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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_639/2011 
 
Urteil vom 30. August 2012 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Kernen, 
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Scartazzini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
K.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Maron, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 27. Juni 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die IV-Stelle der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich bestellte dem Versicherten M.________ mit Verfügung vom 24. Februar 2011 in der Person von Rechtsanwalt K.________ einen unentgeltlichen Rechtsbeistand für das Verwaltungsverfahren und legte dessen Entschädigung auf Fr. 1'790.50 fest. 
 
B. 
Dagegen führte Rechtsanwalt K.________ Beschwerde und beantragte, die angefochtene Verfügung sei dahingehend abzuändern, dass ihm für seinen Aufwand eine Entschädigung in Höhe von Fr. 2'633.30 zuzusprechen sei. Mit Entscheid vom 27. Juni 2011 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab. Für das Beschwerdeverfahren auferlegte es dem Beschwerdeführer die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 400.-. 
 
C. 
Rechtsanwalt K.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er stellt das Rechtsbegehren, Dispositiv-Ziffer 2 des kantonalen Entscheides, welche ihm die Gerichtskosten von Fr. 400.- auferlegt, sei aufzuheben, wobei festzustellen sei, dass das Verfahren kostenlos ist. 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393). 
 
2. 
Strittig vor der Vorinstanz war die Höhe der Entschädigung für den unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren. In der Hauptsache wies das Gericht das Begehren ab. Es auferlegte sodann dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 69 Abs. 1bis IVG Fr. 400.- an Gerichtskosten. Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht ausschliesslich die Auferlegung der Kosten im kantonalen Verfahren. 
 
3. 
3.1 Gemäss Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um Bewilligung oder Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht abweichend von Art. 61 lit. a ATSG kostenpflichtig (vgl. Botschaft des Bundesrates betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 4. Mai 2005 [BBl 2005 3085]). Der Beschwerdeführer rügt eine Bundesrechtsverletzung. Er macht geltend, die Vorinstanz habe auf die Frage der Verfahrenskosten zu Unrecht Bundesrecht anstatt kantonales Recht angewandt, was einer Verletzung von Bundesrecht gleich zu stellen sei. Nach § 33 des zürcherischen Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht vom 7. März 1993 GSVGer, welche Bestimmung die Minimalanforderungen regle, die Art. 61 lit. a ATSG an das kantonale Verfahren stellt, sei das Verfahren vor Sozialversicherungsgericht kostenlos. 
 
3.2 Der Streit um die Höhe der Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsvertretung ist kein Streit um Versicherungsleistungen gemäss Art. 69 Abs. 1bis IVG. In konstanter Rechtsprechung ist der Begriff "Streit um Versicherungsleistungen" - vorerst gemäss Art. 132 OG - definiert und die Abgrenzung aus der Rechtsprechung zu Art. 132 OG übernommen worden (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 35 zu Art. 61 ATSG). Massgebliche Rechtsprechung zum seit 1. Juli 2006 geltenden Art. 69 Abs. 1bis IVG ist somit BGE 122 V 221 E. 2 S. 222 f., wonach der Erlass einer Rückerstattungsschuld kein Streit um Versicherungsleistungen ist. Gemäss BGE 121 V 17 E. 2 S. 18 f. und BGE 118 V 88 E. 1a S. 90 f. ist auch die Drittauszahlung einer Invalidenrente kein Streit um Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen. Bereits im grundlegenden Entscheid BGE 112 V 97 E. 1b S. 100 mit Verweis auf BGE 110 V 25 E. 3 S. 27 f. und BGE 98 V 274 E. 2 S. 276 wurde diese Rechtsfrage beantwortet, im ersteren Fall mit Unterscheidung zwischen Erlass einer Rückerstattungsschuld und Rückforderung von Versicherungsleistungen, wobei dort entschieden wurde, dass eine Rückforderung eine Versicherungsstreitigkeit ist. 
 
3.3 Die soeben angeführten Entscheide beschlagen zwar nicht exakt die hier vorliegende strittige Frage, ob die Höhe der Entschädigung für unentgeltlichen Rechtsbeistand eine Versicherungsstreitigkeit darstelle. Nach den von der Rechtsprechung erfolgten Grenzlinien ist aber offensichtlich, dass dieser Streit in keiner Weise als Versicherungsstreitigkeit qualifiziert werden kann. Zudem ist auch das auf BGE 130 V 570 E. 3 S. 574 bezogene Argument des Beschwerdeführers stichhaltig, wonach aus diesem Entscheid implizit hervorgehe, beim Streit um eine Parteientschädigung zu Lasten der IV-Stelle im Verwaltungsverfahren handle es sich nicht um eine Frage der Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sodass eine Kostenauflage gestützt auf Art. 69 Abs. 1bis IVG bundesrechtswidrig sei. Angesichts der Bundesrechtsverletzung durch die Vorinstanz ist die Beschwerde offensichtlich begründet. 
 
3.4 Das kantonale Gericht vertritt die Auffassung, die Kostenpflicht im Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung oder Verweigerung von IV-Leistungen gemäss Art. 69 Abs. 1bis IVG beschlage nicht nur Verfahren zur Hauptsache (Versicherungsleistungen), sondern auch Verfahren über prozessuale Nebenpunkte. Es begründet dies im Wesentlichen mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Kostenauflage bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis. Die dort gebotene Kostenlosigkeit des Verfahrens gemäss Art. 343 Abs. 2 OR beziehe sich auch auf Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte (BGE 104 II 222 E. 2a S. 223). 
Allein jene Rechtsprechung kann nicht gleichermassen in Leistungsstreitigkeiten der Invalidenversicherung massgeblich sein, denn die Kostenlosigkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist aus sozialpolitischen Gründen eingeführt worden, damit Arbeitnehmer ihre Rechte gegenüber den meist stärkeren Arbeitgebern ihre Ansprüche durchsetzen können. Der sozialpolitische Gehalt dieser Norm wäre illusorisch, wenn nicht auch die prozessualen Nebenpunkte unter diese Norm fielen. 
Gerade gegenteilig verhält es sich mit der Sondernorm von Art. 69 Abs. 1bis IVG: Diese ist als Ausnahmebestimmung von Art. 61 Abs. 1 lit. a ATSG, wonach das kantonale Verfahren in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich kostenlos ist, als eine Massnahme zur Verfahrensstraffung im Bereich der IV-Verfahren auf den 1. Juli 2006 in Kraft gesetzt worden (Botschaft betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [Massnahmen zur Verfahrensstraffung] vom 4. Mai 2005, BBl 2005 S. 3079 ff., S. 3085). Der allgemeine sozialpolitische Gehalt des Art. 61 Abs. 1 lit. a ATSG - rasches, einfaches und kostenloses Verfahren - erfuhr somit eine Ausnahme nur in einem Bereich der Sozialversicherung. Daher ist Art. 69 Abs. 1bis IVG einschränkend auszulegen. 
 
3.5 Schliesslich spricht vorliegend ein weiterer Grund für die Nichtanwendbarkeit von Art. 69bis Abs. 1 IVG: Es liegt hier kein privatrechtliches Vertretungsverhältnis vor, sondern der Anwalt handelte als von der Verwaltung bestellter unentgeltlicher Rechtsbeistand. Es entstand damit ein Rechtsverhältnis zwischen Verwaltung und Rechtsbeistand, an dem der Klient nicht unmittelbar beteiligt ist. Gegen die Festsetzung der Höhe der Entschädigung kann sich aus diesem Grund nur der Rechtsvertreter wenden, nicht aber dessen Klient, der kein schutzwürdiges Interesse an der Änderung einer Entschädigung hat. Der Rechtsvertreter kann seinem Klienten bei einem als tief erachteten Honorar keine zusätzliche Rechnung stellen (für viele: 8C_704/2008 vom 2. Juni 2009 E. 6.1). Ist ein Punkt im Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Verwaltung strittig, hat dieser Streit nicht den Charakter eines typischen Leistungsstreits im Sinne von Art. 69bis Abs. 1 IVG, bei dem sich die versicherte Person und die Versicherung gegenüberstehen. 
 
4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle des Kantons Zürich die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziffer 2 des Entscheides des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 2011 wird aufgehoben. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich auferlegt. 
 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 30. August 2012 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Meyer 
 
Der Gerichtsschreiber: Scartazzini