Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 401/04 
 
Urteil vom 3. Dezember 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Hadorn 
 
Parteien 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
P.________, 1993, Beschwerdegegner, vertreten durch seine Eltern, und diese vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich, 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 28. Mai 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 8. März 2000 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich das Gesuch von P.________ (geb. 1993) um Übernahme einer Therapie nach Lovaas ab. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5. April 2002 ab, soweit es darauf eintrat, überwies jedoch die Akten der IV-Stelle, damit sie ein Gutachten zur Frage einhole, ob die Lovaas-Therapie wissenschaftlich sei. 
C. 
Mit Verfügung vom 8. Januar 2003 verneinte die IV-Stelle den Anspruch von P.________ auf die erwähnte Therapie erneut. Diese Verfügung bestätigte die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 26. Juni 2003. 
D. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Mai 2004 in dem Sinne gut, dass es die Sache zu näheren Abklärungen an die IV-Stelle zurückwies. 
E. 
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. 
Während die IV-Stelle auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt P.________ deren Abweisung beantragen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Anspruch auf medizinische und pädagogisch-therapeutische Massnahmen bei Minderjährigen (Art. 13 IVG; Art. 19 Abs. 2 und 3 IVG; Art. 8ter, 9 und 10 IVV) im Entscheid vom 5. April 2002 richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Ferner trifft zu, dass die am 1. Januar 2004 mit der 4. IVG-Revision in Kraft getretenen neuen Vorschriften vorliegend nicht anwendbar sind. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Lovaas-Therapie wissenschaftlich sei oder ob hierüber ein Gutachten eingeholt werden muss. Während die Vorinstanz zum Schluss kam, dass die in den Akten liegenden medizinischen Unterlagen keine schlüssige Beurteilung erlaubten, weshalb eine Expertise nötig sei, weist das BSV auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 18. Mai 2004 in Sachen F. (I 757/03), in welchem die Wissenschaftlichkeit der umstrittenen Therapie verneint worden sei. Der Versicherte lässt hiegegen einwenden, das genannte Urteil beruhe auf medizinischen Unterlagen aus dem Jahr 2002 und sei daher nicht mehr aktuell. 
3. 
3.1 Gemäss dem erwähnten Urteil F. ist die Lovaas-Therapie laut Gutachten von Dr. phil. W.________, Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie FSP am Institut für Spezielle Pädagogik und Psychologie (ISP), vom 28. Dezember 2002 möglicherweise die gegenwärtig besterforschte auf dem Gebiet der Autismusbehandlung. Sie setzt sich in den USA und in Norwegen allmählich durch. Indessen gibt es nach wie vor Länder, darunter die Schweiz, welche der Therapie skeptisch gegenüberstehen. Erfahrungswerte und Untersuchungen über Ergebnisse fehlen weitgehend. Insgesamt lässt sich daher noch nicht sagen, diese sei auf breiter Basis wissenschaftlich anerkannt. 
3.2 Nachdem das Gericht die Wissenschaftlichkeit der Lovaas-Therapie in diesem Urteil verneint hat, fragt sich lediglich, ob in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse aufgetaucht sind und sich die streitige Therapie nunmehr allgemein durchgesetzt hat. Dr. med. G.________, Oberarzt am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, schreibt im Bericht vom 10. Dezember 1999, dass Behandlungsprogramme nach Lovaas in der Schweiz weitgehend unbekannt seien. In den USA würden sie hingegen seit den 70er-Jahren durchgeführt, seien wissenschaftlich evaluiert und könnten Kindern mit autistischen Störungen grosse Fortschritte ermöglichen. In einem Bericht vom 22. November 1999 hatte Dr. G.________ geschrieben, im Bereich der Autismus-Therapien sei es extrem schwierig, methodisch einwandfreie Studien durchzuführen. Diejenigen von Lovaas könnten sehr positiv beurteilt werden. Bei der Arbeit mit autistischen Kindern seien bisher überhaupt nur verhaltenstherapeutische Ansätze in ausreichendem Masse wissenschaftlich überprüft worden. Daher seien viele Fachleute der Meinung, solche Programme seien am ehesten in der Lage, bei autistischen Kindern deutliche Entwicklungsschritte in Gang zu bringen. Die publizierten Studien hätten gezeigt, dass Kinder mit kognitiven Fähigkeiten am meisten von solchen Programmen profitierten. Dies treffe auch auf den Versicherten zu. In einem Bericht vom 29. August 2001 zuhanden der Vorinstanz gibt Dr. G.________ an, in der Schweiz würden Kinder erst seit kurzem mit der Lovaas-Therapie oder mit ähnlichen verhaltenstherapeutischen Ansätzen behandelt. Gerade die Lovaas-Therapie habe den Nachweis der Wissenschaftlichkeit im Vergleich mit andern Therapiemethoden und Förderprogrammen in einem aussergewöhnlichen Umfang erbracht. Nähere Angaben zu dieser Behauptung enthält der Bericht nicht. 
3.3 Im Bericht der Schweizerischen Zentralstelle für Heilpädagogik, Luzern, vom 11. November 2002 wird die Frage der Wissenschaftlichkeit nicht direkt mit "ja" oder "nein" beantwortet. Die Zentralstelle verweist auf eine Studie von Prof. Probst, Psychologisches Institut, Hamburg. Zusammengefasst enthalte diese kritische Ergebnisse bezüglich der methodischen Qualität der analysierten Studien. Neben Stärken der inneren Validität (Langzeit- und Replikationsstudien, Blindevaluationen, Manualisierung des Behandlungsverfahrens) wird auf "Einschränkungen der inneren Gültigkeit durch Defizite in der Versuchsplanung sowie durch unangemessene Interpretation von Behandlungsergebnissen zur Unterstreichung des Heilungsanspruchs" verwiesen. Unreflektierte Familieninterventionskonzepte und das Verfolgen schulmissionarischer Strategien hätten zu wissenschaftlich unhaltbaren Therapieerfolgsprognosen und zur Verunsicherung betroffener Familien geführt. Die Befunde zu den hohen Quoten von Regelschul-Platzierungen von nach dem Lovaas-Ansatz behandelten Kindern seien inkonsistent und hätten nie repliziert werden können. 
3.4 In seiner Stellungnahme vom 11. März 2003 bezeichnet Dr. G.________ diesen Bericht der Zentralstelle als unqualifiziert und stossend. Er zitiere einseitig aus der Arbeit von Prof. Probst, indem er nur auf den Aspekt der Schulplatzierung eingehe und die übrigen Affektstärken wie Sprach- oder Intelligenzentwicklung übergehe, welche von Prof. Probst nicht bezweifelt würden. Es fehle an wissenschaftlichen Studien, welche belegen würden, dass die in der Schweiz angewendeten Methoden die Entwicklung autistischer Kinder nachhaltig verbessert hätten. 
3.5 Nach dem Gesagten besteht kein Anlass, zur Frage der Wissenschaftlichkeit der Lovaas-Therapie weitere Gutachten einzuholen. Einerseits ist das Urteil F. noch nicht zwei Jahre alt. Anderseits behauptet zwar Dr. G.________ wiederholt, die Lovaas-Therapie sei gut erforscht, belegt aber seine Behauptungen mit keinerlei Nachweisen. Vielmehr räumt er selber das bereits aus dem Urteil F. Bekannte ein, nämlich dass die Lovaas-Therapie wohl in den USA verbreitet sei, andere Länder wie die Schweiz hingegen noch Zurückhaltung übten. Selbst wenn der Bericht der Zentralstelle für Heilpädagogik die Ergebnisse von Prof. Probst einseitig darstellen sollte, wofür Dr. G.________ erneut den Nachweis schuldig bleibt, belegen die zitierten Passagen zumindest, dass hinsichtlich der Lovaas-Therapie noch erhebliche Unsicherheiten bestehen. Unter solchen Umständen muss es dabei sein Bewenden haben, dass die umstrittene Therapie nach wie vor nicht als auf breiter Basis wissenschaftlich anerkannt gelten kann. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Mai 2004 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und der IV-Stelle des Kantons Zürich zugestellt. 
Luzern, 3. Dezember 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: