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[AZA 0/2] 
6S.28/2002/kra 
 
KASSATIONSHOF 
************************* 
 
1. März 2002 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des 
Kassationshofes, Bundesrichter Kolly, Karlen und Gerichtsschreiber 
Boog. 
 
--------- 
 
In Sachen 
G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alois Kessler, Oberer Steisteg 18, Postfach 148, Schwyz, 
 
gegen 
Staatsanwaltschaft II des Kantons U r i, 
 
betreffend 
fahrlässige Tötung(Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri [OG S 00 11] vom 15.3.2001), hat sich ergeben: 
 
A.- G.________ lud am 29. Oktober 1997, um ca. 14.40 Uhr, auf einer Baustelle im Ortszentrum von A.________ eine Mulde auf seinen Lastwagen und fuhr daraufhin rückwärts auf den Postplatz. Dort wartete er auf die nächste Grünphase, um auf der Gotthardstrasse Richtung Nord zu fahren. Als G.________ aus der Gegenrichtung ein Postauto kommen sah, fuhr er mit seinem Lastwagen auf dem Postplatz im rechten Winkel nach links, um dem Postauto den nötigen Raum freizugeben. 
Bei diesem Manöver wurde der über 80-jährige R.________ vom zweiten linken Vorderrad des Lastwagens erfasst und überfahren. Er starb noch am gleichen Tag an den erlittenen schweren Verletzungen. 
 
B.- Das Landgericht Uri sprach G.________ am 20. April 1999 von der auf Grund dieses Sachverhalts erhobenen Anklage der fahrlässigen Tötung frei. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin erklärte ihn demgegenüber das Obergericht des Kantons Uri mit Urteil vom 3. November 1999 dieses Delikts schuldig und verurteilte ihn zu einer Strafe von 14 Tagen Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von zwei Jahren. Eine von G.________ gegen dieses Urteil ergriffene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht am 23. Juni 2000 wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gut und hob den angefochtenen Entscheid auf. Das Obergericht des Kantons Uri sprach daraufhin G.________ nach Durchführung eines Augenscheins und zusätzlichen Befragungen am 15. März 2001 erneut der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte ihn mit 14 Tagen Gefängnis, mit bedingtem Strafvollzug und einer Probezeit von zwei Jahren. 
 
C.- Gegen dieses Urteil führt G.________ eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt. Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nach Art. 277bis Abs. 1 BStP ist der Kassationshof im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Vorinstanz gebunden. Es ist daher unzulässig, wenn der Beschwerdeführer mit diesem Rechtsmittel von der Vorinstanz getroffene Feststellungen über die Nutzung des Postplatzes sowie über Einzelheiten des Unfallhergangs rügt. In diesen Punkten ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. 
 
2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der Schuldspruch der fahrlässigen Tötung verletze Bundesrecht. Die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, er habe beim Wendemanöver mit seinem Lastwagen auf dem Postplatz die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt. 
 
a) Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft (Art. 117 StGB). 
 
Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 18 Abs. 3 StGB). 
Die Annahme der Fahrlässigkeit setzt die Verletzung einer Sorgfaltspflicht voraus. Sorgfaltswidrig ist eine Handlungsweise dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat auf Grund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung des Opfers hätte erkennen können und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritt. Bei der Bestimmung des im Einzelfall zu Grunde zu legenden Massstabes des sorgfaltsgemässen Verhaltens kann auf Bestimmungen zurückgegriffen werden, die der Unfallverhütung und der Sicherheit dienen (BGE 127 IV 34 E. 2a; 122 IV 225 E. 2a je mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall sind die Bestimmungen des Strassenverkehrsrechts heranzuziehen. 
 
b) Die Sorgfalt, zu welcher der Beschwerdeführer beim fraglichen Wendemanöver auf dem Postplatz in A.________ verpflichtet war, richtet sich zunächst nach Art. 17 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741. 11). Danach hat sich der Fahrzeugführer vor dem Wegfahren zu vergewissern, dass er keine Kinder oder andere Strassenbenützer gefährdet. Für die gebotene Sorgfalt nach der Wegfahrt ist Art. 26 Abs. 1 SVG massgebend. Nach dieser Regel muss sich im Verkehr jedermann so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. 
 
Das Mass der verlangten Aufmerksamkeit ergibt sich aus Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV. Der Führer muss sein Fahrzeug so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten ständig nachkommen kann. Er hat seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuzuwenden. Im Einzelnen richtet sich der Umfang der gebotenen Aufmerksamkeit nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. 
Es wird nicht verlangt, dass im Strassenverkehr jedermann zu jeder Zeit ein Höchstmass an Aufmerksamkeit und Umsicht erbringt. Dem Fahrzeuglenker muss es vielmehr in der konkreten Situation möglich sein, den ihm auferlegten Pflichten tatsächlich nachzukommen. Die Sorgfaltsanforderungen dürfen deshalb bei völlig normalen Fahrmanövern nicht derart hochgeschraubt werden, dass sie im Einzelfall nicht mehr erfüllt werden können bzw. dass die Erfüllung der einen Pflicht notwendigerweise die Verletzung einer gleichzeitig ebenfalls zu beachtenden anderen Pflicht bedeutet. Dementsprechend billigt die Rechtsprechung dem Fahrzeuglenker, der sein Augenmerk im Wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, eine geringere Aufmerksamkeit für andere zu (BGE 127 IV 34 E. 3c/bb S. 44; 122 IV 225 E. 2b S. 228 und 2c S. 230). 
 
c) Der angefochtene Entscheid stützt sich in zutreffender Weise auf diese Bestimmungen und Grundsätze. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz daher zu Unrecht vor, sie sei von einem unzutreffenden Begriff der Sorgfalt ausgegangen. 
Er selber zieht in seiner Beschwerdeschrift ebenfalls allein die angeführten Normen und der erwähnten Rechtsprechung heran. Seine Kritik richtet sich offensichtlich hauptsächlich gegen die Anwendung der erwähnten Regeln über die Sorgfaltspflicht auf den konkreten Fall. 
 
3.- a) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer in zwei Punkten eine Sorgfaltspflichtverletzung vor. So habe er während des Manövers auf dem Postplatz dem Bereich links von seinem Lastwagen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, sondern sich ganz auf das auf der rechten Seite vorbeifahrende Postauto konzentriert und überdies dessen Chauffeur, den er persönlich kannte, gegrüsst. Ferner habe er zwar bei der Wegfahrt einen Blick in den linken Spiegel geworfen, sich aber in der Folge trotz des ihm bekannten toten Winkels nicht vergewissert, dass sich niemand im gefährdeten Bereich auf der linken Seite seines Lastwagens befand. Er sei bei der Ausführung der Linkskurve gehalten gewesen, durch Hinauslehnen des Kopfs aus dem Fenster oder durch ein kurzes Öffnen der linken Türe nachzusehen, ob die Fläche für das vorgesehene Manöver frei sei. Die gemischte Nutzung des Postplatzes durch den motorisierten und den nichtmotorisierten Verkehr habe vom Beschwerdeführer ein erhöhtes Mass an Aufmerksamkeit verlangt, das dieser habe vermissen lassen. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt und Achtsamkeit hätte der Beschwerdeführer das spätere Unfallopfer rechtzeitig erkennen können. Das gelte umso mehr, als sich der Verunfallte nur kurze Zeit im toten Winkel im Nahbereich des Lastwagens aufgehalten habe und ihm kein krass verkehrsregelwidriges Verhalten vorgeworfen werden könne. 
 
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz überspanne die Sorgfaltspflicht, wenn sie von einem Lastwagenchauffeur während der Ausführung einer Linkskurve verlange, "den Kopf aus dem geöffneten Fenster seines Lastwagens zu halten oder sich allenfalls (kurz) hinauszulehnen oder die linke Türe seiner Führerkabine zumindest einen Spalt zu öffnen und herauszuschauen und sich zu vergewissern, dass sich niemand im gefährdeten Raum auf der linken Seite seines Lastwagens" befinde. 
 
Diese Forderung geht tatsächlich zu weit. Nach der Rechtsprechung muss der Fahrzeuglenker wohl dafür besorgt sein, dass die sich aus dem sichttoten Winkel ergebenden Risiken ausgeschaltet werden. Soweit eine Sichtbeschränkung nicht durch einen Spiegel behoben wird, hat sich der Fahrzeuglenker kurz vom Sitz zu erheben, um sich zu vergewissern, dass sich niemand im unüberblickbaren Bereich seines Fahrzeugs befindet. Das gilt namentlich, wenn nach den Umständen eine nahe Möglichkeit besteht, dass Fussgänger unmittelbar vor oder neben dem Fahrzeug durchgehen (BGE 127 IV 34 E. 3b S. 40 f.). Eine solche Pflicht traf den Beschwerdeführer vorliegend indes lediglich bei der Wegfahrt, hingegen nicht während der Durchführung des Wendemanövers. Art. 17 Abs. 1 VRV verlangt denn auch ausdrücklich nur, der Fahrzeugführer müsse sich "vor dem Wegfahren" vergewissern, dass er keine Kinder oder andere Strassenbenützer gefährde. Wird dieser Pflicht nachgelebt und ist der benötigte Raum frei, darf der Lenker sein Fahrmanöver ohne weitere Überwachung des sichttoten Bereichs ausführen. 
 
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Beschwerdeführer jedoch auch vor der Wegfahrt nicht durch entsprechende Vorsichtsvorkehren vergewissert, ob der von der Führerkabine aus unüberblickbare Bereich links seines Fahrzeugs frei war. Er hat lediglich einen Blick in den linken Spiegel und durch das Fenster geworfen. Der Beschwerdeführer hat damit die ihm gemäss Art. 17 Abs. 1 VRV obliegende Sorgfaltspflicht nicht genügend erfüllt. Auch wenn der genaue Weg, den der Verunfallte zurückgelegt hat, nicht bekannt ist, kann auf Grund der getroffenen Feststellungen der Vorinstanz kein Zweifel bestehen, dass der Beschwerdeführer bei der gebotenen Überprüfung des linken Bereichs vor Ausführung des Wendemanövers das spätere Opfer hätte sehen können. Im Ergebnis hat die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdeführers daher zu Recht als sorgfaltswidrig bezeichnet. 
 
c) Zu diesem Schluss führt im Übrigen auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer während der Ausführung des Wendemanövers seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das auf der rechten Seite kreuzende Postauto konzentrierte. Er macht zu Unrecht geltend, er habe während des Abdrehens sein Augenmerk in erster Linie auf das entgegenkommende Postauto richten und dem linken Bereich seines Lastwagen nur eine verminderte Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid war auf dem Postplatz im Unfallzeitpunkt mit nicht motorisiertem Verkehr, insbesondere mit Fussgängern, zu rechnen. Der Beschwerdeführer hätte daher nach der oben dargestellten Rechtsprechung auch den linken Bereich auf dem Postplatz genau beobachten müssen. 
 
Da sich der Verunfallte nur kurze Zeit im toten Winkel befunden haben kann, hätte ihn der Beschwerdeführer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt auch noch während der Ausführung des Abbiegemanövers sehen und die Kollision vermeiden können. Soweit in der Beschwerde gegen diese Ansicht eingewendet wird, das Opfer sei von hinten links in nicht sichtbarer Weise an den fahrenden Lastwagen herangetreten, richtet sich die Kritik gegen tatsächliche Feststellungen, was im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig ist. Ausserdem geht aus den Akten zweifelsfrei hervor, dass der Verunfallte vom zweiten linken Vorderrad überfahren wurde und er sich während des Manövers seitlich des Lastwagens befunden haben muss, da er sich nicht mehr schnell fortbewegen konnte. 
 
d) Die Vorinstanz hat demnach eine Sorgfaltspflichtverletzung zu Recht bejaht. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet und daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
4.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II und dem Obergericht (strafrechtliche Abteilung) des Kantons Uri schriftlich mitgeteilt. 
 
_____________ 
Lausanne, 1. März 2002 
 
Im Namen des Kassationshofes 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: