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Urteilskopf

142 IV 34


7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Besondere Aufgaben gegen Kantonales Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
1B_256/2015 vom 4. November 2015

Regeste

Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 197 Abs. 2, Art. 269, Art. 270 lit. b, Art. 273 und Art. 274 Abs. 1 lit. b StPO. Rückwirkende Randdatenerhebung betreffend den Mobiltelefon-Anschluss eines Privatklägers.
Unterscheidung zwischen der inhaltlichen Überwachung des Fernmeldeverkehrs, der aktiven Erhebung von Randdaten in Echtzeit und der rückwirkenden Randdatenerhebung. Gesetzliche Regelung und Voraussetzungen der Überwachung von Drittanschlüssen, insbesondere der Randdatenerhebung bei Geschädigten (E. 4.1-4.3). Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen einer rückwirkenden Randdatenerhebung betreffend den Mobiltelefon-Anschluss eines Privatklägers nicht erfüllt, zumal die Überwachung bloss indirekt der Aufklärung der untersuchten Straftaten diente (E. 4.4). Die gesetzlichen Voraussetzungen einer strafprozessualen Randdatenerhebung bei Dritten, insbesondere das richterliche Genehmigungserfordernis, sind grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft sich um eine Zustimmung des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses bemüht hat. Es empfiehlt sich, dass die Staatsanwaltschaft eine allfällige schriftliche Zustimmung des betroffenen Dritten zusammen mit dem Genehmigungsgesuch beim Zwangsmassnahmengericht einreicht (E. 4.5).

Sachverhalt ab Seite 35

BGE 142 IV 34 S. 35

A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Besondere Aufgaben, führt eine Strafuntersuchung gegen einen beschuldigten Polizisten wegen des Verdachtes der einfachen Körperverletzung, Beschimpfung und Drohung sowie des Amtsmissbrauchs. Am 8. Juli 2015 verfügte die Staatsanwaltschaft die rückwirkende Randdatenerhebung (vom 10.-13. März 2015) betreffend einen Mobiltelefon-Anschluss des 15 Jahre alten Privatklägers. Mit Entscheid vom 10. Juli 2015 verweigerte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern, Präsident, die Genehmigung der Überwachungsmassnahme.

B. Gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichtes gelangte die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde vom 30. Juli 2015 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Genehmigung der rückwirkenden Überwachung. Eventualiter sei festzustellen, dass gar keine Genehmigung der Überwachungsmassnahme durch das kantonale Zwangsmassnahmengericht notwendig sei, wenn die Zustimmung des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses zur Randdatenerhebung vorliege.
Das Zwangsmassnahmengericht hat am 11. August 2015 auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet. Das Bundesgericht urteilte am 4. November 2015 nach einer öffentlichen Beratung (Art. 58 und 59 BGG). Es weist die Beschwerde ab.
BGE 142 IV 34 S. 36

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Unter den Voraussetzungen von Art. 269 Abs. 1-3 i.V.m. Art. 270-279 StPO kann der Fernmeldeverkehr inhaltlich und aktiv (während des Kommunikationsvorgangs) überwacht werden. Art. 270 lit. b StPO regelt (unter der Marginalie "Gegenstand der Überwachung") die Überwachung der Fernmeldeanschlüsse von (nicht beschuldigten) Drittpersonen. Die Überwachung bedarf der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht (Art. 272 Abs. 1 StPO). Sie ist grundsätzlich geheim (Art. 279 StPO). Art. 273 StPO regelt die (rückwirkende oder aktive) Erhebung von Verbindungs-Randdaten des Fernmeldeverkehrs (Art. 273 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO) sowie die Auskunft über Verkehrs- und Rechnungsdaten (Art. 273 Abs. 1 lit. b StPO). Gemäss Art. 273 Abs. 1 (Ingress) StPO können diese Informationen von der Staatsanwaltschaft erhoben werden, wenn der dringende Verdacht eines Verbrechens oder Vergehens besteht und die Voraussetzungen von Art. 269 Abs. 1 lit. b und c StPO erfüllt sind (welche - nebst derjenigen von lit. a - auch für die inhaltliche Überwachung nach Art. 269-272 StPO gegeben sein müssen). Auch die Randdatenerhebung nach Art. 273 StPO bedarf (wie die inhaltliche Überwachung, Art. 272 Abs. 1 StPO) der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht (Art. 273 Abs. 2 StPO; vgl. BGE 137 IV 340 E. 5.1-5.2 S. 346 f.; Urteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 4.1-4.3).

4.2 Zunächst ist zu klären, welche gesetzliche Überwachungsart hier streitig ist und welche gesetzlichen Vorschriften für die Überwachung von Drittanschlüssen massgeblich sind:

4.2.1 Beim Anschluss eines Privatklägers handelt es sich zwar um denjenigen einer "Drittperson" im Sinne von Art. 270 lit. b StPO (vgl. Bundesgerichtsurteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5). Für die aktive Abhörung von Gesprächen über Drittanschlüsse wären daher die Voraussetzungen von Art. 269 und Art. 270 lit. b StPO zu erfüllen (vgl. BGE 138 IV 232). Die Staatsanwaltschaft hat hier jedoch keine geheime Überwachung von Nachrichteninhalten verfügt, sondern eine rückwirkende, nicht geheime Erhebung von Verbindungs-Randdaten der Kommunikation (Art. 273 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft hat den Privatkläger über die in Aussicht genommene Überwachungsmassnahme informiert.
BGE 142 IV 34 S. 37

4.2.2 Die Wortlaute von Art. 270 lit. b Ziff. 1 und Ziff. 2 StPO sind zunächst auf die aktive (während des Kommunikationsvorganges) und inhaltliche (Kommunikationsinhalte) geheime Überwachung von Fernmeldeanschlüssen zugeschnitten (vgl. BGE 138 IV 232; Urteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.3-5.5). Gemäss diesen Bestimmungen darf der Telefonanschluss von Drittpersonen geheim überwacht werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen angenommen werden muss, dass entweder die beschuldigte Person den Anschluss der Drittperson benutzt (Ziff. 1, sogenannter "Anschlussüberlasser") oder die Drittperson für die beschuldigte Person bestimmte Mitteilungen entgegennimmt oder von dieser stammende Mitteilungen an eine weitere Person weiterleitet (Ziff. 2, sogenannter "Nachrichtenmittler"). Bei der rückwirkenden Randdatenerhebung (Art. 273 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO) geht es weder um eine zu erwartende "Benutzung" des Drittanschlusses durch den Beschuldigten (Art. 270 lit. b Ziff. 1 StPO, vgl. BGE 138 IV 232) noch um eine voraussichtliche Entgegennahme oder Weiterleitung von "Mitteilungen" (vom Beschuldigten oder an ihn) durch die Drittperson (Art. 270 lit. b Ziff. 2 StPO; vgl. Bundesgerichtsurteil 1B_441/2013 vom 6. Januar 2014). Die Kommunikation ist bei der rückwirkenden Randdatenerhebung vielmehr bereits abgeschlossen. Die erhobenen Randdaten sind hier - im Gegensatz zur (geheimen) aktiven Randdatenerhebung in Echtzeit - bereits bei der Fernmeldedienst-Anbieterin sicher gespeichert und verwahrt, weshalb diesbezüglich keine Kollusion mehr droht. Überdies bezieht sich die Randdatenerhebung (im Gegensatz zur aktiven Gesprächsüberwachung) nicht auf Nachrichteninhalte (vgl. BGE 137 IV 340 E. 5.1-5.2 S. 346 f., E. 5.5 S. 348, E. 6.1 S. 349 f.; Urteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.3).

4.2.3 Art. 270 lit. b StPO dient dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) von nicht mit der beschuldigten Person identischen Dritten. Dies ergibt sich deutlich aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Norm (BGE 138 IV 232 E. 5 S. 236, E. 6.2 S. 239; BGE 137 IV 340 E. 6 S. 349 ff.; Urteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5; je mit Hinweisen). Der von Art. 270 lit. b StPO angestrebte Privatsphärenschutz wird grundsätzlich hinfällig, wenn die betroffene Drittperson der behördlichen Überwachungsmassnahme ausdrücklich zustimmt bzw. sie sogar selber wünscht, weil sie (etwa im Falle von Privatklägern) ein eigenes Interesse an der Beweiserhebung hat. In solchen Fällen ist unter dem Gesichtspunkt
BGE 142 IV 34 S. 38
der Subsidiarität der Überwachungsmassnahme (Art. 273 Abs. 1 i.V.m. Art. 269 Abs. 1 lit. c StPO) vorgängig zu prüfen, ob die Drittperson, welche die Datenerhebung wünscht, sich allenfalls direkt (mit einem privaten Gesuch gemäss Art. 45 FMG [SR 784.10] bzw. Art. 81 FDV [SR 784.101.1]) an die Fernmeldedienst-Anbieterin wenden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_265/2012 vom 21. August 2012 E. 2.3.2-2.3.3). Sofern eine rückwirkende Randdatenerhebung auf dem Telefonanschluss eines getöteten Opfers für die Aufklärung und rechtliche Qualifikation des untersuchten Tötungsdeliktes von wesentlicher Bedeutung erscheint, kann Art. 270 lit. b StPO der Untersuchungsmassnahme nach Art. 273 StPO ebenfalls nicht entgegengehalten werden (Urteil des Bundesgerichtes 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5).

4.3 Art. 273 StPO ist im Übrigen im Gesamtzusammenhang der massgeblichen Bestimmungen über die Zwangsmassnahmen (Art. 197-298 StPO, 5. Titel), die "geheimen Überwachungsmassnahmen" (Art. 269-298 StPO, 8. Kapitel) und die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269-279 StPO, 1. Abschnitt) auszulegen und anzuwenden:

4.3.1 Die Überwachungsmassnahmen nach Art. 269-273 StPO dienen der Aufklärung von Straftaten, insbesondere der Beweissicherung (Art. 196 lit. a StPO). Sie können nur ergriffen werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, die mit der Zwangsmassnahme angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 StPO). Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO). Diese gesetzlichen Grundvoraussetzungen werden für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs in den oben erörterten Art. 269-273 StPO näher konkretisiert (für die Randdatenerhebung insbes. in Art. 269 Abs. 1 lit. b und c und Art. 273 Abs. 1 StPO).

4.3.2 Auch rückwirkende Randdatenerhebungen nach Art. 273 StPO können nach dem Gesagten zu einem Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen (Art. 13 Abs. 1 BV) führen. Zwar werden hier keine Kommunikationsinhalte behördlich überwacht und erfolgt (im Gegensatz zur inhaltlichen Gesprächsüberwachung oder zur aktiven Randdatenerhebung in Echtzeit) keine geheime Untersuchungsmassnahme. Deswegen gilt der Eingriff nach der Praxis des
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Bundesgerichtes in der Regel als deutlich weniger einschneidend (BGE 139 IV 98 E. 4.2 S. 99; BGE 137 IV 340 E. 5.5 S. 348; je mit Hinweisen). Auch hier ist jedoch den oben dargelegten gesetzlichen Schranken und Eingriffsvoraussetzungen ausreichend Rechnung zu tragen.

4.3.3 Der Wortlaut von Art. 273 Abs. 1 lit. a StPO erlaubt schliesslich nur Erhebungen darüber, wann und mit welchen Personen oder Anschlüssen die überwachte Person über den Fernmeldeverkehr Verbindung gehabt hat (oder - im hier nicht gegebenen Fall der aktiven Randdatenerhebung - noch Verbindung hat). Die Randdatenerhebung nach Art. 273 Abs. 1 lit. a StPO setzt somit eine untersuchungsrelevante Kommunikationsverbindung zu Personen oder Fernmeldeanschlüssen voraus (vgl. BGE 141 IV 108 E. 5.6 S. 123 f., E. 6.2 S. 128; BGE 137 IV 340 E. 5.2 S. 347). Nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes verlangt eine rückwirkende Randdatenerhebung (wie jede Überwachungsmassnahme) ausserdem einen direkten Sachzusammenhang zwischen der Überwachungsmassnahme und dem untersuchten Delikt (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5).

4.4

4.4.1 Wie die Staatsanwaltschaft darlegt, sei es das Ziel der Überwachung, Zeugenaussagen mit anderen objektivierbaren Beweisergebnissen abzugleichen, da die Zeugen zum "Umfeld" des Privatklägers gehörten. Zu diesem Zweck sei eine Randdatenerhebung auf dem Mobiltelefon des Privatklägers nötig, insbesondere zur Eruierung seiner Standorte zwischen dem 10. und 13. März 2015. Neben dem Privatkläger seien diverse Zeugen einvernommen worden, darunter dessen geschiedene Eltern, die ihn im Zeitraum zwischen dem 10. und 13. März 2015 gesehen hätten. Diese seien darüber befragt worden, mit wem der Privatkläger im genannten Zeitraum Kontakt hatte, wo er sich aufgehalten und was er gemacht habe.

4.4.2 Die Strafuntersuchung richtet sich gegen den beschuldigten Polizisten. Diesem wird vorgeworfen, er habe den 15 Jahre alten Privatkläger anlässlich der polizeilichen Anhaltung vom 13. März 2015 (09.30 Uhr) mehrmals mit der Handfläche und der Faust geschlagen. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen hat der Privatkläger zwar bereits am 10. März 2015 einen Fahrradunfall erlitten, weswegen er am 11. März 2015 von seinem Arzt untersucht und geröntgt und am Nachmittag des 12. März 2015 am Mittelhandknochen der rechten Hand im Spital operiert wurde. Es bestehen jedoch
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Zeugenaussagen des behandelnden Arztes, wonach dieser mit Sicherheit ausschliessen könne, dass zwischen dem 11. und 12. März 2015 (bis zum Spitalaustritt des Privatklägers am 12. März 2015 um ca. 16.30 Uhr) Verletzungen im Gesicht des Privatklägers erkennbar gewesen wären. Gemäss seiner langjährigen ärztlichen Erfahrung würden stumpfe Gesichtsverletzungen innert Minuten bis einer Stunde sichtbar. Laut Befund des bernischen Instituts für Rechtsmedizin, dessen ärztliches Personal den Privatkläger am Nachmittag des 13. März 2015 untersuchte, könnten die festgestellten Verletzungen im Gesicht und am Hinterkopf in einem Zeitfenster von einigen Stunden bis zwei Tagen vor dieser Untersuchung erlitten worden sein. Völlig ausgeschlossen werden könne aber auch der 10. März 2015 als Verletzungszeitpunkt nicht.

4.4.3 Mit der beantragten Randdatenerhebung möchte die Staatsanwaltschaft somit ihre These (zugunsten des Beschuldigten) stützen, wonach der Privatstrafkläger seine Gesichts- und Kopfverletzungen schon vor dem Morgen des 13. März 2015 erlitten haben könnte, insbesondere in der Zeit zwischen dem Nachmittag des 12. März 2015 (nach dem Spitalaustritt des Privatklägers um ca. 16.30 Uhr) und der polizeilichen Anhaltung am 13. März 2015 (09.30 Uhr). Diese These widerspricht den protokollierten Aussagen des Privatklägers und seiner als Zeugen befragten Eltern. Zwar hat die Untersuchungsbehörde auch allfälligen entlastenden Indizien nachzugehen (vgl. Art. 6 Abs. 2 StPO). Im Ergebnis dient die hier streitige Überwachungsmassnahme jedoch bloss indirekt der Aufklärung der untersuchten Straftaten. Primär scheint die Staatsanwaltschaft bestrebt, die belastenden Aussagen des Privatklägers in Frage zu stellen und die Aussagen von zwei indirekten Zeugen (zum Aufenthalt des Privatklägers vor dem angezeigten Vorfall) zu relativieren. Bei diesen indirekten Zeugen handelt es sich nicht um Tatzeugen.

4.4.4 Bei gesamthafter Würdigung dieser Sachlage ist die Gesetzes- und Verhältnismässigkeit der streitigen Überwachungsmassnahme zu verneinen. Die Nichtgenehmigung des Überwachungsgesuches erweist sich im Ergebnis als bundesrechtskonform. Der Zwangsmassnahmenrichter hatte die Verhältnismässigkeit der Überwachungsmassnahme aufgrund der Aktenlage im Zeitpunkt seines Entscheides zu prüfen. Im Genehmigungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft die wesentlichen Verfahrensakten innert 24 Stunden seit Anordnung der Überwachung dem Zwangsmassnahmengericht
BGE 142 IV 34 S. 41
zu unterbreiten (Art. 274 Abs. 1 lit. b StPO). Die Staatsanwaltschaft hat die schriftliche Zustimmungserklärung des Privatklägers unbestrittenermassen erst am 15. Juli 2015 eingeholt, damit fünf Tage nach dem erfolgten Nichtgenehmigungsentscheid. Insofern ist die nachgereichte Zustimmungserklärung hier als unzulässiges Novum zu behandeln (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).

4.5 Im Eventualstandpunkt macht die Staatsanwaltschaft noch geltend, bei Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung des Anschlussinhabers in die rückwirkende Randdatenerhebung sei gar keine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht nötig. Dieser Argumentation ist nicht zu folgen: Die oben dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen einer behördlich verfügten strafprozessualen Randdatenerhebung bei Dritten, insbesondere das richterliche Genehmigungserfordernis (Art. 273 Abs. 2 StPO), sind grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft sich um eine "Zustimmung" des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses bemüht hat. Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt werden (Art. 2 Abs. 2 StPO). Dies muss namentlich für strafprozessuale Überwachungen gelten (Art. 197 Abs. 1 lit. a StPO). Ausserdem ist der Untersuchungsgrundsatz zu beachten (Art. 6 Abs. 1 und Art. 311 Abs. 1 StPO). Dafür, dass der Gesetzgeber die strafprozessuale Randdatenerhebung bei Dritten in die freie und von Art. 269-273 StPO abweichende Disposition zwischen der Staatsanwaltschaft und betroffenen Anschlussinhabern hätte legen wollen, findet sich im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt. Wie der vorliegende Fall zeigt, empfiehlt es sich im Übrigen, dass die Staatsanwaltschaft eine allfällige schriftliche Zustimmung des von der rückwirkenden Randdatenerhebung betroffenen Dritten zusammen mit dem Genehmigungsgesuch beim Zwangsmassnahmengericht einreicht. (...)

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 4

Referenzen

BGE: 137 IV 340, 138 IV 232, 139 IV 98, 141 IV 108

Artikel: Art. 273 StPO, Art. 270 lit. b StPO, Art. 273 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO, Art. 270-279 StPO mehr...