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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_163/2023  
 
 
Urteil vom 17. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Koch, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
Beschwerdeführende, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Rechtsmittelrückzug, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 5. Mai 2023 (51/2022/58). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 24. Oktober 2022 reichten A.________ und B.________ beim Regierungsrat des Kantons Schaffhausen eine mit "Aufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft Schaffhausen" betitelte Eingabe ein. Darin rügten sie im Wesentlichen, es sei ihnen die Einreichung einer Strafanzeige erschwert bzw. verwehrt worden. Diese Eingabe leitete der Regierungsrat am 8. November 2022 an das Obergericht des Kantons Schaffhausen weiter.  
 
A.b. Mit Schreiben vom 11. November 2022 forderte das Obergericht A.________ und B.________ aufgrund der in der Beschwerde erhobenen Rügen sowie mit Blick auf eine bereits beim Obergericht anhängig gemachte Rechtsverzögerungsbeschwerde (Verfahren 51/2022/55, siehe auch bundesgerichtliches Verfahren 7B_161/2023) auf, dem Gericht bis 25. November 2022 mitzuteilen, ob die Eingabe vom 24. Oktober 2022 als Beschwerde wegen Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO ans Obergericht oder als Aufsichtsbeschwerde im Sinne von Art. 7 des kantonalen Justizgesetzes vom 9. November 2009 (JG; SHR 173.200) an den Regierungsrat behandelt werden soll.  
 
A.c. Am 25. November 2022 erklärten A.________ und B.________, die durch den Regierungsrat ans Obergericht gelangte Beschwerde zurückzuziehen.  
 
A.d. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2022 schrieb das Obergericht das Verfahren als durch Rückzug der Beschwerde erledigt ab.  
 
B.  
 
B.a. In der Folge erklärte A.________ gegenüber dem Obergericht am 28. Dezember 2022 sinngemäss den Widerruf des Rechtsmittelrückzugs vom 25. November 2022. Das Obergericht teilte ihm mit Schreiben vom 5. Januar 2023 mit, der Widerruf eines Rechtsmittelrückzugs sei nur aufgrund eines Willensmangels zulässig. Es gab A.________ und B.________ Gelegenheit, bis am 25. Januar 2023 mitzuteilen, ob sie den Rückzug widerrufen möchten, wobei der Nachweis eines Willensmangels innert gleicher Frist zu erbringen wäre. Innert Frist erklärten A.________ und B.________ ausdrücklich den Widerruf ihres Rechtsmittelrückzugs und machten geltend, einem Willensmangel unterlegen zu sein.  
 
B.b. Mit Entscheid vom 5. Mai 2023 trat das Obergericht auf die Beschwerde aufgrund wirksamen Rechtsmittelrückzugs nicht ein.  
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragen A.________ und B.________ dem Bundesgericht, der Nichteintretensentscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Es sei eine Rechtsverweigerung/Ermessensmissbrauch der Staatsanwaltschaft und/oder der Polizei Schaffhausen sowie die Ungültigkeit der Entbindung vom Amtsgeheimnis festzustellen. Der Kanton Schaffhausen sei anzuweisen, die Zuständigkeiten bezüglich der Aufsicht über die Staatsanwaltschaft zu klären und den Bürgern insbesondere die Möglichkeit zu einer formlosen Anzeige von Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft zu geben. In formeller Hinsicht ersuchen A.________ und B.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdeführenden replizieren und halten dabei an ihren Ausführungen fest. 
Es wurden die kantonalen Akten eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Nichteintretensentscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 80 Abs. 1 BGG), der im Rahmen eines Strafverfahrens ergangen ist. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offen (Art. 78 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Wer ein Rechtsmittel ergriffen hat, kann dieses zurückziehen (Art. 386 Abs. 2 StPO). Nach der Rechtsprechung muss der Rückzug klar, ausdrücklich und unbedingt erfolgen (BGE 141 IV 269 E. 2.1; 119 V 36 E. 1b mit Hinweis). Voraussetzung für einen gültigen Rechtsmittelrückzug muss folglich sein, dass der Wille hierzu eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck kommt. Gestützt auf eine solche Rückzugs- bzw. Abstandserklärung erklärt die zuständige Behörde das Verfahren für erledigt, d.h. sie schreibt es (vom Protokoll) ab. Der Rückzug des Rechtsmittels ist grundsätzlich endgültig: Er beseitigt die Anfechtungswirkung des zurückgenommenen Rechtsmittels und führt zum Verzicht auf die materielle Überprüfung des Rechtsbegehrens mit der Folge, dass der Gegenstand des Rechtsmittels bildende Entscheid rechtskräftig wird. Nach dem Rückzug des Rechtsmittels und der Abschreibung des Verfahrens verhält es sich daher so, als wäre das Rechtsmittel nie erhoben worden (vgl. BGE 141 IV 269 E. 2.2.3; zum Ganzen: Urteil 6B_193/2023 vom 16. August 2023 E. 2).  
Ein freiwillig und in Kenntnis der prozessualen Tragweite zustande gekommener Rechtsmittelrückzug ist endgültig und kann nur bei Vorliegen der in Art. 386 Abs. 3 StPO genannten Willensmängel zurückgenommen werden. Dabei genügt ein blosser Irrtum nicht (Urteile 6B_657/2022 vom 20. September 2023 E. 1.3.2; 6B_398/2017 vom 23. Mai 2018 E. 2.3.1; 6B_790/2015 vom 6. November 2015 E. 3.4; je mit Hinweisen). Willensmängel sind von demjenigen, der sich darauf beruft, nachzuweisen (BGE 141 IV 269 E. 2.2.1 mit Hinweis). 
 
2.2. Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid haben die Beschwerdeführenden der Vorinstanz am 25. November 2022 schriftlich den "Rückzug Beschwerde an Regierungsrat/Obergericht" erklärt und Folgendes ausgeführt:  
 
"Da die Kommunikation seitens der Staatsanwaltschaft bzgl. der Anzeige zur Zeit widersprüchlich ist und die Verfahrensleitung gewechselt hat, es daher nicht auszuschliessen ist, dass das Problem nun auch ohne Intervention von Aussen gelöst werden kann, und wir Ressourcen nicht unnötig bündeln möchten, ziehen wir die Beschwerde, die durch den Regierungsrat an Sie gelangt ist (Rechtsverweigerung etc.), hiermit zurück. Sollte sich keine Lösung ergeben, werden wir sie überarbeitet der zuständigen Stelle einreichen." 
 
Nachdem das Obergericht dem Beschwerdeführer 1 mit Schreiben vom 5. Januar 2023 Gelegenheit gegeben hatte, sich dazu zu äussern, ob er den Rechtsmittelrückzug widerrufen wolle, und gegebenenfalls den Nachweis eines Willensmangels zu erbringen, erklärte der Beschwerdeführer 1 am 24. Januar 2023, der am 25. November 2022 erklärte Rückzug sei explizit mit dem Vermerk erfolgt, "die Angelegenheit gegebenenfalls überarbeitet bei der zuständigen Stelle erneut zu beschweren". Zurückgezogen worden sei damit die Aufsichtsbeschwerde an den Regierungsrat, da diese offenbar zu ungenau formuliert worden sei. Er habe zu keinem Zeitpunkt eine Beschwerde beim Obergericht eingereicht; es sei nicht schlüssig, dass der Rückzug der Aufsichtsbeschwerde an den Regierungsrat zur Konsequenz habe, dass keine Beschwerde mehr beim Obergericht möglich sei. 
Die Vorinstanz erwog hierzu, dass der Umstand, wonach sich die Beschwerdeführenden der Endgültigkeit des Rückzugs im Sinne von Art. 386 Abs. 3 StPO möglicherweise nicht bewusst gewesen und sie insoweit einem Irrtum unterlegen seien, keinen qualifizierten Willensmangel darstelle. Aus ihren Eingaben ergebe sich vielmehr klar, dass sie überhaupt kein Rechtsmittelverfahren hätten führen, sondern den weiteren Verlauf der Strafuntersuchung (bzw. die Kommunikation der neuen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensleitung) hätten abwarten wollen. Da die Beschwerdeführenden keinen qualifizierten Willensmangel nachzuweisen in der Lage seien, sei der unmissverständliche Rückzug des Rechtsmittels damit gültig und auf die Beschwerde vom 24. Oktober 2022 sei nicht einzutreten. 
 
2.3. Die Beschwerdeführenden vermögen diese zutreffenden Erwägungen mit ihren weitschweifigen Ausführungen nicht zu widerlegen. Insbesondere sind sie nicht zu hören, soweit sie ihrem Rückzugsschreiben mittels Tatsachenbehauptungen, die in den verbindlichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) keine Stütze finden, eine für sie günstige Interpretation zu geben versuchen. Die Beschwerde ist, soweit sie mit Blick auf die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG überhaupt zulässig ist, abzuweisen.  
 
3.  
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig. Dieser wird durch das Anfechtungsobjekt, d.h. den angefochtenen Entscheid, und die Parteibegehren bestimmt, wobei der angefochtene Entscheid den möglichen Streitgegenstand begrenzt (BGE 142 I 155 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann somit nur die Frage bilden, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Beschwerde der Beschwerdeführenden eingetreten ist. Soweit sie sich zur Entbindung der Staatsanwaltschaft vom Amtsgeheimnis durch den Regierungsrat äussern, wird auf ihre Ausführungen daher nicht näher eingegangen. 
 
4.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 5 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den angespannten finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführenden wird bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung getragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch der Beschwerdeführenden um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden den Beschwerdeführenden zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführenden, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Koch 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger