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[AZA 0/2] 
5P.298/2000/min 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
9. November 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und 
Gerichtsschreiber Levante. 
 
--------- 
 
In Sachen 
B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Bachmann, Ruflisbergstrasse 46, Postfach 6261, 6000 Luzern 6, 
 
gegen 
Obergericht (Justizkommission) des Kantons Luzern, 
betreffend 
 
Art. 9 BV (Zivilprozess; unentgeltliche Rechtspflege), hat sich ergeben: 
 
A.- B.________ beantragte am 8. März 2000 dem Amtsgerichtspräsidenten von Sursee, es sei ihm für den Prozess gegen S.________ betreffend die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts gemäss Art. 42 BGBB uneingeschränkt die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Am 10. März 2000 stellte er in der betreffenden Streitsache ein Gesuch um Anordnung von vorsorglichen Massnahmen und Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Der Amtsgerichtspräsident I von Sursee trat mit Entscheid vom 31. März 2000 auf das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege für den ordentlichen Prozess einschliesslich Massnahmeverfahren zufolge Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht ein. B.________ reichte am 14. April 2000 in der gleichen Sache erneut ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ein; auf dieses trat der Amtsgerichtspräsident I von Sursee mit Entscheid vom 19. April 2000 mangels Nachweis veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse ebenfalls nicht ein. Dagegen erhob B.________ Nichtigkeitsbeschwerde, welche das Obergericht (Justizkommission) des Kantons Luzern mit Entscheid vom 21. Juni 2000 abwies, soweit darauf eingetreten wurde. 
 
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 23. August 2000 beantragt B.________ dem Bundesgericht, den Entscheid der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern vom 21. Juni 2000 aufzuheben und die Sache an die Justizkommission zurückzuweisen. Im Weiteren ersucht er, es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung des beauftragten Rechtsanwaltes zu gewähren. Die Justizkommission des Obergerichts beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und verweist auf die Begründung im angefochtenen Entscheid. 
C.- Mit Verfügung vom 8. September 2000 hat das präsidierende Mitglied der II. Zivilabteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Der angefochtene Entscheid der Justizkommission des Obergerichts über die unentgeltliche Rechtspflege stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Zwischenentscheid dar; gegen diesen ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig (Art. 86 Abs. 1, Art. 87 Abs. 2 OG; BGE 119 Ia 337 E. 1 S. 338). 
 
b) Von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 124 I 327 E. 4a und b S. 332 ff.). Die Rückweisung der Angelegenheit zu neuer Entscheidung ist im Falle der Gutheissung der Beschwerde daher selbstverständlich und ein entsprechender Antrag überflüssig (BGE 112 Ia 353 E. 3c/bb S. 354 f.). 
 
2.- Soweit der Beschwerdeführer vorweg in formeller Hinsicht geltend macht, die Justizkommission habe in unhaltbarer Weise verkannt, dass er die Nichtigkeitsbeschwerde nicht gegen den ersten, sondern fristgerecht gegen den zweiten Nichteintretensentscheid erhoben habe, und Rügen in seinem Rechtsmittel seien nicht behandelt worden, sind seine Vorbringen unbehelflich. Die Justizkommission hat festgehalten, dass der erste Nichteintretensentscheid des Amtsgerichtspräsidenten unangefochten geblieben sei und dieser nicht mehr gerügt werden könne; soweit das betreffende Verfahren Wirkung auf das zweite Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege habe, sei darauf einzugehen. Da die Justizkommission im Folgenden einlässlich geprüft hat, ob hinsichtlich des zweiten Nichteintretensentscheides des Amtsgerichtspräsidenten eine Verletzung von Verfahrensrecht vorliegt, kann von einer Verfassungsverletzung - sollte der Beschwerdeführer den Vorwurf einer Verletzung seines Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV) überhaupt genügend substantiiert haben (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) - keine Rede sein. Unzulässig ist die Kritik des Beschwerdeführers, soweit er sich damit gegen den ersten Nichteintretensentscheid des Amtsgerichtspräsidenten wendet; jener Entscheid bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheides (BGE 118 III 37 E. 2a S. 39). 
 
3.- a) Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, der angefochtene Entscheid verletze seinen in § 130 Abs. 1 ZPO/LU und Art. 9 (recte: Art. 29 Abs. 3) BV festgelegten Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege sowie das Willkürverbot, weil der Amtsgerichtspräsident auf das zweite Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht eingetreten sei und die materiellen Voraussetzungen nicht geprüft habe, obwohl die erforderlichen amtlichen Formulare eingereicht worden seien. Das Gesetz verlange keine wesentliche Änderung der finanziellen Verhältnisse und überdies habe im Rahmen des ersten Gesuches noch keine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse stattgefunden. 
 
b) Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich als Minimalgarantie direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV (Art. 4 aBV), soweit das kantonale Recht keine weiter gehende Ansprüche gewährt (BGE 124 I 304 E. 2a S. 306). Da der Beschwerdeführer nicht behauptet, dass der in § 130 ff. ZPO/LU verankerte Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege weiter gehe als der bundesrechtliche Minimalanspruch, kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob der direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV hergeleitete Armenrechtsanspruch verletzt worden ist; diesbezüglich steht dem Bundesgericht freie Kognition zu (BGE 124 I 1 E. 2 S. 2, 304 E. 2a S. 306). 
 
c) Die Justizkommission hat festgehalten, das Amtsgericht habe den Beschwerdeführer im Rahmen des ersten Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege mit Editionsverfügung vom 22. März 2000 aufgefordert, näher bestimmte Urkunden bis zum 29. März 2000 einzureichen; die gestützt auf § 88 Abs. 2 ZPO/LU ergangene Verfügung habe ausdrücklich die Androhung enthalten, dass nach unbenutztem Fristablauf Verzicht auf die beantragte unentgeltliche Rechtspflege angenommen werde. Da der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 27. März 2000 die einverlangten Urkunden nicht eingereicht habe, sei der Amtsgerichtspräsident mit Entscheid vom 31. März 2000 auf das Gesuch wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht zu Recht nicht eingetreten (§ 133 Abs. 3 i.V.m. § 234 Abs. 3 ZPO/LU) und habe in materieller Hinsicht einen Verzicht auf die beantragte unentgeltliche Rechtspflege im laufenden Prozess bzw. eine Verwirkung des betreffenden Anspruchs annehmen dürfen. Mit dem zweiten Gesuch vom 14. April 2000 im gleichen Verfahren habe der Beschwerdeführer keine veränderten finanziellen Verhältnisse geltend gemacht, weshalb der Amtsgerichtspräsident darauf am 19. April 2000 zu Recht nicht eingetreten sei. 
 
4.- Die Schlussfolgerung der Justizkommission ist aus mehreren Gründen verfassungswidrig. 
 
a) Wenn das Amtsgericht dem Beschwerdeführer für den unbenutzten Fristablauf androhte, es "wird Verzicht auf die beantragte unentgeltliche Rechtspflege angenommen", so musste dieser zwar damit rechnen, dass bei Säumnis seinem Gesuch ohne weitere Vorkehren nicht stattgegeben bzw. auf sein Gesuch nicht eingetreten werde. Dem Beschwerdeführer wurde indessen nicht Verzicht auf unentgeltliche Rechtspflege im laufenden Prozess, mithin der Ausschluss späterer Gesuche unter dem Vorbehalt wesentlich veränderter Verhältnisse angedroht. 
Verzicht auf die "beantragte" unentgeltliche Rechtspflege kann nur bedeuten, dass im Rahmen eines allenfalls später eingereichten Gesuchs die unentgeltliche Rechtspflege frühestens ab dem dannzumaligen Zeitpunkt wirksam werden wird (BGE 120 Ia 14 E. 3e S. 16f. ; vgl. § 131 Abs. 3 ZPO/LU). 
 
b) Gemäss § 88 Abs. 2 ZPO/LU, auf den sich die Justizkommission gestützt hat, bewirkt Säumnis, dass die vom Gesetz oder Richter angedrohten Folgen (§ 80 Abs. 2 ZPO/LU) eintreten. Aus § 133 Abs. 3 i.V.m. § 234 Abs. 3 ZPO/LU er-gibt sich aber, dass bei Verletzung der Mitwirkungspflicht der Richter auf das Begehren nicht einzutreten braucht; Anspruchsverzicht bzw. -verwirkung lässt sich daraus nicht entnehmen. Für einen fiktiven Verzicht bzw. eine Verwirkung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 29 Abs. 3 BV für den ganzen laufenden Prozess mangelt es daher an einer genügenden gesetzlichen Grundlage; ohnehin wäre die Verhältnismässigkeit einer derart weit reichenden Säumnisfolge fraglich (BGE 125 I 369 E. 5d S. 379, m.H.; vgl. Art. 5 und Art. 36 BV). Im Weiteren ist dem von der Justizkommission zitierten BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 182 nicht zu entnehmen, dass die Verweigerung der geforderten Angaben und Belege Anspruchsverzicht bzw. -verwirkung für den laufenden Prozess bedeute; hingegen wurde rechtens angesehen, deswegen die Bedürftigkeit als Anspruchsvoraussetzung zu verneinen und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen. 
 
c) Wenn die Justizkommission vor diesem Hintergrund zur Auffassung gelangt ist, der Beschwerdeführer habe keine veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen, hat sie verkannt, dass das erste Gesuch gar nicht beurteilt, sondern darauf aus formellen Gründen nicht eingetreten wurde. 
Infolgedessen war hinsichtlich des zweiten Gesuchs - wie der Beschwerdeführer zu Recht festhält - nicht feststellbar, ob sich die Verhältnisse inzwischen verändert hatten; das Gesuch konnte nicht aus diesem Grund scheitern. Machte die Justizkommission das zweite Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege unter diesen Umständen vom Nachweis einer wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse abhängig, behinderte sie ihn in der Geltendmachung seiner Rechte gemäss Art. 29 Abs. 3 BV in unzulässiger Weise. 
 
5.- Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als begründet und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. 
Bei dieser Sachlage ist auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht einzugehen. Nach dem Verfahrensausgang sind gemäss Art. 156 Abs. 2 OG keine Gerichtskosten zu erheben. 
Der Kanton Luzern hat den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 109 Ia 5 E. 5 S. 11 f.). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren erweist sich damit als gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des Obergerichts (Justizkommission) des Kantons Luzern vom 21. Juni 2000 wird aufgehoben. 
 
2.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben. 
 
3.- Der Kanton Luzern wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht (Justizkommission) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt. 
 
_____________ 
Lausanne, 9. November 2000 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: