Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6A.98/2001/kra 
 
Sitzung vom 3. Oktober 2002 
Kassationshof 
 
Bundesrichter Schubarth, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Kolly, Karlen, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
H.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Walter A. Stöckli, Schmiedgasse 10, 6472 Erstfeld, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Rathausplatz 2, Postfach 449, 6460 Altdorf UR. 
 
Entzug des Führerausweises, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 13. Oktober 2000. 
 
Sachverhalt: 
A. 
H.________ ging am 2. November 1996, um 10 Uhr, in Davos Dorf von der B.________strasse in das Restaurant S.________. Um 11 Uhr kehrte er zurück an die B.________strasse und stieg in das dort parkierte Wohnmobil. Beim Rückwärtsfahren kollidierte er mit einem abgestellten VW-Bus. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Die Blutanalyse ergab einen BAK-Wert von mindestens 2,69 bis maximal 2,98 Promille und einen THC-Wert von 3 ng/ml. 
 
Das Kreisamt Davos verurteilte H.________ mit rechtskräftigem Strafmandat vom 28. Oktober 1997 wegen Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit gemäss Art. 263 Abs. 1 StGB sowie mehrfacher Widerhandlung gegen Art. 19a Ziff. 1 BetmG zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen. 
B. 
Das Amt für Strassen- und Schiffsverkehr des Kantons Uri entzog H.________ am 16. Juli 1998 den Führerausweis für die Dauer von 10 Monaten. Eine Verwaltungsbeschwerde des Betroffenen wies die Polizeidirektion des Kantons Uri am 18. November 1998 ab. Das Obergericht des Kantons Uri hiess am 31. März 1999 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid gut und wies die Sache an die Vorinstanz zurück. 
 
Die Polizeidirektion verfügte am 20. Dezember 1999 einen Führerausweisentzug für die Dauer von 12 Monaten. H.________ führte wieder Beschwerde und stellte an der Verhandlung des Obergerichts am 24. März 2000 ein Ausstandsbegehren gegen die am ersten Urteil mitwirkenden Gerichtsmitglieder. Das Obergericht befand am 14. April 2000 in anderer Zusammensetzung über das Ausstandsbegehren und wies es wegen verspäteter Geltendmachung ab. Die dagegen eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 17. August 2000 ab. 
 
Mit Entscheid vom 13. Oktober 2000, zugestellt am 3. September 2001, wies das Obergericht die Beschwerde gegen die Verfügung der Polizeidirektion vom 20. Dezember 1999 ab. 
C. 
H.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. 
 
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Strassen beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer sei unzurechnungsfähig gewesen, als er das Wohnmobil in Bewegung gesetzt habe. Bei Trinkbeginn habe er nicht beabsichtigt oder es in Kauf genommen, ein Fahrzeug zu führen, und dies sei für ihn zur Zeit, als er noch nicht unzurechnungsfähig gewesen sei, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit auch nicht voraussehbar gewesen. Damit scheide eine "actio libera in causa" (Art. 12 StGB) aus, und im Einklang mit der strafrichterlichen Verurteilung sei von der Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit auszugehen (angefochtener Entscheid S. 5 f. Ziff. 4a/b). 
 
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei grundsätzlich bei einer schuldlos begangenen Verkehrsregelverletzung die Anordnung eines Warnungsentzugs nicht verhältnismässig, da ein solcher weder zur Erziehung noch zur Besserung des Fahrzeugführers beitragen könne. Die Behörde werde deshalb bei Zurechnungsunfähigkeit in der Regel von der Anordnung eines Warnungsentzugs absehen bzw. die Mindestentzugsdauer unterschreiten. Diese grundsätzlichen Überlegungen könnten allerdings nicht auf Fälle übertragen werden, in denen die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit schuldhaft selbst herbeigeführt worden sei, etwa durch Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenkonsum. Hier sei die Beeinträchtigung in der Regel schon wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger "actio libera in causa" unbeachtlich. Auch wenn keine solche vorliege, könne bei Zurechnungsunfähigkeit strafrechtlich wie vorliegend eine Verurteilung gestützt auf Art. 263 StGB erfolgen. Das Verschulden liege in diesen Fällen darin, dass der Täter die Zurechnungsunfähigkeit selbst herbeigeführt habe (angefochtener Entscheid S. 7 lit. d). 
 
Der Beschwerdeführer habe seine Unzurechnungsfähigkeit ohne erkennbaren erheblichen Anlass selbst herbeigeführt, indem er innert kurzer Zeit Bier und eine grössere Menge Schnaps konsumiert habe. Das IRM St. Gallen habe zudem einen (tiefen) THC-Wert von 3 ng/ml errechnet. Bei einer selbst verschuldeten Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit sei die vom Gesetzgeber vorgesehene Mindestdauer des Führerausweisentzugs zu beachten, insbesondere, wenn es sich um einen Rückfall im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG handle. Denn der Warnungsentzug wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verfolge gerade auch den Zweck, dass der Fahrzeugführer künftig Situationen vermeide, in denen er dasselbe Delikt begehen könnte (angefochtener Entscheid S. 8 f. lit. d und e). 
1.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Fahrzeuglenker, der nach einer Rauschtat vom Strafrichter gestützt auf Art. 263 StGB verurteilt worden sei, dürfe nicht mit einem Warnungsentzug belegt werden, weil ein solcher ein Verschulden voraussetze. In diesem Sinne äussere sich grundsätzlich auch der von der Vorinstanz zitierte Bundesgerichtsentscheid vom 16. Januar 1996 (6A.115/1995). Wenn diese klare dogmatische Feststellung im Nachhinein abgeschwächt werde, sei zu beachten, dass das Bundesgericht zunächst die Fälle einer vorsätzlichen oder fahrlässigen "actio libera in causa" im Auge gehabt habe. Daran knüpfe es nahtlos die Bestrafung nach Art. 263 StGB, was strafrechtlich richtig sei. Doch trenne es die beiden "Schuldvarianten" nicht klar voneinander und spreche allgemein von Selbstverschulden, wenn es in der Folge die Mindestdauer des Warnungsentzugs diskutiere. Weil das Bundesgericht damals einen Fall der "actio libera in causa" zu beurteilen gehabt habe, sei für den Fall des Beschwerdeführers noch nichts entschieden. Die Selbstherbeiführung der Unzurechnungsfähigkeit sei dem Beschwerdeführer gerade nicht persönlich vorwerfbar, so wenig wie das Fahren in angetrunkenem Zustand. Entsprechend sei er auch nicht - im Gegensatz zum damaligen Beschwerdeführer - gestützt auf Art. 91 SVG verurteilt worden. 
2. 
Der Entzug des Führerausweises stellt für den Betroffenen in der Regel einen schweren Eingriff dar. Er setzt deshalb eine gesetzliche Grundlage voraus. 
2.1 Das Gesetz unterscheidet zwischen Warnungs- und Sicherungsentzug. 
 
Ein Warnungsentzug kommt nur unter den Voraussetzungen von Art. 16 Abs. 2 und 3 SVG in Betracht. Mit Ausnahme des Falles von Art. 16 Abs. 3 lit. f SVG (Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung eines Verbrechens oder mehrfacher vorsätzlicher Vergehen) setzt der Warnungsentzug stets eine Verkehrsregelverletzung voraus. Allerdings wurde in der bisherigen Rechtsprechung nie näher geklärt, ob die für einen Warnungsentzug erforderliche Verkehrsregelverletzung auch schuldhaft begangen sein müsse. 
 
Der vorübergehende Entzug des Führerausweises soll eine fühlbare Warnung an jene Motorfahrzeuglenker sein, die es an Sorgfalt und Rücksichtnahme im Strassenverkehr fehlen lassen. Der Massnahme kommt damit ein erzieherischer und präventiver Charakter zu. Der fehlbare Lenker soll zu mehr Sorgfalt und Verantwortung erzogen und dadurch von weiteren Verkehrsdelikten abgehalten werden (BGE 128 II 173 E. 3b). Die mit dem Warnungsentzug angestrebte Einsicht und Besserung kann aber nur zum Tragen kommen, wenn die begangene Verkehrsregelverletzung dem Lenker vorgeworfen werden kann, ihn dafür also ein Verschulden trifft. Das Verschuldenserfordernis steht auch mit der neueren Rechtsprechung in Einklang, die den Warnungsentzug als strafähnliche Massnahme qualifiziert, und die schon bisher - wenn auch nur beiläufig - festgehalten hat, sie setze eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene Verkehrsregelverletzung voraus (BGE 121 II 22 E. 3b S. 26; 120 Ib 504 E. 4b S. 507). 
 
Der Verordnungsgeber geht ebenfalls davon aus, dass Warnungsentzüge nur bei einem Verschulden des Lenkers in Betracht kommen. So sieht Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) den Entzug des Lern- oder Führerausweises vor, wenn der Führer Verkehrsregeln schuldhaft verletzt und dadurch entweder den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat. Ferner bildet nach Art. 33 Abs. 2 VZV das Verschulden einen massgeblichen Faktor bei der Bemessung der Entzugsdauer. 
2.2 Der Beschwerdeführer wurde nicht wegen einer Verkehrsregelverletzung, insbesondere auch nicht wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand in Form der "actio libera in causa" (Art. 12 StGB) verurteilt. Es erfolgte ausschliesslich ein Schuldspruch wegen einer Tat in selbstverschuldeter Trunkenheit (Art. 263 StGB). Eine verschuldete Verkehrsregelverletzung ist somit nicht nachgewiesen. Ist eine solche nicht gegeben, und kommt es deshalb nur zu einer Verurteilung nach Art. 263 StGB, ist ein Warnungsentzug ausgeschlossen (Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III, N. 2394). Im Anschluss an eine Verurteilung nach Art. 263 StGB kommt deshalb nur ein Sicherungsentzug in Betracht. 
2.3 Der gegen den Beschwerdeführer verfügte Warnungsentzug verstösst gegen Bundesrecht, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese abkläre, ob beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Anordnung eines Sicherungsentzugs gegeben sind. 
3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Dem Beschwerdeführer steht eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 13. Oktober 2000 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Uri hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie der Polizeidirektion des Kantons Uri und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 3. Oktober 2002 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: