Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1152/2023  
 
 
Urteil vom 11. Dezember 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Frey Krieger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell I.Rh., Unteres Ziel 20, 9050 Appenzell, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Keine Berufungserklärung eingereicht (Verletzung von Verkehrsregeln); Willkür, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Präsidium, vom 29. August 2023 
(KE 23-2023). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit Entscheid vom 29. August 2023 trat das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. auf eine von der Beschwerdeführerin fristgerecht angemeldete Berufung nicht ein, nachdem diese innert 20 Tagen seit der Zustellung des begründeten Urteils keine Berufungserklärung eingereicht hatte. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit einer als "Beschwerde in Strafsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde" betitelten Eingabe an das Bundesgericht.  
 
1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann auch die Verletzung von Verfassungsrecht gerügt werden (Art. 95 BGG). Die zusätzlich erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist ausgeschlossen (vgl. Art. 113 BGG).  
 
2.  
Verfahrensgegenstand ist vorliegend einzig der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid vom 29. August 2023 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Es kann vor Bundesgericht daher nur um die Frage gehen, ob die Vorinstanz Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO richtig angewandt hat und das Nichteintreten auf die von der Beschwerdeführerin angehobene Berufung rechtmässig war. 
 
3.  
 
3.1. Das Kantonsgericht führt zur Begründung im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe das am 18. Juli 2023 per Einschreiben versandte begründete Urteil nicht abgeholt.  
Mit Schreiben vom 31. Mai 2023 habe deren Vertreter mitgeteilt gehabt, dass er das anlässlich der erstinstanzlichen Verhandlung vom 30. Mai 2023 ausgehändigte Urteilsdispositiv erhalten habe. Die im Dispositiv enthaltene Rechtsmittelbelehrung habe auf Art. 399 Abs. 1 und Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 82 Abs. 2 lit. b StPO verwiesen und deren Wortlaut wiedergegeben. Die Beschwerdeführerin habe im Schreiben vom 31. Mai 2023 den Antrag auf Aufhebung des Urteils gestellt und gleichzeitig auf eine ausformulierte Begründung des Urteils verzichtet. In der Folge habe die erste Instanz mit Schreiben vom 5. Juni 2023 bestätigt, dass gegen das Urteil vom 30. Mai 2023 fristgerecht Berufung angemeldet worden sei und den Parteien deshalb das begründete Urteil nachgeliefert werde. Damit habe die Beschwerdeführerin mit der Zustellung des begründeten Urteils, das alsdann bereits am 18. Juli 2023 und damit nach rund anderthalb Monaten nach Urteilsfällung versandt worden sei, rechnen müssen. Gestützt auf Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO gelte damit die Zustellung als am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch erfolgt und habe die 20-tägige First zur Berufungserklärung am 26. Juli 2023 zu laufen begonnen. Innert dieser Frist sei keine Berufungserklärung eingegangen, weshalb auf die Berufung nicht einzutreten sei. 
 
3.2. Die Beschwerdeführerin stellt weder in Abrede, "dieses Einschreiben" und damit die Inempfangnahme des begründeten Urteils "verpasst" zu haben, noch dass sie mit der Zustellung des begründeten Urteils rechnen musste. Damit einhergehend legt sie nicht dar und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz die Zustellfiktion gemäss Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO nicht korrekt zur Anwendung gebracht hätte oder die Annahme der Zustellung des begründeten Urteils sonstwie gegen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG verstossen könnte (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Insoweit die Beschwerdeführerin moniert, es sei keine Zweitzustellung mit "normaler Post" erfolgt, verkennt sie, dass eine solche nicht erforderlich ist (Urteil 2C_364/2021 vom 5. August 2021 E. 5.1.1).  
Ebenso wenig legt die Beschwerdeführerin dar, inwiefern die Vorinstanz gegen das Recht verstösst, wenn sie von einer für die Berufung zweimalig erforderlichen Willensbekundung ausgeht. Insoweit die Beschwerdeführerin diesbezüglich geltend macht, dass die Sachlage "dermassen klar" sei, äussert sie sich zur materiellen Seite der Angelegenheit. Mit dieser hat sich die Vorinstanz indes nicht befasst und kann sie folglich auch nicht Gegenstand des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens sein. Darauf ist nicht weiter einzugehen (Art. 80 Abs.1 BGG; vgl. oben E. 2). Auch mit ihrer weiteren Kritik, wonach anhand der mit der Berufungsanmeldung "mitgelieferten" Begründung klar gewesen sei, dass und aus welchem Grund das gesamte Urteil aufzuheben gewesen wäre, respektive es "kleinlich" und "formalistisch" sei, dass das Kantonsgericht auf dem "vorgesehenen Ablauf" beharre und die Anwendung des gesunden Menschenverstandes und eine effiziente Bearbeitung verweigere, stösst die Beschwerdeführerin ins Leere. Gemäss der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung von Art. 399 StPO müssen die zur Berufung legitimierten und mit dem erstinstanzlichen Urteil nicht einverstandenen Parteien zweimal ihren Willen kundtun, das Urteil nicht zu akzeptieren, nämlich einmal im Rahmen der Anmeldung der Berufung bei der ersten Instanz nach der Eröffnung des Dispositivs und ein zweites Mal nach Eingang des begründeten Urteils durch eine schriftliche Berufungserklärung beim Berufungsgericht (BGE 143 IV 40 E. 3.4.1; 138 IV 157 E. 2.1; Urteile 6B_426/2020 vom 10. März 2021 E. 1.2; 6B_429/2020 vom 1. Oktober 2020 E. 1.1). Die Gerichte, einschliesslich das Bundesgericht, sind an die Gesetze gebunden (Art. 190 BV), mithin steht es ihnen nicht frei, von gesetzlich geregelten und an Fristen gebundenen Verfahrensabläufen abzusehen. Die Beschwerdeführerin hat den Empfang des Urteilsdispositivs vom 30. Mai 2023 mit einer auf die gesetzliche Regelung von Art. 399 StPO abgestützten, detaillierten und unmissverständlichen Rechtsmittelbelehrung bestätigt. Dass sie sich nicht an diese eindeutige Belehrung gehalten hat, muss sie sich selber zuschreiben. Es liegt kein Fall einer übertrieben strengen Handhabung der Formvorschriften vor, die sachlich nicht gerechtfertigt wäre und dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrte. 
 
4.  
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss sind die Verfahrenskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Der verhältnismässig geringe Aufwand ist bei der Bemessung der Gerichtskosten zu berücksichtigen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Präsidium, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Dezember 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Frey Krieger