Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_272/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 30. Juli 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Kaufmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern,  
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 26. Februar 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren am 2. Januar 1951, ist gelernter Käser und arbeitete auch als Automaler, Milchhändler und in der Kunststoff-Verarbeitung. Seit Juli 1993 führte er als selbstständigerwerbender Unternehmer die Firma B.________. Am 14. Oktober 2011 meldete er sich unter Hinweis auf Spinalkanalstenose L3/L4 und Schmerzen beim Bücken und Aufrichten bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern tätigte beruflich-erwerbliche sowie medizinische Abklärungen. Mit Schreiben vom 30. August 2012 schloss sie die beruflichen Abklärungen ab, mit dem Ergebnis, A.________ sei Selbstständigerwerbender und aufgrund dessen und des Alters seien berufliche Massnahmen nicht angezeigt. Die IV-Stelle veranlasste ein Gutachten des Spitals C.________ vom 8. Januar 2013. Mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit wurde ein chronisches beidseitiges cevicobrachiales Syndrom (ICD-10: M53.1) und ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom (ICD-10: M54.5) diagnostiziert. Nach Einschätzung der Experten waren dem Versicherten nur noch leichte Arbeiten mit wechselbelastender Tätigkeit und einer Hebe-/ Trage-Limite von maximal 10 kg möglich. Mit Vorbescheid vom 12. März 2013 und Verfügung vom 18. September 2013 wies die IV-Stelle das Leistungsgesuch ab (Invaliditätsgrad von 27 % laut Vorbescheid resp. 33 % laut Verfügung). 
 
B.   
Die von A.________ gegen die Verfügung vom 18. September 2013 eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 26. Februar 2014 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen. Er beantragt, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Die IV-Stelle sei zu verurteilen, ihm eine Invalidenrente, so wie rechtens, auszurichten. 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand einer versicherten Person und der daraus resultierenden Arbeits (un) fähigkeit, die das Sozialversicherungsgericht gestützt auf medizinische Untersuchungen trifft, sind tatsächlicher Natur. Soweit die Beurteilung der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt wird, geht es um eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.; Urteil 9C_133/2011 vom 29. April 2011 E. 1). Rechtsfrage ist auch, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit erfolgt (Urteil 9C_190/2009 vom 11. Mai 2009 E. 3.3).  
 
2.  
 
2.1. Das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Einkommen ist bezogen auf einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu ermitteln, wobei an die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten keine übermässigen Anforderungen zu stellen sind (im Einzelnen dazu SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203, 9C_830/2007 E. 5.1). Das fortgeschrittene Alter wird, obgleich an sich ein invaliditätsfremder Faktor, in der Rechtsprechung als Kriterium anerkannt, welches zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen Gegebenheiten dazu führen kann, dass die einer versicherten Person verbliebene Resterwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt wird und ihr deren Verwertung auch gestützt auf die Selbsteingliederungslast nicht mehr zumutbar ist. Fehlt es an einer wirtschaftlich verwertbaren Resterwerbsfähigkeit, liegt eine vollständige Erwerbsunfähigkeit vor, die einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente begründet (Urteil I 831/05 vom 21. August 2006 E. 4.1.1 mit Hinweisen). Der Einfluss des Lebensalters auf die Möglichkeit, das verbliebene Leistungsvermögen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, lässt sich nicht nach einer allgemeinen Regel bemessen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Massgebend können die Art und Beschaffenheit des Gesundheitsschadens und seiner Folgen, der absehbare Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur, vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang oder Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich sein (Urteile 9C_153/2011 vom 22. März 2012 E. 3.1; 9C_918/2008 vom 28. Mai 2009 E. 4.2.2 mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Möglichkeit, die verbliebene Arbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, hängt nicht zuletzt auch davon ab, welcher Zeitraum der versicherten Person für eine berufliche Tätigkeit und vor allem für einen allfälligen Berufswechsel noch zur Verfügung steht. Die im gesamten Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende Schadenminderungspflicht und die daraus abgeleitete Selbsteingliederungslast (vgl. BGE 113 V 22 E. 4a S. 28 mit Hinweisen; Urteil 9C_916/2010 vom 20. Juni 2011 E. 2.2) gebieten grundsätzlich, die Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit möglichst früh zu beantworten. Gemäss BGE 138 V 457 E. 3.4 S. 462 steht die medizinische Zumutbarkeit einer (Teil-) Erwerbstätigkeit fest, sobald die medizinischen Unterlagen diesbezüglich eine zuverlässige Sachverhaltsfeststellung erlauben.  
 
3.   
Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Resterwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nachgefragt wird und ihm deren Verwertung gestützt auf die Selbsteingliederungslast noch zumutbar ist. 
 
3.1. Mit der Vorlage des Gutachtens des Spitals C.________ vom 8. Januar 2013 war eine zuverlässige Sachverhaltsfeststellung möglich: Aufgrund des Wirbelsäulenleidens und der Kreuzschmerzen bestand in der angestammten Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit von 90 %. Für leichte Tätigkeiten mit Wechselbelastung und Hebelimite bis maximal 10 kg bestand keine verminderte Leistungsfähigkeit.  
 
3.2. Die Vorinstanz hat die Abweisung des Rentengesuchs mit der Begründung geschützt, mit Blick auf die Ausführungen der behandelnden Ärzte sei seit Langem klar gewesen, dass die Ausübung der bisherigen Tätigkeit nicht mehr möglich sein werde. Es sei spätestens mit Erstellung des rheumatologischen Gutachtens vom 8. Januar 2013 erstellt. Der Beschwerdeführer sei damals gerade 62 Jahre alt geworden, demnach betrage die verbleibende Aktivitätsdauer drei Jahre. Eine berufliche Umstellung, die hier keine Umschulung voraussetze, sei möglich und zumutbar. Der Beschwerdeführer habe in seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit auch administrative Arbeiten ausgeführt; von diesen Erfahrungen könne er in einer leidensangepassten Tätigkeit profitieren. Ausserdem habe er in seiner Erwerbslaufbahn bereits unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt, was für breite Fähigkeiten spreche. Schliesslich komme der verbliebenen Restarbeitsfähigkeit erhebliches Gewicht zu; diese liege in einer leidensangepassten Tätigkeit bei einem Vollzeitpensum. Die zumutbare vollschichtige Tätigkeit finde sich nicht nur in einer reinen Nische. Damit sei die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit unter Wechsel von der selbstständigen zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zumutbar und möglich.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, in subjektiver Hinsicht sei festzuhalten, dass die Schadenminderung erst dann verletzt werde, wenn er hinreichend Kenntnis darüber erlangt habe, was die Beschwerdegegnerin von ihm verlangen könne, so z.B. das Aufgeben der jetzigen Tätigkeit und das Suchen einer angepassten Arbeit. Dies sei erst nach der Eröffnung des Vorbescheids der Fall gewesen. Zudem könne er nicht von heute auf morgen sein bestehendes Geschäft liquidieren und praktisch gleichentags, theoretisch, eine neue Stelle antreten. Hierfür sei eine angemessene Übergangsfrist festzusetzen. Entgegen den Erwägungen der Vorinstanz könne somit nicht von einer verbleibenden Aktivitätsdauer von drei Jahren ausgegangen werden. Diese sei um einiges kürzer. Zudem habe er seine Fähigkeiten im handwerklichen und nicht im Bürobereich. Hinzu komme, dass er seit über zwanzig Jahren als Selbstständigerwerbender tätig sei. Ein potenzieller Arbeitgeber werde dies negativ würdigen, da es schwierig sein dürfte, ihn nach derart langer Zeit in eine Arbeitsstruktur mit Unterordnungsverhältnis zu integrieren. Im Weiteren wäre einem potenziellen Arbeitgeber auch mitzuteilen, dass er im Dezember 2009 eine Hirnblutung erlitten habe und heute einen Mix an Medikamenten einnehme. Ein Arbeitgeber könne somit nicht damit rechnen, einen gesundheitlich fitten, wenn auch etwas älteren Arbeitnehmer zu erhalten. Im Gegenteil werde ein potenzieller Arbeitgeber sich zusätzlich durch die gesundheitliche Situation abschrecken lassen. Es sei nicht realistisch, dass er noch eine Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis finden könne.  
 
3.4. Dem Beschwerdeführer ist darin Recht zu geben, dass bei den gegebenen Umständen, insbesondere seinem Alter von 623 /4 Jahren im Zeitpunkt der Verfügung vom 18. September 2013, der zeitliche Horizont für eine Anstellung zu kurz war. Seit der Erstellung des rheumatologischen Gutachtens am 8. Januar 2013 war zwar endgültig klar, dass die bisherige selbstständige Tätigkeit nicht weiter ausgeübt werden kann. Die Aufgabe einer Einzelfirma ist jedoch nicht von einem Tag auf den anderen zu bewerkstelligen. Es verblieb ihm somit nicht mehr eine Aktivitätsdauer von drei Jahren. Eine Umschulung war nicht mehr sinnvoll, eine Umstellung von der selbstständigen zur unselbstständiger Erwerbstätigkeit zwar zumutbar, aber nur theoretisch, da völlig unwahrscheinlich, dass er nach so langer Selbstständigkeit kurz vor Eintritt ins AHV-Alter noch eine Anstellung gefunden hätte, zumal er gesundheitliche Schwierigkeiten hat. Insgesamt fehlt es an einer wirtschaftlich verwertbaren Resterwerbsfähigkeit. Da der Rentenanspruch frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs und die Rente vom Beginn des Monats an ausbezahlt wird, in dem der Rentenanspruch entsteht (Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG), hat der Beschwerdeführer, der sich am 14. Oktober 2011 zum Leistungsbezug anmeldete, Anspruch auf eine ganze Invalidenrente ab 1. April 2012.  
 
4.   
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 26. Februar 2014 und die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 18. September 2013 werden aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer mit Wirkung ab 1. April 2012 eine ganze Invalidenrente auszurichten. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. Juli 2014 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Schmutz