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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_157/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. Oktober 2017  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, 
Gerichtsschreiber Levante. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________ AG, 
2. B.________ SA, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Andreas Güngerich, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen  
 
Erbengemeinschaft C.________, bestehend aus: 
 
1. D.________, 
2. E.________, 
3. F.________, 
4. G.________, 
5. H.________, 
alle vertreten durch Fürsprecher Marc F. Suter, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Rechtsschutzinteresse; Prozessvoraussetzung, 
 
Beschwerde gegen den Zwischenentscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Handelsgericht, 
vom 17. Januar 2017 (HG 16 23). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 18. Februar 2016 reichten die Mitglieder der Erbengemeinschaft C.________, bestehend aus D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________ (nachfolgend Klägerinnen), beim Handelsgericht des Kantons Bern eine Klage gegen die A.________ AG und die B.________ SA, je mit Sitz in U.________ (nachfolgend Beklagte), ein. Die Klägerinnen stellten das Rechtsbegehren (Nr. 1), es sei den Beklagten unter solidarischer Haftbarkeit zu verbieten, auf der Liegenschaft der Erbengemeinschaft (V.________-GBBl. xxx) Bauten und Anlagen zu erstellen, unter Strafandrohung nach Art. 292 StGB. Eventuell sei festzustellen, dass die Beklagten weder einen dinglichen noch einen obligatorischen Anspruch zur Erstellung von Bauten und Anlagen auf der erwähnten Liegenschaft haben (Rechtsbegehren Nr. 2).  
 
A.b. Mit Eingabe vom 18. April 2016 stellten die Beklagten den Antrag, das Verfahren sei auf die Frage des genügenden schutzwürdigen Interesses zu beschränken. Die Frist zur Klageantwort sei abzunehmen, eventuell zu verlängern.  
 
A.c. Die Klägerinnen erklärten sich (auf Einladung und nach Abnahme der Klageantwortfrist durch den Instruktionsrichter am Handelsgericht) am 23. Juni 2016 einverstanden mit der Verfahrensbeschränkung. Sie beschränkten sodann ihr Rechtsbegehren in der Hauptsache auf die Beklagte 1 (A.________ AG).  
 
B.  
 
B.a. Am 27. Juni 2016 verfügte der Instruktionsrichter des Handelsgerichts, dass das Verfahren auf die Frage des Rechtsschutzinteresses der Klägerinnen beschränkt werde. Auf entsprechende Einladung des Instruktionsrichters hin stellte die Beklagte 1 mit Eingabe vom 8. September 2016 den Antrag, es sei auf die Klage nicht einzutreten. Die Klägerinnen antworteten in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2016, auf die Klage sei einzutreten.  
 
B.b. Mit Zwischenentscheid vom 17. Januar 2017 entschied das Handelsgericht, dass über die Folgen der Beschränkung der Klage auf die Beklagte 1 bzw. die Klageänderung später befunden werde. Sodann stellte das Handelsgericht fest, dass für das Rechtsbegehren Nr. 1 der Klägerinnen (Unterlassungsbegehren) das Rechtsschutzinteresse fehle, weshalb auf die Klage insoweit nicht eingetreten werde. Weiter stellte es fest, dass für das Rechtsbegehren Nr. 2 der Klägerinnen (Feststellungsbegehren) das Rechtsschutzinteresse gegeben sei.  
 
C.   
Mit Eingabe vom 20. Februar 2017 haben die Beklagten Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerinnen beantragen, dass der handelsgerichtliche Zwischenentscheid aufzuheben sei, soweit damit das Rechtsschutzinteresse für das Feststellungsbegehren bejaht werde. Die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell sei auf das von den Klägerinnen (Beschwerdegegnerinnen) erhobene Feststellungsbegehren gemäss Klage vom 18. Februar 2016 nicht einzutreten. 
Weiter ersuchen die Beschwerdeführerinnen um aufschiebende Wirkung. 
Die Beschwerdegegnerinnen haben sich der aufschiebenden Wirkung nicht widersetzt und bestätigen unter Hinweis auf ihre Streitwertangabe in der Klage (Fr. 120'000.--), dass der Streitwert über Fr. 30'000.-- liegt. Mit Präsidialverfügung vom 10. März 2017 ist der Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilt worden. 
Es sind die kantonalen Akten, indes keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein Entscheid der letzten kantonalen Instanz, welche als einzige Instanz und als Handelsgericht über eine Klage mit u.a. dem Begehren über die Feststellung des Nichtbestehens dinglicher und obligatorischer Rechte, mithin in einer Zivilsache entschieden hat (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 2 BGG). Die Streitwertgrenze gilt als erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um eine Entscheidung, mit welcher eine Prozessvoraussetzung geprüft wird, im konkreten Fall das schutzwürdige Interesse, um eine Feststellungsklage zu erheben (Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO; BGE 141 III 68 E. 2.3; ZINGG, in: Berner Kommentar, ZPO, 2012, N. 39 zu Art. 59; STAEHLIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 14 Rz. 25; TREZZINI, in: Commentario pratico al CPC, 2. Aufl. 2017, N. 6 zu Art. 88). Nach Auffassung des Handelsgerichts haben die Beschwerdegegnerinnen nach Prüfung anhand der in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, ob die Beschwerdeführerinnen einen zivilrechtlichen Anspruch zur Erstellung von Bauten und Anlagen auf dem Grundstück Nr. xxx haben. Das Handelsgericht hat mit dem Vorliegen des schutzwürdigen Interesses eine Prozessvoraussetzung bejaht. Der angefochtene Entscheid ist kein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, weil er das Verfahren nicht abschliesst.  
 
2.2. Weder liegt ein Teilentscheid (Art. 91 BGG), noch ein selbständig eröffneter Vor- oder Zwischenentscheid über die Zuständigkeit oder den Ausstand (Art. 92 BGG) vor. Das angefochtene Urteil fällt daher unter die anderen selbständig eröffneten Vor- und Zwischenentscheide gemäss Art. 93 BGG. Nach der Rechtsprechung obliegt es dem Beschwerdeführer darzutun, dass die in Art. 93 BGG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, es sei denn, deren Vorliegen springe geradezu in die Augen (BGE 141 III 395 E. 2.5).  
 
2.3. Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Der drohende nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss rechtlicher Natur sein. Das setzt voraus, dass er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid (sei es im kantonalen Verfahren, sei es in einem anschliessenden Verfahren vor Bundesgericht) nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (BGE 136 II 165 E. 1.2.1). Die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur genügt. Dagegen reichen rein tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht aus (BGE 141 III 395 E. 2.5).  
 
2.3.1. Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass die Vorinstanz die Regeln der ZPO, der EMRK und ihren verfassungsmässigen Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt habe. Das Handelsgericht habe ohne Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels, sondern nach der am 17. November 2016 erfolgten, blossen Zustellung der Eingabe der Gegenpartei "zur Kenntnisnahme" überraschenderweise den Zwischenentscheid (vom 17. Januar 2017) über die umstrittene Prozessvoraussetzung gefällt. Damit sei den Beschwerdeführerinnen das Recht auf ein Beweisverfahren, auf eine genügende Teilnahme am Verfahren sowie auf eine öffentliche Verhandlung verweigert worden. Die Vorinstanz sei an ihren Zwischenentscheid gebunden, was zu prozessualen Nachteilen führe, welche nur dadurch gutgemacht werden könnten, dass der Zwischenentscheid aufgehoben werde.  
 
2.3.2. Im Wesentlichen sehen die Beschwerdeführerinnen einen drohenden nicht wieder gutzumachende Nachteil im Vorgehen des Handelsgerichts, welches - entsprechend Lehre und kantonaler Praxis (PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 5 zu Art. 219, mit Hinweisen; Urteil LB130054-O/U des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. April 2014 E. 6) - davon ausgegangen ist, dass der Zwischenentscheid über eine Prozessvoraussetzung nicht nach denjenigen Regeln ergehen muss, welche für die Entscheidfindung in der Sache massgebend sind. Weder mit der Kritik an diesem Vorgehen noch mit dem Hinweis darauf, dass der Zwischenentscheid für die Vorinstanz verbindlich sei, legen die Beschwerdeführerinnen jedoch dar, inwiefern durch einen für sie günstigen Endentscheid allfällige Nachteile sich nicht oder nicht gänzlich beseitigen lassen sollen.  
 
2.3.3. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerinnen lässt sich aus der blossen Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren sowie des rechtlichen Gehörs noch kein Nachteil rechtlicher Natur ableiten (vgl. zuletzt Urteil 4A_419/2016 vom 22. März 2017 E. 1.6; Urteil 9C_270/2017 vom 28. April 2017). Massgebend zur Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheides ist grundsätzlich nicht die Rüge, die dagegen erhoben wird, sondern die Frage, ob selbst im Falle eines für sie günstigen Endentscheides (sei es auch in einem anschliessenden Verfahren vor Bundesgericht) ein rechtlicher Nachteil resultieren kann (vgl. zur Kasuistik VON WERDT, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2. Aufl. 2015, Rz. 21 ff. zu Art. 93). Die Verbindlichkeit des Zwischenentscheides für die Instanz, welche den Endentscheid fällt, genügt nicht. Notwendig ist, dass die Beschwerdeführerinnen aufzeigen, inwiefern sie im Falle eines für sie günstigen Endentscheides - wie durch eine Abweisung der Klage, oder (im Falle der Klagegutheissung) durch ein erfolgreiches bundesgerichtliches Verfahren - einen rechtlichen Nachteil erleiden können. Ein derartiger Nachteil ist weder dargetan noch ersichtlich, zumal die Prozessvoraussetzung zur Beurteilung der Klage vom Bundesgericht überprüft werden kann. Die Anfechtung des Zwischenentscheides des Handelsgerichts in Anwendung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG fällt ausser Betracht.  
 
2.4. Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist die Beschwerde gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (BGE 133 III 629 E. 2.4; 134 III 426 E. 1.3.2).  
 
2.4.1. Die erste der beiden - kumulativen - Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist vorliegend offensichtlich erfüllt. Wenn das Bundesgericht zum Schluss kommen würde, dass die Beschwerdegegnerinnen kein schutzwürdiges Interesse an der Erhebung der Feststellungsklage hätten, könnte es sofort einen Endentscheid herbeiführen, indem auf die Klage zufolge fehlender Prozessvoraussetzung nicht einzutreten wäre.  
 
2.4.2. Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG obliegt es (ebenfalls) dem Beschwerdeführer darzulegen, inwiefern der angestrebte Endentscheid einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren sparen würden (E. 2.2). Ein Beweisverfahren, das mit Bezug auf die Kosten und Dauer nicht besonders von gewöhnlichen Prozessen abweicht, gilt noch nicht als weitläufig. Die Beschwerdeführerinnen halten lediglich fest, dass zur Frage, ob die "Convention (...) " vom 29. August 2012 gültig sei, Partei- und Zeugenbefragungen durchgeführt werden müssten, namentlich die Befragung der Parteien und von Exponenten der Gemeinden V.________ und W.________ in französischer Sprache mit Übersetzung. Eine Weitläufigkeit des Beweisverfahrens für die von den Beschwerdegegnerinnen erhobene Klage ist indes nicht offensichtlich. Weder lässt allein die Natur der Streitsache diese Annahme zu, noch lassen sich dem angefochtenen Urteil entsprechende Hinweise entnehmen oder machen die Beschwerdeführerinnen entscheidende Angaben, worin der bedeutende Aufwand an Zeit- und Kostenersparnis liegen soll. Jedes Beweisverfahren verursacht Aufwand an Zeit und Kosten, was - wie erwähnt - allein nicht genügt, damit Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG erfüllt ist (Urteil 4A_79/2015 vom 1. Mai 2015 E. 2.3.2).  
 
2.5. Nach dem Dargelegten ist ein Grund zur Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 134 III 188 E. 2.2; 134 III 426 E. 1.3.2), nicht ersichtlich. Die Beschwerde gegen den Zwischenentscheid des Handelsgerichts erweist sich als unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen können den handelsgerichtlichen Entscheid gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechten.  
 
3.   
Auf die Beschwerde kann nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftung kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Im bundesgerichtlichen Verfahren ist den Beschwerdegegnerinnen lediglich für die Stellungnahme zum Streitwert ein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden (Art. 68 Abs. 1 und 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftung auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerinnen haben die Beschwerdegegnerinnen mit insgesamt Fr. 500.-- unter solidarischer Haftung zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Handelsgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Oktober 2017 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Levante