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[AZA 7] 
K 107/99 Ge 
 
III. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Spira und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Urteil vom 19. Dezember 2001 
 
in Sachen 
 
G.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Dr. Heinz Lüscher, Claragraben 78, 4058 Basel, 
 
gegen 
 
VISANA, Juristischer Dienst, Weltpoststrasse 19/21 3000 Bern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 
 
A.- G.________ ist bei der Visana krankenversichert. Prof. Dr. Dr. L.________, Vorsteher des zahnärztlichen Instituts der Universität X.________, hielt im Schreiben vom 22. November 1995 die Diagnose der Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" mit lokalem Übergang in Präkanzerose fest und empfahl den Ersatz des Amalgam durch Keramik oder Gold. Am 13. Februar 1996 unterbreitete G.________ der Visana einen Kostenvoranschlag des Dr. med. dent. L.________ vom 17. Januar 1996 für diesen Eingriff in der Höhe von Fr. 16'446. 50. Obschon die Visana G.________ mitgeteilt hatte, sie lehne eine Leistungspflicht für die Amalgamsanierung ab, liess die Versicherte der Krankenkasse am 29. August 1996 die Rechnung für die erfolgten zahnärztlichen Behandlungen in der Höhe von Fr. 13'323. 10 zur Kenntnis bringen. Nach Beizug des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. C.________ hielt die Visana mit Verfügung vom 25. April 1997 an der Ablehnung der Leistungspflicht aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung fest. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 30. Oktober 1997 ab. 
 
B.- Mit Beschwerde liess G.________ beantragen, die Krankenkasse Visana habe ihr die Kosten von Fr. 13'323. 10 inkl. Zins zu 5% seit 20. Juni 1996 für die zahnärztliche Behandlung vom 12. Januar bis 20. Juni 1996 durch Dr. med. dent. L.________ zu ersetzen. Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hat die Beschwerde mit Entscheid vom 14. Juli 1999 abgewiesen. 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ das im vorinstanzlichen Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern. 
Die Visana und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
D.- Am 28. März 2000 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Expertengruppe mit der Erstellung eines zahnmedizinischen Grundsatzgutachtens im Zusammenhang mit der Leistungspflicht der Krankenkassen bei zahnärztlichen Behandlungen beauftragt. Um sicherzustellen, dass keine Widersprüche in der Rechtsprechung zu den Leistungsbestimmungen der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) ergehen, wurde neben anderen Beschwerdeverfahren auch das vorliegende Verfahren mit Verfügung vom 3. April 2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging am 31. Oktober 2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit den Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Experten einen Ergänzungsbericht. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nachdem das Grundsatzgutachten erstellt ist, kann die Sistierung des vorliegenden Verfahrens aufgehoben werden. 
 
2.- a) Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen, dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen Leistungen erbringen. 
Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG). 
b) Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) hat das Departement in der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) zu jedem der erwähnten Unterabsätze von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragen sind. In Art. 19 KLV schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendiger Bestandteil der Behandlung darstellt. 
 
3.- a) Die Krankenkasse verneint von vornherein jegliche Leistungspflicht gestützt auf das Krankenversicherungsgesetz, da die diagnostizierte Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" mit lokalem Übergang in Präkanzerose eine Erkrankung des Kausystems darstelle, die jedoch in der abschliessenden Aufzählung von Art. 17 KLV, insbesondere in Art. 17 lit. c Ziff. 1 und 2 KLV nicht enthalten sei. Auch in den abschliessenden Aufzählungen von Art. 18 und 19 KLV sei das Leiden nicht erwähnt, wobei diese Bestimmungen vorliegend ohnehin nicht anwendbar seien. Was sodann die Erfordernisse der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss Art. 32 KVG anbelange, sei zu betonen, dass der Zusammenhang zwischen den Amalgamfüllungen und der Schleimhauterkrankung nicht mit dem Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit wissenschaftlich erwiesen sei. 
b) Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, bei der Präkanzerose sei ein Mehr an Zellschichten der Mundschleimhaut festzustellen, sodass die Krankheit den Tumoren oder tumorähnlichen Veränderungen zuzurechnen sei, wobei deren Art irgendwo zwischen gutartig und maligne anzusiedeln sei. Das Krankenversicherungsgesetz schliesse neu sodann auch die zahnärztliche Leistung zur Behandlung und zur Vorbeugung einer schweren Allgemeinerkrankung ein. Präkanzerose als Vorstufe zu Krebs sei eine schwere Allgemeinerkrankung. Die Behandlung im vorliegenden Fall sei schliesslich wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich. 
 
c) Die Vorinstanz hat gestützt auf die medizinischen Akten festgestellt, dass es sich bei der Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" mit lokalem Übergang in Präkanzerose um eine Erkrankung des Kausystems handle. Da die "lichen ruber mukosae" in Art. 17 KLV nicht erwähnt sei und die Präkanzerose per definitionem weder einen gutartigen noch einen malignen Tumor und auch keine tumorähnliche Veränderung darstelle, seien beide Erkrankungen nicht als schwer im Sinne von Art. 17 KLV zu qualifizieren. Damit entfalle eine Leistungspflicht gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG. Die Erkrankung der Beschwerdeführerin sei sodann auch in Art. 18 KLV weder erwähnt, noch könne sie einer der darin genannten Erkrankungen zugerechnet werden. Art. 19 KLV schliesslich, bei welchem die zahnärztliche Behandlung notwendiger Bestandteil der Therapie einer schweren Allgemeinerkrankung sei, sehe nur die Strahlen- oder Chemotherapie maligner Leiden vor. Da Präkanzerose somit auch keine schwere Allgemeinerkrankung im Sinne von Art. 18 und 19 KLV sei, stelle die vorgenommene Behandlung keine Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dar. 
 
4.- Die Beschwerdeführerin hat sich nach der Durchführung klassischer Behandlungsversuche ihrer Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" mit Übergang in Präkanzerose einer Amalgamsanierung unterzogen. Streitig und zu prüfen ist, ob die Kosten dieser zahnärztlichen Behandlung von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. 
 
a) Zunächst ist in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass bei der Schaffung des per 1. Januar 1996 in Kraft getretenen neuen Rechts am Grundsatz, wonach die Kosten für zahnärztliche Behandlungen nicht der Krankenversicherung zu überbinden sind, nichts geändert wurde (BGE 125 V 282 Erw. 6 mit Hinweisen). In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht - wie die Vorinstanz erwähnt hat - entschieden, dass die in Art. 17-19 KLV aufgelisteten Erkrankungen, deren zahnärztliche Behandlung von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist, abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Urteile M. vom 19. September 2001, K 73/98, und J. vom 28. September 2001, K 78/98). 
 
b) Art. 17 und 18 KLV regeln gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a und b KVG die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für den Fall, dass diese entweder durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Art. 19 KLV sodann umfasst gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung, die zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Für die Frage der anwendbaren Rechtsgrundlage kommt es somit darauf an, ob, wie bei Art. 17 und 18 KLV, die schwere Erkrankung des Kausystems oder die schwere Allgemeinerkrankung oder deren Behandlung Ursache des Zahnleidens ist, oder aber ob, wie bei Art. 19 KLV, die zahnärztliche Versorgung notwendiger Bestandteil der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung darstellt. 
 
c) Da vorliegend die Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" mit lokalem Übergang in Präkanzerose auf das Amalgam zurückgeführt wird und die Amalgamsanierung zur Behandlung dieser Erkrankung und zur Vorbeugung gegen Krebs vorgenommen worden ist, kann eine allfällige Leistungspflicht der Krankenversicherung nur auf Art. 19 KLV abgestützt werden. Diese Bestimmung ist daher einer näheren Prüfung zu unterziehen. 
 
5.- a) Gemäss Art. 19 KLV in der vorliegend massgebenden, bis Ende 1998 gültigen Fassung übernimmt die Versicherung die Kosten der zahnärztlichen Behandlung, die bei den folgenden Behandlungen notwendig ist: "Zahnärztliche Zahnherdbehandlung: 
a. präoperativ bei Herzklappenersatz, Gefässprothesenimplantation, kraniellen Shuntoperationen; 
b. präoperativ bei Eingriffen mit nachfolgender lebenslanger Immunsuppression; 
c. vorgängig bei Strahlentherapie oder Chemotherapie maligner Leiden. " 
 
Dieser Bestimmung wurden bereits in der zitierten Fassung nicht nur vorausgehende zahnärztliche Behandlungen, sondern generell die gesamte zahnärztliche Versorgung, die zur Behandlung einer der in der Verordnungsbestimmung erwähnten schweren Allgemeinerkrankung notwendig war, zugeordnet (vgl. BGE 124 V 199 Erw. 2d; Gebhard Eugster, Krankenversicherungsrechtliche Aspekte der zahnärztlichen Behandlung nach Art. 31 Abs. 1 KVG, in: LAMal - KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la Société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, S. 243). 
Der Wortlaut von Art. 19 KLV ist per 1. Januar 1999 entsprechend geändert worden und umfasst jetzt die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlungen, die zur Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen Behandlungen notwendig sind: 
"a.bei Herzklappenersatz, Gefässprothesenimplantation, kraniellen Shuntoperationen; 
b.bei Eingriffen mit nachfolgender langdauernder Immunsuppression; 
c.bei Strahlentherapie oder Chemotherapie maligner Leiden; 
d.bei Endokarditis. " 
 
b) Sinn dieser Bestimmung ist, wie aus dem Wortlaut der geänderten Fassung deutlich hervorgeht, die Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen Behandlungen der aufgelisteten schweren Allgemeinerkrankungen. Die medizinische Behandlung dieser Leiden zählt unbestrittenermassen zu den Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung. Diese Behandlung verträgt in der Regel keinen Aufschub, sondern muss unverzüglich erfolgen können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung kann eine zahnärztliche Versorgung sein. Erschiene deren Finanzierung durch die soziale Krankenversicherung nicht als gesichert, könnte die sofortige medizinische Behandlung der Krankheit in Frage gestellt und damit die Gesundheit, wenn nicht gar das Leben, gefährdet sein. 
 
c) Die Mundschleimhauterkrankung "lichen ruber mukosae" und die Präkanzerose sind in der abschliessenden Aufzählung von Art. 19 KLV weder in der massgebenden, bis Ende 1998 gültigen, noch in der neuen Fassung erwähnt. Präkanzerose ist eine Krebsvorstufe und daher vom Stadium her noch kein malignes Leiden. Selbst wenn sie bereits darunter subsumiert würde, könnte Art. 19 lit. c KLV mangels Strahlen- oder Chemotherapie nicht zur Anwendung kommen. Die Amalgamsanierung der Beschwerdeführerin kann demzufolge nicht zu den Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung gezählt werden. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Sistierung wird aufgehoben. 
 
II. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
III. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 19. Dezember 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: