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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1142/2017  
 
 
Urteil vom 23. März 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Severin Bellwald, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, 
Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, 
Postfach 157, 4502 Solothurn, 
2. A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Andrea Stäuble Dietrich, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Schändung; Genugtuung; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 5. Juli 2017 (STBER.2016.54). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ soll am 31. März 2013 die zum Widerstand unfähige A.________ in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu beischlafsähnlichen und anderen sexuellen Handlungen missbraucht haben. Am 26. April 2016 sprach ihn das Amtsgericht Olten-Gösgen vom Vorwurf der Schändung frei. Auf Berufung von A.________ hin verurteilte das Obergericht des Kantons Solothurn X.________ am 5. Juli 2017 wegen Schändung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und verpflichtete ihn zu Schadenersatz und Genugtuung an A.________. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, er sei freizusprechen; die Zivilforderungen seien abzuweisen. Eventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um aufschiebende Wirkung der Beschwerde sowie um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung. 
 
1.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist. Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368).  
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 mit Hinweisen). Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere Tatsachen und ist damit Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV; Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 369 E. 6.3). 
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdegegnerin 2 habe konstant ausgesagt, sich weder an das Verlassen des Clubs, noch an das Aufsuchen der Wohnung des Beschwerdeführers oder den Geschlechtsverkehr mit ihm erinnern zu können. Die Aussagen zu ihrem Zustand würden durch Beobachtungen anderer Personen, objektive Beweismittel und ihr Verhalten nach Wiedererlangen des Bewusstseins gestützt. Sie sei verstört gewesen, habe fluchtartig die Wohnung verlassen, geweint und gleichentags ein Spital aufgesucht. Auch der Beschwerdeführer habe ausgesagt, dass die Beschwerdegegnerin 2 stark alkoholisiert gewesen sei; er habe sie beim Verlassen des Clubs tragen müssen. Nachdem sie vor dem Club erbrochen habe, habe man gemeinsam das Auto von B.________ bestiegen, worauf die Beschwerdegegnerin 2 eingeschlafen sei; die Frage nach ihrer Adresse habe sie nicht beantwortet. Bei einem Zwischenstopp habe sie erneut erbrochen. Am Wohnort des Beschwerdeführers habe sie gehen können, er habe sie aber gestützt. In der Wohnung habe sie weitere zweimal erbrochen. Er habe ihr Bluse und Hose ausgezogen und sie ins Bett gelegt.  
Die schwere Alkoholisierung der Beschwerdegegnerin 2 werde durch Aussagen von B.________ bestätigt, die trotz einer gewissen Belastungstendenz in der zweiten Befragung im Kerngehalt gleich geblieben seien. Stützend seien auch die Aussagen einer Kollegin der Beschwerdegegnerin 2 zu werten, welche diese kurz vor ihrem Verschwinden torkelnd und mit verwaschener Sprache erlebt habe. Schliesslich bestätige das IRM-Gutachten eine schwere Alkoholisierung im Ereigniszeitpunkt von 1.41 bis 2.65 Promille. Es sei für alle Beteiligten klar erkennbar gewesen, dass die Beschwerdegegnerin 2 "völlig weg" gewesen sei. Dass dies nach dem Erbrechen und Wasssertrinken in der Wohnung des Beschwerdeführers nicht mehr der Fall gewesen sein soll, sei unglaubhaft, zumal er eingeräumt habe, es sei möglich, dass sie sich nicht an den Geschlechtsverkehr erinnern könne. Er habe diesen somit im Wissen um den Zustand der Beschwerdegegnerin 2 vollzogen. 
 
1.3. Die Vorinstanz begründet ausführlich und überzeugend, weshalb sie den Anklagesachverhalt als erstellt erachtet. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, belegt, soweit es den gesetzlichen Anforderungen genügt, keine Willkür.  
 
1.3.1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stützt sich die Vorinstanz zur Beurteilung des Zustands der Beschwerdegegnerin 2 nicht schwergewichtig oder gar ausschliesslich auf die Aussagen der Zeugin B.________. Sie bezieht vielmehr die Angaben einer weiteren Kollegin, die bildhaften Schilderungen der Beschwerdegegnerin 2 zum Erinnerungsverlust und ihrem Zustand am Morgen nach der Tat sowie das Ergebnis des IRM-Gutachtens in ihre Würdigung mit ein. Soweit der Beschwerdeführer die Aussagen von B.________ als im Kerngehalt nicht gleichbleibend rügt, verkennt er, dass die ersten Einlassungen der Zeugin, welche die Vorinstanz entgegen seiner Behauptung soweit wesentlich vollständig wiedergibt, mit seinen eigenen übereinstimmen. So hat die Zeugin am Tag nach der Tat ausgesagt, als sie um ca. 04.00 Uhr vor dem Club vorgefahren sei, um den Beschwerdeführer abzuholen, habe dieser die Beschwerdegegnerin 2 in den Armen getragen. Diese habe verweinte Augen gehabt und sei stark alkoholisiert gewesen; sie habe nicht einmal mehr gehen können. Der Beschwerdeführer sei angetrunken, aber gut ansprechbar gewesen. Während eines Tankstopps habe die Beschwerdegegnerin 2 erbrochen, danach sei sie wieder eingeschlafen; sie habe auf der ganzen Fahrt geschlafen. Beim Beschwerdeführer zu Hause habe dieser die Beschwerdegegnerin 2 stützen müssen.  
 
1.3.2. Unter den geschilderten Umständen ist ohne Belang, ob B.________ in den folgenden Einvernahmen eine gewisse Belastungstendenz zeigte, wie der Beschwerdeführer rügt und die Vorinstanz im Übrigen berücksichtigt. Angesichts der Übereinstimmung mit dessen eigenen Angaben bedarf es der weiteren Einlassungen der Zeugin nicht. Ebenso wenig ist entscheidend, ob diese zunächst ausgesagt haben soll, die Beschwerdegegnerin 2 sei ansprechbar gewesen und habe berichtet, ihr sei kalt. Gemäss Angaben des Beschwerdeführers selbst antwortete sie auf die Nachfrage nach ihrer Adresse nicht. Es ist daher plausibel anzunehmen, sie sei nicht ansprechbar gewesen, zumal auch die Zeugin aussagte, die Beschwerdegegnerin 2 habe während der ganzen Fahrt geschlafen. Die Vorinstanz erwägt zudem nachvollziehbar, dass die Ansprechbarkeit der Beschwerdegegnerin 2 für die Frage nach ihrem erkennbar schlechten Zustand infolge der schweren Alkoholisierung nicht ausschlaggebend ist. Der Zustand ist objektiv erstellt und war dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben offensichtlich bewusst. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Beschwerdegegnerin 2 noch zu rudimentären Handlungen wie verwaschenem Sprechen über ihren Freund und Schreiben von - zum Teil kaum entzifferbaren - SMS im Stande war. Diese Handlungen, wobei von normalem, sozialadäquatem Verhalten keine Rede sein kann, stehen der erkennbaren schweren Alkoholisierung nicht entgegen. Sie beweisen mithin nicht, dass die Beschwerdegegnerin 2 noch in den Geschlechtsverkehr mit dem Beschwerdeführer einwilligen konnte. Soweit er geltend macht, es sei davon auszugehen, dass sich deren Zustand zwischen Verlassen der Bar und dem Geschlechtsverkehr mangels weiteren Alkoholkonsums nach 03.00 Uhr merklich gebessert habe, kann ihm nicht gefolgt werden.  
Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt und unbestritten ist, hat sich die Beschwerdegegnerin 2 in der Wohnung des Beschwerdeführers weitere zweimal übergeben. Ausserdem konnte sie sich noch am Morgen danach an nichts erinnern. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz erwägt, am Zustand habe sich vor dem Geschlechtsverkehr nichts Wesentliches geändert. Unerfindlich ist in diesem Zusammenhang, was der Beschwerdeführer aus einem SMS-Chat der Beschwerdegegnerin 2 mit ihrem Freund, worin sie sich als betrunken und kurz danach als nüchtern bezeichnete, für sich ableiten will. Abgesehen davon, dass es sich dabei nicht um den vorliegend beurteilten Sachverhalt handelt, besagt die subjektive Einschätzung der Beschwerdegegnerin 2 nichts über ihren effektiven Zustand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann daraus nicht auf eine relativ rasche Erholungsphase geschlossen werden. Der ermittelte Blutalkoholwert von 1.41 bis 2.65 Promille lässt zudem unabhängig von individuellen Gewohnheiten auf eine schwere Alkoholisierung der Beschwerdegegnerin 2 schliessen, zumal jene gemäss Gutachter den von den Zeugen geschilderten Zustand zwanglos erklärt. 
 
1.3.3. Nach dem Gesagten verfällt die Vorinstanz nicht in Willkür, wenn sie zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer habe den Geschlechtsverkehr im Wissen um den schlechten Zustand der Beschwerdegegnerin 2 vollzogen.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 191 StGB. Eine Widerstandsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin 2 habe nicht bestanden und er habe nicht vorsätzlich gehandelt. 
 
2.1. Gemäss Art. 191 StGB macht sich der Schändung strafbar, wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht. Als widerstandsunfähig gilt nach konstanter Rechtsprechung, wer nicht im Stande ist, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren. Art. 191 StGB schützt Personen, die einen zur Abwehr ausreichenden Willen zum Widerstand gegen sexuelle Übergriffe nicht oder nicht sinnvoll bilden, äussern oder betätigen können. Es genügt, dass das Opfer vorübergehend zum Widerstand unfähig ist. Die Gründe für die Widerstandsunfähigkeit können dauernder oder vorübergehender, chronischer oder situationsbedingter Natur sein. Erforderlich ist, dass die Widerstandsfähigkeit ganz aufgehoben und nicht nur beeinträchtigt oder eingeschränkt ist (BGE 133 IV 49 E. 7.2; 119 IV 230 E. 3a). Eine Bewusstlosigkeit im Sinne eines komatösen Zustands ist nicht vorausgesetzt. Widerstandsunfähigkeit kann etwa auch vorliegen, wenn sich eine Person alkohol- und müdigkeitsbedingt nicht oder nur schwach gegen die an ihr vorgenommenen Handlungen wehren kann. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt (Urteil 6B_232/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
2.2. Nach dem zum Sachverhalt Gesagten verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie die Widerstandsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin 2 bejaht und den Tatbestand der Schändung objektiv als erfüllt betrachtet. Wie sie zutreffend erwägt, sind völlige Bewusstlosigkeit oder Tiefschlaf nicht erforderlich. Dass es zu sexuellen Handlungen resp. zum Beischlaf kam, ist unbestritten und aufgrund des IRM-Berichts vom 26. August 2013 erstellt. Für die Annahme von Widerstandsunfähigkeit spricht zudem, dass sich die Beschwerdegegnerin 2 nicht wehrte, wobei auch der Beschwerdeführer nicht behauptet, sie hätte aktiv am Geschlechtsverkehr teilgenommen; an die praktizierten Stellungen kann er sich nicht erinnern. Sie konnte sich auch nicht selber ausziehen. Es überrascht daher entgegen seiner Behauptung nicht, dass sie dem Beschwerdeführer nicht mit einfachen Worten zu verstehen geben konnte, sie sei nicht einverstanden. Gegen eine gültige Einwilligung spricht schliesslich, dass der Geschlechtsverkehr ohne Verhütung und sowohl vaginal als auch anal erfolgte, was angesichts der Tatsache, dass sich die Beiden kaum kannten, erstaunt. Die Beschwerdegegnerin 2 hat denn auch anschliessend während drei Monaten ein prophylaktisches HIV-Medikament eingenommen.  
Die Vorinstanz bejaht auch den subjektiven Tatbestand zu Recht. Es ist erstellt, dass der Beschwerdeführer um die schwere Alkoholisierung der Beschwerdegegnerin 2 wusste und den Geschlechtsverkehr mit ihr im Wissen darum vollzog (oben E. 1.3.2). Die Vorinstanz verfällt weder in Willkür, noch verletzt sie Bundesrecht, wenn sie erwägt, er habe die Widerstandsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin 2 bzw. das Fehlen einer Einwilligung gekannt und daher vorsätzlich gehandelt. 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Auf die Rügen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zivilforderungen ist nicht einzugehen, weil der Beschwerdeführer diese einzig mit dem Antrag auf Freispruch begründet. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist nach Ergehen des Entscheids in der Sache gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. März 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt