Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 9/04 
 
Urteil vom 28. März 2006 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ursprung, Lustenberger, Borella und Kernen; Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
Parteien 
O.________, 1944, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich, 
 
gegen 
 
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 28. November 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
O.________ war seit dem 1. März 1983 bei der Versicherung X.________ als Raumpflegerin tätig und erzielte einen Lohn von zuletzt rund Fr. 3'600.-- pro Monat. Mit Änderungskündigung vom 10. September 1999 reduzierte die Arbeitgeberin die tägliche Arbeitszeit von sieben bis acht Stunden auf drei Stunden, womit O.________ bei einem Stundenlohn von Fr. 23.70 plus Ferien- und Feiertagsentschädigungen und 13. Monatslohn monatlich noch ungefähr Fr. 1'600.-- netto verdiente. Am 14. Oktober 1999 stellte sie Antrag auf Arbeitslosenentschädigung und gab an, eine Teilzeitstelle im Umfang von ungefähr 25 Wochenstunden zu suchen sowie bereit und in der Lage zu sein, eine solche Tätigkeit auszuüben. In der Folge richtete ihr die Arbeitslosenkasse der GBI Arbeitslosenentschädigung in der Form des Differenzausgleichs zwischen dem versicherten Verdienst und dem Zwischenverdienst aus, den sie durch ihre reduzierte Teilzeittätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden erzielte. 
Die Versicherung X.________ kündigte das Teilzeitarbeitsverhältnis per 31. Mai 2001 und teilte der Versicherten mit, dass ab dem 1. Juni 2001 die Firma Y.________ Reinigungen AG den Reinigungsdienst übernehme und sie mit diesem Unternehmen einen entsprechenden Arbeitsvertrag schliessen könne. Dieses offerierte ihr einen Arbeitsvertrag ab dem 1. Juni 2001, allerdings mit einer auf 12,5 Wochenstunden reduzierten Arbeitszeit und zu einem Stundenlohn von Fr. 17.50 ohne zusätzliche Ferien- und Feiertagsentschädigungen und ohne zusätzlichen 13. Monatslohn. Die Versicherte lehnte das Angebot ab, weil sie damit noch ungefähr Fr. 800.-- netto pro Monat verdient hätte. 
 
Mit Verfügung vom 15. August 2001 stellte das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich die Versicherte wegen ungenügender persönlicher Arbeitsbemühungen für die Dauer von 40 Tagen ab dem 1. Juni 2001 in der Anspruchsberechtigung ein und begründete dies damit, dass die Versicherte ein zumutbares Arbeitsangebot der Firma Y.________ Reinigungen AG ausgeschlagen habe. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. November 2003 im Sinne der Erwägungen ab. 
C. 
O.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei von einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung abzusehen. 
 
Das kantonale Gericht, das Amt für Wirtschaft und Arbeit und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im Streit liegt, ob die Beschwerdeführerin mit der Ablehnung des ihr per 1. Juni 2001 von der Firma Y.________ Reinigungen AG angebotenen Arbeitsvertrages ihre Schadenminderungspflicht verletzt hat und deshalb in der Anspruchsberechtigung einzustellen ist. Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) kommt somit in materiellrechtlicher Hinsicht ebensowenig zur Anwendung (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), wie die im Rahmen der 3. Teilrevision des AVIG vom 22. März 2002 erfolgten Gesetzes- und Verordnungsänderungen. 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Pflichten des Versicherten (Art. 16 und 17 AVIG), die Voraussetzungen der Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen Verletzung von Weisungen des Arbeitsamtes (Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG), insbesondere bei Ablehnung eines Zwischenverdienstes (dazu Art. 24 AVIG; vgl. BGE 122 V 39 Erw. 4b mit Hinweisen), und die verschuldensabhängige Dauer der Einstellung (Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG, Art. 45 Abs. 2 AVIV) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den Umfang der Einstellung bei Ablehnung eines zumutbaren Zwischenverdienstes (BGE 122 V 40 Erw. 4c; vgl. auch BGE 125 V 197). Darauf wird verwiesen. 
3. 
3.1 Zu beurteilen ist einzig, ob es sich bei der von der Firma Y.________ Reinigungen AG per 1. Juni 2001 offerierten Tätigkeit um eine zumutbare Arbeit handelte und die Beschwerdeführerin zu deren Annahme verpflichtet war. 
3.2 Die Beschwerdeführerin war seit dem 1. März 1983 bei der Versicherung X.________ zu sieben bis acht Stunden pro Tag im Reinigungsdienst mit einem Monatslohn von zuletzt rund Fr. 3'600.-- tätig. Mit Änderungskündigung vom 10. September 1999 reduzierte die Arbeitgeberin die tägliche Arbeitszeit auf drei Stunden, womit die Beschwerdeführerin bei einem Stundenlohn von Fr. 23.70 plus Ferien- und Feiertagsentschädigungen und 13. Monatslohn monatlich noch ungefähr Fr. 1'600.-- netto verdiente. Per 31. Mai 2001 kündigte die Versicherung X.________ der Beschwerdeführerin und teilte ihr mit, dass ab dem 1. Juni 2001 die Firma Y.________ Reinigungen AG den Reinigungsdienst übernehme und sie mit diesem Unternehmen einen neuen Arbeitsvertrag vereinbaren könne. Die Firma Y.________ Reinigungen AG offerierte in der Folge der Beschwerdeführerin einen Arbeitsvertrag ab dem 1. Juni 2001, allerdings mit einer auf 12.5 Wochenstunden reduzierten Arbeitszeit und zu einem Stundenlohn von Fr. 17.50 ohne zusätzliche Ferien- und Feiertagsentschädigungen und ohne zusätzlichen 13. Monatslohn. Die Versicherte lehnte das Angebot ab, weil sie damit noch ungefähr Fr. 800.-- netto pro Monat verdient hätte. 
3.3 Nach Art. 16 Abs. 2 lit. h AVIG ist eine Arbeit unzumutbar und von der Annahmepflicht ausgenommen, wenn sie in einem Betrieb auszuführen ist, der Entlassungen zum Zweck vorgenommen hat, Neu- oder Wiedereinstellungen zu wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen vorzunehmen. Die Ratio dieser Bestimmung liegt darin, dem Lohndumping durch die Arbeitgeber entgegenzuwirken (Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz. 246, mit Hinweis auf AmtlBull StR 1994 S. 235). 
Überträgt der Arbeitgeber den Betrieb oder einen Betriebsteil auf einen Dritten, so geht nach Art. 333 Abs. 1 OR das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten mit dem Tage der Betriebsnachfolge auf den Erwerber über, sofern der Arbeitnehmer den Übergang nicht ablehnt. 
Unter Betrieb ist eine auf Dauer gerichtete, in sich geschlossene organisatorische Leistungseinheit zu verstehen, die selbstständig am Wirtschaftsleben teilnimmt. Als Betriebsteile sind organisatorische Leistungseinheiten zu verstehen, denen die wirtschaftliche Selbstständigkeit fehlt. Für die Anwendbarkeit von Art. 333 OR ist erforderlich und hinreichend, dass die organisatorische Einheit ihre Identität, d.h. den Betriebszweck, die Organisation und den individuellen Charakter im Wesentlichen bewahrt. Dies ist auf Grund sämtlicher den Vorgang kennzeichnenden Tatsachen und Umstände zu beurteilen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob die selbe oder eine gleichartige Geschäftstätigkeit vom neuen Inhaber tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Dabei genügt eine bloss obligatorische, also auch mietweise Übertragung der Nutzungs- und Gebrauchsrechte an den Produktionsmitteln. Eine Rechtsbeziehung zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Arbeitgeber ist nicht erforderlich (BGE 129 III 335 mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur; vgl. auch BGE 132 III 32). 
3.4 Das kantonale Gericht stellt sich auf den Standpunkt, die Versicherung X.________ habe ihren Reinigungsdienst ausgelagert, weshalb es sich auch unter der Firma Y.________ Reinigungen AG um den selben Betriebsteil im Sinne von Art. 333 Abs. 1 OR handle (vgl. auch Michael E. Winkler, Unternehmensumwandlungen und ihre Auswirkungen auf Arbeitsverträge, Schriften zum Schweizerischen Arbeitsrecht, Heft 48 S. 19 ff.). Unter diesen Umständen sei die Frage zu entscheiden, ob das der Beschwerdeführerin von der Firma Y.________ Reinigungen AG gemachte Vertragsangebot zu deutlich schlechteren Lohnbedingungen unzulässig sowie unzumutbar im Sinne von Art. 16 Abs. 1 lit. h AVIG gewesen sei. Diese Frage sei indessen zu verneinen, da das Arbeitsverhältnis auf Grund der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Versicherung X.________ per 31. Mai 2001 nicht auf die Firma Y.________ Reinigungen AG habe übergehen können (vgl. Art. 333 Abs. 1 OR). 
3.5 Die Betrachtungsweise der Vorinstanz trifft nicht den Kern der Sache und lässt den Schutzzweck von Art. 16 Abs. 2 lit. h AVIG ausser acht. Der in dieser Norm enthaltene Begriff "Betrieb" ist im gleichen Sinne auszulegen wie derjenige in Art. 333 OR (vgl. Erw. 3.3 hievor). Dabei kann es nach Sinn und Zweck von Art. 16 Abs. 2 lit. h AVIG nicht darauf ankommen, ob der ursprüngliche Arbeitgeber seinen Arbeitnehmenden vor Übertragung des Betriebes oder Betriebsteils kündigt oder ob erst die übernehmende Firma Änderungskündigungen nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse ausspricht. Abgesehen davon kann sich auch die Frage stellen, ob sich eine Auflösung der Arbeitsverhältnisse durch den alten Betriebsinhaber im Hinblick auf den Betriebsübergang mit dem Schutzzweck von Art. 333 OR vereinbaren lässt oder nicht als Gesetzesumgehung zu betrachten ist (Rehbinder/Portmann, Basler Kommentar, 3. Aufl., Rz 4 zu Art. 333 OR; Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. Aufl., S. 557 N 10 zu Art. 333 OR). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung unabhängig davon bejaht, ob ein Anwendungsfall von Art. 333 OR vorliegt, sofern die Voraussetzungen gemäss Art. 51 AVIG in Bezug auf den bisherigen Arbeitgeber erfüllt sind (BGE 127 V 183). 
Vom Betriebsübergang nach Art. 333 OR ist die Auslagerung von Geschäftsbereichen (Outsourcing) zu unterscheiden. Dieser Vorgang kann, muss aber nicht ein unter Art. 333 OR fallender Sachverhalt sein. Die Frage der Anwendbarkeit von Art. 16 Abs. 2 lit. h AVIG im Falle der Auslagerung von Geschäftsbereichen stellt sich erst, wenn ein Betriebsteil im Sinne von Art. 333 OR und der dazu ergangenen Rechtsprechung (Erw. 3.3 hievor) auf die Drittfirma übergeht. 
3.6 Art. 16 Abs. 2 lit. h AVIG ist somit auch anzuwenden, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb oder einen Betriebsteil im Sinne von Art. 333 OR überträgt und dieser Vorgang dazu benützt wird, die Löhne überproportional zu kürzen. Ob diese Voraussetzungen, welche auf Grund sämtlicher den Vorgang kennzeichnenden Tatsachen und Umstände zu beurteilen sind (Erw. 3.3 hievor), im vorliegenden Fall erfüllt sind, lässt sich den Akten überhaupt nicht entnehmen. Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist zwar unbestritten, aktenmässig jedoch in keiner Weise belegt. Es liegt lediglich eine Stellungnahme des RAV an das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit vom 18. Juli 2001 vor. Namentlich fehlen jegliche Unterlagen und Aussagen der Versicherung X.________. Es lässt sich daher nicht beurteilen, ob die Voraussetzungen des Art. 333 OR erfüllt sind. Die Sache geht daher an das kantonale Gericht zurück, damit es die notwendigen Abklärungen, insbesondere auch bei der Versicherung X.________, vornehme und hernach über die Beschwerde neu entscheide. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der vorinstanzliche Entscheid vom 28. November 2003 aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit es, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Unia Arbeitslosenkasse, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 28. März 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: