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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_128/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 24. April 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Brunnmattstrasse 24, 3007 Bern, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Lücke, 
Brunngasse 48, 3011 Bern, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, 
Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 23. März 2017 des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern eröffnete mit Verfügung vom 24. November 2016 gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen versuchten in Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 22 i.V.m. Art. 242 Abs. 1 StGB). Er wird verdächtigt, am 21. Oktober 2016 beim Kiosk B.________ in Bern versucht zu haben, mit einer gefälschten 100-Euro-Note Zigaretten zu kaufen. 
Am 2. Dezember 2016 stellte der Anwalt des Beschwerdeführers ein Gesuch um amtliche Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft forderte ihn zweimal auf, die notwendigen Unterlagen einzureichen. Am 15. Februar 2017 wies sie das Gesuch ab. Aus den eingereichten Dokumenten ergebe sich nicht hinreichend genau, wie es um die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von A.________ bestellt sei, doch übersteige jedenfalls die Erwerbsausfallentschädigung den zivilprozessualen Zwangsbedarf. 
Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern mit Beschluss vom 23. März 2017 ab. Zur Begründung hielt es fest, es handle sich um einen Bagatellfall. Ob der Beschuldigte über die erforderlichen Mittel verfüge, könne deshalb offen bleiben. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 31. März 2017 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und Rechtsanwalt Oliver Lücke sei als sein amtlicher Verteidiger einzusetzen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft Bern haben Stellung genommen, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Der Beschwerdeführer hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbständig eröffneten Zwischenentscheid in einer Strafsache, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 und Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; Urteil 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 1, in: Pra 2015 Nr. 107 S. 872; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat auch in Bezug auf die bereits erfolgten anwaltlichen Leistungen ein aktuelles und praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde (Art. 81 Abs. 1 BGG; Urteil 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 1 mit Hinweisen, in: Pra 2015 Nr. 107 S. 872). Die weiteren Sachurteils1-7voraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerde in Strafsachen ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 393 StPO. Das Obergericht sei über den Streitgegenstand hinausgegangen, denn die Verfügung der Staatsanwaltschaft befasse sich ausschliesslich mit der Frage der Mittellosigkeit.  
 
2.2. Streitgegenstand bildete im vorinstanzlichen (wie auch im vorliegenden) Verfahren die Frage, ob dem Beschwerdeführer die amtliche Verteidigung zu gewähren sei. Das ergibt sich aus der Verfügung der Staatsanwaltschaft und den Beschwerdeanträgen des Beschwerdeführers. Indem das Obergericht seinen Entscheid auf eine neue rechtliche Begründung stützte, weitete es den Streitgegenstand nicht aus. Im Übrigen wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, sich zur neu herangezogenen rechtlichen Grundlage zu äussern (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 131 V 9 E. 5.4.1 S. 26 mit Hinweis). Eine Bundesrechtsverletzung liegt somit nicht vor.  
 
3.  
 
3.1. Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen - etwa wenn die Untersuchungshaft mehr als 10 Tage gedauert hat oder eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Aussicht steht (Art. 130 lit. a und b StPO) - notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall ein Verteidiger zur Seite gestellt werden. Bestimmt sie keinen Wahlverteidiger, muss ihr diesfalls zwingend ein amtlicher Verteidiger bestellt werden (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). In Bagatellfällen besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung (Art. 132 Abs. 2 StPO). Steht für den Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über 4 Monaten, eine Geldstrafe von über 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden in Aussicht, liegt jedenfalls kein Bagatellfall mehr vor (Art. 132 Abs. 3 StPO). In den dazwischen liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen, wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten erscheint (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist (Art. 132 Abs. 2 StPO).  
 
3.2. Das Obergericht geht davon aus, dass ein Bagatellfall vorliegt. Der Beschwerdeführer habe mit einer gefälschten Banknote bezahlen wollen. Die Verkäuferin habe es gemerkt, worauf er ihr eine echte 10-Franken-Note übergeben, die Zigaretten jedoch nicht mitgenommen habe und geflüchtet sei. Dieser Straffall biete zumindest derzeit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten, denen der Beschwerdeführer nicht gewachsen sei.  
Im Übrigen verweist das Obergericht auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung vom 3. März 2017. Diese hielt fest, bei einer Verurteilung sei mit einer Geldstrafe zu rechnen, die deutlich unter der in Art. 132 Abs. 3 StPO genannten Grenze liege. Im jetzigen Zeitpunkt sei auch nicht ersichtlich, dass sich bei diesem schlichten Sachverhalt grössere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art ergeben könnten. Besondere Umstände (wie körperliche und/oder intellektuelle Einschränkungen, sprachliche Probleme etc.) seien nicht erkennbar. 
 
3.3. Der Beschwerdeführer bringt vor, im Polizeirapport vom 28. Oktober 2016 würden weitere Bezahlversuche mit falschen 100-Euro-Noten erwähnt. Eine mögliche Täterschaft solle erkannt worden sein. Eine Auskunftsperson habe zudem am 24. November 2016 angegeben, der Beschwerdeführer sei anhand eines Facebook-Fotos erkannt worden. Anlässlich einer Hausdurchsuchung seien bei ihm Banknoten in Euro (insgesamt Euro 1'100.--) und Schweizer Franken (insgesamt Fr. 4'060.--) beschlagnahmt worden. Die Formulierung der Vorinstanz, wonach "zumindest derzeit" keine Schwierigkeiten bestünden, denen er nicht gewachsen sei, erstaune. Es müsse auch einer möglichen künftigen Entwicklung Rechnung getragen werden. Auch in rechtlicher Hinsicht sei die Sache komplex. Möglicherweise komme neben Art. 242 StGB auch Art. 244 StGB in Betracht und müsse die Frage der Konkurrenz zwischen diesen beiden Straftatbeständen geklärt werden.  
 
3.4. Aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 3 StPO ("jedenfalls dann nicht") folgt, dass nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen ist, wenn die im Gesetz genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind (Urteil 1B_263/2013 vom 20. November 2013 E. 4.3 mit Hinweis). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung von Abs. 2 durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck bringt, dass nicht ausgeschlossen ist, neben den beiden genannten Kriterien (kein Bagatellfall; tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre) weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. im Einzelnen Urteil 1B_746/2012 vom 5. März 2013 E. 2.5 mit Hinweis). Mithin ist eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig, die sich einer strengen Schematisierung entzieht. Immerhin lässt sich festhalten, dass je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, desto geringer die Anforderungen an die erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten sein müssen, und umgekehrt (Urteil 1B_380/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 2.5 mit Hinweis).  
 
3.5. Wer falsches oder verfälschtes Metallgeld oder Papiergeld, falsche oder verfälschte Banknoten als echt oder unverfälscht in Umlauf setzt, wird gemäss Art. 242 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Gemäss dem angefochtenen Entscheid wird dem Beschwerdeführer derzeit lediglich vorgeworfen, versucht zu haben, mit einer einzelnen 100-Euro-Note zu bezahlen. Aus der polizeilichen Einvernahme der Verkäuferin des betreffenden Kiosks vom 24. November 2016 ergibt sich jedoch auch, dass diese den Beschwerdeführer mithilfe eines Mitarbeiters eines anderen Kiosks identifizieren konnte. Dort soll es einen Tag später ebenfalls zu einem Vorfall gekommen sein, wobei der Beschwerdeführer wiederum in Begleitung derselben Person gewesen sein soll. In der Folge erliess die Staatsanwaltschaft einen Hausdurchsuchungsbefehl. Die Hausdurchsuchung fand am 29. November 2016 statt. Die Kantonspolizei beschlagnahmte zum einen eine Reihe von Geldscheinen im Wert von Euro 1'100.-- und Fr. 4'060.--, zum andern einen Elektroschocker mit Ladegerät sowie zwei Druckschriften.  
 
3.6. Auf der Grundlage der dem Bundesgericht zur Verfügung gestellten Verfahrensakten ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass der Tatverdacht sich nicht auf den Zahlungsversuch vom 21. Oktober 2016 beim Kiosk B.________ beschränkt. Es gibt jedoch keine Hinweise auf eine hohe Deliktssumme. Auch wenn zusätzlich in Betracht zu ziehen ist, dass eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat (vgl. E. 3.4 hiervor), ist die Vorinstanz zu Recht von einem Bagatellfall ausgegangen, zumal zum jetzigen Zeitpunkt eine Strafe zu erwarten ist, die deutlich unter den Art. 132 Abs. 3 StPO genannten Schwellenwerten liegt. Besondere Umstände, die gleichwohl eine amtliche Verteidigung als angezeigt erscheinen liessen, sind nicht ersichtlich. Mögliche Fragen der Konkurrenz zu anderen Straftatbeständen bzw. der Teilnahme vermögen allein genommen und angesichts des einfach gelagerten Sachverhalts hieran nichts zu ändern. Die Rüge ist deshalb unbegründet.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Oliver Lücke wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. April 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold