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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 264/02 
 
Urteil vom 5. Juli 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Hofer 
 
Parteien 
Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung, Effingerstrasse 31, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
W.________, Beschwerdegegnerin, 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 17. September 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1978 geborene W.________ stand vom 13. August 2001 bis 31. Januar 2002 in einem befristeten Arbeitsverhältnis als Floristin bei der Firma A.________. Am 6. Mai 2002 meldete sie sich bei der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsvermittlung und erhob Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Mit Verfügung vom 17. Juni 2002 lehnte die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau das Leistungsbegehren ab mit der Begründung, die Anspruchsvoraussetzung der erfüllten Beitragszeit sei nicht gegeben und ein Befreiungsgrund liege nicht vor. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. September 2002 in Aufhebung der Verfügung vom 17. Juni 2002 gut mit der Feststellung, dass die Versicherte die Beitragszeit erfüllt und demzufolge Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Verfügung vom 17. Juni 2002 sei zu bestätigen. 
 
Während W.________ auf eine Vernehmlassung verzichtet, schliesst die Arbeitslosenkasse auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und die in diesem Zusammenhang zu erfüllende Beitragszeit (Art. 8 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 Satz 1 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass für die Ermittlung der Beitragszeit gemäss Art. 13 Abs. 1 AVIG jeder volle Kalendermonat zählt, in dem die versicherte Person beitragspflichtig ist (Art. 11 Abs. 1 AVIV). Beitragszeiten, die nicht einen vollen Kalendermonat umfassen, werden zusammengezählt; je 30 Kalendertage gelten als ein Beitragsmonat (Art. 11 Abs. 2 AVIV). Sodann bestimmt Abs. 3 unter anderem, dass Zeiten, für die der Versicherte einen Ferienlohn bezogen hat, in gleicher Weise zählen. Aus Abs. 4 schliesslich geht hervor, dass die Beitragszeit von Teilzeitbeschäftigten nach den gleichen Regeln ermittelt wird wie bei Arbeitnehmern mit Vollzeitbeschäftigung; übt der Versicherte gleichzeitig mehrere Teilzeitbeschäftigungen aus, so wird die Beitragszeit nur einmal gezählt. 
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 17. Juni 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
2.1 Die Beschwerdegegnerin übte in der für die Beitragszeit massgebenden Rahmenfrist vom 6. Mai 2000 bis 5. Mai 2002 unbestrittenermassen lediglich vom 13. August 2001 bis 31. Januar 2002 eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit aus. Während dieser Zeit wurde ihr ein Stundenlohn von Fr. 21.40 bezahlt, in welchem eine Ferienentschädigung von 8.33% enthalten war. 
 
Gemäss Berechnung der Arbeitslosenkasse ergibt dies eine Beitragszeit von 5.7 Monaten (0.7 [1.4 x 15/30; August 2001] + 5). 
2.2 Das kantonale Gericht hat erwogen, zu berücksichtigen sei, dass im Stundenlohn eine Ferienentschädigung von 8.33% enthalten sei. Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (BGE 125 V 47, 123 V 74, 112 V 226 sowie Urteil H. vom 17. November 2000, C 349/99) müsse diese bei der Festlegung der Beitragszeit miteinbezogen werden. Bei einem Stundenansatz von Fr. 21.40 entspreche der Anteil Ferienentschädigung für die Dauer des Anstellungsverhältnisses (13. August 2001 bis 31. Januar 2002) rund 94 Stunden. Bei einer Normalarbeitszeit im Betrieb von 45 Stunden pro Woche ergebe dies 10.44 Tage, so dass sich die anzurechnende Beitragszeit um 0.49 Monate (10.44 x 1.4/30) auf insgesamt 6.19 Monate erhöhe. 
2.3 Das seco macht demgegenüber geltend, die Umrechnung der Ferienentschädigung in Betragszeit habe eine Besserstellung derjenigen Arbeitnehmenden zu Folge, die im Stundenlohn angestellt seien, was die Rechtsgleichheit verletze und daher mit dem Gesetz nicht vereinbar sei. Das von der Vorinstanz angewendete Vorgehen führe im Ergebnis zu einer doppelten Anrechnung von Beitragszeiten, indem die während des Arbeitsverhältnisses tatsächlich ausgeübte Beschäftigung als Beitragszeit erfasst werde und die während des Arbeitsverhältnisses ausbezahlte Ferienentschädigung in Beitragszeit umgewandelt werde. 
3. 
3.1 In BGE 112 V 226 Erw. 2d äusserte sich das Eidgenössische Versicherungsgericht zur Bedeutung der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Zuschlages zum Stunden- oder Monatslohn für den versicherten Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG), die Beitragszeit (Art. 13 Abs. 1 AVIG) sowie den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 11 Abs. 4 AVIG). Es bestätigte die Rechtsprechung gemäss BGE 111 V 249 Erw. 3b, wonach die Ferienentschädigung Bestandteil des versicherten Verdienstes bildet. Bezug nehmend auf Art. 11 Abs. 3 AVIV sodann führte das Eidgenössische Versicherungsgericht aus, dass im Anwendungsfall zu ermitteln ist, auf welchen Betrag sich die Ferienentschädigung in Franken beziffert und wie viele Ferientage oder -wochen damit abgegolten werden. Durch die Zahl der abgegoltenen Ferientage erhöht sich einerseits u.a. die anzurechnende Beitragszeit. Anderseits ist nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses der Arbeitsausfall - unter Vorbehalt von Art. 9 AVIV - für jene Tage nicht anrechenbar, die bereits durch die Ferienentschädigung abgegolten sind. 
3.2 In BGE 123 V 70 änderte das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung gemäss BGE 111 V 249 Erw. 3b dahingehend, dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages resp. bei "Verzicht auf den Realbezug" die Ferienentschädigung nicht zum versicherten Verdienst nach Art. 23 Abs. 1 AVIG gehört. In BGE 125 V 42 präzisierte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Rechtsprechung in BGE 123 V 70 in dem Sinne, dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages die Ferienentschädigung als versicherter Verdienst derjenigen Monate angerechnet wird, in denen Ferien zusammenhängend oder an einzelnen Tagen, tatsächlich bezogen werden. 
4. 
4.1 Im zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil Q. vom 18. Juni 2004 (C 102/02) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, Art. 11 Abs. 3 AVIG, auf welchen in BGE 112 V 226 Erw. 2d und weiteren Präjudizien Bezug genommen werde, regle den Fall, wo der oder die Versicherte während der Dauer des Arbeitsverhältnisses tatsächlich Ferien bezog (ARV 2001 Nr. 16 S. 156 Erw. 1b, 2000 Nr. 17 S. 87 Erw. 2b sowie Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR]/Soziale Sicherheit, S. 68 Rz 172). Ob während dieser arbeitsfreien Zeit der Lohn weiterhin ausbezahlt worden sei oder die Abgeltung in Form eines Zuschlages zum (Grund-)Lohn erfolgte, sei ohne Belang. Es könne sich insofern nach der Logik des Gesetzes unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Versicherten nicht anders verhalten als beim versicherten Verdienst (vgl. BGE 125 V 48 Erw. 5b). Fehle es am Merkmal des realen Bezugs von Ferien, könne Art. 11 Abs. 3 AVIV somit nicht, zumindest nicht unmittelbar zur Anwendung gelangen. Durch Auszahlung einer Entschädigung für effektiv nicht bezogene Ferien könne grundsätzlich keine Beitragszeit entstehen (ARV 2000 Nr. 17 S. 87 Erw. 2b; Thomas Nussbaumer, a.a.O., S. 68 Fn 349). 
4.2 Im erwähnten Urteil Q. vom 18. Juni 2004 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht weiter ausgeführt, die mit BGE 112 V 226 Erw. 2d begründete und seither mehrmals bestätigte Rechtsprechung könne lediglich Sachverhalte betreffen, wo während des oder der in Frage stehenden Arbeitsverhältnisse keine Betriebsferien waren und der oder die Versicherte an keinem betriebsüblichen Arbeitstag beschäftigungsfrei war. Auf Grund der Bedeutung der formalen Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Ermittlung der Beitragszeit (BGE 125 V 45 Erw. 3c, 122 V 252 Erw. 3c) beschränke sich ihr Anwendungsbereich auf angebrochene Monate (Art. 11 Abs. 2 AVIV; vgl. BGE 125 V 47 oben, 121 V 175 Erw. 4c/dd). 
4.3 In BGE 123 V 74 Erw. 5c hat das Eidgenössische Versicherungsgericht die Umrechnung lohnprozentualer Ferienentschädigung in Ferientage oder -wochen und deren Anrechnung als Beitragszeit im Sinne von Art. 13 Abs. 1 AVIG aus Sicht des Abgeltungsverbotes nach Art. 329d Abs. 2 OR als folgerichtig bezeichnet. Nach dieser Bestimmung dürfen Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden. Das Verbot ist zwingend (Art. 361 OR). Es dient der Sicherung des mit den Ferien verfolgten Erholungszweckes (BGE 118 II 137 Erw. 3b). Wo die Durchsetzung des Verbots insbesondere auf Grund der Natur des konkreten Arbeitsverhältnisses (u.a. unregelmässiger oder sehr kurzer Arbeitseinsatz) oder bei gleichzeitiger Tätigkeit für verschiedene Arbeitgeber mit Schwierigkeiten verbunden ist, lässt die Praxis Ausnahmen zu, sofern für den Arbeitnehmer sowohl aus dem Arbeitsvertrag wie aus den Lohnabrechnungen klar ersichtlich ist, welcher Teil des Lohnes den Ferienanspruch abgelten soll (BGE 116 II 517 Erw. 4a mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts in Sachen S. vom 21. Februar 2002 [4C.301/2001] Erw. 3a). 
4.4 Ob die Abrede der Abgeltung des Ferienanspruches in Form eines Lohnzuschlages, soweit damit zum Voraus auf den realen Bezug von Ferien während des Arbeitsverhältnisses verzichtet wird, im Einzelfall zulässig ist, kann für die Frage der Anrechenbarkeit der in Ferientage oder -wochen umgerechneten Ferienentschädigung als zusätzliche Beitragszeit nicht von Bedeutung sein (bereits erwähntes Urteil Q. vom 18. Juni 2004, C 102/02). 
4.5 Mit der Rechtsprechung (BGE 112 V 220 und seitherige Urteile) würden Versicherte, - so das Eidgenössische Versicherungsgericht im bereits zitierten Urteil Q. vom 18. Juni 2004 - deren Ferienanspruch in Form eines Lohnzuschlages abgegolten wurde, so gestellt, wie wenn sie während der Dauer des Arbeitsverhältnisses im Umfang der entschädigten Tage oder Wochen effektiv Ferien bezogen hätten, welche ihnen im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 AVIV als Beitragszeit nach Art. 13 Abs. 1 AVIG angerechnet werden. Diese Praxis widerspreche in zweierlei Hinsicht dem Gleichbehandlungsgebot. Zum einen benachteilige sie alle jene Versicherten, deren Arbeitsverhältnisse innerhalb der Beitragsrahmenfrist lediglich volle Kalendermonate umfassten und die wegen der Art der Tätigkeit und/oder aus zeitlichen Gründen (Dringlichkeit) keine oder nicht alle Ferien beziehen konnten. Bei diesen Versicherten werde die Beitragszeit nach Art. 11 Abs. 1 AVIV ermittelt, was die Anrechnung von in welcher Form auch immer abgegoltener nicht bezogener Ferien zum Vornherein ausschliesse. Schlechter gestellt würden zum andern Versicherte mit vereinbartem Lohnanspruch während den Ferien, welche aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen indessen effektiv keine oder nicht alle Ferien beziehen konnten. Wenn und soweit sie hiefür entschädigt wurden, führe dies nicht durch entsprechende Umrechnung in Ferientage oder -wochen zu zusätzlichen Beitragszeiten im Sinne von Art. 13 Abs. 1 AVIG (ARV 2000 Nr. 17 S. 87 Erw. 2b; vgl. auch BGE 123 V 74 oben). Die dargelegte ungleiche Behandlung werde dadurch akzentuiert, dass in Bezug auf die Anrechenbarkeit von Ferienentschädigung beim versicherten Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG) nicht nach der Form der Abgeltung (einmalige Zahlung, Lohnzuschlag) differenziert und auch nicht nach den Gründen für den Nichtbezug der Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gefragt werde. Gleiches lasse sich im Übrigen auch für Art. 11 Abs. 4 AVIG sagen. 
4.6 Das Eidgenössische Versicherungsgericht kam im Urteil Q. vom 18. Juni 2004 aus diesen Gründen zum Schluss, dass an der mit BGE 112 V 226 Erw. 2d begründeten Rechtsprechung nicht festgehalten werden könne. Die Abgeltung des Ferienanspruches in Form eines Lohnzuschlages allein rechtfertige nicht gestützt auf Art. 11 Abs. 3 AVIV die Anrechnung der auf Ferientage oder -wochen umgerechneten Ferienentschädigung als zusätzliche Beitragszeit (in diesem Sinne schon ARV 2001 Nr. 16 S. 154). 
5. 
Daraus folgt, dass die Beschwerdegegnerin weniger als sechs Beitragsmonate aufweist, sodass die Anspruchsvoraussetzung der erfüllten Beitragszeit nach Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG und Art. 13 Abs. 1 AVIG nicht gegeben ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. September 2002 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Wohlen (RAV) und der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau zugestellt. 
 
Luzern, 5. Juli 2004 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: