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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_183/2010 
 
Urteil vom 25. November 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler, 
Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
PUBLICA, Pensionskasse des Bundes, 
Eigerstrasse 57, 3007 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
N.________, vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungs-gerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungs-rechtliche Abteilung, vom 20. Januar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
N.________ (geboren 1963) war als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Bundesbehörde in einem Pensum von 50 % tätig. Ab 1. Juni 2003 war er für die berufliche Vorsorge im Kernplan der Pensionskasse des Bundes PUBLICA versichert. Des Weiteren ist er in einem Pensum von rund 20 % als Lehrbeauftragter an der Universität X.________ und zu etwa 30 % als ausserordentlicher Professor an der Universität Y.________ tätig. Auch im Rahmen dieser Anstellungen ist er obligatorisch für die berufliche Vorsorge versichert. 
Im September 2003 erkrankte er an einem Augenleiden (beidseitige diabetische Ophthalmopathie), welches zu einer massiven Einschränkung der Sehfähigkeit führte. Aus gesundheitlichen Gründen musste er die Arbeit bei der Bundesbehörde im März 2005 aufgeben. Die beiden anderen Tätigkeiten konnte er dank Hilfsmitteln und mithilfe von Dienstleistungen Dritter weiterführen. 
Mit Verfügungen vom 22. Juni 2006 und 18. Januar 2007 sprach die IV-Stelle Bern N.________ eine Viertelsrente der Invalidenversicherung ab 1. März 2006 bei einem Invaliditätsgrad von 46 % zu. Dem Einkommensvergleich legte sie als hypothetisches Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen) die Einkünfte aus den drei Anstellungsverhältnissen im Jahr 2005 zu Grunde, während sie als Invalideneinkommen die Entlöhnung der beiden Teilzeitstellen an den Universitäten X.________ und Y.________ heranzog. 
In der Folge ersuchte N.________ die PUBLICA um Ausrichtung von Invalidenleistungen. Laut Rentenbescheid vom 30. Juli 2007 setzte die PUBLICA die monatliche Invalidenrente ab 1. März 2006 auf Fr. 1'509.95 fest. Der Rente lagen ein Beschäftigungsgrad von 50 %, ein Invaliditätsgrad von 50 % und ein versicherter Verdienst von Fr. 60'905.- zu Grunde. 
 
B. 
Am 22. Oktober 2008 liess N.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Klage einreichen mit dem Antrag, die PUBLICA sei zu verpflichten, ihm ab 1. März 2006 anstelle einer halben eine ganze Invalidenrente zu gewähren. Das Verwaltungsgericht wies die PUBLICA in Gutheissung der Klage an, dem Versicherten ab 1. März 2006 eine ganze Invalidenrente auszurichten (Entscheid vom 20. Januar 2010). 
 
C. 
Die PUBLICA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei festzustellen, dass der Versicherte Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat. 
Während N.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherungen deren Gutheissung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 lit. a BVG in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung), die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung (BGE 123 V 262) und die Voraussetzungen, unter denen die Feststellungen der Organe der Invalidenversicherung, insbesondere hinsichtlich des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit und des Invaliditätsgrades, für die Vorsorgeeinrichtung verbindlich sind (BGE 129 V 73, 126 V 308 E. 1 S. 310 f.), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2. 
Der Beschwerdegegner war vor Eintritt der Invalidität zu 50 % als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Bundesbehörde und zu rund 20 % und 30 % an den Universitäten X.________ und Y.________ als Dozent tätig. Erstellt ist ferner, dass er infolge des Augenleidens das 50 %-Pensum bei der Bundesbehörde aufgeben musste, während er die Lehraufträge an den beiden Universitäten weiter erfüllen kann. Festgestellt wurde sodann ein Invaliditätsgrad von 46 %, den die IV-Stelle unter Berücksichtigung sämtlicher Erwerbseinkommen ermittelt hat. Streitig und zu prüfen ist die Höhe der Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge, die der Beschwerdegegner von der PUBLICA beanspruchen kann. 
Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, dem Beschwerdegegner stehe zu Lasten der PUBLICA eine ganze Invalidenrente zu, berechnet auf dem versicherten Verdienst aufgrund des Arbeitspensums von 50 %. Die PUBLICA wendet unter Berufung auf die Rechtsprechung ein, der Versicherte könne lediglich eine halbe Rente beanspruchen. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdegegner war für alle drei Erwerbstätigkeiten obligatorisch für die berufliche Vorsorge versichert. Von einer hauptberuflich (bei der Bundesbehörde) und zwei an den Universitäten nebenberuflich ausgeübten Tätigkeiten, für welche eine Ausnahme vom obligatorischen Versicherungsschutz bestünde (Art. 1j Abs. 1 lit. c BVV 2), kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Wie das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 129 V 132 E. 3.4 S. 136 dargelegt hat, ist bei mehreren nebeneinander ausgeübten gleichwertigen Erwerbstätigkeiten von einer mehrfachen Versicherungspflicht auszugehen, was nicht nur bei zwei Pensen von 50 %, sondern auch in einer Konstellation mit drei Anstellungen, wie sie hier gegeben ist, gilt. 
 
3.2 In BGE 129 V 132 hatte das Eidg. Versicherungsgericht zu beurteilen, wie es sich mit der Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtungen verhält, wenn die versicherte Person invaliditätsbedingt eine von zwei mit einem Pensum von je 50 % ausgeübten Erwerbstätigkeiten, in welchen der Grenzbetrag (Art. 7 BVG) überschritten wird, aufgibt, während sie beim der anderen Vorsorgeeinrichtung angeschlossenen Arbeitgeber mit dem bisherigen Pensum angestellt bleibt. Dabei prüfte das Gericht mehrere Lösungen. In Betracht fiel der Anspruch auf eine halbe Invalidenrente gegenüber der Vorsorgeeinrichtung des Arbeitgebers, mit welchem die Anstellung invaliditätsbedingt aufgelöst wurde. Diesen Ansatz hat das Eidg. Versicherungsgericht verworfen, weil es der Versicherten, die ihre Arbeitskraft gesamthaft im Rahmen eines Vollzeitpensums verwertet hat und in diesem Umfang obligatorisch berufsvorsorgerechtlich versichert war, nicht zuzumuten ist, für den Verlust der rund halben Erwerbsfähigkeit lediglich mit Leistungen (halbe Rente aus halbem Pensum) entschädigt zu werden, welche einer Viertels-Invalidität entsprechen (BGE 129 V 132 E. 4.3.1 S. 141 f.). Eine zweite Möglichkeit erblickte das Gericht darin, dass beide Pensionskassen je - entsprechend dem Invaliditätsgrad von 55 % - eine halbe Rente auf der Grundlage des mit dem jeweiligen halben Pensum erzielten versicherten Verdienstes ausrichten. Diese von der Lehre favorisierte Lösung lehnte das Eidg. Versicherungsgericht ebenfalls ab, da sie nicht mit den versicherungstechnischen Grundlagen übereinstimmt; die Vorsorgeeinrichtung würde mit Einbrüchen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten konfrontiert, von denen der ihr angeschlossene Arbeitgeber nicht betroffen ist, da die dortige Anstellung im bisherigen Umfang weiterbesteht. Für Anstellungen bei nicht ihr angeschlossenen Arbeitgebern fühle sich die Vorsorgeeinrichtung nicht verantwortlich (BGE 129 V 132 E. 4.3.2 S. 142). 
Die mit den beiden Varianten verbundenen Konsequenzen werden laut Eidg. Versicherungsgericht vermieden, wenn die Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung, welche die Versicherte weiterhin im Umfang eines halben Pensums versichert, verneint und demgegenüber die Pensionskasse des Arbeitgebers, mit dem die Versicherte das Anstellungsverhältnis invaliditätsbedingt aufgelöst hat, verpflichtet wird, eine volle Rente (berechnet auf dem Lohn aus dem Beschäftigungsgrad von 50 %) auszurichten. Damit gelange die Versicherte in den Genuss derjenigen Leistungen, welche ihr auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 55 % zustehen. Die Rente, welche die Pensionskasse auszurichten hat, entspreche dem im Rahmen der obligatorischen Versicherung gedeckten Risiko. Zwar treffe es zu, dass dieser Vorsorgeeinrichtung eine Leistung auferlegt wird, welche über den - bei isolierter Betrachtung - aus der gegebenen Teilinvalidität in Verbindung mit dem absolvierten Pensum resultierenden Anspruch hinausgeht. Im Gegensatz zur Versicherten sei die Vorsorgeeinrichtung jedoch auf Grund der Vielzahl versicherter Personen in der Lage, diesen zusätzlichen Aufwand auszugleichen, da andere Versicherte in analoger Konstellation das Arbeitsverhältnis bei dem ihr angeschlossenen Arbeitgeber fortsetzen werden (BGE 129 V 132 E. 4.3.3 S. 143 f.). 
 
4. 
4.1 An diese Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall anzuknüpfen, zumal die anderen in Betracht gezogenen Varianten vom Eidg. Versicherungsgericht nach eingehender Prüfung verworfen wurden. Die Tatsache, dass der Beschwerdegegner vor Eintritt der Behinderung nicht nur zwei, sondern drei teilzeitliche BVG-versicherte Erwerbstätigkeiten mit Pensen von rund 50, 30 und 20 % verrichtet hat, steht einer analogen Anwendung der in BGE 129 V 132 entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen, geht es doch auch hier darum, dass der Versicherte eine von mehreren Arbeitsstellen, an der er im Ausmass von 50 % tätig war, behinderungsbedingt aufgeben musste. Als leistungspflichtig zu betrachten ist in Anlehnung an BGE 129 V 132 allein die PUBLICA: Diese hat auf dem Lohn aus dem Beschäftigungsgrad von 50 % eine ganze Invalidenrente auszurichten. Mit Bezug auf die Berechnung der Invalidenleistung ist Art. 21 des Vorsorgereglements für die Angestellten und die Rentenbeziehenden des Vorsorgewerks PUBLICA vom 6. November 2009 zu beachten. Danach entspricht bei teilzeitbeschäftigten versicherten Personen der massgebende Jahreslohn dem Lohn, der bei einem Beschäftigungsgrad von 100 % erzielt würde. Der versicherte Verdienst entspricht dem massgebenden Jahreslohn, vermindert um den Koordinationsbeitrag und umgerechnet auf den tatsächlichen Beschäftigungsgrad. 
 
4.2 Wird dem Beschwerdegegner für die wirtschaftlichen Folgen der behinderungsbedingten Stellenaufgabe bei der Bundesbehörde eine ganze Invalidenrente, berechnet auf dem mit der Teilzeitbeschäftigung von 50 % erzielten Einkommen, zugesprochen, liegt eine Differenz zu dem von der IV-Stelle ermittelten, Anspruch auf eine Viertelsrente begründenden Invaliditätsgrad von gesamthaft 46 % vor. Eine Bindung an die IV-rechtliche Betrachtungsweise entfällt jedoch, wenn eine Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit in einer von mehreren parallel ausgeübten Tätigkeiten auftritt, in den anderen hingegen nicht. Wie bereits in BGE 129 V 132 E. 4.3.3 S. 143 f. dargelegt wurde, trifft es nicht zu, dass die grundsätzliche Massgeblichkeit der Invaliditätsbemessung durch die Invalidenversicherung dadurch in Frage gestellt wird. Die Invalidenversicherung legt den Invaliditätsgrad mit Blick auf die gesamte Erwerbsfähigkeit einer versicherten Person fest. Bezogen auf ein halbes Pensum erhöht sich der Invaliditätsgrad entsprechend (vgl. auch BGE 120 V 106 betr. die fehlende Verbindlichkeit des von der Invalidenversicherung nach der gemischten Bemessungsmethode ermittelten Invaliditätsgrades für die Vorsorgeeinrichtung). 
 
4.3 Es steht somit nichts entgegen, BGE 129 V 132 auch anzuwenden, wenn die versicherte Person eine von drei in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versicherten Teilzeitbeschäftigungen invaliditätsbedingt aufgeben muss. Im vorliegenden Fall hat dies zur Folge, dass der Beschwerdegegner, der die Teilzeittätigkeit von 50 % aufgeben musste, Anspruch auf eine ganze Invalidenrente der PUBLICA hat, die auf dem versicherten Verdienst, den er bei der Bundesbehörde mit diesem Pensum erzielt hat, zu berechnen ist. 
 
4.4 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Auffassung der PUBLICA, wonach sie nur eine halbe Invalidenrente zu entrichten habe, unbegründet ist, weil nicht auf den Invaliditätsgrad von 46 %, wie er sich bei einem Einkommensvergleich unter Einbezug aller drei teilzeitlich ausgeübten Tätigkeiten und der dabei verdienten Löhne ergibt, abzustellen ist. Die Rente, welche die PUBLICA auszurichten hat, entspricht dem reglementarisch gedeckten Risiko: Der Beschwerdegegner ist invaliditätsbedingt ausserstande, seine Tätigkeit mit einem Pensum von 50 % als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesbehörde weiterhin zu verrichten. 
 
5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 25. November 2010 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Widmer