Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_332/2009 
 
Urteil vom 3. Dezember 2009 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, 
Gerichtsschreiberin Schoder. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Sararard Arquint, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 
8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Oktober 2009 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter. 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wird dringend verdächtigt, am 28. Dezember 2008 um ca. 4.50 Uhr den Geschädigten Y.________ an der Dienerstrasse in Zürich mit zwei Messerstichen in den oberen Brustbereich erheblich verletzt zu haben. Die Haftrichterin verfügte darum am 29. Dezember 2008 Untersuchungshaft wegen des dringenden Tatverdachts auf versuchte vorsätzliche Tötung und des besonderen Haftgrunds der Kollusionsgefahr. 
Mit Urteil 1B_216/2009 vom 20. August 2009 wies das Bundesgericht eine von der Angeschuldigten gegen die Verlängerung der Untersuchungshaft erhobene Beschwerde ab. In der Urteilsbegründung bejahte das Bundesgericht das Vorliegen von Wiederholungsgefahr. 
Das von der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich eingeholte psychiatrische Gutachten über X.________ datiert vom 3. Oktober 2009. 
Am 16. November 2009 wurde gegen X.________ Anklage erhoben. 
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2009 wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich das Haftentlassungsgesuch von X.________ wegen Kollusions- und Wiederholungsgefahr ab und verlängerte die Untersuchungshaft bis zum 26. Januar 2010. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ beim Bundesgericht, die Verfügung vom 14. Oktober 2009 sei aufzuheben und sie sei aus der Untersuchungshaft unverzüglich zu entlassen. Eventuell sei die Verfügung aufzuheben und sie sei unter der Auflage der täglichen Meldepflicht bei der Polizeiwache der Stadtpolizei sowie dem Beginn einer kontrollierten Alkoholabstinenz unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Für den Widerhandlungsfall sei ihr die Wiederverhaftung anzudrohen. Ferner ersucht die Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. 
 
C. 
Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Beschwerdeabweisung. Der Haftrichter liess sich vernehmen, ohne ausdrücklich einen Antrag zu stellen. Die Beschwerdeführerin hat repliziert. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Eintretensvoraussetzungen gemäss Art. 78 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2. 
2.1 Vorab ist die Rüge der Verletzung des Akteneinsichtsrechts zu prüfen. Die Beschwerdeführerin beanstandet, nicht in alle Akten Einsicht gehabt zu haben. 
 
2.2 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) beinhaltet unter anderem das Recht auf Akteneinsicht. Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Akten, die geeignet sind, Grundlage für die spätere Entscheidung zu bilden, d.h. entscheidrelevant sind oder sein könnten. 
 
2.3 Gemäss Stellungnahme des Haftrichters vom 19. November 2009 ist die Behauptung, dass er Sonderwissen verwertet habe, welches bis zum Haftprüfungszeitpunkt nicht Aktenbestandteil gewesen sei, tatsachenwidrig. Die Untersuchungsakten seien am 12. Oktober 2009 beim Haftrichter eingegangen. Bestandteil dieser Akten seien auch die erwähnten Vorakten gewesen, welche ihrerseits weitere Vorakten enthalten hätten. Sämtliche Vorakten seien somit nicht nur zum Zeitpunkt der Entscheidfällung, sondern während der gesamten Verfahrensdauer Bestandteil der Akten gewesen. Die Beschwerdeführerin habe die Möglichkeit gehabt, jederzeit Einsicht in die Akten zu nehmen. Im Übrigen gehe aus dem Protokoll der haftrichterlichen Anhörung klar hervor, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vor der Entscheidfällung gewusst habe, dass die Vorakten bereits von der Staatsanwaltschaft beigezogen worden seien und Teil der Untersuchungsakten und damit auch Teil des Haftprüfungsverfahrens gewesen seien. Aus dem Protokoll ergebe sich, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin anlässlich der haftrichterlichen Anhörung ausdrücklich auf diese Tatsache aufmerksam gemacht worden sei. Der Rechtsvertreter hätte somit jederzeit Einsicht in die Akten nehmen können. Zudem sei ihm anlässlich der haftrichterlichen Anhörung Gelegenheit gegeben worden, Stellung zu den Noven zu nehmen. 
 
2.4 Die Beschwerdeführerin vermag diese Ausführungen des Haftrichters in ihrer Replik nicht überzeugend zu widerlegen. Die Rüge der Verletzung des Akteneinsichtsrechts ist damit unbegründet. 
 
3. 
3.1 Im Zusammenhang mit der Rüge, das Akteneinsichtsrecht sei verletzt worden, macht die Beschwerdeführerin darüber hinaus geltend, der Haftrichter verfüge aufgrund der Befassung mit einem früheren, sie betreffenden Fall über Sonderwissen und sei befangen. 
 
3.2 Gemäss Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Die Garantie ist aber nicht schon verletzt, wenn ein Richter in einem früheren, eine andere Sache betreffenden Verfahren mit der angeschuldigten Person befasst war (vgl. BGE 126 I 68 E. 3c S. 73 mit Hinweisen). 
 
3.3 Eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV ist im vorliegenden Fall demnach nicht ersichtlich. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, inwiefern das behauptete Sonderwissen einen Einfluss auf den Ausgang des Haftprüfungsverfahrens gehabt haben könnte. 
 
4. 
4.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet die Haftgründe der Kollusions- und der Wiederholungsgefahr und rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit. Bezüglich der Wiederholungsgefahr ist die Beschwerdeführerin der Ansicht, aus dem eingegangenen psychiatrischen Gutachten vom 3. Oktober 2009 ergebe sich, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. 
 
4.2 Im die am 27. Juli 2009 verfügte Haftverlängerung betreffenden Urteil 1B_216/2009 vom 20. August 2009 (E. 4.1-4.3) legte das Bundesgericht die Voraussetzungen der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 4 der Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 des Kantons Zürich (LS 321; StPO/ZH) eingehend dar. Darauf wird verwiesen. 
Gestützt auf diverse Aussagen von Zeugen und der Beschwerdeführerin selber, wonach sich diese bei Trunkenheit aggressiv verhalte, Alkohol offenbar in grossen Mengen konsumiere und jeweils bewaffnet unterwegs sei, gelangte das Bundesgericht zum Schluss, dass die Bejahung von Wiederholungsgefahr nicht verfassungswidrig sei, selbst wenn genauere Details zum Trinkverhalten der Beschwerdeführerin im damaligen Zeitpunkt ohne das erwartete psychiatrische Gutachten noch fehlten. 
 
4.3 Gemäss dem psychiatrischen Gutachten vom 3. Oktober 2009 ist die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin erneut Straftaten begehen könnte, zu bejahen. Der Experte geht von einer moderaten Rückfallgefahr für die Begehung eines neuerlichen Gewaltdelikts im Rahmen einer spezifischen Beziehungskonstellation aus. Es würden jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Beschwerdeführerin eine generelle, ungerichtete, beliebige Gewaltbereitschaft bestehe (Gutachten S. 39). 
 
4.4 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lässt sich aus dem psychiatrischen Gutachten demzufolge nichts zu ihren Gunsten ableiten. Im Rahmen einer spezifischen Beziehungskonstellation wird eine Rückfallgefahr, wenn auch lediglich eine moderate, bejaht. Die Annahme von Wiederholungsgefahr und somit die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist nicht verfassungswidrig. Dies gilt umso mehr, als mittlerweile Anklage erhoben worden ist und es deshalb nicht mehr lange dauert, bis die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Straftat gerichtlich beurteilt wird. 
 
5. 
5.1 Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Begründungspflicht, da sich der Haftrichter trotz der sich aufgrund des Gutachtens ergebenden neuen Sachlage nicht mit der Anordnung von Ersatzmassnahmen auseinandergesetzt habe. Sie erachtet die Anordnung einer kontrollierten Suchtmittelabstinenz als hinreichend, um einer Wiederholungsgefahr entgegenzutreten. 
 
5.2 Aus dem Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei kann sie sich aber auf die wesentlichen Punkte beschränken (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen). Verweise auf frühere Entscheide sind zulässig. 
 
5.3 Im vorliegenden Fall verwies der Haftrichter auf die früheren Haftentscheide, worin er die Anordnung einer Ersatzmassnahme ohne Abstützung auf ein psychiatrisches Gutachten ablehnte. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin gibt das in der Zwischenzeit eingegangene psychiatrische Gutachten indessen nicht klar Auskunft darüber, ob eine kontrollierte Suchtmittelabstinenz die Rückfallgefahr mit sofortiger Wirkung bannen könnte. Eine verbindliche Aussage über die Eignung der vorgeschlagenen Ersatzmassnahme ist nicht möglich. Wenn auch der Haftrichter den Punkt der Ersatzmassnahme nicht nochmals aufgriff, so liegt unter den gegebenen Umständen keine Verletzung der Begründungspflicht vor. 
 
6. 
Da der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bejaht wird, erübrigt sich die Prüfung, ob auch Kollusionsgefahr vorliegt oder nicht. 
 
7. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren gestellt. Diesem kann entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
 
2.2 Fürsprecher Sararard Arquint, Zürich, wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 3. Dezember 2009 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Féraud Schoder