnung getragen wurde, die dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem persönlichen Verkehr mit seinem Sohn (verlängertes Wochenende einmal im Monat und zwei Wochen Ferien im Jahr) erwachsen würden. Eine Berücksichtigung dieser Aufwendungen bei der Berechnung des Existenzminimums hat somit nicht etwa zur Folge, dass das Pfändungssubstrat zweimal unter dem gleichen Titel belastet würde. Es entspricht im Übrigen allgemeiner Praxis, dass die mit der Ausübung des Besuchsrechts verbundenen Kosten in der Regel vom betreffenden Elternteil zu tragen sind und dieser den von ihm auf diese Weise geleisteten Naturalunterhalt grundsätzlich nicht vom Unterhaltsbeitrag abziehen darf (vgl. Cyril Hegnauer, Berner Kommentar, N. 143 f. zu Art. 273 ZGB; Annatina Wirz, in: Ingeborg Schwenzer [Hrsg.], FamKomm Scheidung, Bern 2005, N. 25 zu Art. 273 ZGB; Walter Bühler/Karl Spühler, Berner Kommentar, N. 248 und 315 zu [a]Art. 156 ZGB; Karl Spühler, Berner Kommentar, Ergänzungsband, N. 315 zu [a]Art. 156 ZGB). Auch wegen der zwischen dem Beschwerdeführer und seiner früheren Ehefrau ausdrücklich vereinbarten Regelung ist der vom Obergericht - für die Kosten der Ferienbesuche - geäusserten gegenteiligen Auffassung daher nicht beizupflichten. 
 
Sodann geht es aber auch nicht an, die Auslagen für die Besuchswochenenden als unter die dem Beschwerdeführer für seinen persönlichen Bedarf zuzugestehende Grundpauschale (von Fr. 1'100.-- im Monat; Ziff. I/1 der Richtlinien) fallend zu betrachten. Der persönliche Verkehr des Beschwerdeführers mit seinem Sohn darf nicht etwa mit der Einladung eines andern Verwandten oder eines Bekannten zu einem Essen verglichen werden, wofür in der Tat die Mittel aus dem Grundbetrag (im weitesten Sinne unter dem im Ingress von Ziff. I der Richtlinien erwähnten Titel "Kulturelles") einzusetzen wären. Es ist zu bedenken, dass Art. 273 Abs. 1 ZGB einen gegenseitigen Anspruch des nicht sorge- bzw. obhutsberechtigten Elternteils und des Kindes auf angemessenen persönlichen Verkehr verleiht. Demnach steht dem Beschwerdeführer nicht nur das Recht auf persönlichen Verkehr mit seinem Sohn zu, sondern es trifft ihn auch die Pflicht, dieses Recht wahrzunehmen (so genanntes Pflichtrecht; dazu Wirz, a.a.O. N. 4 zu Art. 273 ZGB mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer vertritt unter den dargelegten Umständen zu Recht die Ansicht, den damit zusammenhängenden Auslagen sei bei der Bemessung des ihm zuzugestehenden Existenzminimums Rechnung zu tragen. Dass er dies erst mit einem Revisionsbegehren verlangt hat, ist ohne Belang. Allerdings sind die geltend gemachten Aufwendungen erst mit Wirkung ab Einreichen des Begehrens zu berücksichtigen. 
3.4 Die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten, die (auch) das Bundesgericht seinen Entscheiden verschiedentlich (stillschweigend) zugrunde gelegt hat (dazu BGE 129 III 242 E. 4.1 S. 243 f.), sehen für den Unterhalt eines über 12 Jahre alten Kindes einen monatlichen Grundbetrag von Fr. 500.-- vor (Ziff. I/4). Zu Recht hat das Obergericht in seinen Erwägungen auf diese Pauschale hingewiesen und für die hier auf drei Tage festgelegten Wochenenden deshalb von einem Betrag von Fr. 50.-- gesprochen. Von einem Vater zu verlangen, dass er die Kosten, die während der Besuchstage angefallen sind bzw. anfallen werden, im Einzelnen darlege, wäre in der Tat zu umständlich. Zwar trifft zu, dass nach den genannten Richtlinien der Pauschalbetrag nicht nur die Nahrungskosten abdeckt, sondern beispielsweise auch die Auslagen für Kleidung und Wäsche sowie für Körper- und Gesundheitspflege und für Kulturelles (Ziff. I Ingress). Indessen ist dem betroffenen Elternteil zuzugestehen, dass er das bei ihm zu Besuch weilende Kind nicht nur ernährt, sondern ihm ab und zu auch ermöglicht, das Schwimmbad oder ein Kino aufzusuchen, eine Ausstellung zu besuchen oder einem Sportanlass beizuwohnen. Ausnahmsweise soll er ihm auch einmal einen kleinen Ausflug bieten oder ein kleineres Kleidungsstück kaufen können. 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Betreibungsamt ist anzuweisen, den finanziellen Aufwand des Beschwerdeführers für die monatlichen Wochenendbesuche seines Sohnes und für die von diesem bei ihm zu verbringenden Ferien - soweit die Ausübung des persönlichen Verkehrs dargetan ist - bei der Berechnung des Existenzminimums nach Massgabe der in den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz für den Unterhalt eines Kindes vorgesehenen Grundpauschale (Ziff. I/4) zu berücksichtigen. 
 
Demnach erkennt die Kammer: 
1. 
1.1 Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau als (oberer) kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs vom 13. Juni 2005 aufgehoben. 
1.2 Das Betreibungsamt A.________ wird angewiesen, in der gegenüber dem Beschwerdeführer zu vollziehenden Pfändung bei der Festsetzung des Notbedarfs die bei den Wochenend- und Ferienbesuchen des Sohnes anfallenden Kosten im Sinne der Erwägungen zu berücksichtigen. 
2. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Betreibungsamt A.________ und dem Obergericht des Kantons Thurgau als (oberer) kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 11. Oktober 2005 
Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: