Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_127/2018  
 
 
Urteil vom 20. Juni 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter F. Siegen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. Dezember 2017 (VBE.2017.477). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1960, war ab 1. Januar 2009 bei der B.________ AG als kaufmännische Angestellte beschäftigt und in dieser Eigenschaft gegen die Folgen von Unfällen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) versichert. Ab 18. August 2010 war sie wegen psychischer Beschwerden krankgeschrieben. Am 27. Oktober 2011 wurde sie in einen Autounfall verwickelt (vgl. den Polizeirapport vom 26. Januar 2012). Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Die IV-Stelle des Kantons Aargau sprach ihr am 21. Dezember 2012 ab 1. November 2011 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Invalidenrente zu. Am 5. Februar 2015 sprach ihr die Suva eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 45 % zu. Nach Einholung des polydisziplinären Gutachtens der Academy of Swiss Insurance Medicine (asim), Basel, vom 25. April 2016 stellte die Suva mit Verfügung vom 5. Januar 2017, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 3. Mai 2017, die Taggelder und Heilbehandlung per 31. Januar 2017 ein und verneinte wegen vorbestehender voller Invalidität den Anspruch auf eine Invalidenrente. 
 
B.   
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 14. Dezember 2017 ab. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid hinsichtlich der Rente aufzuheben und ihr ab 1. Februar 2017 eine Invalidenrente der Unfallversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 100 % auszurichten; eventualiter sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz oder die Suva zu neuem Entscheid zurückzuweisen. 
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Streitig ist, ob die Vorinstanz zu Recht den Anspruch auf eine Invalidenrente verneint hat. Anknüpfungspunkt ist dabei der Unfall vom 27. Oktober 2011, so dass nach Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015 (AS 2016 4375, 4387) das bis 31. Dezember 2016 geltende Recht anzuwenden ist. 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG), den Fallabschluss (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4.1 S. 113) und die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Berücksichtigung einer vorbestehenden, nicht versicherten Gesundheitsschädigung (Art. 28 Abs. 3 UVV; Urteil 8C_876/2015 vom 29. Januar 2016 E. 5.2) und die allgemeinen beweisrechtlichen Anforderungen an einen ärztlichen Bericht (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
 
4.1. Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188, 229 E. 5.2 S. 236).  
 
4.2. Entgegen der Ansicht der Versicherten musste sich die Vorinstanz nicht mit jedem ihrer Einwände auseinandersetzen. So lässt sich etwa nicht beanstanden, dass sie sich nicht zu jeder der im kantonalen Verfahren eingereichten Unterlagen einzeln und im Detail äusserte. Vielmehr ist dem verfassungsmässigen Anspruch genüge getan, wenn der vorinstanzlichen Begründung insgesamt entnommen werden kann, gestützt auf welche Umstände sie den Anspruch auf eine Invalidenrente verneinte. Es ist denn auch nicht ersichtlich, inwiefern den im Rahmen der vorinstanzlichen Replik eingereichten Unterlagen etwas Entscheidwesentliches zur vorliegend strittigen Frage der vorbestehenden vollen Invalidität zu entnehmen wäre. Der Anspruch der Versicherten auf rechtliches Gehör wurde nicht verletzt.  
 
5.  
 
5.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf das asim-Gutachten vom 25. April 2016 erwogen, dass bereits vor dem Unfall vom 28. Oktober 2011 eine dauerhafte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bestanden habe; es seien keine Umstände ersichtlich, die gegen den dauerhaften Charakter der vorbestehenden Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen sprechen würden. Sie verwies auf die letzten psychiatrischen Berichte vor dem Unfallereignis sowie auf die Verfügung der IV-Stelle vom 21. Dezember 2012, die festhalte, ein Rentenanspruch bestehe ("theoretisch") seit 1. August 2011 und damit vor dem fraglichen Unfall. Das Unfallereignis sei für die Bejahung des Rentenanspruchs sekundär. Entgegen der Ansicht der Versicherten sei es unerheblich, ob sich der Gesundheitszustand in der Folge verbessert habe, was aber ohnehin gestützt auf das asim-Gutachten vom 25. April 2016 nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bejaht werden könne; entscheidend sei, dass die Versicherte im Zeitpunkt des Unfalles bereits dauerhaft in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.  
 
5.2. Was die Versicherte dagegen vorbringt, vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen.  
 
5.2.1. Entgegen der Ansicht der Versicherten spielte das Burnout - soweit darin überhaupt ein invalidisierender Gesundheitsschaden erblickt werden kann (verneinend vgl. SVR 2012 IV Nr. 22 S. 95, 8C_302/2011) - bei der Beurteilung ihres Rentenanspruchs keine entscheidende Rolle. Vielmehr erachtete der psychiatrische Experte des asim auch nicht alleine die Depression als Ursache der psychischen Arbeitsunfähigkeit, sondern die Kombination von rezidivierender depressiver Störung, aktuell remittiert bei Verdacht auf fortbestehende neurotisch neurasthene Anteile (ICD-10: F 33.4), und kombinierter Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, abhängigen und ängstlich vermeidenden Anteilen (ICD-10: F61.0) sowie Verdacht auf eine somatoforme Störung mit somatischen und psychischen Anteilen (ICD-10: F 45.41). Im Rahmen der per 1. November 2011 zugesprochenen ganzen Rente der Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 100 % stützte sich die IV-Stelle auf die ärztlichen Berichte der behandelnden Ärzte und Kliniken vor dem Unfall, demnach auf die die Arbeitsfähigkeit einschränkende Diagnose einer schweren depressiven Störung (ICD-10: F 32.2; Bericht des Externen psychiatrischen Dienstes E.________ vom 6. Oktober 2011) bzw. einer bipolaren affektiven Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 31.4; Austrittsbericht der Klinik C.________ vom 1. Juli 2011) oder einer bipolaren affektiven Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 31.4) mit Verdacht auf eine Konversionsstörung (ICD-10: F 44.9; Austrittsbericht der Klinik C.________ vom 22. Dezember 2010). Angesichts dieser Diagnosen ist nicht von einem blossen Erschöpfungszutand vor dem Unfall auszugehen.  
 
5.2.2. Die Versicherte geht davon aus, dass ihr Burnout allein auf psychosozialen Faktoren beruht habe, die durch die Trennung von ihrem Ehemann hinfällig geworden seien.  
Diese Ansicht entspricht nicht der fachärztlichen Einschätzung, welche sowohl vor dem Unfall als auch bei Fallabschluss erhebliche psychische Beeinträchtigungen attestiert. Anzufügen bleibt, dass sie keinen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung ab 1. November 2011 gehabt hätte, wären alleine psychosoziale Faktoren Ursache der Arbeitsunfähigkeit gewesen (BGE 127 V 294 E. 5a S. 299). Denn diesfalls läge kein invalidisierender Gesundheitsschaden nach Art. 7 ATSG vor (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303 mit Hinweisen). 
 
5.2.3. Die Versicherte macht geltend, sie habe sich im Unfallzeitpunkt auf dem Weg der Besserung befunden und sei kurz vor einer Heilung und Wiederaufnahme der Arbeit gestanden.  
Gemäss Verfügung der IV-Stelle vom 21. Dezember 2012 hätte die Versicherte Anspruch auf eine ganze Invalidenrente ab 1. August 2011 gehabt, infolge verspäteter Anmeldung konnte ihr jedoch eine solche erst ab 1. November 2011 zugesprochen werden. Die Arbeitsunfähigkeit war somit andauernd (seit August 2010) und aus den psychiatrischen Berichten kurz vor dem Unfall ergibt sich ein völlig anderes Bild, als es die Versicherte schildert. So lässt sich keinem dieser Berichte entnehmen, dass in absehbarer Zeit die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar oder geplant war (vgl. den Austrittsbericht der Klinik C.________ vom 1. Juli 2011 die Berichte der Frau med. pract. D.________ vom 13. September 2011 sowie den Bericht des Externen psychiatrischen Dienstes E.________ vom 6. Oktober 2011). Nach dem Gesagten kann keine Rede davon sein, dass die Versicherte im Unfallzeitpunkt kurz vor einer Heilung oder dem Wiedereintritt ins Berufsleben gestanden habe. Ebenso ist die Versicherte darauf hinzuweisen, dass alleine schon aus dem Umstand der Wartefrist (Art. 29 Abs. 1 IVG) der Unfall vom 27. Oktober 2011 keinen Einfluss auf den vier Tage später liegenden Beginn der Rente der Invalidenversicherung haben konnte; erst recht spielten die Folgen des Unfalls keine Rolle unter Berücksichtigung des bloss infolge verspäterer Geltendmachung nicht massgebenden eigentlichen Rentenbeginns per 1. August 2011. 
 
5.2.4. Entgegen der Ansicht der Versicherten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gestützt auf die ärztlichen Feststellungen mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausging, es liege eine vorbestehende volle Invalidität vor. Im polydisziplinären asim-Gutachten vom 25. April 2016 wird dazu ausgeführt, der wesentliche psychische Gesundheitsschaden sei vorbestehend (S. 14 und 17) und die im Rahmen der IV-Abklärungen vor dem Unfall bereits gegebene Arbeitsunfähigkeit infolge einer schweren psychiatrischen Affektion hätte auch längerfristig angedauert (S. 19); die Berichte unmittelbar vor dem Unfall würden die hoch instabile psychische Situation und den fehlenden therapeutischen Durchbruch belegen (S. 19). Diese Schlussfolgerungen werden im Gesamtgutachten (S. 19) und einlässlicher im psychiatrischen Teilgutachten (S. 29 ff.) angesichts der psychiatrischen Krankheitsgeschichte bis zum Unfall vom 27. Oktober 2011 (vgl. dazu etwa die Zusammenfassung im Bericht des Dr. med. F.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Versicherungsmedizin, Suva, vom 10. Juli 2012) überzeugend und nachvollziehbar begründet und stehen in Einklang mit den übrigen ärztlichen Berichten, namentlich auch mit jenen der behandelnden Institutionen.  
 
5.2.5. Die Versicherte rügt, sie habe vor dem Unfall noch Ressourcen gehabt und hätte auch diese Krise überwunden.  
Die Invalidenrente wird nicht ein für allemal zugesprochen, sondern der Anspruch kann sich ändern, wenn der ihr zugrundeliegende Sachverhalt sich ändert (Art. 17 ATSG). Sollte sich die psychische Leistungsfähigkeit der Versicherten dauerhaft verbessern, ist der allfällige Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung neu zu beurteilen. Im massgebenden Zeitpunkt haben die Experten jedoch eine andauernde Arbeitsunfähigkeit gestützt auf die der ursprünglichen Invalidenrente zugrundeliegenden, rein krankheitsbedingten psychischen Beschwerden zu Recht bejaht. 
 
5.2.6. Schliesslich ändert auch der Hinweis der Versicherten auf die seit der erstmaligen Zusprache einer Invalidenrente durch die IV-Stelle geänderte Praxis (BGE 141 V 281) nichts. Denn die Änderung der Rechtsprechung stellt keinen Revisionsgrund einer rechtskräftig zugesprochenen Invalidenrente dar (BGE 141 V 585).  
 
5.3. Damit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.  
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Versicherte hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG). Die Suva hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Juni 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold