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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_417/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 20. Mai 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Karlen, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ursula Frauenfelder Nohl, 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 31. Oktober 2014 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Staatsanwältin Sabine Schuler von der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führte gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen mehrfacher Nötigung und sexueller Belästigung der von Rechtsanwalt E.________ vertretenen B.________. A.________ wurde vorgeworfen, B.________ beim Training im akademischen Sportverein der Universität Zürich (ASVZ) nachgestellt und sie belästigt zu haben. Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ am 19. Dezember 2011 der versuchten Nötigung schuldig und sprach ihn im Übrigen frei. Auf Berufung von A.________ und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft sowie von B.________ hin verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich A.________ am 11. September 2012 wegen versuchter Nötigung und mehrfacher sexueller Belästigung zu einer bedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 1'000.--. Mit Urteil 6B_666/2012 vom 13. Juni 2013 wies das Bundesgericht die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde ab. 
 
B.   
Anfangs Juli 2013 reichte A.________ bei der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich eine Strafanzeige ein gegen B.________, ihre Mutter C.________, ihren Lebenspartner D.________ sowie Rechtsanwalt E.________ wegen falscher Anschuldigung etc. 
Mit Übernahmeverfügung vom 9. Juli 2013 bzw. Abtretungsverfügung vom 10. Juli 2013 ging das Strafverfahren zuständigkeitshalber von der Staatsanwaltschaft I an die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl über. 
Am 22. Juli 2013 erhob A.________ bei der Oberstaatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Übernahmeverfügung vom 9. Juli 2013. 
Am 2. August 2013 nahm die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl das Strafverfahren gegen B.________ et al. nicht an die Hand, was von der Leitenden Staatsanwältin Frauenfelder Nohl genehmigt wurde. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde ist, soweit ersichtlich, pendent. 
Mit Aktennotiz vom 19. August 2013 hielt die Oberstaatsanwaltschaft fest, die Beschwerde von A.________ vom 22. Juli 2013 gegen die Übernahmeverfügung vom 9. Juli 2013 enthalte auch ein Ablehnungsbegehren gegen die Leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Ursula Frauenfelder Nohl. Sie schickte das Dossier zwecks Einreichung beim Obergericht an die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl zurück und setzte den Beschwerdeentscheid bis zum Entscheid über das Ablehnungsbegehren aus. 
Mit Eingabe vom 27. August 2013 ans Obergericht gab die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl die gewissenhafte Erklärung ab, sich gegenüber A.________ nicht befangen zu fühlen. 
Am 5. Februar 2014 erteilte das Obergericht der Staatsanwaltschaft die erforderliche Ermächtigung zur Eröffnung des von A.________ mit Anzeige vom 26. August 2013 angestrengten Strafverfahrens gegen die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl, Staatsanwältin Schuler und Staatsanwalt Moder nicht. Das Bundesgericht schützte diesen Entscheid am 11. Juni 2014 (1C_137/2014). 
Am 31. Oktober 2014 wies das Obergericht das Ausstandsgesuch gegen die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl kostenfällig ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, den Beschluss des Obergerichts vom 31. Oktober 2014 aufzuheben und das Ausstandsgesuch gegen die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl gutzuheissen. Für den Fall, dass das Bundesgericht dem Aufhebungsbegehren nicht zu folgen vermöge, beantragt er, die Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zuzulassen. 
 
D.   
Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Leitende Staatsanwältin Frauenfelder Nohl teilt mit, dass sie sowohl in eigenem Namen als auch für die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl auf Vernehmlassung verzichte. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es handelt sich um einen selbständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Privatkläger, der adhäsionsweise Zivilansprüche geltend machen will, ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist. 
Mangels Zuständigkeit nicht einzutreten ist auf die Beschwerde allerdings insoweit, als der Beschwerdeführer für den Fall, dass das Bundesgericht sie abweisen sollte, beantragt, die Beschwerde zum EGMR zuzulassen. 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Strafsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen.  
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten ergeben, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese können namentlich in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters begründet sein. Bei dessen Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist. 
Der Anschein der Befangenheit kann durch unterschiedlichste Umstände und Gegebenheiten erweckt werden. Dazu können nach der Rechtsprechung insbesondere vor oder während eines Prozesses abgegebene Äusserungen eines Richters zählen, die den Schluss zulassen, dass sich dieser bereits eine feste Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet hat (BGE 140 I 326 E. 5.1; 134 I 238 E. 2.1, je mit Hinweisen). 
 
2.2. Nach Art. 29 Abs. 1 BV kann ein Staatsanwalt abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die nach objektiven Gesichtspunkten geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 f. mit Hinweisen). Der Unvoreingenommenheit des Untersuchungsbeauftragten kann unter gewissen Gesichtspunkten zwar eine ähnliche Bedeutung zukommen wie der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Grundsätze von Art. 30 Abs. 1 BV dürfen jedoch nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden (vgl. BGE 140 I 326 E. 5.2; 125 I 119 E. 3b S. 124; 125 I 209 E. 8 S. 217; Urteil 1B_56/2008 vom 24. Juni 2008 E. 4). Ist allerdings der Staatsanwalt nicht als Vertreter der Untersuchungs- und Anklagebehörde tätig, sondern übt rechtsprechende Funktionen aus - z.B. beim Erlass eines Strafbefehls - unterliegt auch er den strengeren, für Richter geltenden Anforderungen an die Unbefangenheit (BGE 138 IV 142 E. 2.1. - 2.3; 112 Ia 142 E. 2; Urteil 1B_282/2008 vom 16. Januar 2009 E. 2.3).  
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hatte im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer Anschlussberufung erhoben und war damit im Rechtsmittelverfahren Gegenpartei des Beschwerdeführers. Sie hat dabei die wesentlich auf den Aussagen der Geschädigten beruhende Anklage und damit implizit die Auffassung vertreten, die Anklagevorwürfe seien erstellt und die Bestreitungen des Beschwerdeführers unwahr. 
Im Anschluss an die letztinstanzliche Bestätigung seiner Verurteilung durch das Bundesgericht reichte der Beschwerdeführer eine Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung etc. ein, u.a. gegen die Geschädigte des erwähnten Strafverfahrens. Die Anzeige bezieht sich auf den gleichen Lebenssachverhalt wie das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer, indem er behauptet, seine Verurteilung beruhe auf unwahren Aussagen u.a. der damaligen Geschädigten. 
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung - der Beschwerdeführer beruft sich zu Recht auf das Urteil 1B_282/2008 vom 16. Januar 2009 - bestehen in dieser Konstellation objektiv begründete Zweifel daran, dass der Genehmigungsentscheid über die Anhandnahme bzw. Nichtanhandnahme des vom Beschwerdeführer angestrengten Strafverfahrens völlig offen ist, wenn die Beschwerdegegnerin als Gegenpartei des vorhergehenden Strafverfahrens daran in irgendeiner Weise mitwirkt. Auch wenn sich diese nach ihrer glaubhaften Erklärung nicht befangen fühlt, so besteht jedenfalls aus Sicht des Beschwerdeführers objektiv der Anschein, dass sie sich in dieser Sache bereits im vorangehenden Strafverfahren eine feste Meinung gebildet hat und damit in der Beurteilung seiner Strafanzeige nicht mehr frei, mithin voreingenommen ist. Dies gilt umso mehr, als der Entscheid über die Genehmigung der Nichtanhandnahmeverfügung eine richterliche Funktion betrifft, womit die strengen Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Sinn von Art. 30 Abs. 1 BV voll zum Tragen kommen. Das Obergericht begründet seine gegenteilige Beurteilung damit, dass beim Genehmigungsentscheid der Leitende Staatsanwalt die Verfügung des fallführenden Staatsanwaltes nur summarisch prüfe und die Genehmigung nur ausnahmsweise verweigere. Eine (voreingenomme) Einflussnahme eines befangenen Leitenden Staatsanwaltes auf ein Strafverfahren sei zwar eine theoretisch denkbare, aber keine praktisch zu erwartende Möglichkeit (angefochtener Entscheid E. 6.3 d/ee S. 12 f.). Darauf kommt es indessen nicht an: der Leitende Staatsanwalt hat die Möglichkeit, mit dem Entscheid über die Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung einer Verfügung über die Anhandnahme bzw. Nichtanhandnahme eines Strafverfahrens auf dieses einzuwirken, womit er die (für Richter geltenden) Ausstandsregeln zu beachten hat. Die Beschwerdegegnerin hätte diesen Genehmigungsentscheid damit nicht treffen dürfen, sondern in den Ausstand treten müssen. Die Rüge ist begründet. 
 
4.   
Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und das Ausstandsgesuch gegen die Beschwerdegegnerin gutzuheissen. Damit wird die Genehmigung der Nichtanhandnahmeverfügung vom 2. August 2013 durch die Beschwerdegegnerin hinfällig; diese ist dementsprechend nachträglich einem anderen, unbefangenen Magistraten zur Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung zu unterbreiten. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat praxisgemäss keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, gutgeheissen. Der angefochtene Beschluss des Obergerichts vom 31. Oktober 2014 wird aufgehoben und das Ausstandsgesuch gegen die Beschwerdegegnerin gutgeheissen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Mai 2015 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi