Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4A_121/2012 
 
Urteil vom 10. September 2012 
I. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin, 
Bundesrichter Corboz, 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch, 
Gerichtsschreiber Gelzer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Ruf, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Mietzins, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 16. Januar 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die X.________ AG (Vermieterin) vermietete A.________ (Mieterin) eine 4,5-Zimmerwohnung im vierten Obergeschoss an der Y.________strasse in Z.________. Am 5. Dezember 2008 zeigte die Vermieterin der Mieterin eine Mietvertragsänderung mit Wirkung ab 1. April 2009 an, welche eine Erhöhung des bisherigen Mietzinses (ohne Nebenkosten) auf Fr. 1'320.-- vorsah. 
 
B. 
Die Mieterin focht diese Mietvertragsänderung bei der Schlichtungsbehörde für das Mietwesen des Bezirks Brugg an, die am 25. November 2009 das Nichtzustandekommen einer Einigung feststellte. 
 
Am 23. Dezember 2009 klagte die Vermieterin beim Gerichtspräsidium Brugg gegen die Mieterin auf Feststellung, dass ein monatlicher Nettomietzins von CHF 1'320.-- zuzüglich Nebenkosten mit Wirkung ab 1. April 2009 für die von der Mieterin gemietete 4,5-Zimmerwohnung nicht missbräuchlich sei. Der Präsident des Gerichtspräsidiums Brugg stellte mit Urteil vom 16. September 2011 in teilweiser Gutheissung der Klage fest, dass sich der monatliche Nettomietzins für die von der Mieterin gemietete Wohnung mit Wirkung ab 1. April 2009 bis 30. September 2010 auf Fr. 1'218.65 und ab 1. Oktober 2010 auf Fr. 1'149.65 belaufe, je zuzüglich bestimmter Nebenkosten. Auf dem Rubrum findet sich unter der Rubrik "Gegenstand" der Vermerk "Ordentliches Zivilverfahren betreffend Mietzinsanfechtung". In der Rechtsmittelbelehrung führte der Gerichtspräsident unter Hinweis auf Art. 308 ff. ZPO aus, dieser Entscheid könne innert 30 Tagen nach seiner Zustellung beim Obergericht des Kantons Aarau mit Berufung angefochten werden. Innert dieser Frist erhob die Mieterin Berufung, auf welche das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 16. Januar 2012 wegen Verspätung nicht eintrat. 
 
C. 
Die Mieterin (Beschwerdeführerin) beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Obergerichts vom 16. Januar 2012 aufzuheben und die Sache mit der Anweisung an das Obergericht zurückzuweisen, auf die Berufung vom 7. November 2011 einzutreten. Die Beschwerdeführerin stellte zudem ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und -verbeiständung, das sie jedoch mit Schreiben vom 24. April 2012 zurückzog. 
 
Die Vermieterin (Beschwerdegegnerin) hat auf Stellungnahme verzichtet. Hingegen hat das Obergericht eine Vernehmlassung mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde eingereicht. Dazu hat sich die Beschwerdeführerin in einer Replik geäussert. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der angefochtene Entscheid ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG). Der für die Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert von Fr. 15'000.-- wird nach zutreffender Feststellung im angefochtenen Urteil überschritten (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2. 
2.1 Was das Übergangsrecht anbelangt, hielt die Vorinstanz unangefochten und zu Recht fest, da der in Anwendung des bisherigen Prozessrechts getroffene erstinstanzliche Entscheid nach dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) am 1. Januar 2011 eröffnet worden sei, gelte diese nach Art. 405 Abs. 1 ZPO für das kantonale Rechtsmittelverfahren. 
 
2.2 Die ZPO sieht als Rechtsmittel namentlich die Berufung vor (Art. 308 ff. ZPO). Diese ist bei der Rechtsmittelinstanz innert 30 Tagen seit Zustellung des begründeten Entscheids schriftlich und begründet einzureichen (Art. 311 Abs. 1 ZPO). Gegen einen im summarischen Verfahren ergangenen Entscheid beträgt die Frist zur Einreichung der Berufung jedoch zehn Tage (Art. 314 Abs. 1 ZPO). 
 
2.3 Die Vorinstanz hielt dafür, der erstinstanzliche Entscheid sei trotz der im Rubrum anders lautenden Bezeichnung im summarischen Verfahren ergangen, entscheide doch der Gerichtspräsident nach § 20 Abs. 1 lit. b der erstinstanzlich geltenden kantonalen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Änderung des Obligationenrechts (Miete und Pacht) vom 25. Juni 1990 über Streitigkeiten betreffend die Missbräuchlichkeit von Miet- und Pachtzinsen oder Forderungen des Vermieters oder Verpächters im summarischen Verfahren. Dies habe auch die Beschwerdeführerin erkannt. Demnach betrage die Frist zur Einreichung der Berufung gemäss Art. 314 Abs. 1 ZPO zehn Tage. Da die Beschwerdeführerin ihre Berufung nach Ablauf dieser Frist eingereicht habe, sei darauf nicht einzutreten. Daran ändere nichts, dass ihr in der Rechtsmittelbelehrung eine dreissigtägige Berufungsfrist angegeben worden sei. Da sie rechtskundig vertreten gewesen sei und bei zumutbarer Sorgfalt allein durch Konsultation der massgeblichen Verfahrensvorschriften die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung hätte erkennen können und müssen, sei ihr versagt, sich darauf zu berufen, aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung dürfe ihr kein Rechtsnachteil erwachsen. 
 
2.4 Die Beschwerdeführerin macht geltend, gemäss Art. 405 Abs. 1 ZPO beherrsche das neue Recht die Frage, welches Rechtsmittel gegen den unter neuem Recht eröffneten Entscheid zu ergreifen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei diesbezüglich der Inhalt des angefochtenen Beschlusses entscheidend. Mit Blick auf das zutreffende Rechtsmittel sei somit zu ermitteln, in welchem Verfahren der angefochtene Entscheid nach der ZPO hätte ergehen müssen. Dies wäre vorliegend gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO das vereinfachte Verfahren gewesen. Die Rechtsmittelfrist betrage demnach gemäss Art. 311 Abs. 1 ZPO 30 Tage. 
 
Selbst wenn eine Berufungsfrist von 10 Tagen zur Anwendung gelangen sollte, müsste auf die Berufung eingetreten werden, da diesfalls das Nichteintreten dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV widersprechen würde, habe die Vorinstanz doch selbst für die Berufungsantwort in Anwendung von Art. 312 Abs. 2 ZPO eine Frist von 30 Tagen angesetzt und damit die Anwendung von Art. 311 ZPO impliziert. 
 
2.5 In der Beschwerdeantwort erklärt die Vorinstanz, bei der Ansetzung der dreissigtägigen Frist zur Erstattung der Berufungsantwort sei ihr ein Versehen unterlaufen, welches sie im Urteil korrigiert habe, indem sie auch die Antwort als verspätet eingereicht erachtet habe. 
2.6 
2.6.1 Aus dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) leitet die Rechtsprechung ein Recht auf Vertrauensschutz ab. Daraus ergibt sich, dass den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine Nachteile erwachsen dürfen. Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei nur dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Dies trifft auf die Partei nicht zu, welche die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen. Allerdings vermag nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen (BGE 135 III 374 E. 1.2.2.1 S. 376 f. mit Hinweisen). Wann der Prozesspartei eine als grob zu wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen und nach ihren Rechtskenntnissen, wobei bei Anwälten naturgemäss ein strengerer Massstab anzulegen ist. Von ihnen wird jedenfalls eine "Grobkontrolle" der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung der anwendbaren Verfahrensbestimmungen erwartet. Dagegen wird nicht verlangt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachgeschlagen wird (BGE 138 I 49 E. 8.3.2 S. 53 f. mit Hinweisen). 
2.6.2 Mit Bezug auf Art. 314 Abs. 1 ZPO im Speziellen erkannte das Bundesgericht, diese Bestimmung sehe vor, die Frist zur Einreichung der Berufung betrage 10 Tage, wenn der angefochtene Entscheid im summarischen Verfahren ergangen sei. Die Vorschrift präzisiere aber nicht, ob mit dem "summarischen Verfahren" das konkret nach kantonalem Prozessrecht angewandte oder das abstrakt nach ZPO anzuwendende Verfahren gemeint sei. Welche Berufungsfrist übergangsrechtlich zu gelten habe, stehe damit nicht eindeutig fest, weshalb ein diesbezüglicher Irrtum jedenfalls nicht als grobe Unsorgfalt gewertet werden könne. Unter diesen Umständen sei auch eine anwaltlich vertretene Partei in ihrem Vertrauen in eine unrichtige Angabe des erstinstanzlich Gerichts zu schützen (BGE 138 I 49 E. 8.4 S. 54). 
 
2.7 Gestützt auf diese Rechtsprechung steht fest, dass der von der Vorinstanz angenommene Mangel in der Rechtsmittelbelehrung, sollte es sich denn um einen solchen handeln, ausschliesslich anhand der Lektüre des einschlägigen Gesetzestexts nicht erkennbar war. Vielmehr lässt sich die vom erstinstanzlichen Richter bezeichnete Rechtsmittelfrist mit guten Gründen vertreten (vgl. BGE 138 I 49 E. 7.3 S. 52). Welche Berufungsfrist richtigerweise hätte Anwendung finden müssen, braucht demnach nicht entschieden zu werden. So oder anders hätte die Vorinstanz die Beschwerdeführerin in ihrem Vertrauen in die Richtigkeit der im erstinstanzlichen Urteil angeführten Rechtsmittelfrist schützen und die Berufung als rechtzeitig entgegen nehmen müssen. Die Rüge der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach Art. 9 BV bzw. Art. 52 ZPO erweist sich als begründet. 
 
3. 
Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 BGG). Die Beschwerdegegnerin kann im Verfahren vor Bundesgericht nicht als unterliegende Partei betrachtet werden, zumal sie in diesem Verfahren keinen Antrag stellte und die Vorinstanz die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels von Amtes wegen zu prüfen hatte. Kosten sind daher nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG), und der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG; vgl. Urteil 4A_595/2011 vom 17. Februar 2012 E. 3). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 16. Januar 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. September 2012 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Klett 
 
Der Gerichtsschreiber: Gelzer