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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_913/2021  
 
 
Urteil vom 25. Oktober 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin Koch, 
nebenamtliche Bundesrichterin Lötscher, 
Gerichtsschreiber Boller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Steiner, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Fahren in fahrunfähigem Zustand mit qualifizierter Atemalkoholkonzentration; Willkür, rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 15. Juni 2021 (SST.2020.233). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wird vorgeworfen, am Abend des 19. September 2019 in angetrunkenem Zustand seinen Personenwagen von U.________ nach V.________ und wieder zurück gefahren zu haben. 
 
B.  
Das Bezirksgericht Baden erklärte A.________ mit Urteil vom 28. September 2020 des Fahrens in fahrunfähigem Zustand mit qualifizierter Atemalkoholkonzentration schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 80.--, bei einer Probezeit von drei Jahren, und einer Verbindungsbusse von Fr. 1'900.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Tage). Auf Berufung von A.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 15. Juni 2021 den erstinstanzlichen Entscheid im Schuldpunkt. Es verurteilte A.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 50.--, bei einer Probezeit von drei Jahren, und einer Verbindungsbusse von Fr. 1'500.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 30 Tage). 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Begründungspflicht im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Die Vorinstanz gehe auf seine Argumentation nicht rechtsgenüglich ein, indem sie ihm unter anderem Aussagen vorhalte, die er im Schock und nach Alkoholgenuss bei der Anhaltung gemacht haben solle. Er habe aber in der Folge die Sachlage klar anders dargestellt, was unerwähnt bleibe. Die Vorinstanz suche willkürlich gegen ihn sprechende Indizien aus den Akten zusammen.  
 
1.2. Für ein gehörsverletzendes Vorgehen der Vorinstanz sind entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers keine Anzeichen ersichtlich. Die aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende grundsätzliche Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen, bedeutet nicht, dass diese sich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr genügt es unter dem Gesichtswinkel der Begründungsdichte und hinsichtlich der Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien, wenn im Entscheid auf die wesentlichen Argumente der Beschwerde eingegangen wird und eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids möglich war, was vorliegend zutrifft (vgl. BGE 142 III 433 E. 4.3.2 mit Hinweisen). Die Rüge erweist sich als unbegründet.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht weiter eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO und Art. 6 EMRK sowie eine willkürliche Rechtsanwendung nach Art. 9 BV geltend. Alle gegen ihn erhobenen Beweise, insbesondere die Alkoholmessung und die Feststellungen der Polizei zu seiner Alkoholisierung, seien unverwertbar, weil sie ohne Hausdurchsuchungsbefehl oder Haftbefehl gegen seinen erklärten Willen in seiner Garagenbox und damit auf privatem Grund erhoben worden seien. Nachträglich hätte ein Hausdurchsuchungsbefehl ausgestellt werden müssen. Art. 244 ff. StPO seien nicht eingehalten worden. Es sei bundesrechtswidrig, dass die Vorinstanz behaupte, nach Art. 213 Abs. 2 StPO sei kein Hausdurchsuchungsbefehl nötig, wenn Gefahr im Verzug sei. Selbst bei Dringlichkeit wäre ein Hausdurchsuchungsbefehl nötig gewesen. Mangels Verwertbarkeit der Alkoholmessung dürfe diese nicht berücksichtigt werden und sei er vom Vorwurf des Fahrens in angetrunkenem Zustand freizusprechen.  
 
2.2. Die Vorinstanz führt aus, es sei unbestritten, dass es sich bei der Garagenbox des Beschwerdeführers um Privatgrund handle. Das Betreten der Garagenbox durch die Polizei sei aber rechtmässig gewesen. Es sei Gefahr im Verzug gewesen und die Polizei habe zur Anhaltung des Beschwerdeführers und Durchführung der Atemalkoholkontrolle offensichtlich nicht zuwarten können. Sie habe deshalb gemäss Art. 213 Abs. 2 StPO auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl die Tiefgarage und private Garagenbox des Beschwerdeführers betreten dürfen (angefochtener Entscheid E. 2.1 S. 4).  
 
2.3.  
 
2.3.1. Nach Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise, welche die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Gemäss Abs. 3 derselben Bestimmung sind Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, verwertbar.  
 
2.3.2. Art. 215 StPO regelt die polizeiliche Anhaltung. Danach kann die Polizei im Interesse der Aufklärung einer Straftat eine Person anhalten und wenn nötig auf den Polizeiposten bringen, um ihre Identität festzustellen, sie kurz zu befragen, abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat, oder abzuklären, ob nach ihr oder nach Gegenständen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, gefahndet wird (Art. 215 Abs. 1 lit. a-d StPO). Die Polizei kann die angehaltene Person gemäss Art. 215 Abs. 2 StPO verpflichten, ihre Personalien anzugeben (lit. a), Ausweispapiere vorzulegen (lit. b), mitgeführte Sachen vorzuzeigen (lit. c) und Behältnisse oder Fahrzeuge zu öffnen (lit. d). Die polizeiliche Anhaltung dient der Ermittlung einer allfälligen Verbindung zwischen der angehaltenen Person und einer Straftat. Ziel der Anhaltung ist es, die Identität zu überprüfen und festzustellen, ob nach den Umständen der konkreten Situation ein Zusammenhang der betreffenden Person mit Delikten als möglich erscheint (BGE 142 IV 129 E. 2.2; 139 IV 128 E. 1.2). Die polizeiliche Anhaltung nach Art. 215 StPO wird vorab an öffentlich zugänglichen Orten vorgenommen. Aus Art. 212 f. StPO ergibt sich jedoch, dass sie unter Beachtung der Vorschriften über die Hausdurchsuchung auch an nicht allgemein zugänglichen Örtlichkeiten zulässig ist (Urteil 6B_1409/2019 vom 4. März 2021 E. 1.6.1). Müssen zur Anhaltung oder Festnahme einer Person Häuser, Wohnungen oder andere nicht allgemein zugängliche Räume betreten werden, sind gemäss Art. 213 Abs. 1 StPO die Bestimmungen über die Hausdurchsuchung zu beachten und ist dementsprechend ein Hausdurchsuchungsbefehl erforderlich (vgl. Art. 241 Abs. 1 StPO). Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei nach Art. 213 Abs. 2 StPO zur Anhaltung oder Festnahme einer Person Räumlichkeiten auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten.  
 
2.4. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass bei seiner Anhaltung Gefahr im Verzug war. Insbesondere beanstandet er die tatbestandsmässige Feststellung der Vorinstanz nicht, die Polizei habe zu seiner Anhaltung und zur Durchführung der Atemalkoholprobe nicht zuwarten können. Es ist somit erstellt, dass Gefahr im Verzug im Sinne von Art. 213 Abs. 2 StPO vorlag. Der Beschwerdeführer stellt sich aber auf den Standpunkt, dass auch bei Gefahr im Verzug ein Durchsuchungsbefehl oder ein Haftbefehl notwendig gewesen wäre. Er bezieht sich dabei auf E. 1.6.2 f. des Bundesgerichtsurteils 6B_1409/2019 vom 4. März 2021, wonach die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Hausdurchsuchungsbefehle zu erlassen hat, wenn die Lage ein Betreten und Durchsuchen von nicht öffentlichen Räumlichkeiten erfordert. Der Beschwerdeführer verkennt dabei indes, dass sich der von ihm zitierte Satz nicht auf den Fall der "Gefahr im Verzug" bezieht, sondern auf das nicht dringliche Betreten von nicht allgemein zugänglichen Räumlichkeiten zum Zweck einer Anhaltung oder Festnahme, im zitierten Fall zum Zweck einer "Razzia" (Art. 215 Abs. 4 StPO; Urteil 6B_1409/2019 vom 4. März 2021 E. 1.6.2). Bei Gefahr im Verzug kann die Polizei nicht allgemein zugängliche Räumlichkeiten zur Anhaltung oder Festnahme kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (Art. 213 Abs. 2 StPO) auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten (ALBERTINI/ARMBRUSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 213 StPO; CHAIX, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Auflage 2019, N. 11 zu Art. 213 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 213 StPO, N. 21 zu Art. 215 StPO; WEDER, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 8 zu Art. 213 StPO, N. 29 zu Art. 215 StPO). Ein Hausdurchsuchungsbefehl muss in einem solchen Fall auch nicht nachträglich ausgestellt werden. Hierfür bietet die gesetzliche Regelung keine Grundlage. Hinweise auf eine allfällige Pflicht zur nachträglichen Ausstellung eines Hausdurchsuchungsbefehls lassen sich sodann weder der Botschaft entnehmen (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1222 f. Ziff. 2.5.3.1, 1237 Ziff. 2.5.4.1), noch verlangt dies die zitierte Lehre. Der Auffassung des Beschwerdeführers, es hätte im vorliegenden Fall eines nachträglich erlassenen Hausdurchsuchungsbefehls bedurft, kann damit nicht gefolgt werden. Andere Gründe für die behauptete Verletzung von Art. 213 StPO und seiner Verfahrensrechte macht der Beschwerdeführer nicht geltend, weshalb solche auch nicht zu prüfen sind (Art. 42 Abs. 2 BGG). Seine entsprechenden Rügen erweisen sich als unbegründet. Die vorinstanzliche Auffassung zur Verwertbarkeit der erhobenen Beweismittel ist zu bestätigen.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bringt ausserdem vor, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich falsch festgestellt. Sie habe insbesondere den Grundsatz "in dubio pro reo" willkürlich angewendet.  
 
3.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; 88 E. 1.3.1). Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; 88 E. 1.3.1).  
 
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
 
3.3. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Sachverhalt sind nicht geeignet, Willkür in der sorgfältigen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung darzutun. Sie sind unbegründet, soweit sie nicht als appellatorische Kritik oder nicht rechtsgenüglich begründete Vorbringen (Art. 42 Abs. 2 BGG) zurückzuweisen sind. Zudem vermag der Beschwerdeführer die Entscheidrelevanz der geltend gemachten Sachverhaltsrügen nicht darzutun. Auf seine Rüge der angeblichen Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" ist sodann mangels Begründung und aufgrund ihrer rein appellatorischen Natur ebenfalls nicht einzutreten. Das entsprechende Vorbringen des Beschwerdeführers, die Vorinstanz erachte im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung und damit zu Unrecht nur das Übergehen von offensichtlich erheblichen Zweifeln als Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo", erweist sich überdies als unzutreffend (vgl. BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.3 mit Hinweis auf BGE 120 Ia 31 E. 2d).  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. Oktober 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Boller