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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_631/2008/sst 
 
Urteil vom 5. November 2008 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Mathys, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________ AG, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Bachmann, 
 
gegen 
 
Y.________, Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwältin Irène Hänsli, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellungsentscheid (Veruntreuung, Betrug etc.), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, vom 22. April 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ AG reichte am 8. September 2003 Privatstrafklage gegen Y.________ wegen Veruntreuung, Betrugs und verschiedener weiterer Delikte ein. Am 6. Januar 2006 und am 24. November 2006 ergänzte und erweiterte sie die Strafklage und beantragte, verschiedene Grundstücke mit einer Sperre zu belegen und zu ihren Gunsten zwangszuverwerten. 
Am 25. Juni 2007 verurteilte das Amtsstatthalteramt Luzern, Abteilung Luzern-Stadt, Y.________ wegen unwahrer Angaben gegenüber Handelsregisterbehörden (Art. 153 StGB), begangen am 19. Oktober 2000, und Unterlassens der Buchführung (Art. 166 StGB), begangen zwischen Anfang 2001 und Mitte 2003, zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 30 Franken und einer Busse von 1'000 Franken. Die Untersuchung wegen Veruntreuung, Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Misswirtschaft, Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung, Widerhandlung gegen das kantonale Niederlassungsgesetz, falsche Angaben gegenüber Handelsregisterbehörden und Widerhandlung gegen das Waffengesetz stellte es ein. Die Staatsanwaltschaft visierte diesen Entscheid am 10. Juli 2007. 
X.________ AG rekurrierte dagegen und beantragte die Überweisung von Y.________ an das zuständige Gericht. Die Kriminal- und Anklagekommission des Luzerner Obergerichts wies den Rekurs am 22. April 2008 ab. 
 
B. 
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die X.________ AG, diesen obergerichtlichen Entscheid aufzuheben und die Sache ans Amtsstatthalteramt zurückzuweisen, um die Untersuchung gegen Y.________ weiterzuführen. Eventuell sei der obergerichtliche Entscheid aufzuheben und die Sache im Sinne der Beschwerdebegründung an die Vorinstanz zurückzuweisen, um den Rekurs, was ihre Eingabe vom 25. Oktober 2007 betreffe, neu zu beurteilen. Subeventuell sei der Entscheid der Kriminal- und Anklagekommission im Kostenpunkt aufzuheben und die Sache zur Neuverlegung der Kosten sowohl für das Untersuchungs- als auch für das Rekursverfahren an dieses zurückzuweisen. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Mit dem angefochtenen Entscheid steht fest, dass gegen den Beschwerdegegner kein Strafverfahren eröffnet wird. Es handelt sich damit um einen Endentscheid in Strafsachen, gegen den die Beschwerde in Strafsachen offen steht (Art. 78 Abs. 1 BGG). Mit ihr können alle Rügen vorgebracht werden, die in der subsidiären Verfassungsbeschwerde zulässig sind, weshalb für letztere kein Raum bleibt (Art. 113 BGG). 
 
1.2 Da der Strafanspruch nach ständiger Praxis des Bundesgerichts dem Staat zusteht (BGE 128 I 218 E. 1.1 mit Hinweisen), hat die Beschwerdeführerin als Geschädigte kein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG, die Einstellung des Strafverfahrens in der Sache anzufechten (BGE 133 IV 228 E. 2). Sie macht zu Recht nicht geltend, im kantonalen Verfahren zur Vertretung der Privatklage ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft befugt gewesen zu sein. Aus ihrer Stellung als Privatklägerin kann sie daher für das bundesgerichtliche Verfahren keine Beschwerdebefugnis ableiten (Art. 81 Abs. 1 Ziff. 4 BGG e contrario). 
Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst hat die Praxis zum altrechtlichen Art. 88 OG der Geschädigten seit langem die Befugnis zuerkannt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG wie neu nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist die Beschwerdeführerin in diesem Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann sie die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihr nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zustehen und deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft (BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198). Die in der Sache selbst nicht Legitimierte, der im kantonalen Verfahren jedoch Parteistellung zukam, kann beispielsweise geltend machen, sie sei nicht angehört worden (BGE 128 I 218 E. 1.1; 120 Ia 157 E. 2a/aa und bb). 
Unzulässig sind allerdings Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen, wie etwa die Behauptung, dass die Begründung des angefochtenen Entscheids unvollständig oder zu wenig differenziert ausgefallen sei oder sich nicht mit sämtlichen von der Partei vorgetragenen Argumenten auseinandersetze oder dass die Parteivorbringen willkürlich gewürdigt worden seien. Ebenso wenig ist der Vorwurf zu hören, der Sachverhalt sei unvollständig oder sonstwie willkürlich ermittelt worden. Unzulässig ist auch die Rüge, Beweisanträge seien wegen willkürlicher antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden ("Star-Praxis", vgl. BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313; 126 I 81 E. 7b S. 94). Da die Aufzählung der beschwerdebefugten Personen in Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG nicht abschliessend ist und sich am Erfordernis des Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung der Beschwerdelegitimation nichts geändert hat, kann die angeführte Praxis zu Art. 88 OG weiterhin Geltung beanspruchen. 
 
1.3 Auf die Beschwerde ist somit einzutreten, soweit die Beschwerdeführerin Verfahrensrügen erhebt, die auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufen. Befugt ist sie zudem, sich gegen die Auferlegung von Kosten und Parteientschädigungen zur Wehr setzen; diesbezüglich verfügt sie über das dafür erforderliche Rechtsschutzinteresse. 
 
2. 
2.1 Im Rekursverfahren hat die Beschwerdeführerin am 25. Oktober 2007 unaufgefordert eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des Beschwerdegegners vom 1. Oktober 2007 und am 7. Februar 2008 eine weitere Eingabe eingereicht. Die Kriminal- und Anklagekommission hat dazu im angefochtenen Entscheid erwogen, beide Eingaben seien im Rahmen des der Beschwerdeführerin im Rekursverfahren zustehenden Äusserungsrechts innert angemessener Frist erfolgt und dementsprechend grundsätzlich beachtlich. Inhaltlich sei eine Beschwerdeergänzung auf dem Weg der Replik indessen nur insoweit statthaft, als die Vernehmlassung dazu Anlass geboten habe. Mit Anträgen und Rügen, die bereits in der Rekurseingabe hätten erhoben werden können, sei die Beschwerdeführerin nach Ablauf der Rekursfrist nicht mehr zu hören. 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin sieht dadurch das Rechtsverweigerungsverbot und ihr rechtliches Gehör verletzt (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV), ausserdem das Gebot des "fair trial" nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und ihren Anspruch auf eine willkürfreie Anwendung des kantonalen Prozessrechts. Sie macht im Wesentlichen geltend, nach § 1 der Luzerner Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957 (StPO) sei die Strafverfolgung grundsätzlich von Amtes wegen anzuheben. Einstellungen seien vom Staatsanwalt nach § 155 Abs. 1 StPO zu überprüfen, der selber neue Beweise erheben oder den Amtsstatthalter anweisen könne, dies zu tun. Bei einer Einstellung der Untersuchung sei der Privatkläger nach § 137 StPO befugt, innert 10 Tagen einen Rekurs zu erheben, der nach § 253 Abs. 1 StPO Antrag und Begründung enthalten müsse. Die Kriminal- und Anklagekommission übersehe, dass es sich beim Rekursverfahren nicht um ein Gerichtsverfahren handle, sondern ein Rechtsmittelverfahren im Rahmen einer Untersuchung, in welcher nach § 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 - 3 StPO die Offizialmaxime gelte. Für das Verfahren sei weder Schriftlichkeit vorgeschrieben (§ 137 Abs. 1 StPO i.V.m. § 253 Abs. 1 StPO) noch gelte ein qualifiziertes Rügeprinzip. Der Einstellungsentscheid erwachse nach § 141 StPO nicht in materielle Rechtskraft. Als Privatklägerin sei sie daher im Rekursverfahren nach § 66 StPO jederzeit berechtigt gewesen, eine Vervollständigung der Untersuchung zu beantragen. Sie habe dies sogar schriftlich getan, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen wäre. Da bereits Mündlichkeit genügt hätte, dürften bei freiwilliger Schriftlichkeit inhaltlich und darstellungsmässig keine erhöhten Anforderungen gestellt werden. Die Kriminal- und Anklagekommission habe ihre Prüfungsbefugnis nicht ausgeschöpft, indem sie ihre Prüfungsverpflichtung nicht wahrgenommen, sondern der Beschwerdeführerin ein qualifiziertes Rechtsrügeprinzip auferlegt habe, das die Luzerner Strafprozessordnung nicht kenne. 
 
2.3 Diese Ausführungen sind wenig folgerichtig und gehen (teilweise weit) an der Sache vorbei. Dass das Untersuchungsverfahren von der Offizialmaxime beherrscht wird und der Entscheid, ein Strafverfahren einzustellen, nicht materiell rechtskräftig wird und das Verfahren wieder aufgenommen werden kann, wenn neue belastende Tatsachen oder Beweismittel auftauchen, sind strafprozessuale Binsenwahrheiten. Es ist indessen nicht ersichtlich, inwiefern es den Kantonen deswegen nicht gestattet sein sollte, für die gerichtliche Überprüfung von Einstellungsentscheiden ein förmliches Rechtsmittel vorzusehen, bei welchem die üblichen Rechtsmittelvoraussetzungen zu erfüllen sind. Nach § 253 Abs. 1 StPO ist der dafür in Luzern vorgesehene Rekurs, mit Anträgen und Begründung versehen, innert 10 Tagen einzureichen. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, diese Bestimmung so auszulegen, dass damit der Rekursgegenstand feststeht und neue Anträge und Vorbringen nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ausgeschlossen sind. Kann es damit aber im Rekursverfahren nur noch darum gehen, die in der Rekursschrift gegen die Einstellung erhobenen Einwände und allfällige von der Gegenpartei dazu vorgebrachten Gegenargumente zu prüfen, war die Kriminal- und Anklagekommission verfassungsmässig nicht verpflichtet, von der Beschwerdeführerin im Rekursverfahren mit Eingabe vom 25. Oktober 2007 vorgebrachte neue, den Rahmen des Streitgegenstandes sprengende Rügen oder Tatsachenbehauptungen zur Kenntnis zu nehmen bzw. sie im angefochtenen Entscheid zu prüfen. Etwas anderes ergibt sich auch aus den von der Beschwerdeführerin angeführten Bestimmungen nicht, und die Kriminal- und Anklagekommission hat auch keineswegs die für das Bundesgericht einschlägigen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes auf das kantonale Verfahren angewandt. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet. 
 
2.4 Nach dem Gesagten (vorn E. 1.2) nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit der Vorwurf der Rechtsverweigerung damit begründet wird, die Kriminal- und Anklagekommission habe sich im angefochtenen Entscheid nur ungenügend mit den im Rekurs vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt und insbesondere nicht geprüft, ob dem Beschwerdegegner allenfalls eventualvorsätzliches Handeln zur Last gelegt werden müsste. 
 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt (Beschwerde S. 15 ), die Kriminal- und Anklagekommission habe ihr die Kosten des Rekursverfahrens auferlegt und sie verpflichtet, dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung von 1'800 Franken zu bezahlen. Zur Begründung habe sie sich mit dem schlichten Hinweis auf den Ausgang des Verfahrens und die Angemessenheit der Regelung der Kostenfrage durch das Amtsstatthalteramt Luzern begnügt. Dies verletze Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV. Der Amtsstatthalter habe den Beschwerdegegner teilweise verurteilt und - worin ihm die Kriminal- und Anklagekommission zugestimmt habe - festgestellt, dieser habe durch seinen fehlenden Überblick über seine finanzielle Situation massiv gegen die Grundsätze einer ordnungsgemässen Buchführung verstossen und seine Pflichten als Verwaltungsrat verletzt. 
 
3.2 Der Amtsstatthalter hat in seinem Entscheid vom 25. Juni 2007 die Untersuchungskosten zur Hälfte dem Beschwerdegegner auferlegt und zur Hälfte auf die Staatskasse genommen und bestimmt, dass die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner ihre Parteikosten selber zu tragen hätten. Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Rekurs vom 30. Juli 2007 mit keinem Wort begründet, inwiefern diese Entschädigungsregelung gesetzwidrig oder unangemessen sein sollte. Damit hat sie den kantonalen Instanzenzug nicht ausgeschöpft, weshalb auf die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Entschädigungsfolgen des Untersuchungsverfahrens richtet, mangels Letztinstanzlichkeit nicht einzutreten ist (Art. 75 Abs. 1 BGG). 
 
3.3 Die Kosten des Rekursverfahrens hat die Kriminal- und Anklagekommission der Beschwerdeführerin auferlegt und sie zudem verpflichtet, dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu bezahlen. Diese Regelung entspricht dem üblichen Unterliegerprinzip und wurde mit dem Hinweis auf die entsprechende Bestimmung des Verfahrensrechts - § 282 Abs. 1 StPO - ausreichend begründet. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, dass und inwiefern die Kosten und Entschädigungen unangemessen hoch angesetzt worden wären, und das ist auch nicht ersichtlich. Die Kosten- und Entschädigungsregelung des angefochtenen Entscheids ist damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Rüge ist unbegründet. 
 
4. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. November 2008 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Schneider Störi